Zwei Szenen

Heute berichte ich nichts. Stattdessen habe ich euch zwei kleine Texte aufgeschrieben. Die folgen Szenen basieren auf wahren Erlebnissen und Wahrnehmungen.

 

Schlaf gut

Der kleine Junge gähnte.

„Komm her.“ Seine Mutter zog ihn näher zu sich.

Er kuschelte sich an sie, zog die Beine an. Zusammengekauert wie ein Embryo lag er in ihrem Schoß, schmiegte sich in ihre Arme. In Gedanken versunken starrte er vor sich hin. Die ausgestreckten Beine seiner Mutter, ihre staubige Hose, an ihren Füßen schmutzige Gummischuhe. Dahinter passierten elegante Ballerinas, blank geputzte Lederschuhe, Highheels.

Er zählte sie wie Schafe. Bis ihm die Augen zufielen.

Seine Mutter spürte ihn schwer werden in ihren Armen. Sie seufzte, aber es war nicht zu hören. Zu laut der Beat der Tanzmusik des Lokals hinter ihr. Zu laut die Menschenmasse, von der sie nur durch eine hüfthohe Mauer getrennt war. Für ihren Sohn war die Tanzmusik längst zur Schlafmusik geworden.

Für Sie? Die Musik war Teil einer Welt, zu der sie keinen Zutritt hatte. Sie konnte diese Welt hören, sie konnte sie sehen. Aber niemals an ihr teilnehmen. Sie saß nur direkt davor. Nicht einmal einen Meter entfernt – aber dieser eine Meter war unüberwindbar.

 

Wie ein Monster

„Kann mir denn niemand wenigstens einen Euro geben!“ Die Frau war frustriert. Ihre längst nicht mehr weiße Mütze saß auf dünnen Haaren, die in ein gegerbtes Gesicht fielen. Sie schaute in die Gesichter all dieser Bahnfahrenden. Die einen schauten zu Boden, die anderen wagten einen Blick, sahen sogleich wieder weg und doch wieder hin. Mancher fingerte nervös oder verzweifelt am Saum seines Ärmels. Sie sah vieles: Gleichgültigkeit ebenso wie Mitleid. Als wäre sie ein Nichts. Angst und Ekel. Als wäre sie ein Monster.

Und sie wusste, keiner wollte sie sehen. Nicht einmal sie selbst. Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, wie sie aussah. Sie fühlte es. Die alten Klamotten, die Hose zerissen, darunter eine frische Wunde. Sie hatte sich an Dornen im Gebüsch neben der Bahnstation verletzt, als sie ihre Schlafnische verlassen wollte. Dreck haftete wie eine Staubschicht an ihrem ganzen Körper, hatte sie sich doch lange nicht mehr waschen können. Eines ihrer Augen war dunkel geschwollen, deswegen sah sie halbseitig nur unklar. Aber immernoch genug, um zu erkennen, dass hier wohl nichts zu holen war, zumal gerade die Bahn einfuhr. Ganz offensichtlich erleichtert, den zugigen, dreckigen Bahnsteig verlassen zu können, eilten die Wartenden in die Bahn. Die Türen schlossen sich, die Menschen brausten hinweg und ließen die Frau auf dem einsam grauen, trist gefliesten Betonklotz stehen.

 

Woher kommen diese Eindrücke?

Nur eine der beiden Inspirationen für diese Texte stammt aus dem Kosovo. Welche hat nicht hier stattgefunden und wo habe ich sie stattdessen gesehen? (Als kleine Hilfe: Ich war bisher in Österreich, Italien, Kroatien, Frankreich – und der dazugehörigen Insel Île de la Réunion, die neben Madagaskar liegt –, außerdem natürlich Deutschland und vor Kurzem das erste Mal in Albanien. Aus Albanien stammt auch das Bild zu Beginn des Beitrags: Ein Kind bereitet seine Utensilien zum Autoschweibenputzen her.)

Wenn ihr möchtet, könnt ihr eure Gedanken in die Kommentare schreiben oder mich anderweitig kontaktieren. Die Lösung werde ich in einer Woche veröffentlichen. Außerdem darf ich euch bereits einen Beitrag über meine bisherigen Albanienbesuche in Aussicht stellen.

Bis dahin! Eure Bettina

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