Britta

„Was ist die größte Touristenattraktion Kolumbiens? Kolumbien hat das karibische Meer, die wilden Strände des Pazifiks, die unvergleichbare Wildnis des Amazonas, Berge, Täler, Flüsse, Tiere – alles, was das Herz begehrt. Doch nichts davon ist die wirkliche Attraktion unseres Landes. Kolumbiens größte Attraktion sind seine Bewohner. Immer wenn ich Rucksackreisende treffe, erzählen sie mir, wie toll los colombianos doch sind. Reisende kommen nach Cali, um noch mehr Kolumbianer zu treffen.“
Der Cuentero, Geschichtenerzähler, der mit seiner großen Hornbrille das bunt gemischte Publikum vor ihm immer wieder zum Lachen bringt, spricht mir mit seiner Einleitung aus dem Herzen.
Gestern ist mir wieder Mal aufgefallen, dass Kolumbien einfach nur verrückt ist!!! Auf dem Weg nach San Antonio, das Künstlerviertel Calis – das meiner Meinung nach einzig schöne Viertel der Stadt – in dem sich bunte Häuschen aneinanderreihen und man einen tollen Blick auf die Stadt hat, begegnet mir ein Mann auf einem uralten Fahrrad, der einen riesigen, überdimensional großen Suppenkopf (von der Größe eines neunjährigen Kindes) vor sich postiert hat und pro Sekunde ungefähr hundert Mal auf seine ohrenbetäubend laute und schrille Hupe drückt und mit lauter, verstellter Stimme: „Champúuuuuuuuuuuuuuuuuuus!“ durch die Gegend ruft. Als er merkt, dass ich total anfangen muss zu lachen, bleibt er geschlagene zehn Minuten neben mir (natürlich kann ich auch nicht aufhören zu lachen), bis mein Gehör dann irgendwann wirklich komplett den Geist aufgibt.
Auch in San Antonio, auf dem Platz neben der alten Kirche, auf dem sich jeden Sonntagabend vier Geschichten- und Witzeerzähler versammeln, um eine bunt zusammengewürfelte Masse drei Stunden lang zu unterhalten, werde ich von der Champusgeschichte (Champus ist ürigens so ein komisches Getränk aus Mais, Früchten und verschiedenen Gewürzen) verfolgt.
„Ist denn heute auch jemand im Publikum, der außerhalb des Valles geboren wurde?“ Juhu, natürlich hat der Cuentero mich mit meinen blonden Haaren inmitten der ganzen dunklen Kolumbianer schon längst erspäht und wartet nur darauf, dass er seine Witzchen über mich machen kann.
Meine Versuche mich hinter dem Rücken meines Freundes Juan zu verstecken sind natürlich zwecklos, denn der fängt mit einem schadenfrohen Grinsen auf den Lippen laut an zu schreien und mit großen Gesten auf mich zu zeigen. Na toll – vierhundert dunkelbraune Augenpaare, die mich neugierig anstarren.
„Woher kommst du denn?“ „Aus Deutschland.“ Lauter Applaus aus der Masse und dann springt der Cuentero natürlich voll darauf an, dass sich meine Wangen nach und nach erröten. Kolumbianer können ja aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe nicht erröten und finden dieses Phänomen dann bei mir immer ganz toll. Naja, nachdem er dann fünf Minuten seine Witzchen über mich reist, da kommt er dann auch wieder auf das Champú – nein, nicht Shampoo! – zu sprechen, sucht er sich das nächste Opfer aus und bringt das Publikum damit zum Lachen. Schließlich beginnt er seine Geschichte zu erzählen, bei der man von einem Lacher zum nächsten fällt, zwischendurch pickt er sich immer wieder einen der Zuschauer aus, bezieht ihn mit in die Geschichte ein, reist Witzchen, schüttelt sein langes, dunkelbraunes Haar und tanzt sich mit seinen dünnen Beinchen vor uns einen ab.
Man wird wirlich richtig in eine andere Welt hineingezogen, in ein Kolumbien von früher, das erfüllt ist von Aberglauben und Dorfgequatsche. Ich muss sofort an die Geschichten von García Márquez denken.
Ich finde es einfach toll, was sich vor meinen Augen abspielt. Eine riesige Masse, die auf dem Steinboden sitzt, das Leuchten der Stadt unter unseren Füßen, bunt zusammengewürfelt, jeglichen Alters und jeglicher Klasse, alte Frauen, verliebte Paare, junge Teenager, ich sehe sogar eine Schülerin unserer Schule in Aguablanca. Alle paar Minuten muss man die Beine einziehen, weil die für Kolumbien so typischen Straßenverkäufer einem mit ihren Brustkörben voller Chips die Sicht versperren, und auch nach dem sechzigsten Mal Verneinen nicht aufgeben, einem ein Bier andrehen zu wollen. Das Spektakel ist gratis, aber am Schluss jeder Vorstellung wird ein überdimensional großer Eimer (ein WIRKLICH überdimensional großer Eimer, der mich fast schon wieder an den Suppentopf erinnert) durch das Publikum gereicht und jeder lässt ein paar Münzen hineinrasseln. Auch die Kolumbianer, die kurz vor Schluss ganz unauffällig verschwinden wollen, um die Münzen zu sparen, werden nicht verschont und zur Zielscheibe einer Tonne von Witzchen.
Es ist einfach nur toll, die Kolumbianer haben wirklich einen tollen Zusammenhalt und scheuen sich nicht davor, sich über ihre eigenes chaotisches Dasein lustig zu machen.