Ein zweiter Blogeintrag Marisas

Von Cristo Rey, einer weißen Jesusstatue auf einem Berggipfel, aus erhält man einen Blick über die ganze Stadt- zumindest so weit das Auge reicht. Im Süden an den Berghängen sieht man hohe Wohnhäuser- dort leben die Reichsten der Stadt. Klein dazwischengedrängt stehen die provisorischen Hütten der Ärmsten. Enger beieinander können die Gegensätze nicht sein… Aber sie prägen das Stadtbild. Wenn man überhaupt sagen kann, dass es EIN Stadtbild gibt. Vielmehr handelt es sich um grundverschiedene Realitäten, die ich während meines Aufenthalts hier kennengelernt habe.

Da gibt es auf der einen Seite die wunderschöne und artenreiche Flora und Fauna, auf der anderen Seite die vermüllten Ecken und die verpestete Luft, die einen niessen lässt wegen der Dreckansammlung in der Nase. Da gibt es die chicen Wohnanlagen mit Pool, eingezäunt und überwacht von Sicherheitskräften. Wer Eintritt erhalten will, muss sich beim Portier anmelden. Dieser ruft kurz bei der Zielperson an, um nachzufragen, ob der Besuch erwünscht ist.

Und es gibt die Wellblechhütten, die sich am Stadtrand anhäufen. Die Schüler aus Aguablanca wohnen zumeist in einfach Häusern, klein und unfertig aussehend. Auf dem kahlen Boden steht in der Regel nicht viel. Ein paar Plastikstühle… Es ist eben ein Armenviertel. Der Fernseher aber ist nicht wegzudenken.

Es verschränkt sich, zu verstehen, wieso eine Familie einen Fernseher oder ein Handy einem sättigenden und ausgewogenen Essen vorzieht. Es gibt einige Schüler, die sich das kostengünstige Essen in der Schule nicht leisten können. Vielleicht handelt es sich um eine Art Teilhaben-Wollen, ein Dazugehören zur „anderen“ Welt. Außerdem beschäftigt es die Kinder, wenn die Eltern das täglich Brot verdienen müssen.

Geht man durch Aguablanca hindurch, fallen einem die bunt bemalten Bordsteine und die vielen Menschen auf der Straße auf. Sie sitzen in ihrem Lehnstuhl, spielen ein Brettspiel oder tanzen. Trotz ihrer Armut haben sie sich ein fröhliches Gemüt bewahrt. „Kolumbianer sind nette Menschen. Sie feiern gerne und helfen sich gegenseitig.“, so drückte es eine Schülerin vor Kurzem aus. Es stimmt.

San Antonio ist das Künstlerviertel von Cali. Der Aufstieg über die steilen Straßen und Treppen erinnert an den von Sacre Coeur. Oben angekommen kann man einen guten Blick über das Viertel gewinnen, das wieder so eine ganz andere Seite Calis zeigt. Gut sortierte Läden mit traditionellen Fertigungen finden Platz in höhlenähnlichen Hütten. Hinter einer Holztür tut sich ein verwunschener Garten auf. Dahinter werden kunstvoll angepinselte Keramikfiguren in weißem Licht präsentiert. Die Häuser hier sehen individueller und weniger spartanisch aus. In ihnen sind Künstler am Werk- hinter dem obligatorischen Gitter. Weiter unten häufen sich Cafe’s und Restaurants. Eine kleine Szene tut sich auf.

Mitten auf einer „5-spurigen“ Straße baut ein Clown seinen Tisch auf, auf dem er fortan sein Jonglierkönnen unter Beweis stellen will. Wie aufgehetzte Stiere fangen die Autos an, zu scharren.

Im Herzen von Cali stehen auf einem kleinen Rasenstück unterschiedlich gestaltete Raubkatzen, die mich an die Bären von Herborn erinnern. Allen voran thront eine große Katzenfigur, die so etwas wie das Wahrzeichen von Cali ist.

Ob die Bewohner des Viertels Cabuya diese je gesehen haben? Ihre Hütten stehen hoch oben am Berghang. Mehrmals in der Woche transportieren LKW Wasserkanister dorthin. Es ist das ärmste Viertel.

Das Zentrum dagegen strotzt in gewisser Hinsicht fast vor Reichtum. An jeder zweiten Ecke erhebt sich ein Einkaufszentrum. Sie sind klimatisiert, sehr modern ausgestattet und auch mit westlichen Modeketten gefüllt. Wer soll das alles kaufen, frage ich mich manchmal. Neben dem Geldautomat hat sich ein Soldat mit Maschinengewehr platziert. Ein anderer unterhält sich am Ausgang mit einem Passanten. Die Schusswaffe baumelt locker an ihm herunter.

Die Innenstadt ist recht gut erschlossen mit der Mio, einem europäisch anmutenden Bussystem. Zwar gibt es auch hier für keine festen Abfahrtszeiten, doch sind die Busse für Rollstuhlfahrer geeignet, auf einem neueren Stand der Technik und sie fahren feste Haltestellen an. Auch im Süden hält die Mio an. Etwas ländlicher, was im Prinzip nur bedeutet, dass die Grünflächen strategisch angelegt wurden und die Häuser weiter auseinander stehen, wohnen viele der Wohlhabenden in großen Unidades. Auch die Drogenbarone finden hier in ihren Villen ihren Platz. Allein an den Autos auf der Straße (dicke, protzige Schlitten) und dem Straßenzustand merkt man, dass man sich unter den „Wichtigen“ aufhält. Obwohl alles schöner und größer ausschaut, fühle ich mich hier weniger wohl. Die Menschen tragen viel Make-up und Nasen a la Michael Jackson.

All dies unter einen Hut zu bringen, ist wahrhaftig keine leichte Aufgabe. Der bloße Ausspruch „Cali ist eine schöne Stadt“ würde dem nicht gerecht.

Denn neben den blühenden Landschaften existieren eben auch die dreckigen, gefährlichen und armen Vierteln, die dafür jedoch voll Lebensfreude und Herzlichkeit strahlen.

Ich jedenfalls mag Cali.