Jana
Tag 1
Am frühen Morgen geht es los. Bereits um fünf Uhr treffen wir uns mit Julio und Lina, unseren Reiseorganisatoren, deren einzigen Teilnehmer wir sind, an einer Tankstelle. Mit dem „Bicivan“ brechen wir noch müde in Richtung Buenaventura auf. Zum Frühstück gibt es neben Tortillas (!) auch etwas Normales, nämlich leckere Obstspieße mit Mango, Ananas, Papaya und Melone. Am Fenster ziehen die noch ins Dunkel gehüllten Berge und Nebelschwaden vorbei. Den Rest der Fahrt verbringe ich schlafend (was wohl an einer Tablette gegen Seekrankheit lag, die ich vorsichtshalber genommen hatte. Es ist schon vorgekommen, dass mir in Wasserbetten schlecht wurde, wirklich wahr.). Buenaventura verfügt über den größten Hafen an der lateinamerikanischen Pazifikküste; es herrscht ein reges Kommen und Gehen von Container- und Personenschiffen, überall versuchen Händler lautstark, die Gunst der Touristen zu gewinnen.
Mit einem Speedboot fahren wir eine Stunde lang an gelben, roten und goldfarbenen Stränden, kleinen, üppig grünen Inseln und an etlichen in ihren Holzbooten hin- und herschaukelnden Fischern vorbei. Das Erste, was mit an unserem Zielort in Juanchaco auffällt, ist die mehr als offensichtliche Armut der zum größten Teil afrokolumbianischen Bewohner. Die Menschen leben in kleinen, brüchigen Holzhütten, welche aneinander gereiht direkt am Meer stehen. Auch wir beziehen eine Holzhütte, in der es all jenes gibt, was wir in den nächsten Tagen brauchen werden: Eine Dusche, zwei Herdplatten, Betten und einen Haken, um die Hängematte auf der Veranda aufzuhängen. Sputig stärken wir uns mit einer Yuca-Kokos-Suppe, Reis, Fisch und Plátanos (grüne Kochbananen). Währendessen erzählt uns eine Frau, dass es schon seit mehr als zwei Wochen nicht mehr geregnet habe, was sehr ungewöhnlich sei, denn es regne sonst jeden Tag. Die Wassertonnen auf den Dächern seien bereits fast leer und eine anderen Anschluss an fließendes Wasser gäbe es in der Region nicht.
Dann beginnt der Spaß: Wir gehen hinunter zum Strand und erhalten von Julio eine kurze Anweisung im Kayakfahren. Keine drei Minuten später befinden wir uns, ich vorne, Klara hinten, mitten auf dem tiefgrünen Pazifik. Es wackelt, wir sind bereits klatschnass – aber wir fahren. Und das gar nicht mal schlecht! So paddeln wir also ganz entspannt an der Bahía Málaga entlang. Über uns erhebt sich der Dschungel, neben uns lassen sich Krebse, seltene Orchideenarten und Giftschlagen herab. Wir fahren an kleinen Inseln und Wasserfällen vorbei, durchqueren Höhlen und passieren einen Meerarm, an dem das Wasser komplett still ist, man hört – nichts. Keine lärmenden Kinder, keinen Straßenlärm. Je weiter man diesen Arm entlangfährt, desto süßer wird das Wasser und vermischt sich mit dem Salzwasser, wodurch neue, seltene Pflanzen entstehen und nur hier blühen können. Vor lauter Grünpracht kommen wir aus dem Staunen beinahe nicht mehr heraus.
Auf dem Rückweg sind die Höhlen, die wir vorher durchfuhren, bereits komplett von der Flut überschwemmt worden und kaum noch erkennbar. Wieder in unserer Hütte angekommen, gehen wir zu einer Klippe, von der man zu günstiger Jahreszeit die ankommenden Wale beobachten kann. Doch das wird erst im Juli geschehen und so genießen wir stattdessen den schönen, pazifischen Sonnenuntergang. Die Wellen schlagen unter uns mit einem tiefen Rauschen gegen die dunkle Küste, die von der Sonne rötlich eingefärbt wird. Der Wind trägt die Wellen heran, lässt das Wasser schäumen, spritzen. Die Palmen wehen beruhigend. Um Punkt 18.20 Uhr ist es dunkel.
Später liegen wir erschöpft in unseren Betten, als es plötzlich stark anfängt zu regnen. Die Hütte wackelt, doch das soll wohl normal sein. Mit dem prasselnden Regen schlafen wir ein.
Tag 2
Es stellt sich heraus, dass unsere Matrazen lediglich getarnte Steine sind, aber die Müdigkeit hat uns die Nacht dennoch gut vebringen lassen. Ich wundere mich sehr, dass ich weder Muskelkater noch Mückenstiche habe (natürlich war ich sehr froh darum, denn in der Gegend ist Malaria sehr verbreitet). Auf der Veranda erwartet uns bereits das Frühstück, das wir, umgeben vom tropischen Regen, genießen. Es wird gerade erst hell. Wir haben Bananen ausgelegt, um Vögel anzulocken (ich hoffe auf einen Tukan), doch die bevorzugen wohl die Bananen der Nachbarn.
Das Wetter ist in Weltuntergangsstimmung: Es ist gewittert, dunkle Wolken türmen sich übereinander, es stürmt, der Regen peitscht. Doch das soll uns nicht aufhalten, wir gehen los. Macht auch nichts, schließlich ist es warm. Wir laufen an den Klippen entlang und erreichen einen Wasserfall. Es ist Ebbe, weshalb wir am Strand spazieren gehen und kleine Höhlen betreten können. Darin finden sich allerlei Muscheln, Steine und angeschwemmter Müll. Eine trägt den Namen „Ojo del Gato“, denn kleine Löcher in der Wand lassen das hereinfallende Licht als zwei Katzenaugen aufblitzen. Am Strand ragen großflächige Steinplatten empor, die vom Meer umspült werden. Wieder sind wir nass bis auf die Knochen. Die Felsen sind weich und werden beständig weggetragen. Ein Steinbogen, die Brücke „La Maestra“ (die ihren Namen einer Lehrerin verdankt, die immer an diese Stelle zum Nacktbaden gekommen und von ihren Schülern von dieser Brücke aus dabei beobachtet worden sein soll), existiert nun auch nicht mehr. Julio, der seit über 30 Jahren an diesen Ort kommt, sieht schon ein wenig traurig aus.
Mit einer Tüte voller Muscheln kehren wir zurück. Zum Glück hat es inzwischen aufgehört zu regnen und wir begeben uns zum Strand, wo ein paar Jungs ausgelassen Fußball spielen. Doch erwartet uns die große Enttäuschung: Der Wind und die Strömung sind zu stark, die Wellen zu hoch, um heute mit dem Kayak zu drei größeren Inseln zu fahren. Auch das sei alles andere als normal, betont Julio. Stattdessen gehen wir an den benachbarten Strand „Ladrilleros“, der die meisten Touristen anzieht. Warum, bleibt mir unklar: Es ist laut und man sieht nichts als ein kleines Hotel neben dem anderen. Mit Werbeschildern, auf denen „Es gibt immer Wasser“ und „Wir haben auch Ventilatoren“ zu lesen ist, preisen sie sich selbst an. In dem Dorf kaufen wir bei der viel indigeneren Bevölkerung Flechtwaren und Schmuck aus Naturstoffen. Es ist beeindruckend, was man aus Orangenschalen, Kokos und Palmenblättern alles machen kann. Da die meisten Menschen Analphabeten sind, müssen sie von ihrer Handwerkskunst leben können.
Wir baden noch in den riesigen Wellen und gehen erst zurück, als es schon dunkel ist.
Tag 3
Der Regen der vorigen Nacht wurde durch eine fast, dank des Ventilators aber auch nur fast, unerträgliche nächtliche Hitze ersetzt. Doch nun ist das Wetter angenehmer als am Vortag, alles ist gut. Zu Fuß spazieren wir eine lange Zeit am Strand entlang, und beobachten, wie kleine und große, graue, orange und blaue Krebse plötzlich in ihren Sandlöchern verschwinden. Sie und ein gelegentlicher Fahrradfahrer sind aber auch die einzigen, auf die wir treffen, bis wir in dem kleinen Fischerdorf „La Barra“ ankommen. Ein Fischer hat sich gerade sein Mittagessen an Land gezogen und grüßt uns freundlich. Im Dorfinneren ist nur wenig los; überall riecht bereits Kokosnuss, die hier für alles Verwendung findet. Milch, Öl, Reis, ganz egal. Nur eine Frau trägt einen Behälter voller Wäsche auf ihrem Kopf herum. Dann trifft Julio auf einen alten Bekannten, den wir, vorbei an bunt bemalten Häusern mit Dächern aus Palmenblättern, wild wachsenden Baumwollpflanzen und einer zur Verkauf stehenden, überdimensionalen Ananas an seinen abseits gelegenenen Arbeitsplatz begleiten. Der Geruch von Räucherstäbchen schlägt uns entgegen, doch dann wird auch klar, warum: Der Geruch hält holzfressende Schädlinge fern und das ist auch enorm wichtig, wenn man, wie er, hauptberuflich Kanus schnitzt. Mit einem Lächeln und einer ansteckenden Gelassenheit setzt sich der alte Mann barfuß in sein Boot und erklärt, die innere Kanuseite weiter aushöhlend, worauf beim Kanuschnitzen Acht gegeben werden muss. Das größte Arbeitsrisiko, sich nämlich mit dem kleinen, halbrunden Beil die Pulsadern aufzureißen, kümmert ihn aber nur wenig.
Auf dem Weg zurück zur Hütte machen wir ein letztes Mal Halt, um Andenken zu kaufen. Und dann geht es wieder zurück nach Cali, erst über das Meer, dann durch die grünen Berge und schließlich durch den dichten Nebelwald. Und das in nur drei Stunden. Fest steht in jedem Fall, dass wir eines Tages wiederkommen werden – dann aber zur Wal-Saison.
Und zum Schluss noch ein kleines moralisches Betthupferl: Die Menschen, die wir an der Pazifikküste kennengelernt haben, leben von und mit dem Meer und sind, vielleicht genau aus diesem Grund, so bemerkenswert gelassen. Es gibt keinen Stress und keine Hektik, denn es bleibt nichts anderes übrig, als sich nach Ebbe und Flut zu richten. Aufregung ist da vollkommen unnötig. Arm, aber zufrieden mit sich und der Welt, besitzen sie nicht mehr als das, was sie gerade so zum Leben benötigen. Wenn das mal keine Lebensphilosophie ist! 🙂
regina schelbert
das muß ja ein tolles WE gewesen sein. …und vielleicht habt ihr ein wenig von der Gelassenheit mit in die Hektik der Großstadt nehmen können. Eine Erinnerung, ein Gedanke. Schön, dass ihr diese Möglichkeiten habt. Ich freue mich sehr darüber.