El Calvario und el Sucre. So heißen zwei Viertel im Zentrum von Cali. Meiner Meinung nach, zwei der schlimmsten und elendsten Viertel der Stadt. Menschen ohne Wohnung, ohne Essen, ohne vernünftige Kleidung und meist ohne Schuhe. Zerfallene Häuser, viel Müll, oft ungeteerte Straßen. Menschen, die nur noch mit Drogen leben. Eben die pure Hilflosigkeit und Armut.
So lassen sich diese Elendsgebiete wahrscheinlich am Besten beschreiben.
Bisher kannte ich diese nur vom Hören, es wurde mir immer wieder gesagt, wie gefährlich und schrecklich es dort sei und, dass nur sehr wenige Menschen diese Viertel betreten würden. Eben Viertel, wo wir niemals alleine hingehen könnten.

Vergangene Woche wurde ich durch einen Freund darauf aufmerksam gemacht, dass es jedes Jahr am Karfreitag eine Gruppe von Freiwilligen gibt, die genau in diese Gebiete gehen, um den Menschen vor Ort eine kleine Freude zu machen, in dem sie ihnen ein Frühstück vorbeibringen.

Jeder, der möchte kann einen Teil dazu beitragen und dabei sein. Ich habe direkt beschlossen dort mitzumachen und habe mich somit vergangene Woche mit einem Freund auf den Weg gemacht.

Zunächst haben wir uns mit allen Freiwilligen morgens in einem Privathaus getroffen und haben über Tausend Sandwiches und jede Menge Säfte vorbereitet. Das ganze dauerte bis ca. ein Uhr mittags, sodass das ganze zwar nicht mehr als Frühstück durchging, aber das ist ja mal egal.
Mit mehreren Autos und der Polizei ging es dann los. Zuerst zum Calvario und ich war wirklich sehr gespannt, was mich dort erwarten wird. Schon auf dem Weg dorthin, sind wir Menschen begegnet, die dort „wohnen“, welche die Gruppe schon kannten und wussten, dass wir ihnen Essen bringen werden. Sie sind direkt hinter den Autos her gerannt, bis wir zum ersten Mal gestoppt haben. Ich war geschockt. Geschockt vom Zustand der Straßen, der Häuser und von den vielen Menschen, die einfach nur hilflos auf der Straße „lungerten“. Schnell hat sich herumgesprochen, dass wir da sind und Scharen von Menschen rannten auf uns zu, überstürzten uns förmlich, sodass schon beim ersten Mal die Polizei eingreifen musste, da die Menschen nicht zu bändigen waren.
Wir fingen also an, die Säfte und die Sandwiches zu verteilen. Ständig riefen wir, dass jeweils die Frauen, die Männer und die Kinder eine Reihe bilden sollen, um etwas Ordnung in alles hineinzubringen, doch das war fast unmöglich. Es wurde teils geschubst und gestritten, da alle so hungrig waren und jeder schnell etwas bekommen wollte. So schnell wie möglich versuchten wir also allen etwas auszuteilen, ich schaute den Menschen in die Augen und sah die Freude und Dankbarkeit. Oft hörte man ein „Gracias, que Dios les bendiga!“ („Danke, Gott segne euch!“). Ich hatte Tränen in den Augen beim Anblick dieser Menschen, die doch so gierig nach diesem „Festmal“ waren, beim Anblick der Reihe mit den Kindern, beim Anblick von Müttern mit Babys auf dem Arm…

Ich fahre jeden Tag nach Aguablanca, kenne mittlerweile einige Viertel in Terron colorado (ebenfalls ein Armenviertel wie Aguablanca), dennoch habe ich in den letzten 8 Monaten kaum so etwas Bewegendes und zum Nachdenken anregendes erlebt wie an diesem Tag. Die Menschen in Aguablanca oder Terron colorado, die ich kenne, sind zwar arm, haben aber meist trotzdem ein Dach über dem Kopf und hungern nicht, auch wenn sie wirklich sehr sparsam und ärmlich leben. Natürlich kenne ich aber auch nur Teile dieser großen Viertel, weshalb man das nicht verallgemeinern darf. Allerdings wohnen die meisten Freiwilligen aus unserer Gruppe sogar in Terron colorado, woran man erkennt, dass sie im Vergleich zu den Menschen im Calvario und Sucre „reich“ sind.

Es war also an diesem Tag das erste Mal, dass ich eine noch viel größere Armut kennengelernt habe.

Nun ging es weiter. Wir fuhren alle ein paar Blöcke weiter und stoppten wieder dort, wo die meisten Menschen waren. Wieder kamen alle auf uns zu, aus allen Ecken kamen hungernde Gesichter.

Es kam des Öfteren vor, dass manche sich zwei oder gar drei Mal in die Schlange quetschten, um noch mehr zu bekommen. Wir kamen kaum hinterher mit dem Verteilen.

Nach noch einigen weiteren Stopps, ging es dann zum Barrio Sucre. Dort haben wir ebenso einigen Menschen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Ein schönes Gefühl, trotz der düsteren Umgebung, in der wir uns befanden.

Schon oft bin ich an diesem Viertel vorbei gefahren und tagtäglich fahre ich auf dem Weg zur Schule am Calvario vorbei, aber ich wusste nie, was mich wirklich im Inneren erwartet.

Ich denke, so genau wissen das leider die meisten Menschen hier in Cali nicht, weil eben niemand solche Viertel betritt. Umso schöner ist es, dass es solche Aktionen gibt, bei denen man den Menschen einen kleinen Lichtblick in der Dunkelheit schenken kann. Und vor allem, dass auch die Polizei dabei mitarbeitet und hilft, da dies sonst leider nicht möglich wäre.

Ich bin froh, diese Erfahrung gemacht zu haben, auch wenn es mich noch immer sehr bewegt und oft die Bilder vor Augen habe. Aber es war eine tolle Aktion und ich wäre jederzeit wieder dabei.

Wieder wurde mir bewusst, wie reich, aber wie undankbar wir doch meistens sind. Nie haben wir genug, immer wollen wir noch mehr. Wir sollten uns viel öfter über das freuen, was wir haben und nicht ständig über das Nachdenken, was wir nicht haben.

„Glücklich sein bedeutet nicht, immer das zu bekommen, was du willst. Es bedeutet zu lieben, was du hast und dafür dankbar zu sein.“