Britta

Die Eindrücke hier in Kolumbien prasseln nur so auf uns ein, und es fällt schwer, sie alle zu bündeln. Die Arbeit in Aguablanca macht mir sehr viel Spaß. Ich unterrichte jetzt fast nur noch Klavier und kaum Englisch, was ich etwas schade finde, aber mir macht der Klavierunterricht sehr viel Spaß und die Kinder sind so begeistert und so motiviert, dass man es ihnen gar nicht ausschlagen kann.
Vor zwei Wochen war ich noch der Meinung, dass man gar nicht merkt, dass die Kinder aus der Schule aus einem Armenviertel stammen, doch nun muss ich sagen, dass sich meine Meinung geändert hat.
Letztens in der Vorklasse im Englischunterricht haben wir Berufe behandelt. Die Kinder sollten zu jedem Beruf einen Gegenstand malen. Als ich einem Kind vorschlug zum Zahnarzt doch eine Spritze aufzumalen, sah es mich nur mit großen Augen an. Ich erklärte ihm, dass man in Deutschland damit ein Betäubungsmittel verabreicht bekommt, damit man nicht so Schmerzen hat. Daraufhin erzählt es mir lachend, dass sie so etwas ja noch nie gehört hätte, und dass in ihrer Familie die Zähne immer unter großen Schmerzen mit einer Zange gezogen werden.
Als ich zum nächsten Tisch ging, bat mich ein Junge, ihm eine Pistole aufzumalen. Währenddessen erzählte er mir, dass der beste Freund seines Bruders so eine daheim hätte…“Mit echten Kugeln und so.“ Ich wusste gar nicht, was ich darauf antworten sollte. Aber in Aguablanca kommt es wohl öfters mal vor, dass die Leute mit Waffen durch die Gegend laufen.
Am Wochenende haben wir uns mit ein paar Kolumbianern in unserem Alter getroffen, und als wir ihnen erzählten, dass wir in Aguablanca arbeiten, sahen sie uns nur mit großen Augen an. Überhaupt reagieren hier alle Leute so. Der Taxifahrer, der Salsalehrer, die Frau im Fitnessstudio…Man glaubt uns am Anfang kaum. Die zweite Reaktion ist dann, uns überschwänglich zu warnen – oder zu bewundern. Ich hätte nicht gedacht, dass die Leute hier so viel Angst vor dem Armenviertel haben. Wenn ich mich in der Schule befinde, kommt es mir gar nicht so vor, als ob ich mich mitten in einem gefährlichen Slum befinde, wo sich kaum jemand Außenstehendes hineinwagt.
Sobald ich jedoch die sicheren Mauern verlasse, um zur nächsten Buseta-Haltestelle zu gelangen, bekomme ich es doch etwas mit der Angst zu tun. (Meistens werden wir zum Glück von der Direktorin mitgenommen, aber einmal die Woche müssen wir den Weg in der nicht gerade ungefährlichen Buseta zurücklegen) Ich bin immer froh, wenn ich heil daheim angekommen bin. Die paar Meter bis zur Buseta sind für uns immer der Horror. Miriam mit ihren roten Haaren und mir mit meinen blonden Haaren fällt es nicht leicht uns als Kolumbianerinnen auszugeben. Es wird uns nachgerufen, nachgepfiffen, nachgegafft – und das von ziemlich schrägen Gestalten, denen man im Dunkeln lieber nicht über den Weg laufen will. Zwar werden wir immer von einer Lehrerin begleitet, aber ich frage mich, was die zierliche, kleine Nancy im Ernstfall ausrichten sollte. Zum Glück befindet sich unsere Wohnung in einer sicheren Gegend, wo ich beruhigt alleine zum Supermarkt oder zur Tanzschule laufen kann. (Auch wenn nur im Hellen – leider wird es hier schon um 18 Uhr dunkel :-D)
Zurück zur Schule – der selbe Schüler erzählt mir, als ich ihn frage, was er am Wochenende unternommen hat, dass sein Onkel dieses im Gefängnis verbracht hat, weil er eine Frau beklaut hat. Auch dieses Mal weiß ich nicht wirklich, wie ich reagieren soll.
In der Abschlussklasse frage ich, was die Schüler nach der Schule machen wollen, und ausnahmslos alle wollen studieren. Doch die Informatiklehrerin Solangie erzählt mir, dass nur wenige der 20 Schüler die Chance dazu bekommen. 2 der 20 Schüler schaffen es durch den schweren Aufnahmetest und können die öffentliche Universität besuchen, die ihre Studenten großzügig unterstützt. Der Rest muss hart arbeiten, um sich die Kosten der Privatunis leisten zu können. Und das nimmt nicht jeder auf sich oder wird nicht jedem gewährt.
Diese Woche war wirklich sehr eindrucksvoll und ich bewundere die Kinder aus Aguablanca nun umso mehr. Ihre Eltern arbeiten als Schlosser, Handwerker, Kioskverkäufer oder Hausmädchen und werden schlecht bezahlt. Andere haben alleinerziehende Mütter, die nie daheim sind, weil sie versuchen das nötige Geld aufzutreiben. Und doch erscheinen sie mir alle so glücklich, so nett, so offen, so warmherzig und haben trotz ihrer Armut so unglaublich viel zu geben.
Die Atmosphäre in der Schule ist einfach toll. Zwischen den Schülern herrscht so viel Respekt und Freundlichkeit. Natürlich kommt es ab und zu zum Streit, doch das ist denke ich bei 500 Schülern ganz normal.
Doch es gibt auch Problemkinder, wie der kleine Kevin, der gestern von der Schule verwiesen würde, weil er den Unterricht massiv gestört hat. Ich kenne ihn, habe ihn auch gleich in meiner ersten Stunde als extremen Störfaktor wahrgenommen. Doch als die Englischlehrerin mir erzählt, dass seine Mama sich nicht um Kevin kümmert, werde ich traurig. Bestimmt wollte Kevin nur Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die er daheim nicht bekommt.
Trotz dieser Dinge in der Schule, die mich sehr zum Nachdenken bringen, genieße ich die Zeit hier in Kolumbien von vorne bis hinten. Die Kolumbianer sind einfach nur toll. Überall wird man ausgefragt und mit einem mehrfachen „Herzlich Willkommen in Kolumbien“ und einem warmen Lächeln begrüßt. Sie sind voller Leben und bringen mich immer zum Lachen. Ich habe bisher noch keinen unfreundlichen Kolumbianer getroffen und bin wirklich froh, dass ich hier sein darf. Wenn ich abends auf dem Balkon sitze, mit einem Glas Saft in der Hand (Lulo, Tomate del arbol, banano, mango – was auch immer :-D) und die Salsamusik vom Kiosk an der nächsten Ecke zu uns rüberdringt,  bin ich einfach nur glücklich.