Mirupafshim Kosova!

Es ist November 2019. Mein Freiwilligendienst ist seit drei Monaten vorĂŒber, die neuen VoluntĂ€re haben ihren Dienst lĂ€ngst angetreten und letztes Wochenende war das Informationswochenende fĂŒr zukĂŒnftige VoluntĂ€re. (Man kann sich ĂŒbrigens noch bewerben!) Ich durfte dort meine Erfahrungen teilen und werde, soweit möglich, auch in weiteren Vorbereitungsseminaren dabei sein. Abgesehen davon hat aber ein neues Kapitel fĂŒr mich begonnen: Ich studiere jetzt Geographie und Soziologie. Mein Tagesablauf, meine Aufgaben, mein Umfeld – das alles hat sich verĂ€ndert. Es ist also Zeit, Abschied zu nehmen von diesem Blog. An dieser Stelle darf ich euch die Blogs meiner Nachfolgerinnen empfehlen: „KOSOWO SONST? – mein Freiwilligendienst im Kosovo“ von Veronika und „Mein Abenteuer im Kosovo“ von Hannah.

Bevor ich den Blog aber beende, möchte ich den Freiwilligendienst rekapitulieren.

Meine Zeit im Kosovo 



 war so vieles, dass es schwer in Worte zu fassen ist. Aber ich habe drei Stichworte, die das Wichtigste nennen:

Lehrreich: Ich bin angekommen, kannte weder Land noch Leute. NatĂŒlich hatte ich mich informiert. Ich wusste, dass der Kosovo hauptsĂ€chlich muslimisch geprĂ€gt ist, dass Serbien und Kosovo ĂŒber UnabhĂ€ngigkeit und LĂ€ndergrenzen streiten und der Krieg seine Spuren hinterlassen hat. Trotzdem ist es etwas völlig anderes, die Geschichten der Leute zu hören, ihre Kultur zu erleben und mit ihnen zu arbeiten. Es ist nicht das Fakten-Lernen, wie wir es in der Schule kennen, es ist eine ganz andere Art von Lernen. Zum Beispiel habe ich gelernt, gastfreundlicher und spontaner zu sein, zu geben ohne etwas zu erwarten, Chancen zu nutzen, wo sie gerade auftreten.

Bereichernd: Die Erinnerungen, die geschlossenen Freundschaften, das Gelernte, das sind Dinge, die mir viel wert sind. Und es sind Dinge, die mir nicht weggenommen werden können, die ich nicht verlieren kann. Das ist viel mehr wert als ein Jahr frĂŒher arbeiten und studieren.

Persönlichkeitsentwicklung: Vor dem Jahr kannte ich hauptsĂ€chlich die deutsche Kultur mit ihren Normen und Werten. Ohne etwas anderes zu kennen, ist es schwierig zu reflektieren. Nach diesem Jahr aber habe ich viel ĂŒber die kosovarisch-albanische Kultur gelernt und dadurch auch ĂŒber die deutsche. So ist mir klarer geworden, welche Werte mir besonders wichtig sind. Ich habe selbst das GefĂŒhl, mich in diesem einen Jahr mehr entwickelt zu haben als in den letzten drei Schuljahren. Das heißt nicht, dass ich jetzt einen ausgeschliffenen Lebensplan habe – im Gegenteil, ich habe noch so viele Möglichkeiten mehr entdeckt. Aber genau dieses Wissen ĂŒber die Möglichkeiten ermöglicht mir, zum gegebenen Zeitpunkt bewusst zu entscheiden.

Das war mein Freiwilligendienst fĂŒr mich.


 und die Zeit der anderen mit mir

Was hat er fĂŒr die Kinder und Jugendlichen, die anderen Don-Bosco-Mitarbeiter bedeutet?

Ganz oft habe ich gehört, dass ich sie inspiriert habe. Zuerst dachte ich: Wie, aber ihr habt doch mich inspiriert, mir so viel beigebracht! Aber es funktioniert in beide Richtungen: Indem ich ihre Handlungen in Frage stelle, weil ich sie schlicht nicht kenne, fangen auch sie an, darĂŒber nachzudenken. Wenn ich erzĂ€hle, wie ich es von mir daheim kenne und wir ĂŒber Vor- und Nachteile der jeweiligen Handelsweisen diskutieren, eröffnet es ihnen – und auch mir – eine ganz andere Breite an Handlungsmöglichkeiten, die sie vorher nie in ErwĂ€gung gezogen hĂ€tten. Es braucht also keine großen Aktionen, um positiv im GedĂ€chtnis zu bleiben. Vielmehr geht es darum, sich fĂŒr die Menschen und ihre Lebenswelt zu interessieren.

Über das Jahr hinweg und auch danach durfte ich sehr viel WertschĂ€tzung erfahren. Darunter gibt es Worte, an die erinnere ich mich besonders gerne. Deshalb zitiere ich sie hier fĂŒr euch, die Übersetzungen habe ich dabei mehr sinngemĂ€ĂŸ als wörtlich gehalten:

Ich bin da

„If you need me, I’m here.“ (Falls du mich brauchst, bin ich hier fĂŒr dich.) Das war ein Satz, den eine Freundin und SchĂŒlerin aus der damals elften Klasse gesagt hat. Er fiel nur so nebenbei, wie selbstverstĂ€ndlich, aber mir hat er so viel bedeutet, dass ich ihn groß in mein Tagebuch geschrieben habe. Es zeigt mir, dass ich ihr wichtig bin, dass ich es geschafft habe, mit ihr eine Beziehung aufzubauen und auch fĂŒr sie da zu sein. Das haben ihre Abschiedsworte bestĂ€tigt: „Thanks for giving me a lot of lessons and very very good memories. I love you too very much!“ (Vielen Dank dass du mir viel beigebracht hast und fĂŒr die sehr, sehr guten Erinnerungen. Ich habe dich auch sehr lieb!)

Von Herzen

Das nĂ€chste Zitat ist von einer Freundin und SchĂŒlerin, damals in der elften Klasse. Sie bezieht sich darauf, dass sie zu Beginn meines Freiwilligendienstes in einem MirĂ«mengjes (der Vollversammlung aller SchĂŒler/innen) alle aufforderte, dazu beizutragen, dass ich mich in Don Bosko Gjilan zuhause fĂŒhle. Ich hatte ihr nach meinem Freiwilligendienst eine Nachricht geschrieben und mich unter anderem dafĂŒr bedankt. Das ist ein Teil ihrer Antwort: „In that time, it was just a ‚beautiful‘ sentence, because I actually didn’t know you, but now that I do, it’s more than just a sentence and it makes sense more than it did that day.“ (In diesem Moment war es nur ein „schöner“ Satz, denn eigentlich kannte ich dich gar nicht; aber jetzt, da ich dich kenne, ist es mehr als nur ein Satz und es macht mehr Sinn als es an diesem Tag tat.“)

Außerdem schrieb sie mir, dass es gut fĂŒr sie war, mit mir Zeit zu verbringen, weil ich sie nocheinmal darĂŒber nachdenken ließ, was sie mit ihrem Leben machen will. Und ziemlich am Ende ihrer Nachricht las ich diese herzlichen Worte: „You will always have a special place in our heart“ (Du wirst immer einen speziellen Platz in unserem Herzen haben) und „We won’t forget you“ (Wir werden dich nicht vergessen).

Wie Familie

Besonders wichtig ist auch Jezuelas Freundschaft fĂŒr mich – und meine fĂŒr sie. Vor Kurzem schrieb sie mir: „You have no idea how much I need my lil sis here“ (Du weißt gar nicht, wie sehr ich meine kleine Schwester hier brauche). Sie nennt mich Schwester – das beschreibt unser VerhĂ€ltnis ziemlich gut. Wir haben sehr viel Zeit miteinander verbracht, haben miteinander gearbeitet und dabei – und davor und danach – ĂŒber Gott und die Welt geredet. Sie hat mir geholfen, wo immer nötig, und ich ihr. Jetzt bleiben wir ĂŒber WhatsApp in Kontakt und wenn irgendwann möglich, wollen wir uns wieder treffen. Auch mit anderen Animatoren bin ich ĂŒber WhatsApp in Kontakt.

NatĂŒrlich gab es von unserem Direktor Don Dominik eine Abschiedrede fĂŒr mich. Ein Satz ist mir dabei besonders hĂ€ngen geblieben: „You’re like a daughter to us.“ (Du bist wie eine Tochter fĂŒr uns.)

Und Don Bosko ist wie eine zweite Familie, ein zweites Zuhause fĂŒr mich.

Damit möchte ich Don Dominik, Don Oreste, Jezuela und allen anderen Mitarbeiter*innen, SchĂŒler*innen und Animator*innen danken fĂŒr die wundervolle Zeit, fĂŒr die mir trotz aller Wortgewandtheit ein bisschen die Worte fehlen. Ich werde diese Zeit nie vergessen!

Eure Bettina

So I want to thank Don Dominik, Don Oreste, Jezuela and all co-workers, students and animators for the wonderful time, that I can’t really put into words. I’ll never forget this time!

Yours, Bettina

Edhe tash me pak gjuhĂ« shqipe: Falemindert shumĂ« Don Dominik, Don Oreste, Jezuela edhe krejt tjerat per çdo kohĂ« e mrekullueshme. S’mundem harroj çdo kohĂ«! (MĂ« falni pĂ«r krejt gabim – e di, s’mundem mĂ« fal mirĂ«…)

Bettina

PS: Ja, bei der Veröffentlichung ist es bereits Dezember – das Studium nimmt mich in Beschlag und gut Ding will schließlich Weile haben 😉 Vielen Dank, liebe Leser*innen, dass ihr so lange durchgehalten habt; vielen Dank, dass ihr mich ĂŒber das Jahr hinweg begleitet habt! Falls ihr wissen wollt, warum ich ausgerechnet dieses Titelbild fĂŒr den Abschiedsbeitrag gewĂ€hlt habe, klickt euch in den vorigen Blog.

Mein Jahr in Bildern

Gjilan, Kosovo – zunĂ€chst nur fremd klingende Namen, eine Stadt und ein Staat von oben in Google Earth, als Wikipediaeintrag, eine Verheißung von spannenden Erfahrungen.
Das Praktikum in Belgien – ein kleiner Vorgeschmack auf Don Bosco.
Das ist also Don Bosko Gjilan, mein Zuhause und mein Arbeitsplatz fĂŒr ein Jahr.
Mein erstes Selfie mit Jezuela – wir waren sofort auf einer WellenlĂ€nge. Auch mit den Salesianern habe ich mich super verstanden!
Kampf dem MĂŒll!
Maylie – Thema Straßenhunde: Da prallen Welten aufeinander. Aber wir haben es geschafft, eine Lösung zu finden.
Weihnachten mit Jezuela und Gregor in Tirana.
Skopje – Zwischenstation auf dem Weg nach Serbien zum Zwischenseminar.
Mit Verena habe ich den Kosovo touristisch erkundet – hier in den Bergen bei Peja.
Mit den elften Klassen …
Meine Gruppe mit Don Dominik bei einer kleinen AuffĂŒhrung.
… mit einigen Animatoren in Tale.

Am Ende meines Freiwilligendienstes war eine Gruppe italienischer Animatoren da. Mit ihnen durfte ich auf AusflĂŒge in die Umgebung Gjilans gehen und noch ein paar schöne Fotos machen:

Das ist kein Friedhof, sondern eine GedenkstĂ€tte im Aufbau. Zwischen diesen idyllischen HĂŒgeln hat Krieg gewĂŒstet, denn sie liegen nahe der Grenze zu Serbien, sodass sie 1999 zu den als ersten betroffenen Regionen gehörten.
Blick vom Turm der Kathedrale aus ĂŒber Prishtina.

Wie der Sonnenuntergang zum Tag gehört, gehört der Abschied zum Freiwilligendienst. Von all den Umarmungen und herzlichen Worten habe ich keine Fotos, lieber habe ich diese Momente genossen und in mein Herz aufgenommen. Deshalb verabschiede ich das Jahr stattdessen mit diesem metaphorischen Foto:

Die letzten Tage im Kosovo – melancholisch schön wie ein Sonnenuntergang.

Vor der Ausreise

Vor drei Monaten, im August, war ich mitten in den Ausreisevorbereitung – dazu gehört auch das Sich-Verabschieden. Wie war das eigentlich?

Vorbereitungen

Ich hatte zum GlĂŒck nicht so wahnsinnig viel vorzubereiten wie andere. Mein Praktikum in Belgien war schon vorĂŒber, ein Visum oder eine Aufenthaltsgenehmigung muss ich als Deutsche im Kosovo nicht im Vorhinein beantragen. FĂŒr die ersten 90 Tage meines Aufenthalts brauche ich keine behördlichen Erlaubnisse. Das ist im Vergleich zu beispielsweise den Indien-Reisenden eine große Erleichterung. So brauchte ich nur Reisepass, FĂŒhrungs- und Gesundheitszeugnis. Ein Bankkonto, mit dem ich im Kosovo Geld abheben konnte, musste ich auch eröffnen.

NatĂŒrlich brauchte ich Impfungen – aber nur wenige. Und meine WeisheitszĂ€hne mussten noch raus! Gut einen Monat vor der Ausreise, kein Problem, bis dahin ist alles lĂ€ngst verheilt! Von wegen… Zwei EntzĂŒndungen habe ich mir eingefangen. Hintereinander, an derselben Stelle. Ich musste bis zur Ausreise Antibiotika nehmen. Und eins ist mir bei all dem Chaos untergegangen: Ich muss die jĂ€hrliche Zahnkontrolle, die ich sonst im Dezember habe, schon vor der Ausreise machen! Zum GlĂŒck hat mich mein Zahnarzt ganz spontan noch einschieben können. So habe ich noch am Abflugtag dem Zahnarzt einen Besuch abgestattet. Zum GlĂŒck war alles in Ordnung.

Packen

Abgesehen von den medizinischen Vorbereitungen ging es also vor allem ums Packen. Wie ist das Klima im Kosovo? Was muss ich noch besorgen? Was kann ich ĂŒberhaupt mitnehmen? Wie soll ein Jahr Kleidung und sonstige Ausstattung in einen Koffer mit 23 Kilogramm, einem HandgepĂ€ck mit 8 Kilogramm sowie einer Laptoptasche passen? Wie soll ich ein bisschen Sommerkleidung und dicke, schwere Winterkleidung unterbringen?

Ihr könnt euch vorstellen, dass ich viel hin und her gepackt habe, Dinge von meiner Liste streichen musste – meine geliebten Veggi-GummibĂ€rchen! – nur um dann am Flughafen festzustellen, dass das GepĂ€ck nicht gewogen wird und ich nicht auf 100 Gramm genau hĂ€tte packen mĂŒssen. Die GummibĂ€rchen wĂ€ren schon noch reingegangen… Tja, lieber fehlen die GummibĂ€rchen als warme Socken. Die brauche ich hier fĂŒr die kommenden sechs Monate jeden einzelnen Tag.

Sich verabschieden …

Manchmal habe ich nicht einmal gewusst, dass ich diese Person nun ein letztes Mal treffen wĂŒrde – oder anders herum, ich wusste nicht, dass ich sie nocheinmal sehen wĂŒrde. Manchmal macht das den Abschied sogar leichter, wenn man nicht ganz klar sagen muss: „TschĂŒss, das ist das letzte Mal fĂŒr ein Jahr, dass wir uns treffen.“

Aber bei meinen engsten Freundinnen war ich ganz froh, dass ich sie entweder einzeln oder in einer Gruppe nocheinmal gesehen habe und mich ganz bewusst in Ruhe verabschieden konnte. Und ich wage, die These aufzustellen, dass solche Abschiede Freundschaften stĂ€rken können. Es ist nĂ€mlich schön, zu hören, dass die Freundin keine Angst vor diesem Abschied hat, weil sie glaubt, dass wir immer noch dieselbe Freundschaft haben werden, wenn ich wieder zurĂŒck komme. Vor allem, wenn ich mir selbst genauso sicher bin.

Ein paar der Geschenke – Wörter sind ganz offensichtlich wichtig in meinem Leben. 😉

Ich habe auch wunderbare Geschenke bekommen: Kreativ gestaltete TagebĂŒcher, NotizbĂŒcher, kleine Spruchkalender, selbstgemachte Stoffkisten, Schokolade, GummibĂ€rchen, Karten und Briefe.

… auch von meiner Familie

Ganz oft wurde ich gefragt, wie denn meine Eltern dem Abschied und dem Auslandsjahr entgegensehen. Ich durfte damit ĂŒberraschen, dass meine Eltern keine Angst vor dem Abschied haben und auch nicht allzu traurig sind, dass ich weg bin. Warum? Weil sie sehen, dass sie mich zu einer eigenstĂ€ndigen, freien Frau großgezogen haben, die die Welt sehen will. Die in sich selbst vertraut. Die ihre Augen dafĂŒr öffnet, wie andere Menschen leben.

Und vor allem, weil sie fĂŒhlen: RĂ€umliche Distanz bedeutet nicht automatisch seelische Distanz. Auch wenn wir ĂŒber 1000 Kilometer weg sind, lieben wir, eine fĂŒnfköpfige Familie, uns und teilen unsere Leben miteinander – moderne Technik macht es einfacher. In unserem Familienchat landen fast tĂ€glich Bilder, kleine Geschichten, die wir erlebt haben, und „Gute Nacht, hab euch lieb!“-GrĂŒĂŸe. (Und natĂŒrlich hilft es, dass die große Schwester auch schon mal ein Jahr mit Don Bosco weg war – in Indien.)

FĂŒr mich war der Abschied also alles in allem keine schmerzliche, sondern eine herzliche Erfahrung. NatĂŒrlich ist die ein oder andere TrĂ€ne geflossen, aber ich habe nicht gelitten. Selbst am Flughafen hatten alle ein LĂ€cheln auf dem Gesicht. Auch jetzt habe ich kein quĂ€lendes Heimweh. Ich liebe meine Familie und meine Freunde, manchmal hĂ€tte ich sie wirklich gerne hier, damit sie dasselbe sehen und erleben können wie ich. Aber zugleich möchte ich meine eigenen Erfahrungen machen, Neues sehen. Zum GlĂŒck bekomme ich per WhatsApp Fotos und Nachrichten, der Videochat ist eine wunderbare Erfindung – und das Bloggen auch. Mit all diesen Möglichkeiten kann ich das Wichtigste mit euch teilen.

Auch nĂ€chstes Wochenende lasse ich euch wieder an meinen Erfahrungen hier teilhaben – wahrscheinlich wird’s um meinen neuen besten Freund, den HeizlĂŒfter, gehen.

Bis dahin! Ganz herzliche GrĂŒĂŸe an alle,

Eure Bettina