SprachunfÀlle

Witzige Bedeutungen

Wenn man eine neue Sprache lernt, tappt man in so manche Falle – die mehr oder weniger harmlos sein kann.

Stellt euch mal vor, von einem Tag auf den anderen heißt „ja“ „nein“ und „nein“ „ja“ – wie oft wĂŒrdet ihr etwas falsch verstehen? Genau das kam hier auf mich zu. Das albanische „ja“ steht fĂŒr das deutsche „ne“ und „jo“ bedeutet „nein“ – ihr könnt euch vorstellen, wie oft ich verwirrt war, ob etwas bestĂ€tigt oder abgelehnt wurde. Witzig ist es fĂŒr mich, hier etwas zu bejahen, denn dann sagt man „po“ – man beachte die deutsche Bedeutung. Lachen musste ich auch, als ich den Namen von Jezuelas Großvater erfuhrt: Er klingt wie „hacke“. Als ich erklĂ€rte, warum ich den Namen so witzig finde, meinte er nur trocken: „In Deutschland wĂŒrde immerhin niemand meinen Namen vergessen.“

Einige Lacher habe ich auch bekommen, wenn ich im Kisok „peach“, englisch fĂŒr „Pfirsich“, gesagt habe. Dasselbe kann passieren, wenn ich „car“ sage – die beiden Wörter klingen wie die Geschlechtsteile von Frau und Mann auf Albanisch! Die Frage „Can I have your car?“ bekommt plötzlich eine seltsame Doppeldeutigkeit…

Der Sprachmixer

Es sind natĂŒrlich nicht nur Bedeutungen, die einen verwirren oder witzig sind. Manchmal wirft mein Kopf den Sprachmixer an. Dann gerĂ€t etwas Deutsch in meine englischen SĂ€tze, zum Beispiel „I’m going to the Kiosk“. Oder in Kombination von Französisch und Albanisch: „C’est mirĂ«.“

Ich bemerke auch gar nicht immer, wenn ich ein falsches Wort untermische oder komplett die falsche Sprache spreche. Mit Don Oreste unterhalte ich mich in Französisch. Aber manchmal, wenn ich gerade nur Englisch gesprochen habe, spreche ich versehentlich einfach weiter auf Englisch. Ihm geht es allerdings genauso mit mir, oft spricht er mich auf Albanisch an oder springt mitten im GesprĂ€ch auf Albanisch um. Auch den SchĂŒler*innen geht es bisweilen so. Ich denke allerdings, dass das gar nicht schlecht ist: Es zeigt, dass ich fĂŒr sie nicht die AuslĂ€nderin bin, mit der man mĂŒhsam Englisch sprechen muss, sondern dass sie mich nicht viel anders als alle anderen empfinden. Ganz besonders tricky ist daran, dass ich durchaus ein bisschen Albanisch kann.

Manchmal lĂ€sst mich der Sprachmixer in meinem Kopf auch fĂŒr einen Moment verstummen: Als Jezuela und ich auf der Straße unterwegs waren, haben wir ihren ehemaligen Französischlehrer getroffen. Sie hat mich ihm natĂŒrlich als Französisch sprechende Deutsche vorgestellt. Daraufhin fragte er mich auf Französisch, seit wann ich im Kosovo sei. Als ich ihm nur „language chaos“ antworten konnte, wiederholte er seine Frage auf Deutsch. Bis dahin hatte sich mein Gehirn aber von Englisch auf Französisch umgestellt und ich antwortete ihm auf Französisch.

Selbst diejenigen, die sich viel mit mir unterhalten, sind vom Sprachmixer betroffen: Jezuela spricht versehentlich mit anderen Einheimischen Englisch – die womöglich selbst gar kein Englisch können. Don Oreste hat im Supermarkt eine VerkĂ€uferin auf Französisch nach Kaffee gefragt – ihr verdutztes Gesicht war wirklich amĂŒsant. Aber selbst ich habe einige Sekunden gebraucht, um zu verstehen, dass er die falsche Sprache mit ihr spricht, wenn ich ihn problemlos verstehen kann. Und als ich ihm sagte, dass er es auf Albanisch sagen solle, fragte er mich lachend, ob er gerade Französisch gesprochen habe.

Fremdsprachen sprechen

Ist es nicht etwas frustrierend, sich stĂ€ndig in einer Fremdsprache verstĂ€ndigen zu mĂŒssen? Sicher, manchmal kommt man an den Punkt, an dem man nicht in die Worte der Fremdsprache fassen kann, was man in Deutsch ausdrĂŒcken könnte. Manchmal muss man einige Sekunden ĂŒberlegen, bis man eine passende Umschreibung gefunden hat. Und man braucht Mut zur LĂŒcke: Einiges kann man nur grob umreißen. Daher freue ich mich immer, mich mit unseren zwei deutschsprachigen SchĂŒlerinnen zu unterhalten. Aber insgesamt bin ich sehr zufrieden damit, wie ich hier hauptsĂ€chlich auf Englisch kommuniziere.

Das Albanisch-Lernen geht leider sehr langsam voran. Das liegt einerseits daran, dass Jezuela und ich der PraktikabilitĂ€t halber beim Arbeiten Englisch sprechen mĂŒssen. Andererseits fehlt uns oft die Zeit dazu, uns in Ruhe fĂŒr eine Albanischstunde hinzusetzen. Und im Alltag habe ich kaum den Druck, es lernen zu mĂŒssen. Insgesamt gibt es viele, die Englisch gut genug sprechen, um sich mit mir wenigstens zu verstĂ€ndigen oder sogar zu unterhalten. Es gibt allerdings auch erstaunlich viele, die kaum bis gar nicht Englisch sprechen, obwohl sie Englischunterricht haben. Allerdings ist dieser aufs Schriftliche fokussiert, hat mir Jezuela erklĂ€rt. Diejenigen, die Englisch gut sprechen, haben es oft vor allem aus Fernsehen und Internet gelernt. Deshalb wird auch mir oft die Frage gestellt, wo ich so gut englisch Sprechen gelernt habe. Meine Antwort „I’ve learned English in school.“ stĂ¶ĂŸt entsprechend auf Erstaunen. Ebenso meine Antwort darauf, ob ich französische Wurzeln habe – „No, my family is completly german.“ – ĂŒberrascht sie. Bei den einen kam die Annahme daher, dass ich Französisch spreche – was ich aber auch in der Schule gelernt habe – bei den anderen daher, dass sie in meinem Englisch einen Französischen Akzent hören. Es hat aber auch schon jemand gesagt, ich sprĂ€che British English.

Spannende Erfahrung

Diese Spracherfahrung ist jedenfalls viel wert, schĂ€tze ich. Und ich verstehe nun wesentlich besser, dass zweisprachig aufwachsende Kinder manchmal die Sprachen vermischen – wenn man beide Sprachen viel verwendet, kommen sie einem beide so vertraut vor. Auch wĂ€hrend ich diesen Artikel geschrieben habe, habe ich nicht nur in Deutsch gedacht, manche Begriffe tauchten erst Mal in Englisch auf. Das Wort „familiar“ wollte mein Gehirn so gar nicht ins Deutsche ĂŒbersetzen, also musste ich aufs Internet zugreifen und klar, als ich da „vertraut“ stehen sah, dachte ich mir natĂŒrlich, wie konntest du dieses Wort nur vergessen.

Liebe GrĂŒĂŸe von der sprachverwirrten, aber glĂŒcklichen Bettina

Was sind meine Aufgaben hier?

Jezuela und ich nach unserem bisher anstrengendsten Arbeitstag.

Hier gibt es so viele Aufgaben, ich weiß gar nicht, wo anfangen! Vielleicht mal von vorne:

Am ersten Tag, als sich Jezuela mir vorstellte, hieß es gleich: Mit ihr wirst du tĂ€glich zusammenarbeiten! Sie erledigt hier – ab jetzt mit meiner UnterstĂŒtzung – alles, was anfĂ€llt: TĂ€glich verkaufen wir im Schulkiosk GetrĂ€nke, Snacks und SĂŒĂŸigkeiten. Den Vorrat mĂŒssen wir regelmĂ€ĂŸig auffĂŒllen, was uns allwöchentlich SchweißausbrĂŒche beschert.

Was wir ebenfalls auffĂŒllen mussten: Unseren BĂŒchervorrat. Die Sache mit den alten und neuen BĂŒchern ist etwas kompliziert, die erlĂ€utere ich im nĂ€chsten Beitrag. Aber soviel sei gesagt: Sie bereitet von Sucherei bis Schlepperei ziemlich viel Arbeit.

Ansonsten fĂ€llt alles Organisatorische, beispielsweise Elternbriefe verteilen, an uns. Das erledigen wir oft in der nachmittĂ€glichen Lernzeit. Da passen Jezuela und ich auf alle Acht- und NeuntklĂ€ssler auf, oft unterstĂŒtzt von ein bis zwei Elft- oder ZwölftklĂ€sslern. In der Lernzeit erledigen die SchĂŒler und SchĂŒlerinnen ihre Hausaufgaben oder Lernen auf Tests. Dabei soll es natĂŒrlich möglichst leise sein. Wer schwĂ€tzt oder sich mit etwas Anderem als Schulstoff beschĂ€ftigt, muss mit einer Strafe rechnen. Das reicht vom Klassenzimmer aufrĂ€umen – was etwa fĂŒnf Minuten dauert – bis zum ein-, bei Ermahnungsresistenz auch zweistĂŒndigen Nachsitzen direkt im Anschluss an die Lernzeit.

Kurzfristiger Lehrerersatz

Jezuela und ich springen auch mal fĂŒr fehlende Lehrer ein: Sei es nur eine Vertretungsstunde oder aber eine ganze Woche. Leider hat der einzige Deutschlehrer der Schule am letzten Ferientag gekĂŒndigt, weil er beim Staat eine Stelle bekommen hatte. Der Leiter machte sich natĂŒrlich sofort auf die Suche nach jemand Neuem, aber das dauert doch mindestens eine Woche. Also habe ich ab Montag, den 10. September einige der Stunden ĂŒbernommen. Don Dominik und ein paar andere Lehrer konnten mir auch ein paar Stunden abnehmen.

Wie unterrichtet man als Abiturientin?

Ich stolperte etwas unvorbereitet in den Unterricht hinein: Ein Deutschbuch fĂŒr einen Vorkurs, das im SchulbĂŒcherarchiv lag, ein Blick hinein und ein paar Gedanken, was man machen könnte – aber keine Ahnung davon, was die jeweiligen Klassen bereits gelernt hatten und ebenso wenig fundiertes Wissen darĂŒber, wie man einen Unterricht strukturiert. Außerdem musste ich den Unterricht auf Englisch halten, schließlich reichte mein Albanisch nur fĂŒr eine freundliche BegrĂŒĂŸung.

Allerdings merkte ich bald, dass es fast nichts ausmacht, ob die Klasse noch fast gar keinen Unterricht hatte oder schon ein Jahr hinter sich hat – in der ersten Stunde habe ich jeden sich selbst vorstellen lassen, allein das hat meist die HĂ€lfte der Stunde eingenommen. Mit Klassen, die schon ein Jahr Unterricht hatten, habe ich hauptsĂ€chlich wiederholt – sich vorstellen, die Zahlen, das Wetter, die Monate. Ganz oft erklĂ€rte ich, wie ß und ss sowie diverse Buchstabenkombinationen die Aussprache eines Wortes beeinflussen.

Generell habe ich zu Beginn der Stunde eine Übung mit den SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern gemacht und dann Fehler korrigiert, sowie die dazu aufkommenden Fragen beantwortet. Damit kam ich meistens ganz gut durch die Stunde – auch wenn das natĂŒrlich kein besonders gezielter, strukturierter Unterricht war. Ich bin schließlich keine studierte Lehrerin – das weiß jeder und deshalb wird von mir erwartet, dass ich mein Bestes gebe, aber nicht, dass ich perfekt unterrichte.

Eine Klasse hĂ€ndeln – eine Herausforderung

Unterricht in der siebten Klasse.

Mir wurde bereits Respekt dafĂŒr gezollt, wie selbstbewusst ich vor einer ganzen Klasse stehe – mit der ich mich zum Teil kaum direkt verstĂ€ndigen kann. Ich denke, auf diese Situation bin ich in der Realschule sowie im Gymnasium bestens vorbereitet worden – unzĂ€hligen Referate und etliche Tipps, wie man in PrĂ€sentationen das Publikum fesselt, stĂ€rken mir den RĂŒcken. GlĂŒcklicherweise bin ich auch sonst mit einem stabilen Selbstbewusstsein und einer Portion Heiterkeit gegenĂŒber Fehlern – den eigenen wie denen der anderen – gesegnet.

Den Wilkommensgruß einer der zwölften Klassen fand ich trotzdem nicht so amĂŒsant wie sie: Hier gibt es nur Whiteboards, die weißen ProjektionsleinwĂ€nde fallen davor also nicht auf. Das haben sie sich zunutze gemacht und die Leinwand vor dem Whiteboard heruntergekurbelt. Beinahe hĂ€tte ich darauf angefangen zu schreiben. Aber ich merkte, dass sich diese Schreibunterlage schon bei einer leichten BerĂŒhrung bewegte. Da habe ich ihnen klar gesagt, dass ich das fĂŒr keine angemessene BegrĂŒĂŸung fĂŒr eine neue Lehrerin halte.

Von sonstigen Streichen bin ich bisher verschont geblieben, auch wenn besonders die zwölften Klassen schwierig ruhig zu halten waren. Die GrĂŒnde sind offensichtlich: Ich bin zum Teil nicht einmal ein Jahr Ă€lter als meine SchĂŒler und SchĂŒlerinnen. Besonders die Jungs ĂŒberragen mich zum Teil um mehrere Köpfe. Ich spreche nicht ihre Muttersprache, daher kann ich kaum unterscheiden, ob sie nun ĂŒber Unterrichtsinhalte diskutieren oder nicht. Außerdem mĂŒssen sie in Deutsch keine PrĂŒfung schreiben – insofern sitzen sie die Stunden ab, ohne Sinn darin zu sehen.

Sprachen im Unterricht

Jezuela ist im Unterricht sehr wichtig, obwohl sie hauptsÀchlich am Rand sitzt:

Erstens bekommt sie als Einheimische wesentlich besser mit, was in der Klasse los ist. Das heißt, sie hat mir auch schon gesagt, dass mein Unterricht gerade nicht vorhandenes Wissen voraussetzt. So konnte ich manche Fragen klĂ€ren, die die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler nicht an mich gestellt haben. Außerdem vertraue ich ihr völlig, wenn sie zwei SchĂŒler mitten im Unterricht zu Don Dominik schickt – sie bekommt nĂ€mlich besser mit als ich, wer Unsinn macht, weil sie versteht, was gesprochen wird. Zudem kann sie konstant die Klasse beobachten. Ich hingegen schenke meine Aufmerksamkeit abwechselnd jemandem, den ich an die Tafel geholt habe, und dem Rest der Klasse.

Zweitens sind gerade in den unteren Klassen die Englischkenntnisse noch nicht ausreichend, um meine englischen Anweisungen und ErklĂ€rungen zu verstehen. Selbst in den 12. Klassen musste sie manches ĂŒbersetzen. Ich wunderte mich ĂŒber die – nach meinem Ermessen – zum Teil verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig geringen Englischkenntnisse der ZwölftklĂ€sser. Jezuela erklĂ€rte mir, dass hier im Unterricht das Lesen und Schreiben in Englisch fokussiert wird, nicht aber das Sprechen. Auch eine ZehntklĂ€sslerin spiegelt mir das wider: Sie versteht mich gut, tut sich aber schwer, mir zu antworten. Deshalb bat sie mich um Nachhilfe im Englisch Sprechen.

Wieviel ich unterrichte

Unterrichtsvorbereitung an meinem Schreibtisch.

In der einen Woche ohne Deutschlehrer habe ich in der sechstes, siebtes, zehntes, elften und zwölften Jahrgangsstufe – insgesamt sieben Klassen – unterrichtet. Bisher habe ich zwölf Unterrichtsstunden gegeben und mit jeder Stunde fĂ€llt mir das Unterrichten leichter. Inzwischen unterrichte ich nur noch je eine Übungsstunde in der sechsten und siebten Klasse. Alle anderen Stunden hat die neue Deutschlehrerin ĂŒbernommen.

ZusĂ€tzlich zum stundenplanmĂ€ĂŸigen Unterricht werde ich ab dieser Woche der ZehntklĂ€sslerin Englischnachhilfe geben. Außerdem haben mich drei MĂ€dchen um zusĂ€tzlichen Deutschunterricht gebeten, der zwei Mal die Woche stattfinden wird.

In einigen Wochen werde ich natĂŒrlich auch darĂŒber (und ĂŒber vieles anderes) schreiben, aber erst mal kommt der Artikel ĂŒber die SchulbĂŒcher.

Bis dahin! Eure Bettina (die ihre langen und anstrengenden Tage hier liebt, weil sie glaubt, dass sie fĂŒr dieses Jahr genau am richtigen Ort mit der richtigen Arbeit und den richtigen Menschen gelandet ist)

Herzlich Willkommen im Kosovo!

In einem unbekannten Land anzukommen ist wie ein ungelesenes Buch zu öffnen. Es tut sich eine Welt auf, die man bisher so nicht kannte. Sicher, einiges ist der eigenen Lebenswelt Àhnlich, anderes jedoch ist völlig neu.

Kosovo – ein Land in Entwicklung

Eine kleine HĂ€useransammlung – das SteingebĂ€ude mit dem kleinen Turm dabei ist eine Moschee, die Ausgrabungen der Mauerreste rechts oben sind die Überreste einer Kathedrale, die auf das 13. Jahrhundert geschĂ€tzt wird, möglicherweise aber noch viel Ă€lter ist. Die Moschee wurde aus ihren Steinen erbaut.

Schon beim Landeanflug sah ich Dinge, die ungewohnt waren: WaldĂŒberzogene HĂŒgel und Berge, HĂ€user verstreut in der Natur, nur wenige landwirtschaftlich genutzte FlĂ€chen. Noch viel mehr sah ich wĂ€hrend der einstĂŒndigen Fahrt von Prishtina nach Gjilan. Schon auf dem Parkplatz des Flughafens standen verschiedenste Autos, von Luxuskarossen bis hin zu BlechbĂŒchsen. Es fahren Autos mit kaputten Scheinwerfern und blinden RĂŒckscheiben herum – und direkt darauf kann ein mit teuren SportwĂ€gen beladener Lastwagen folgen.

Genauso ist es bei den HĂ€usern: Es gibt Siedlungen mit den neusten, modernsten HĂ€usern, wie man sie auch in Deutschland nur in Reichenvierteln finden wĂŒrde. Zugleich gibt es etliche HĂ€user, die alt, heruntergekommen und kaputt sind und nur noch darauf warten, zusammenzufallen und von der Natur zurĂŒckerobert zu werden. Ganz viele HĂ€user sind im Bau, jedenfalls habe ich ungewöhnlich viele unverputzte HĂ€user gesehen. Es kann auch sein, dass man sie einfach nur so lĂ€sst. Oft waren jedenfalls die Fenster schon eingebaut und manchmal sogar ein Laden drin. Sicher ist, dass die letzten Jahre insgesamt viel gebaut wurde. Jezuela, mit der ich zusammenarbeite, erzĂ€hlte mir, dass vor sieben bis zehn Jahren die hohen WohnhĂ€user rund um die Einrichtung gar nicht existierten. Stattdessen war das GelĂ€nde teilweise umgeben von Wiesen mit ÄpfelbĂ€umen. FĂŒr alle Neugierigen: Die Adresse ist „Don Bosko, Rr. Marie Shllaku, nr. 6, 60 000 Gjilan“, wenn man das zum Beispiel auf Google Earth eingibt, kann man sich die Umgebung von oben anschauen und mit Hilfe der historischen Bilder das Wachstum der Stadt nachvollziehen.

Da hĂ€ngen PlastiktĂŒten in BĂŒschen und BĂ€umen …

MĂŒllansammlung am Gehweg, der an das Don-Bosco-GelĂ€nde angrenzt

Eine unschöne, aber nicht unerwartete Beobachtung ist folgende: MĂŒll findet man hier ĂŒberall. Er liegt am Straßenrand, ist in Vorhöfen in einer Ecke abgelagert und aufgestapelt, wird nicht getrennt. In der KĂŒche unserer Einrichtung gibt es zwar drei MĂŒlleimer, aber man schmeißt in jeden alles. In den LĂ€den steht immer ein zweiter Angestellter an der Kasse und packt die Waren in bereitliegende, kostenlose PlastiktĂŒten – ein freundlicher, angenehmer Service, aber was passiert mit all den TĂŒten? Ich behalte sie als MĂŒlltĂŒten, aber normalerweise wĂŒrden sie weggeworfen werden – man hat ja genug.

… aber zum GlĂŒck nicht in allen!

Die Aussicht ĂŒber kosovarische Landschaft bei einer Ruine in der NĂ€he des Dorfes NovobrĂ«dĂ«.

Was hingegen sehr schön ist, ist die Natur: Sehr grĂŒn und hĂŒgelig und teilweise absolut naturbelassen. Die Felsen – sofern man sie denn sieht – haben einen warmen Rot-Ton. Das GrĂŒn ist krĂ€ftig und frisch, bisweilen silbrig. Ich habe auch schon Pflanzen gesehen, die mich an Italien erinnern: Manche BĂ€ume sind hoch und schlank; der Apfelbaum in Jezuelas Garten wird von elegant geformten, leuchtenden BlĂŒten durchrankt. Überhaupt, die GĂ€rten: Klar, in der Stadt gibt es sie genauso wenig wie bei uns, aber auf dem Land gehört zu einem Haus in einem Dorf oft ein großer Garten und ein StĂŒck Feld. Im Garten von Jezuelas Familie wachsen Reihen von Paprika, Lauch, Tomaten, Gurken… Außerdem gibt es schwer tragende ApfelbĂ€ume und Weintraubenreben.

Ein bisschen Sprachchaos

Noch viel wichtiger: Die Menschen hier. Meine erste Begegnung hier war zwar etwas unbeholfen, weil der Salesianer, der mich abholte, offenbar nicht wusste, dass ich Französisch gelernt habe. Er kann nĂ€mlich kein Englisch, aber Italienisch, Albanisch (die Amtssprache hier) und Französisch. Also versuchte er mir in Italienisch zu erklĂ€ren, dass wir nun eine einstĂŒndige Autofahrt nach Gjilan vor uns hatten. Ich verstand das ein oder andere Wort und mit ein paar Brocken Englisch und Gesten konnten wir uns verstĂ€ndigen – bis ich einmal etwas auf Französisch sagte, in der Hoffnung, er wĂŒrde es dank der Ähnlichkeit zum Italienischen verstehen. Von da an unterhielten wir uns auf Französisch. So spreche ich hier ĂŒberraschenderweise gleich vier Sprachen: Englisch mit dem Einrichtungsleiter und den Mitarbeitern, Französisch mit dem Salesianer, Deutsch im Unterricht, Albanisch im Sprachunterricht mit einer Mitarbeiterin und – soweit ich es denn schon kann – mit Einheimschen.

Von Herzen freundlich

Nun aber zu den Menschen, wie ich sie bisher erlebt habe: In der Einrichtung wurde ich sofort von einigen Mitarbeitern mit Umarmung und herzlichen Worten empfangen. Dann gab es gleich Mittagessen mit den beiden Salesianern, die hier mit mir in der Schule wohnen (der Leiter und derjenige, der mich abgeholt hat) und danach bezog ich mein Zimmer. Zugegebenermaßen war das Erste, was ich darin tat, nicht etwa meine Koffer auszupacken, nein, ich legte mich erstmal schlafen. Erst als ich mich erholt hatte, rĂ€umte ich mein GepĂ€ck ein. Abends gab es eine Lehrerkonferenz, in der ich mich kurz vorstellte. Jezuela zeigte mir das gesamte GelĂ€nde.

Ich verstand mich sofort gut mit ihr. Schon am Donnerstag, den 06. September, schlug sie spontan vor, ich könne bei ihr ĂŒbernachten. Der Einrichtungsleiter, der hier die Verantwortung fĂŒr mich hat, war einverstanden damit – sie war seine erste Animatorin (ehrenamtlich) und arbeitet auch dort. Ihre Familie hat mich sehr gastfreundlich aufgenommen – und zwar von ganzem Herzen. Auch am folgenden Wochenende habe ich mich mit Jezuela getroffen und Freunde von ihr und ihre Verwandtschaft kennengelernt.

Ihre Familie trifft sich am Sonntag immer zum Essen, Teetrinken und einfach gemeinsam Zeit verbringen. Eine schöne Sache, wie ich finde. Die Verwandschaft scheint ihnen sehr nahe zu stehen, wie Geschwister. Auch sie haben mich herzlich begrĂŒĂŸt und waren erfreut, mich als Gast zu haben. Hier sind AuslĂ€nder schließlich recht selten. Die Einheimischen können leider oft auch kein Englisch oder trauen sich nicht, es zu sprechen, obwohl die jungen Leute es in der Schule lernen. Ich habe mich aber auch schon mit zwei etwa fĂŒnfzehnjĂ€hrigen SchĂŒlerinnen unterhalten, die sehr gut Englisch sprechen können. Deutsch spreche ich zum Beispiel mit zwei SchĂŒlerinnen, die in Deutschland beziehungsweise der Schweiz aufgewachsen sind. Außerdem spreche ich Deutsch natĂŒrlich auch im Unterricht.

Apropos Unterricht – darum wird es in meinem nĂ€chsten Beitrag gehen.

Bis dahin, eure Bettina (die sich hier schon lĂ€ngst wie zu Hause fĂŒhlt)