Die Gedanken der Taube

Gurr! 05:45! Noch viel zu früh zum Aufstehen, es ist doch auch noch dunkel und trotzdem rumpeln die zwei Volos in ihrem Zimmer schon herum, duschen sich verschlafen (sofern Wasser da ist) und machen sich fertig für den Tag. Lasst mich in Ruhe weiterschlafen!!! Gurr!

Die Gedanken von Mugesh*, einem der Hosteljungs

Jeden Tag derselbe Mist! Früh aufstehen, die Bücher holen und dann muss ich hier von 06:15 bis 07:25 sitzen, ruhig sein und in das Mathe-, Tamil- oder Physikbuch starren. Vielleicht kann ich doch kurz mit …  reden. „Hey!“ Jaja, ich bin ja schon leise … Benni brother und Lukas brother sitzen immer bei uns, haben ein Auge auf uns und bereiten manchmal etwas für ihren Grundschulunterricht vor. Ach, ich schau mal, was auf der Straße so los ist … Wie? Jaja, ich schau schon in mein Buch.

Ein paar Minüten später…

Morning jobs: auch nicht meine Lieblingsdisziplin … Motorräder putzen, den Boden fegen, Gitter abstauben, Pflanzen gießen, Unkraut jäten… Die brothers schwirren auch irgendwo rum. Die sind echt immer da und weichen den Staubwolken und den wedelnden Besen aus.

Yeah! Endlich Frühstück. „In name of the father and of the son … Amen! Good morning brothers!“. Sie antworten mit einem gut gelaunten „Good morning“ und setzen sich zu uns, jedoch ohne eigenen Teller. Sie essen immer später in der Dining Hall. Jetzt geht’s auch gleich in die Schule und ich rufe noch: „Bye! Taataa! Tschuss!“ zu (man muss schließlich multilingual denken 😉). Auf in die Schule!

Die Gedanken der Köchin Amaa

So, das Essen ist fertig. „Kalai vanakkam, brother!“ – „Kalai vanakkam, amaa!“. Nachdem das, was ich heute wieder gezaubert habe gegessen wurde, schreibt Benni brother entweder Tagebuch oder einen motivierenden Spruch an das white board, liest Zeitung, überlegt, was er denn heute den Grundschulkindern beibringen kann oder geht in die press.

Die Gedanken meines Drahtesels

YEEEHAAAA!!! Es geht wieder los. Nach dem morning prayer um 10:00 schwingt er sich auf meinen Sattel und radelt gut gelaunt zur Schule. Ein typisch indischer Schulweg, der erst durch den chaotischen Verkehr führt, den wir zusammen wild klingelnd überstehen. Ring, ring!!! So laut, hektisch und voll es auf der Madurai Road innerhalb der Stadt noch ist, so entspannt, leer und idyllisch ist es auf dem restlichen Weg, wenn wir aus der Stadt rauskommen und nach Kattalampatty fahren.

das Ergebnis der Regenezeit

Kattalampatty, das ist echt ein Nest. Man muss den Ziegenherden, Schlaglöchern und Wasserpfützen ausweichen und auch den Straßenhunden, die uns einmal schon kläffend verfolgt haben. Absolutes Dorfleben! Dann werde ich auf dem Gelände der dortigen Grundschule geparkt.

Die Gedanken der Grundschüler von Kattalampatty

HEEEEEEEEYYYYYYY! Good morning brothers! Lukas brother und Benni brother kommen immer her und machen mit uns von 10:30 bis zum Lunch um 12:40 Spiele, Songs und einfaches Englisch. Das ist echt eine super Abwechslung von dem restlichen Lernen aus den Büchern. Zuerst dürfen die 12 Schüler der 4. zu ihnen; es folgen 5. zusammen mit 3. Klasse und zum Schluss die Zweitklässler. Auf einen Einstiegssongs folgt in Kleingruppen der „activity“-Teil (grundlegende englische Konversation, manchmal Malen, manchmal neue Vokabeln als Memory, manchmal Englisch-Spiele) und danach ein abschließendes Spiel.   Die Zeit vergeht immer sooo schnell, wenn die beiden hier sind. Wenn es zum Mittagessen klingelt, heißt es „Bye brother“ und wir versuchen möglichst viele High-5s, Claps und Händedrücke zur Verabschiedung zu ergattern 😊.

das Ergebnis der letzten Monate 🙂

Die Gedanken der Freizeit

Jetzt bin ich an der Reihe! Wenn man am Vormittag schon etwas geleistet hat, entspannt man gleich dreimal so gut. Aber an manchen Tagen gibt es auch viel zu tun, z.B. Unterricht vorbereiten, Ukulele spielen, Tamil lernen, in der press mithelfen, Blogs schreiben, shoppen gehen, indische Kultur und Snacks genießen – je nach Lust und Laune. Aus aktuellem Anlass ist gerade Adventskalender basteln mit Weihnachtscharts und Urlaub planen sehr angesagt 😊.

Die Gedanken von Ganesa*, einem der Hosteljungs

Sobald ich geschafft von der Schule durch das VEMBU-Tor komme, stehen die brothers schon bereit, um mit uns in der games time alle möglichen Spiele zu spielen: „Brother, UNO cards!!! Brother, Volleyball!“ (die beiden favourites, Anm. d. Verf.). Wenn der Bus zu meinem Dorf vorbeikommt, muss ich Benni brother unbedingt an meine Seite ziehen, damit die Mädels meinen neuen weißen Freund neben mir bestaunen können 😉 Hehe! Je später, desto voller wird es auf dem VEMBU-Hof, denn langsam trudeln alle Hosteljungs und auch alle Tuitionkinder (Tuition = abendliche Lernzeit) ein. Um 18:00 geht’s zu unserem tea, den wir auf dem Friedhof auf den Grabsteinen sitzend einnehmen. Hier kann man nochmal entspannen und quatschen, bevor es danach zur Abend-study-time geht. Dort muss ich wohl oder übel leise sein und meine Sachen erledigen, sonst wird das mit den exams nix Gscheits. Manche meiner Kollegen haben das noch nicht eingesehen … Dafür sind aber die brothers da, um alle beim Lernen und vor ihren Büchern zu halten. Klappt mal besser, mal schlechter. Benni brother ist auch oft bei den Tuitonkids und übt mit ihnen auf spielerische Weise Lesen.

Ein paar Minüten später…

Puh! Geschafft! Jetzt stehen TV time und danach Abendessen auf dem Plan. Mit vollem Bauch verbringen wir noch ein paar Minuten Freizeit und lauschen dann dem good night talk. „Good Night, brothers!“

Die Gedanken meines Bettes

Voll gegessen und sehr müde fällt er jeden Abend um mittlerweile 21:45 auf mich drauf und nach ein paar Minuten, in denen sich der ausführlichen Volontärs-Bibliothek gewidmet wird oder man die Abendkühle auf der Dachterasse genießt, ist auch Schicht im Schacht, im Volo-Zimmer in Vilathikulam …


Meine eigenen Gedanken

So sehen also die Tage, sieht die Arbeit aus, die ich lebe und die nächsten Monate leben werde …  sofern nicht ein hinduistischer (muslimischer oder christlicher) Feiertag ist, die Schule wegen Regenfällen ausfällt (ist tatsächlich schon 4/5 mal passiert, wobei es an ebenjenen Tagen dann kaum geregnet hat), kein Lehrer stirbt und deswegen auch keine Schule ist, der Mond und die Sterne gerade günstig stehen usw. Nur schwer kann man von echtem Alltag reden, denn es gibt viele kleine Änderungen und Überraschungen.

Ich nehme hier viele Perspektiven und Rollen ein, die mir in meinem bisherigen 18 Lebensjahren so nicht untergekommen sind: die des Lehrers, die des Bespaßers, die des Aufpassers, die des Ausländers, des Fremden, die der Krankenschwester (tatsächlich bin ich für die indische Regierung als nurse registriert 😊), die des großen Bruders, und die desjenigen, der bei allem mithilft, was eben sonst so anfällt.

Ich befinde mich mittlerweile schon an Tag 75 in VEMBU und merke, dass Vieles, was in den ersten Wochen aufregend, total fremd und unwirklich war, gewohnt, verständlich und klar wird. Kurzum: ich habe mich hier eingelebt, eingewöhnt und fühle mich wohl. Dass ich in Indien war, kam mir lange Zeit noch unwirklich vor. Was soll ich sagen: es ist Wirklichkeit und ich lebe nun das, was ich mir vor genau einem Jahr bei der Bewerbung für Don Bosco Volunteers gewünscht habe: einen Alltag, bei dem ich etwas vermittle, aber auch unglaublich viel zurückbekomme. Ein Alltag mit kleinen Highlights: die Freude über die Spiele, die wir vorbereitet haben, ein nettes Gespräch mit den VEMBU-Mitarbeitern, ein spontaner Ausflug zum River, eine neue indische Speise, ein neues Wort auf Tamil, ein selbstgemaltes Bild als Geschenk und und und.

Taataa und bis bald!!!

 


*Die Namen und Personen existieren in der Form natürlich nicht. Ganesa und Mugesh spiegeln bloß einen bestimmten Typ wieder. Jeder unserer 15 Jungs hat etwas von beiden in sich, doch das Verhältnis wechselt natürlich.