von Anne

Seit unserer Ankunft in Kolumbien am 01. Oktober läuft eine Sanduhr. Diese Sanduhr macht mir bewusst, dass unser Aufenthalt auf einen nur sehr kurzen Zeitraum begrenzt ist. Doch mittlerweile ist der obere Teil jener Uhr nun nicht mal mehr bis zur Hälfte gefüllt und leert sich so schnell, sodass ich den Sand am liebsten auffangen und von neuem in die Sanduhr füllen würde.

Seit über sechs Monaten leben wir nun in unserer „Tierra Querida“ und haben hier ein neues zu Hause gefunden. Mittlerweile ist es wirklich jedes Mal ein „Daheim ankommen“, wenn wir Cali nach einigen Stunden oder Tagen der Abwesenheit wieder erreichen – und dies kam in diesem noch jungen Jahr schon recht häufig vor.

Zu Beginn des Jahres haben Annika und ich die großen Ferien genutzt, um mit vollgepackten Wanderrucksäcken die Karibikküste im Norden Kolumbiens zu erkunden. In diesen zweieinhalb Wochen haben wir zahlreiche Menschen kennengelernt und Freundschaften bis über die Landesgrenzen hinaus geknüpft.

Umrahmt von türkisblauem Meer, Sonnenschein und weißen palmenbestandenen Sandstränden haben wir unsere freie Zeit allerdings nicht nur durchgängig mit Ausruhen verbracht. Eigentlich nie lange an einem Ort verweilt, haben wir versucht in der kurzen Zeit eine möglichst große Abwechslung an Landschaft zu erleben. So war der 4-tägige Marsch (inklusive Übernachtung in Hängematten) durch den „Dschungel“ zur Ciudad Perdida (Verlorene Stadt) wiederum ein toller Kontrast zum ansonsten fast ständig präsenten Atlantik. Im Buseta, kleinen Booten oder auf dem Mototaxi sind wir von Ort zu Ort gereist und haben so unter anderem die wunderschöne Altstadt Cartagenas bewundert, eine kleine Kaffeefarm besichtigt und eine Bilderbuchlandschaft im Nationalpark Tayrona genießen können. Auch wenn wir beide die Auszeit sehr genossen haben und es schön ist, etwas mehr von Kolumbien zu sehen, so hat sich dann doch irgendwann ein kleines „Heimweh nach Cali“ eingeschlichen. Wir haben einen unvergesslichen Urlaub verbracht, waren jedoch glücklich, wieder zu Hause anzukommen. Schließlich wurden auch Ungeduld und Vorfreude immer größer, endlich wieder in die Schule zu gehen und mit dem normalen Alltag fortzufahren.

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Eine weitere Woche in der sämtliche Vorbereitungen für den Schulbeginn anstanden, mussten wir uns dann jedoch doch noch gedulden bis das große Wiedersehen mit den Schülern anstand. Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie ich es schaffen soll, von diesen Kindern und Jugendlichen im Sommer vorerst richtig Abschied zu nehmen, wenn sie mir doch bereits nach knapp zwei Monaten bereits so fehlen, dass ich vergesse, wie anstrengend es doch auch hin und wieder im Unterricht sein kann.

Kaum wieder in der Schule „angekommen“ ging es für uns jedoch erneut raus aus Cali und zum Zwischenseminar der Salesianer Don Boscos. Eine Woche verbrachten wir mit zwölf weiteren Volontären, die zur Zeit ebenfalls in sozialen Projekten in anderen Ländern Südamerikas tätig sind, in einem Tagungshaus in Medellìn. Wir beide sind eigentlich ohne Erwartungen oder Vorstellungen angereist, sahen es fast so, als ob man uns 7 Tage der Zeit mit unseren Schülern rauben würde. Wir hatten weder das Gefühl, den Kulturschock, vor dem man uns im Vorbereitungsseminar gewarnt hatte, zu erfahren, noch größere Probleme mit Projekt, die es zu bereden gäbe. Trotzdem war es bei der Ankunft direkt wunderschön, die vielen bekannten Gesichter wiederzusehen und sich über die Erfahrungen in den jeweiligen Projekten auszutauschen. Hierbei war es auch beruhigend zu sehen, dass viele kleinere Probleme wie Kommunikationsschwierigkeiten oder sonstige Missverständnisse eigentlich alle Freiwilligen betreffen. In der Reflexion und im Gespräch mit den Anderen ist uns außerdem erneut bewusst geworden, was für ein Glück wir mit unserem Projekt haben und unter die Vorfreude „endlich“ (eigentlich waren wir ja nur eine Woche weg) wieder in die Schule zu kommen mischte sich auch die traurige Gewissheit, dass unsere Zeit hier in Kolumbien beschränkt ist und wir bereits die Hälfte unseres Aufenthaltes gelebt hatten.

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Zurück in Cali ging es schließlich mit gesteigerter Motivation, das Beste aus der verbleibenden Zeit zu machen, und kleineren Veränderungen weiter. Annika arbeitet mittlerweile im Englischunterricht mit den Vorschülern bis zur 5. Klasse, hinzu kommen die Ludicas (Wahlpflichtunterricht) in der Bäckerei und Englisch in der elften Klasse. Auch ich setze meine Ludica Gitarre fort, habe zwei Kleingruppen mit Geigenanfängern und unterrichte Englisch in den Klassen 7 bis 11. Mit dem Umstieg kommen wir beide gut zurecht und es macht mir Spaß, unterschiedliche Lernmethoden mit meinen Gruppen auszuprobieren – auch, wenn es nicht immer so einfach ist, die richtige Motivation zu finden.

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Im März haben wir uns unsere Wohnung für drei Wochen zu dritt geteilt. Nicolai Benner, Musik- und Mathematikstudent aus Herborn kam uns besuchen. Zuvor gaben er und Lisa Ebertz in Herborn zwei sehr erfolgreiche Konzerte zugunsten des Musikprojektes in Aguablanca. Nicolai wird von August bis November für einen längeren Zeitraum nach Cali zurückkommen, um ein größeres Projekt in der Musik zu erarbeiten.

Trotzdem sollte auch der kurze Aufenthalt direkt ausgenutzt werden und so wurden wir bereits kurz nach Nicos Ankunft mit der Vorbereitung eines kleinen Konzertes beauftragt. Innerhalb von einer Woche hieß es schließlich, sich einen kleinen Chor von 20 Personen zusammenzusuchen und unterstützt von zwei Gitarristen und einem kleinen Streicherensemble das musikalische Programm einzustudieren. Täglich haben wir uns in dieser Zeit im Musikraum getroffen, um ein möglichst erfolgreiches Konzert zu gestalten. Alle Schüler waren mit voller Begeisterung dabei und fieberten auf den großen Tag hin.

Am Abend des 21. März füllte sich schließlich der kleine Saal in der „Sagrada Familia“ fast ausschließlich mit Gästen aus Aguablanca. Eltern der mitwirkenden Schüler, Freunde und zahlreiche Klassenkameraden waren erschienen, um der Präsentation beizuwohnen. Alle gaben ihr bestes und neben den Beiträgen des Chors und der Streicher, präsentierte Nicolai noch ein paar Stücke instrumental auf dem Piano.

Für uns alle war es eine sehr rührendes Erlebnis und wir haben gemerkt, wie wir in der Woche zu einem richtig guten Team zusammengewachsen sind. Es macht super viel Spaß mit den Schülern zusammenzuarbeiten und zu sehen, wie sie beim gemeinsamen Musizieren aufblühen.

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Um einen kleinen Eindruck vom Konzert zu bekommen, hier ein Ausschnitt eines der beiden Stücke, die der Chor präsentiert hat: Michael Jacksons „We are the world“

Inzwischen ist wieder der Alltag eingekehrt, wobei man in „La Providencia“ stets jeden Tag von neuen Aufgaben, Geschichten oder unvergesslichen Erlebnissen überrascht werden kann.