Jana
Wie sagt man hier so schön: Nun habe auch ich das zweite Stockwerk erreicht. Allerdings kommt es mir eher so vor, als wäre ich mit dem Aufzug dorthin gelangt. Irgendwie ging das alles sehr schnell 🙂
Und wenn man dann auch noch mit Kindern zusammenarbeitet, die gerade erst gelernt haben, wie man auf Englisch bis 20 zählt und sie diese Zahl daher als ziemlich groß empfinden, fühlt man sich schon gleich richtig alt. Da ich die berechtigte Befürchtung hatte, dass die Kinder mich beschenken würden, wenn sie von meinem Geburtstag wüssten, hüllte ich mich diesbezüglich lieber in Schweigen. Und außerdem wollte ich dem rohen Ei, das über meinem Kopf zerschlagen wird, aus dem Weg gehen. Das ist hier nämlich so Geburtstagsbrauch, auch wenn kein Mensch weiß warum. Nebenbei gesagt, es ist mir gelungen.
Trotz einem anstrengenden Schultag habe ich abends dennoch sehr schön feiern können. Meine Familie hat mir über Skype ein musikalisch lupenreines Ständchen gesungen und dabei heiter Wunderkerzen geschwenkt. Catharina, Online-Journalistin aus Deutschland, hat uns nicht nur in dieser Woche wegen ihrer Diplomarbeit begleitet, sondern zusammen mit meiner tollen Mitbewohnerin auch ganz leckere Spagetti für mich und „meine Gäste“ gekocht. Wenn du das liest: Vielen Dank für die schöne Zeit, den Wein und die Schokolade (ich glaube ich habe mich noch nie so sehr über Kinder-Buenos gefreut!).
Mit Klara, Natalia und ihrer Mutter, unserer Vermieterin Miriam und ihrer Tochter Laura haben wir den Tag gemütlich ausklingen lassen und waren entgegen aller Versuche Miriams am nächsten Morgen zum Unterrichten sehr wohl im Stande („Heute Abend betrinken wir uns mal so richtig! Und wenn Reyna euch morgen früh abholt, habt ihr einen Kater!“).
Den Geburtstag in Kolumbien erleben zu können, brachte mich aber ebenso ins Grübeln. Für viele Menschen hier muss es sicherlich das größte Geschenk sein, dass sie überhaupt ein Jahr älter werden dürfen. Wie wenig ein Menschenleben wert ist, hören wir mittlerweile täglich, denn Schüsse am Abend sind wirklich keine Ausnahme. Manchmal gibt es sogar regelrechte Schusswechsel, und das über Minuten hinweg. Und das Schlimmste ist: Man gewöhnt sich daran. Womöglich behandeln unsere Kinder das Thema „Tod“ darum so leichtfertig und können die fröhlichen Momente des Alltags viel intensiver und bunter wahrnehmen. Man geht immer so gedankenlos mit den Worten „Liebe“, „Herz“ und „Freundschaft“ um – die wirklich an jeder Straßenecke gespielten Salsa-Lieder quellen ja nur so über mit diesen Begriffen – aber diese Kinder leben das einfach. Es tut gut zu wissen, dass schon allein deshalb mein Aufenthalt in Kolumbien nicht umsonst ist, denn die ihnen entgegengebrachte Aufmerksamkeit bedeutet ihnen bereits unglaublich viel.
Und weil ich nicht so schwermütig enden möchte, gebe ich mir nun besonders viel Mühe, die schöne Impression des Unterwegseins in der Stadt wiederzugeben, denn bei allen Anstrengungen und Bemühungen kommt auch das zum Glück nicht zu kurz.
Ich liebe es, mit dem Taxi zu fahren. Aus dem halboffenen Fenster strömt der warme Wind hinein und lässt die Haare tanzen; der angenehmen Nachmittagssonne kann ich mit meinem weißen Gesicht nur zufrieden entgegen blinzeln. Aus dem Radio erklingen Salsarhythmen; ich lasse mich für zwei Euro einmal durch die halbe Stadt kutschieren, auch wenn ich das Gefühl nicht loswerde, dass uns sämtliche Taxifahrer betrügen. Was soll’s.
Jeder Sonnenuntergang ab Punkt halb sechs ist ein einziges Spektakel. Niemals ist er gleich und doch jedesmal gleich schön. Wie sich die Wolken hinter den Bergen türmen…Die staubige, graue, laute, im Dunkeln versinkende Stadt im Tal erinnert mich irgendwie an einen gut unterhaltenen Kinosaal (Apropos: Kino ist auch super und günstig). Jedenfalls kann ich mir dann einfach nicht vorstellen, dass der Himmel an einem anderen Ort gerade schöner sein soll. Es ist aber auch wirklich fantastisch! Um das alles nachvollziehen zu können, muss man es einfach erlebt haben, würde ich sagen.
Nun reicht es aber auch mit der Schwärmerei, schließlich sind meine Deutschstunden für morgen noch nicht vorbereitet …
Bis bald!
ulla9
Liebe Jana, herzlichen Glückwunsch nachträglich. Deine Nachdenklichkeit bezüglich dem Leben mit den Gefahren kann ich gut nachvollziehen. warum sich die Menschen in Kolumbien ihre Herzlichkeit so bewahrt haben, ist mir ein Rätsel. Viele Grüße aus dem warmen Bonn,
Ulla