Klara

Ich sitze am Tisch einer Familie in Aguablanca. Die kleine Tochter, Valeria, ist elf Jahre alt und besucht die vierte Klasse unserer Schule. Mithilfe von Bildern erzählen sie, Valeria, ihre Mutter Sara und Tante Ana, mir die Geschichte von Valeria.

Valeria ist nicht Saras leibliche Tochter. Sie ist das Kind von drogenabhängigen Eltern. Als in dem Fotoalbum des Mädchens ein Bild ihrer leiblichen Mutter Maria auftaucht, sagt Valeria, dass es für sie nicht mehr ihrer Mama ist. Für sie steht fest, dass ihre eigentliche Großtante Sara ihre Mama ist. Ihre Familie besteht nun aus Sara und ihren drei Kindern. Zu Ana, die auch Lehrerin an unserer Schule ist und ihrer Schwester Camila sagt das Mädchen Tante. Den Bruder Juan nennt sie „Papa“, da der Sohn von Juan ihn immer so gerufen hat, als Valeria sprechen gelernt hat und sie eine Vaterfigur gesucht hat.
Mittlerweile leben nur noch Valeria und Sara in dem kleinen Häuschen ganz in der Nähe der Schule, dass Sara im Laufe der Zeit ganz alleine gebaut hat.
Mit ungefähr elf Monaten hat Sara Valeria zu sich nach Hause geholt, weil sie bei ihrer Mutter Maria fast verhungert wäre. Maria ist drogenabhängig und hat sich wegen ihrer Sucht nicht um ihre Tochter gekümmert. Eigentlich hat sich Marias Mutter Estefania um das Baby gekümmert, doch diese ist so krank geworden, dass sie es nicht mehr konnte.
Sara hat damals nur noch mit ihrer jüngsten Tochter Ana zusammen gelebt. Ana studierte, um an unserer Schule Lehrerin sein zu können. So hat sie kein Geld verdient. Camila musste nun ihre Familie finanziell unterstützten, da Sara wegen des Mädchens nicht mehr arbeiten gehen konnte. Von Freunden und Nachbarn haben sie Kleidung und Spielzeug für das kleine Kind bekommen, obwohl diese Menschen selbst kaum etwas hatten. Nur mit dieser Hilfe konnten sie sich wirklich um Valeria kümmern.
Sara erinnert sich noch genau, dass sie im vier-Stunden-Takt Valeria vorsichtig etwas zu essen einflößen musste, weil die Kleine es nicht vertragen hat. Außerdem musste sie rund um die Uhr bei Valeria bleiben, weil die ersten Monate sehr kritisch waren. Die Ärzte gaben dem Mädchen nur ein paar Monate zu leben.
Laufen und Krabbeln hat sie erst Monate später gelernt. Auch den Kindergarten konnte sie erst später besuchen und die Erzieherinnen sich nicht so um Valeria kümmern konnten wie Sara.
In der Schule fällt sie leider teilweise negativ auf, weil Valeria während des Unterrichts sich nicht gut konzentrieren kann und länger braucht, um neue Sachen zu verstehen. Das liegt wahrscheinlich an der Mangelernährung als Baby. Außerdem ist sie schnell gereizt und zeigt dies auch deutlich gegenüber den anderen Kindern. So scheut sie nicht vor einem Streit mit anderen, auch größeren, Jungen.
Trotzdem ist sie heute ein fröhliches Kind, was von ihrer Adoptivfamilie geliebt wird. Auf dem Schulhof merkt man ihr ihre Schwierigkeiten in der Klasse nicht an. Valeria spielt immer ausgelassen mit den anderen Kindern.
Alle sind froh, dass Valeria ansonsten trotz der Mangelernährung und den drogenabhängigen Eltern ganz normal entwickelt hat.