Jana

Es war im Juli, als wir eine Ewigkeit in dem klitzekleinen Wartezimmer des kolumbianischen Konsulats in Frankfurt verbrachten und auf unser Visum warteten. Dabei sind wir mit anderen jungen Menschen ins Gespräch gekommen, die aus dem gleichen Grund dort waren. Über die Organisation „AFS Interkulturelle Begegnungen e.V.“ würden sie wie wir einen Freiwilligendienst leisten. Die lästige Wartezeit haben wir uns also unterhaltsam vertrieben, doch spätestens als jemand „Ich weiß nicht, ob ihr die Stadt kennt, aber ich werde in Cali arbeiten“ sagte, war klar: Wir sehen uns dann bald wieder. Obwohl wir mit AFS überhaupt nichts zu tun haben, wurden wir kurz nach unserer Ankunft zum ersten Treffen von allen insgesamt sechs deutschen Freiwilligen und deren Gastfamilien eingeladen und mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit adoptiert. So einfach ist das in Kolumbien. Seitdem haben wir hier unseren deutsch-kolumbianischen Freundeskreis, mit dem wir viele schöne Unternehmungen machen.

Ein besonderes Erlebnis hatten wir am letzten Wochenende: Mit Ben, einem unserer Deutschen, haben wir unsere ebenfalls deutschen Freunde Vincent und Martin besucht, die in Dapa, etwas außerhalb von Cali, wohnen und arbeiten. Um den Ort in dem Nebelwald zu erreichen, fährt man innerhalb einer Stunde etwa 2000 Meter in die Berge hinauf, dabei kommt man auch an einem Wasserfall vorbei. Ganz anders als in Cali ist es dort immer recht kühl und feucht, aber die Luft ist sauber und die Landschaft grün. Unsere Freunde wohnen natürlich ganz oben, dort, wo es keine asphaltierten Straßen mehr gibt, sondern nur noch Schlaglöcher, Steine und Schlamm.

Der Höhen- und Klimaunterschied hat uns wie befürchtet geplättet, wurde aber durch ein kleines heimliches Highlight wieder wett gemacht: Ein beheizbares Wasserbett und die erste warme Dusche seit drei Monaten. Auch unsere Kleidung wurde der Kälte angepasst, denn Poncho und Stricksocken sind einfach unverzichtbar. Und das trugen wir nur im Haus.

Für die geplante „caminata“, eine Wanderung durch den Dschungel, zog ich mir daher jedes denkbare Kleidungsstück gleich zwei Mal über und hatte eher das Gefühl, mich auf einen Skiurlaub vorzubereiten. Da Vincent und Martin in einem Umweltschutzprojekt arbeiten, kannten sie den Wald schon gut; schließlich durchqueren sie ihn auf der Suche nach noch unentdeckten Orchideenarten öfters. Mit Gummistiefeln und Macheten gingen wir also los.  Einen Weg gab es nicht, den mussten wir uns erst noch freischlagen. Fünf Stunden lang kletterten wir über umgestürzte, moosbehangene Baumstämme, hangelten uns an Ästen entlang und hüpften im Fluss von Stein zu Stein, immer überlegend, wie wir am besten vorwärts kommen können. Dabei landeten wir nicht selten im knietiefen Schlamm. Als es dann auch noch zu regnen begann, rutschte ich, tollpatschig wie ich nun einmal bin, jede dritte Minute wieder von Neuem aus. Und so sah ich auch aus. Wie gut nur, dass wir uns immer gegenseitig geholfen haben, denn allein wäre eine solche Wanderung gar nicht erst nicht möglich. Unser kleines Abenteuer bekam so einen Hauch von einer Teambildungs-Übung oder einem Survival-Trip. Den dichten, sattgrünen Dschungel und eine beeindruckende Stille über uns, wussten wir nämlich schon bald nicht mehr, wo wir uns überhaupt befanden. Doch auch in einem solchen Fall besteht kein Grund zur Panik- wenn man sich am Fluss orientiert, findet man früher oder später schon wieder aus dem Wald heraus. Stößt man dabei auf ein bestimmtes Gewächs, dessen Verzehr sowohl Hunger als auch Durst fernhält, ist das umso besser. Das haben wir zwar nicht gesehen, dafür aber eine Menge anderer lustiger Pflanzen. Eine spiralförmige Schleimpflanze mochte ich besonders, doch auch kolumbianische Walderdbeeren sind eine feine Sache. Sonst vermieden wir es allerdings, Dinge vom Boden aufzuheben, da sich im Unterholz nur zu gern giftige Schlangen und Spinnen tummeln. Bei Nacht sind dann eher Jaguare, Pumas, Tapire und Affen unterwegs.

Am nächsten Tag widmeten wir uns dem kleinen, harmlosen und faszinierenden Kolibri. Dafür fuhren wir zunächst zu einem Ausgangspunkt, von wo aus wir dann zu der Finca eines Vogelbeobachters wanderten. Allein die Autofahrt war schon spektakulär: Auf der Transportfläche eines Jeeps saßen wir Deutschen zusammen, hielten uns bei jedem Schlagloch sehr gut fest und genossen den Fahrtwind. Bis der Regen wieder einsetzte.                                                                                                                                                                                                                                                                                Die Wanderung selbst glich einer einzigen Bergbesteigung, die mit vorbeifliegenden Schmetterlingsschwärmen belohnt wurde. Oben angekommen, ruhten wir uns auf dem Balkon aus und schauten den Kolibris zu, die von Zuckerwasserbehältern angelockt wurden. Überall summte und brummte es wie in einem Bienennest; blaue, grüne, große und kleine Kolibris schwirrten flink um uns herum. 200 Fotos später (man glaubt gar nicht, wie schwer es ist, diesen Vogel auf einem Bild einzufangen!) machten wir uns wieder auf den Rückweg.

Kolumbien ist das Land mit der zweitgrößten Artenvielfalt weltweit. Viele Pflanzen- und Tierarten sind endemisch, kommen also nur dort vor. Wie eindrucksvoll es ist, sich mitten durch diesen Dschungel zu schlagen, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. Durch die drei wohltuenden Tage mit atembarer Luft und erfrischender Kälte ist mir erst einmal bewusst geworden, wie anstrengend die laute und stinkende Millionenstadt Cali doch sein kann.

Na, wenn das kein Grund ist, Dapa bald wieder einen Besuch abzustatten!