Nachfolgend ein Gastblogeintrag unserer lieben Freundin Marisa, die uns für zwei Wochen besucht.
Die höchsten Entführungsraten der Welt gibt es laut Statistik in Kolumbien. Die Guerilla, das Paramilitär, Drogenanbau,… alles Faktoren, die das Land gefährlich werden lassen.
Der Straßenverkehr wird hingegen nicht erwähnt. Für mich allerdings ist es jedes Mal ein kleines Abenteuer, die Straße zu überqueren. Denn dort herrschen die Gesetze des Dschungels: Der Stärkere gewinnt. So entspannt die Kolumbianer bei all ihrem Tun sind, so hektisch und ungeduldig sind sie es beim Autofahren.
Es ist nicht bloß die Tatsache, dass es größtenteils keine Fahrspuren gibt und sich daher meist vier bis sechs Fahrzeuge nebeneinander quetschen. Ganz abgesehen von den Fahrrädern, Mopeds, Kutschen und Wagenziehern, die sich dazwischendrängen. Es scheint einfach keine feste Verkehrsordnung zu bestehen. Blinken zum Abbiegen ist Ausnahmezustand, bei Rot über die Ampel brettern Normalität und niemand anderem als sich selbst Vorfahrt zu gewähren ist oberstes Gebot.
Da zieht selbst die Mutter mit dem Kinderwagen den Kürzeren, wenn sie auf die gegenüberliegende Straßenseite will. Eine Kolumbianerin gestand einmal, sie bewundere die Europäer für ihr geregeltes System, sie selbst aber würde es nie so schaffen.
Wir setzen uns dem Risiko aus und fahren mit einer Busetta zum Centro. Dazu stellt man sich an den Straßenrand, winkt und steigt ein, wenn einer der kleinen Busse vorüberfährt.
Der Fahrer streckt seine Hand durch ein Gitter, das den Fahrerraum von den Sitzplätzen abtrennt. Weil der Busfahrer ad hoc weiterfährt, muss man sich gut festhalten und den Kopf einziehen, bevor man sich auf den wackeligen Sitzen niederlässt.
Die Busettas sind in der Regel zwischen 30 und 40 Jahren alt. Entsprechend ruckelig ist die Fahrt. Die z.T. tümpelgroßen Schlaglöcher, die in der Gesamtheit eine Kraterlandschaft ergeben, tun ihr Übriges.
Mir ist es immer noch ein Rätsel, wie das Verkehrssystem, welches keines ist, aufgehen kann.
Denn trotz des dichten Auffahrens, plötzlichen Bremsens und des Gedränges passiert nichts. Sicher, manchmal schleudert es einen vom Sitz, aber einen richtigen Unfall habe ich bisher nur einmal beobachtet. Da setzte dann direkt die Dominowirkung ein, sodass gleich vier Autos hintereinander betroffen waren.
Die Busetta hält wieder an. Ein auffallend magerer Mann mit Gitarre steigt zu. An der Seitenwand zieht sich ein tiefer Riss entlang. Die Gitarre scheint schon oft benutzt worden zu sein- so wie jetzt auch. Der Mann beginnt, die Saiten zu zupfen. Es klingt etwas schief, vermutlich dem Riss geschuldet. Dann singt er dazu. Es ist ein gefühlsbetontes Lied. Wie er so von Liebe und Leid singt, bemerkt man, dass er kam noch Zähne hat. In der oberen Reihe fehlen einige, andere sind verfault. Das Leben hat ihn gezeichnet. Tiefe Falten graben sich wie Furchen in seine braune Haut. Glücklich sieht er nicht aus.
Nach drei Liedern hält er seine Hand auf. Manche geben ihm eine Münze. Als er wieder zum Spielen ansetzt, dreht der Busfahrer das Radio auf. Seine Zeit ist abgelaufen. Dafür ertönt nun fröhliche Salsamusik. Denn egal, wie klapprig oder verrostet ein Bus oder Jeep ist, ein neues Radio befindet sich immer darin. Oft gepaart mit einer Art Diskolicht an der Decke, das in grellen Farben blinkt.
Auch in Supermärkten, an Imbissen oder einfach auf der Straße- in der Hauptstadt des Salsa ist dieser nicht wegzudenken.
Ebenso allgegenwärtig ist Plastik. Alles, restlos alles findet darin seine Verpackung, sogar Milch, Wasser und Marmelade. Folglich hoch ist das Müllaufkommen. Die Resultate sieht man am Rande der Stadt, wo einzelne Menschen den Müll verbrennen. Auch im Fluss oder an Häuserecken sammelt er sich an.
Die Fahrt geht weiter. Ich schaue aus dem Fenster, sehe die kleinen Arepa-Grillstationen, die Minutenfrauen, Palmen und die verworrenen Stromleitungen. Die kastenförmigen Häuser, die sich aneinanderreihen, sind vergittert bis unters Dach. Manche sehen regelrecht wie Vogelkäfige aus. Andere Gitter sind verziert mit goldenen Blumen und wirken fast prunkvoll.
Die Menschen hier sind nicht so verschlossen wie ihre Häuser. Ganz im Gegenteil sprudeln sie geradezu vor Herzlichkeit und Neugierde. Gleich am zweiten Tag kamen Kinder unsrer Schule umarmend auf mich zugestürmt. Die ganz Mutigen erprobten sogar ihre Englischkenntnisse und fragten „How are you?“.
Wir sind nun am Ziel angekommen- dem Centro. Vor uns liegen Straßen voller bunter Reklameschilder und Ständen. Massen von Menschen tummeln sich darauf. Vor den kleinen Einkaufspassagen hocken Händler, die einem CDs, Schmuck oder Früchte anbieten. Es ist alles ein großes Gewühle, in dem man den Überblick schnell verliert.
Die Sonne brennt auf den Kopf, während die Verkäufer ihre Ware anpreisen. Armbänder, kleine Figuren, Korbwaren- man findet einfach alles an landestypischem Handwerk. Daneben blenden aber auch die knallig pinken Plastikimporte, die gar nicht ins Bild passen wollen. Und doch erfreuen sie sich großen Anklangs bei vielen Kolumbianern.
Wir schlendern wieder zurück. Ein Taxi bringt uns zur Wohnung. Die kleinen gelben Gefährte sieht man überall. Es ist sehr billig, sich mit ihnen fortzubewegen trotz der hohen Spritpreise.
Der Taxifahrer sieht jung aus, schätzungsweise noch keine 18 Jahre alt. Sobald wir auf der Hinterbank Platz genommen haben, drücken wir die Knöpfchen herunter- Sicherheitsmaßnahme. Anzuschnallen brauchen wir uns nicht. Gurte gibt es hinten keine. So passen dann auch mal vier Personen auf die Rückbank.
Zuhause legen wir erst einmal eine Siesta ein. Das Klima strengt an. Und ein wenig kolumbianische Gelassenheit tut gut.
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