Man läuft durch die Straßen, ganz unbewusst, doch was einem begegnet, ist einzigartig. Einzigartig für Indien würde ich sagen. Da vorn ist ein Tempel, dahinten der nächste. In fast jeder Straße ein Hindu-Gebäude. An diesem Haus hängt Siva, am nächsten Maria, dahinter schon Rama und danach die Kaaba. Der Muezin ruft und wird übertönt, von hinduistischen Songs, schon ab 5 Uhr früh.

Was ich damit sagen will ist: in Indien ist das Thema Religion und Glaube viel präsenter als anderswo. Religionsübergreifend fühlen sich die Menschen ihrem Glauben sehr viel mehr verpflichtet oder erhoffen sich dadurch mehr, als ich es beispielsweise tun würde.

Dieser Eintrag ist dem Glauben in Indien gewidmet und der Haupt-Religion Indiens, dem Hinduismus.

Was steckt hinter diesem Hinduismus, dem ich hier tagtäglich begegne (schon alleine, dass ich an mehreren Tempeln vorbeifahre)? Auch ich wollte mit meinem Halbwissen aufräumen und das ist das Ergebnis. I prouldy present: Hinduismus verstehen!

Man gibt dem Glauben viel mehr Raum, viel mehr Ausdruck im Leben. Ein paar Anekdoten dazu:

Ehrfurcht

Schon oft saßen wir mittlerweile in gelben, grünen oder schwarzen Tuk Tuk (je nach Bundesstaat) und sind durch Städte und Landschaften gefahren. Wir kommen gerade an einem Tempel vorbei, da dreht sich der Fahrer zur Seite und senkt seinen Kopf in Richtung des Tempels und küsst seinen Anhänger, auf dem Siva oder Vishnu abgebildet sind.

die bekannteste hinduistische Familie: Siva und Parvati mit ihren Söhnen Murugan und Ganesha

Auf diese Art zeigt er Respekt gegenüber seinem Gott. Bei weitem nicht jeder Bus- oder Tuk Tuk Fahrer tut dies und auch bestimmt nicht an jedem Tempel, aber ab und zu sieht man solche Demutsbekundungen. Genauso beim großen Tempel in Vilathikualm halten immer wieder Reisende an, um einen Besuch abzustatten, bevor sie weiterfahren. Auch in der Messe sind die Gebete länger, leidenschaftlicher und intensiver, die Lieder lauter und die Verbeugungen tiefer.

Diversität

buddhistisches Kloster in Bylakuppe

Ein Zeichen der religiösen Diversität zeigte sich mir schon recht früh, als ich in einer Beamtenstube saß. Mit Sicherheit war die Mehrheit dort hinduistisch, dennoch hingen an der Wand Siva, Vischnu und Brahma und daneben Jesus und die Kaaba (Grüße an Markus Söder und die CSU – so geht Toleranz). Damit sind übrigens die drei Haupt-Religionen Indiens zusammengefasst (Hinduismus, Islam und Christentum). Daneben gibt es noch

jainistische Tempelhöhle in Badami

die ebenfalls in Indien wurzelnden Religionen des Jainismus, des Buddhismus und des Sikkhismus, die alle als Reformbewegungen aus dem Hinduismus hervorgingen. Auch in vielen Bussen und Tuktuks hängen Bilder der verschiedenen Götter oder Marias und Jesu. In manchen Viertel braucht man nicht einmal die Bewohner eines Hauses zu kennen, um zu wissen wie und in welcher Art sie gläubig sind. Oft hängt die/der Verehrte schon neben der Haustür.

Namen

Rama, Bharat, Arjun, Karthikeyan, Subramanian, Ganesh, Sriram, Latshmaran, Periyarswami, Muthulaxmi … Das ist nur eine Auswahl an tamilischen Namen von unseren Grundschulkindern, die alle einen religiösen Hintergrund haben. Sie alle sind Namen von Göttern oder deren Inkarnationen. Der Gedanke, sein Kind so zu nennen ist folgender: erstens soll der Name dem jeweiligen Schutz geben (ähnlich wie wenn man auf den Namen eines christlichen Heiligen getauft wird). Zweitens gilt, je öfter man den Namen einer Gottheit ausspricht, desto wahrscheinlicher wird er sich dir zuwenden. Man kann dazu Mantras, Gebete sprechen oder eben sein Kind entsprechend nennen und auch so den Namen oft genug erwähnen.

Kennzeichnung

Die meisten Gläubigen tragen zudem auch ein Zeichen ihres Gottes bei sich. Für Christen ist das meist ein Rosenkranz oder eine Kette. Für Hindus ist das entweder eine gemalte Form auf der Stirn oder eine Kette mit dem Bild der Gottheit. Jeder kann sich im Hinduismus je nach Charakter und Persönlichkeit auswählen, welchen Gott er (in besonderer Weise) verehrt. So entstanden die Gruppierungen der Shivaiten und der Vishnuiten. Tamil Nadu, kann man sagen, ist Land der Shivaiten. Die allermeisten großen Tempel sind Siva in seinen verschiedenen Erscheinungsformen geweiht (in Madurai als Bräutigam, in Chidambaram als Gott des Tanzes usw.). Kommt man nach Kerala findet man hingegen viel mehr Vishnu-Tempel und -darstellungen. Man kann so schon äußerlich erkennen, welcher Gottheit sich ein jeder zugehörig fühlt (Shivaiten tragen beispielsweise drei weiße Querstriche auf der Stirn, während Vishnuiten einer Art V tragen).

Festwagen beim Tempelfest in Madurai

Doch auch die Kleidung wirkt als Kennzeichen des Glaubens. Vor allem die Farbe des traditionellen Gewandes (im Falle der Männer des lungis und im Falle der Frau des saris) kann (!) viel aussagen. Ein leichter Orange-Ton oder bei der CSI (Church of South India) komplett weiß zeichnet dich als Christ aus. Gerade für hinduistische Pilger gibt es noch detailliertere Kleidung. Im November/Dezember zogen komplett schwarz gekleidete Männer zu einem Tempel nach Kerala. Kurz darauf waren es Frauen mit rotem Sari, auf dem Weg zu einem Tempel bei Chennai. Männer in grünen Gewändern pilgern zu einem Murugan-Tempel. Vermutlich hat jede Farbe des Regenbogens ihre ganz eigene Bedeutung.

Pilgertum

Genau wie in allen anderen Religionen gibt es im Hinduismus Pilgerreisen zu verschiedenen Tempel und heiligen Stätten. Meist macht sich die ganze Familie auf den Weg. Auch einige unserer Hostel-Jungs waren zeitweise für 1-2 Wochen auf Pilgerreise nach Trichendur. Ist man dann im Tempel muss man als Gläubiger furchtbar lange (manchmal 4 Stunden) anstehen. In langen vorgeführten Wegen rückt man Stück für Stück im Tempel vor, bis man ins Innere (das eigentlich Heilige) kommt. Dort erhält man einen kurzen Blick auf die Statue der Gottheit, die immer mit Blumen, Stoffen, Pulvern geschmückt, mit Räucherstäbchen bewölkt und mit Musik besungen wird.

die Göttin Chamundi (Göttin des Maharaja-Geschlechtes) in Mysuru

Dann ist man an der Reihe seine Spende in Form von Geld oder häufig auch Kokosnuss, Bananen und Blumen zu geben. An einer Flamme holt man sich den Segen des Gottes. Keinesfalls verlässt man nach dem Tempelbesuch sofort die Stätte, sondern sitzt, spricht oder isst miteinander.

Doch auch der christliche Glaube beeindruckt mich hier. Kurz vor Ostern sah man überall christliche Pilger an den Straßenrändern laufen – jeder mit einem schwarzen Kreuz auf der Schulter, ganz wie Jesus am Karfreitag. Für viele Kilometer und Tage pilgern sie so zu großen Kirchen. Erst letztens durften wir den berühmten Schrein in Vellankanni besichtigen, wo drei Marienerscheinungen stattgefunden haben sollen. Ein ganzes Zentrum für Gläubige und Pilger mit verschiedensten Kapellen, Schreinen und Kirchen. Was ganz besonders beeindruckend war, war ein Streifen Sand, der von einer Kirche zur nächsten führte und auf dem Gläubige auf Knien krochen. Es hieß, man braucht in der Regel zwei Stunden für den Weg über den heißen Sand. Glaube kann Menschen zu so viel bewegen!

Unser Leben sei ein fest

Saint Anthony – mehr Lametta!

Nicht zu vergessen sind jedoch die Feste für alles und jeden. Jeder der Tempel hat zu einer Zeit im Jahr sein Tempelfest. Dazu werden Riesenboxen, Lichter, Festzelte und Fest-Bögen installiert. Wie oft wurde ich schon von hinduistischer Tempelmusik geweckt, wenn ich oben auf der Dachterasse übernachtete und ab 5 Uhr das Gedudel losging*. Beinahe den ganzen Tag läuft dann Musik und es gibt Feiern vor und in den Tempeln. Gar nicht mal so unähnlich ist die christliche Version, wenn zu den Festtagen der namensgebenden Heiligen (hier St. Anthony, in Kattalampatti St. Francis Xavier) soviel dekoriert wird, wie nur geht. Kolams auf dem Boden, Bananenstauden an den Eingängen, ganz viel Glitzer, Lametta und Leuchtketten (jeder Nicht-Inder würde es als kitschig wahrnehmen).

„It looks like Christmas!“ – „It is Christmas for them“

heiliger Baum in Hampi

antwortete ein father auf meinen Kommentar angesichts der Lichterketten und des Lamettas. Erst dieses Wochenende war das große Dorffest in Martandampatti (unser zweites Grundschuldorf). Drei Tage hintereinander mit verschiedenen Programs und Aktionen. Es war sehr spannend zu sehen, mit welcher Lebensfreude sich das Dorf füllt, in dem wir sonst höchstens Hunden und Ziegen begegnen 🙂

Insgesamt sind die Leute hier viel mehr auf ihren Glauben bedacht und geben ihm viel mehr Raum in ihrem Leben, opfern viel mehr ihrer selbst, ihrer Ehrfurcht, ihrer Zeit. Gleichzeitig wird der Glaube viel offensichtlicher, viel mehr nach außen getragen, ist viel exoterischer und auf das Ausüben konzentriert.

 

*Gerade beginnt hier in Vilathikulam der große Tempelfest-Marathon für knapp zwei Wochen feiert jeder Tempel in der Umgebung sein Tempelfest. Für viele Hindus heißt das, ihren Glauben zu leben, ihre Präsenz zu zeigen und abzufeiern. Für mich hingegen heißt es … wenig Schlaf. Denn die ersten Lieder beginnen schon um 5 Uhr früh und schallen direkt auf meinen Schlafplatz auf der Dachterasse.


Update zu mir und meinem Jahr:

Huhu,

hier ein kleines Update von mir in Indien. Seit Ende Mai ist schon viel Zeit vergangen. Nach dem English Camp waren Ferien im Projekt und wir nutzten diese Zeit nochmal für unsere letzte Tour durch Südindien, um die restlichen Vorhaben auf meiner „To-Go-Liste“ abzuarbeiten. Wer Lust hat, dazu mehr zu lesen, klickt hier (Achtung es gibt ein Rätsel, ob du oben auch gut aufgepasst hast-> das Passwort ist derjenige, der sowohl Christ, Hindu, Moslem und Jude ist – zusammen und klein geschrieben 😉 ).

Nach unserer Rückkehr mussten wir feststellen, dass das Hostel leider noch nicht eröffnet wurde. Nichtsdestotrotz lebten wir unseren Alltag, führten Projekte in den beiden Grundschulen durch, spielten viele neue Spiele und gaben Lese-Unterricht (bei manchen sieht man tatsächlich Verbesserungen, was mich immer sehr, sehr freut 😊).

Die letzten Wochen gingen verdammt schnell rum, denn es war neben St. Anthony einiges los. Ich lebte eine Woche in einem anderen Projekt der Salesianer Don Boscos in Palithammam. Wir wurden eingeladen, dort ein wenig mitzuarbeiten und gesagt – getan. Die Basketball-Matches, die Nursery Rhymes, die Insider-Witze und meine Spitznamen (Benni Player, Germany Brother, Thalaivaa) werden mir immer im Gedächtnis bleiben.

Nicht lange danach fand unser Abschluss-Treffen der Volontäre aus der Provinz Trichy statt. Zusammen mit den fathers hatten wir schöne Tage, guten Austausch und viele Dachterassen-Momente. Wir waren alle der Meinung, dass die Zeit wahnsinnig schnell vergangen ist, und drum geht es für mich langsam ans Abschiednehmen, ans Mitbringsel einkaufen, ans Spuren hinterlassen. Wir haben einiges geplant für den nächsten letzten Monat. Ich hoffe, es wird ein guter Abschluss. Bis zum Abschied heißt es aber nochmal GENIEßEN!

Ab in den Endspurt!!! Man sieht sich 😊

Benni Player