Woher sind die zwei Szenen?

Falls ihr meinen letzten Beitrag noch nicht gelesen habt: Den solltet ihr für ein besseres Verständnis unbedingt vor diesem Text lesen!

Schlaf gut

Die erste Inspiration stammt aus Gjilan, Kosovo. Wir waren spätabends auf dem Heimweg von Tirana, Albanien, und fuhren durch die Partymeile Gjilans. Da habe ich im Vorbeifahren die Frau mit ihrem Kind gesehen – so wie ich sie beschrieben habe. Ich kann natürlich nicht sicher sagen, ob die Beiden obdachlos sind, aber ich kann mir sonst keinen Grund vorstellen, dort mit Kind im Arm zu sitzen. Aber ich habe sie nur einige Sekunden gesehen, ich könnte also durchaus falsch liegen mit meiner Vermutung. Ansonsten habe ich im Kosovo bisher keine offensichtlich Obdachlose gesehen.

Dennoch gibt es viele Bettler, auch Kinder. Sowohl in Prishtina als auch in Tirana habe ich Kinder gesehen, die an roten Ampeln für Geld Autoscheiben geputzt haben. An meinem zweiten Tag im Kosovo sind wir für eine Messe – das Fest der Mutter Teresa – nach Prishtina gefahren. Nach der Messe haben Jezuela und ich in einem Straßencafé gegessen. Während wir dort unsere großen Portionen Burek – ein leckeres traditionelles Gericht – aßen, kamen zwei etwa elf- und achtjährige Mädchen zu uns. Die Kleinere der beiden bettelte um etwas – ich weiß nicht worum, vermutlich Geld. Jezuela bot ihr jedenfalls etwas von ihrem Essen an, nicht aber Geld. Sie nahm gerne etwas an. Dem anderen Mädchen, das sich auf der anderen Seite des Tisches mit etwas Abstand hingestellt hatte, bot ich daraufhin ebenfalls etwas an – sie sollte doch nicht leer ausgehen. Burek wollte sie nicht, aber eine Orangenscheibe lies sie sich gerne schmecken.

Zurück zur Obdachlosigkeit: Ich nehme an, dass es wenige Obdachlose gibt, weil hier der Familienzusammenhalt recht gut zu sein scheint. Trotzdem kann es für eine Familie schnell das finanzielle Aus bedeuten, wenn der Ernährer stirbt. Hier gibt es nämlich kein soziales staatliches System, dass Menschen in Not auffängt, wie wir es in Deutschland haben (aber selbst unser System hat Lücken). Deshalb ist hier Solidarität innerhalb der Verwandtschaft sehr wichtig.

Wo wir beim Thema Leben auf der Straße sind: Straßenhunde gibt es viele, sowohl im Kosovo als auch in Albanien. Diesen hier habe ich in einer Stadt in Albanien fotografiert, mitten in der Fußgängerzone. Er sieht noch relativ gesund aus, dafür, dass er auf der Straße lebt. Ich habe aber auch schon einen Hunde gesehen, die nicht nur ein bisschen zottelig und dreckig sind, sondern sichtbar unter dem Straßenleben leiden.

Wie ein Monster

Die zweite Inspiration trage ich seit meinem Besuch in Hamburg in meinem Kopf. Das war im Sommer 2017, als ich mit fünf Freundinnen einen Kurzurlaub in der Hansestadt gemacht habe. Dort bestaunte ich nicht nur die wunderschöne Elbphilharmonie – ich habe auch die Obdachlosen gesehen. An jedem Tag, in fast jeder U-Bahnstation, in vielen Straßen. Ich als Landei aus bayerischer Provinz bin den Anblick von armen, verwahrlosten Menschen nicht gewöhnt – ich hoffe, ich werde mich auch nie daran gewöhnen, selbst wenn ich hundert Jahre lang in einer Großstadt wohnen sollte.

Aber wir alle, die gesamte Gesellschaft, denken wir noch an sie? Oder haben wir uns schon an ihrem Anblick gewöhnt? Sehen wir die Lücken im System, durch die diese Menschen gefallen sind? Oder glauben wir, dass es ihnen nicht so ergehen würde, hätten sie sich nur etwas mehr angestrengt? Sagen wir „ihr Problem“ und gehen weiter? Oder versuchen wir, solidarisch zu sein mit Fremden? Wie viel von unserer – zumindest von einigen deutschen Politikern – viel beschworenen christlichen Leitkultur steckt in unserem alltäglichen Handeln?

Jetzt kommt der Teil für die Christen unter euch: In Lukas 10, 25 – 37 wird Jesus von einem Gesetzeslehrer gefragt: Wer ist mein Nächster? Und diese Frage müssen wir uns auch stellen, wenn wir davon sprechen, unseren Nächsten lieben zu wollen. Jesus jedenfalls erzählt ihm auf diese Frage das Gleichnis des barmherzigen Samariters. Die Schlussfolgerung darauf: Der, dem du gerade begegnest, dem du mit deinem Herzen in der Hand entgegentrittst, ist dein Nächster.

Für alle Nicht-Christen (aber natürlich auch für Christen):

Wollen wir als Einzelkämpfer leben? Oder wollen wir geben und nehmen?

Wollen wir, dass die einen im Überfluss leben, während die anderen leiden? Oder wollen wir gemeinsam unsere Leben meistern? Auch wenn es bedeutet, dass man meist weniger Geld hat, als man haben könnte, man dafür aber in Notsituationen genug Geld für ein würdiges Leben bekommt?

Hundert Mal zehn Cent sind zehn Euro

Ich möchte euch alle dazu aufrufen, jeden einzelnen Tag zu überlegen, wo ihr helfen könnt – es muss ja nicht so groß sein. Und es muss ja auch nicht gleich der nächste Obdachlose sein, der euch begegnet. Schon wenn jeder jeden Tages etwas Kleines tut, kommt einiges zusammen: Hundert Mal zehn Cent sind zehn Euro – oder hundert Mal eine scheinbar kleine Tat sind summiert eine größere Tat.

Ich weiß, manche von euch denken jetzt, die hat leicht reden, sie macht einen Freiwilligendienst, ein ganzes Jahr nur für andere! Aber der Freiwilligendienst bringt nicht nur den Leuten hier etwas, er bringt auch mir etwas: Ich darf ein Jahr im Ausland leben, eine neue Kultur und neue Menschen kennenlernen. Ganz zu Schweigen davon, dass man mir so einen Freiwilligendienst bei meiner Jobsuche wahrscheinlich positiv angerechnen wird (womit leider viele Unternehmen, die kommerziell Freiwilligenarbeit vermitteln, Werbung machen). Und selbst wenn es so eine große Sache wäre – besser geht immer. Auch ich bin kein Engel, auch ich muss mir in die ein oder andere Situation vorwerfen, in der ich nicht geholfen habe, obwohl es so einfach gewesen wäre. Lasst uns also gemeinsam den Mut haben, mehr zu tun!

Liebe Grüße! Eure Bettina

 

PS: Sollte euch das anregen, gleich sofort was zu tun – hier geht’s direkt zum Spenden. Und ihr dürft gerne kommentieren oder mir anderweitig schreiben, ob ihr diese Antworten erwartet habt.

Zwei Szenen

Heute berichte ich nichts. Stattdessen habe ich euch zwei kleine Texte aufgeschrieben. Die folgen Szenen basieren auf wahren Erlebnissen und Wahrnehmungen.

 

Schlaf gut

Der kleine Junge gähnte.

„Komm her.“ Seine Mutter zog ihn näher zu sich.

Er kuschelte sich an sie, zog die Beine an. Zusammengekauert wie ein Embryo lag er in ihrem Schoß, schmiegte sich in ihre Arme. In Gedanken versunken starrte er vor sich hin. Die ausgestreckten Beine seiner Mutter, ihre staubige Hose, an ihren Füßen schmutzige Gummischuhe. Dahinter passierten elegante Ballerinas, blank geputzte Lederschuhe, Highheels.

Er zählte sie wie Schafe. Bis ihm die Augen zufielen.

Seine Mutter spürte ihn schwer werden in ihren Armen. Sie seufzte, aber es war nicht zu hören. Zu laut der Beat der Tanzmusik des Lokals hinter ihr. Zu laut die Menschenmasse, von der sie nur durch eine hüfthohe Mauer getrennt war. Für ihren Sohn war die Tanzmusik längst zur Schlafmusik geworden.

Für Sie? Die Musik war Teil einer Welt, zu der sie keinen Zutritt hatte. Sie konnte diese Welt hören, sie konnte sie sehen. Aber niemals an ihr teilnehmen. Sie saß nur direkt davor. Nicht einmal einen Meter entfernt – aber dieser eine Meter war unüberwindbar.

 

Wie ein Monster

„Kann mir denn niemand wenigstens einen Euro geben!“ Die Frau war frustriert. Ihre längst nicht mehr weiße Mütze saß auf dünnen Haaren, die in ein gegerbtes Gesicht fielen. Sie schaute in die Gesichter all dieser Bahnfahrenden. Die einen schauten zu Boden, die anderen wagten einen Blick, sahen sogleich wieder weg und doch wieder hin. Mancher fingerte nervös oder verzweifelt am Saum seines Ärmels. Sie sah vieles: Gleichgültigkeit ebenso wie Mitleid. Als wäre sie ein Nichts. Angst und Ekel. Als wäre sie ein Monster.

Und sie wusste, keiner wollte sie sehen. Nicht einmal sie selbst. Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, wie sie aussah. Sie fühlte es. Die alten Klamotten, die Hose zerissen, darunter eine frische Wunde. Sie hatte sich an Dornen im Gebüsch neben der Bahnstation verletzt, als sie ihre Schlafnische verlassen wollte. Dreck haftete wie eine Staubschicht an ihrem ganzen Körper, hatte sie sich doch lange nicht mehr waschen können. Eines ihrer Augen war dunkel geschwollen, deswegen sah sie halbseitig nur unklar. Aber immernoch genug, um zu erkennen, dass hier wohl nichts zu holen war, zumal gerade die Bahn einfuhr. Ganz offensichtlich erleichtert, den zugigen, dreckigen Bahnsteig verlassen zu können, eilten die Wartenden in die Bahn. Die Türen schlossen sich, die Menschen brausten hinweg und ließen die Frau auf dem einsam grauen, trist gefliesten Betonklotz stehen.

 

Woher kommen diese Eindrücke?

Nur eine der beiden Inspirationen für diese Texte stammt aus dem Kosovo. Welche hat nicht hier stattgefunden und wo habe ich sie stattdessen gesehen? (Als kleine Hilfe: Ich war bisher in Österreich, Italien, Kroatien, Frankreich – und der dazugehörigen Insel Île de la Réunion, die neben Madagaskar liegt –, außerdem natürlich Deutschland und vor Kurzem das erste Mal in Albanien. Aus Albanien stammt auch das Bild zu Beginn des Beitrags: Ein Kind bereitet seine Utensilien zum Autoschweibenputzen her.)

Wenn ihr möchtet, könnt ihr eure Gedanken in die Kommentare schreiben oder mich anderweitig kontaktieren. Die Lösung werde ich in einer Woche veröffentlichen. Außerdem darf ich euch bereits einen Beitrag über meine bisherigen Albanienbesuche in Aussicht stellen.

Bis dahin! Eure Bettina

Eilmeldung

Du bist ab nächstem Sommer zwischen 18 und 28 Jahren alt und überlegst dir, 2019/2020 einen Freiwilligendienst im Ausland zu leisten? Dann mal ran an die Tastatur! Hier bei Don Bosco ist für Bayern und Baden-Württemberg am 31. Oktober Bewerbungsschluss – für alle anderen Bundesländer Deutschlands ist es schon der 15. Oktober. Mehr Infos findest du hier.

Du überlegst dir, einen Freiwilligendienst zu leisten, möchtest aber lieber in Deutschland bleiben? Auch das geht bei Don Bosco! Infos gibt es hier.

Spendenaufruf

Seit dem 1. Oktober 2009 wohnen die Salesianer Don Dominik und Don Oreste hier in Gjilan. In dieser Zeit haben sie eine Schule mit einem Oratorium aufgebaut und schon viel erreicht. Aber fertig sind sie noch lange nicht! So eine ganze Schule zu etablieren braucht Zeit. Im Moment haben wir 250 Schüler*innen, aber in den nächsten Jahren soll die Zahl auf 400 anwachsen. Bis dahin muss aber noch einiges erledigt werden:

Die allerersten Biologie-Unterrichtsmaterialien sind schon da – aber es fehlt noch viel!

Was wird gerade gebaut?

Der Bau des neuen Sportplatzes in seiner Anfangsphase.
  • Laboratorien für Bio, Chemie, Physik
  • Sportplatz
  • Jalousien, um die Räume im Sommer abzuschatten, sind in Planung

Wie finanziert sich Don Bosko Gjilan?

Wenn die Schule eines Tages ihre volle Auslastung erreicht hat, soll sie sich selbst tragen können: Die meisten Schüler*innen zahlen Schulgeld, nur manche, die es sich nicht leisten können, besuchen die Schule kostenlos. Bis dahin erhalten wir vor allem von Renovabis große Unterstützung, auch für die momentanen Bauprojekte. Allerdings kann Renovabis nicht alles übernehmen, Don Bosko Gjilan ist auf weitere Unterstützung angewiesen.

Wer ist Renovabis?

Renovabis ist ein deutsches katholisches Hilfswerk, das „kirchlich-pastorale Projekte, soziale Aufgaben, Bildungsprojekte und weitere Projekte“ unterstützt. Sie sind in 29 Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa aktiv. Weitere Infos findet ihr unter www.renovabis.de.

Wie kann man helfen?

Natürlich könnt ihr jederzeit Geld spenden (siehe meine Spendenseite oder die Internetseite von Renovabis), sodass wir Benötigtes selbst kaufen können. Aber vielleicht habt ihr stattdessen Sachspenden? Modernisiert ihr euren Computerraum und habt die alten Computer übrig? Wird eine Schule aufgelöst und ihr habt Unterrichtsmaterialien abzugeben? Erneuert euer Sportverein seine Sportgeräte und ihr habt zum Beispiel alte Bälle übrig?

Meldet euch bei mir! (E-Mail: gjilanspenden@wopperer.de)

Was brauchen wir?

  • Schulmaterialien für Bio, Chemie, Physik und Geografie
  • Computer
  • Sportsachen – Sportgeräte ebenso wie Kleidung
  • jegliches Mobiliar
  • und alles andere, was in einer Schule und einem Jugendzentrum nützlich sein könnte

Ich und alle anderen, die hier zu Don Bosko Gjilan gehören, freuen uns auf jede Unterstützung!

Bis bald! Eure Bettina

Die Sache mit den Büchern

Zu Jezuelas und meinem Aufgabenfeld gehören auch die Schulbücher. Also begannen wir zu Schulbeginn, alle benötigten Buchsätze zusammenzusuchen. Ich war zugegebenermaßen etwas schockiert, als ich die vorhandenen Bücher sah: In vielen waren die Antworten mit Kugelschreiber hineingeschrieben, sie waren bekritzelt und zerfleddert. Hier musste man nämlich nichts bezahlen, wenn man Bücher beschädigt zurück gab. Ich erzählte Jezuela davon, wie das Problem in meinen Schulen daheim gelöst wurde – jetzt muss jeder, der sein Buch beschrieben oder arg lädiert zurück bringt, das Buch am Ende des Schuljahres kaufen.

Die Neuegelung änderte aber nichts daran, dass unsere Büchersätze größtenteils unvollständig waren: Nachdem wir alle noch brauchbaren Bücher herausgesucht und ausreichend vorhandene Büchersätze ausgeteilt haben, schrieben wir eine lange Liste nachzubestellender Bücher zusammen.

Die Bücherlieferungen

Leider bestand die erste Bücherlieferung nur etwa zur Hälfte aus tatsächlich bestellten Buchsätzen, der Rest waren Fehllieferungen – zum Glück fast alle in den kommenden Jahren verwendbar. Also haben wir nocheinmal gezählt, wovon nun genügend vorhanden ist und haben diese Sätze ausgeteilt. Außerdem haben wir alles noch Fehlende aufgeschrieben und von Neuem bestellt.

Die Bücher aus Jezuelas alter Schule sind größtenteils genauso alt und abgewetzt wie unsere Bücher. Es waren aber auch ein paar neue dabei, wie das Buch in der Mitte.

Die zweite Bücherlieferung hat uns dann die meisten benötigten Bücher geliefert. Gleichzeitig haben wir von Jezuelas ehemaliger Schule übrige, größtenteils gebrauchte Bücher bekommen. Das Prozedere ging also ein drittes Mal von vorne los – zählen, notieren, schleppen, austeilen.

Da möchte ich eins anmerken: Die Bücher sind beide Male bemerkenswert schnell zugestellt worden. Nur die Bücher, die sie nicht auf Vorrat haben – unter anderem sämtliche Deutschbücher – kommen wir erst im Oktober an.

Die fehlgelieferten und die übrigen neuen Bücher mussten jetzt noch umgelagert werden. Eigentlich sollten die Bücher von einem Klassenzimmer, das als Büro genutzt wurde, ins Depot gebracht werden. Da lagern bisher alle Bücher sowie die Tests der Schülerinnen und Schüler. Allerdings ist dort nicht genug Platz für alle Bücher, also bleiben unsere alten Bücher im Depot. Die neuen haben wir mit Hilfe von einigen Schülerinnen und Schülern in einen leeren Raum im Oratoriumsgebäude direkt neben der Schule gebracht. Dort lagern sie für den Moment auf Spielmatten für Kinder. Im Laufe des Schuljahres wollen wir Regale aufbauen und die Bücher darin lagern.

Büchermangel – nicht nur hier

Übrigens ist Don Bosko (so schreibt man „Don Bosco“ hier, damit es richtig ausgesprochen wird) nicht die einzige Schule, die Probleme mit den Schulbüchern hat. Viele der Lehrer arbeiten gleichzeitig in einer der staatlichen Schulen. Ein paar haben uns nun zum Beispiel um Chemie- oder Physikbücher gebeten. Einige der angefragten Bücher haben wir tatsächlich noch übrig.

Jetzt liegen also nur noch die Bücher von Jezuelas ehemaliger Schule, die wir nicht gebraucht haben, in den als Büro verwendeten Klassenzimmer. Weiter geht die Bücherplackerei erst, wenn wir diese Bücher anderswo unterbringen werden, die noch fehlenden Bücher kommen oder die Regale im neuen Lager aufgebaut werden.

Bis dahin! Eure Bettina