(acht Os in einer Überschrift… ich glaube das ist Rekord!!!)

Dieser Blogeintrag geht – anders als es manche angesichts des Titels denken mögen – nicht um mein Lebensmotto, sondern ist der einzigartigen tamilischen Küche gewidmet. Hier gilt einmal mehr, dass es viel zu pauschal wäre, allein von der „indischen Küche“ zu sprechen, denn wie wir auf den Reisen mitbekommen haben, ändern sich einige Gerichte und deren Namen schon im nächsten Bundesstaat.


Woran denkst du denn bei indischem Essen? Chicken Curry? Höllisch scharf? Hauptsächlich Reis?

Ich kann dir sagen: alles drei trifft es nicht wirklich, …

… denn Fleisch ist die Ausnahme! Die indische (Ess-)Kultur ist nichtsdestotrotz vom Hinduismus geprägt. Ahimsa ist eines der obersten Prinzipien der aus Indien stammenden Religionen (Hinduismus, Jainismus und Buddhismus) und meint die Gewaltlosigkeit gegenüber anderen Lebewesen. Dadurch entwickelte sich die tamilische (nur darüber kann ich dieses Urteil fällen) Küche zu einer vorwiegend fleischlosen Küche. Auch im Sprachgebrauch ist diese Priorität des Vegetarismus festgehalten. Man ist hier man als Vegetarier nicht der „links-grün Versiffte“, sondern als „VEG“ im Gegensatz zum „NON-VEG“ positiver konnotiert. Tatsächlich gibt es wenn, dann nur sonntags oder bei Besuch Fleisch (entweder Hühnchen-, Ziegen- oder Rinderfleisch – ja man isst auch Rind!).

… denn wer auch in Deutschland mal „mit bisschen scharf“ gegessen hat, wird hier auch nicht umkommen. Es war sogar so, dass ich in meiner Anfangs- und Eingewöhnungsphase (als ich noch nicht scharfes Essen bekam) aus Versehen das normale Essen probiert habe und der Schmerz ausblieb 😊.

Gewürze müssen sein (in Bengaluru)

Also, keine Panik, schnapp dir einen kulinarischen Freund und geh zu einem authentischen Inder, dann musst du keine Angst vor Schärfe haben. Es gehört für mich mittlerweile auch einfach zum Essen dazu 😊

 

lemon rice

… denn die indische Küche ist viel kreativer. Dossa, Idli, Appam, Chapati, Parotta, Idyapam, Poori … all das wird dir wie konkrete Poesie vorkommen. In Wahrheit handelt es sich dabei um verschiedenste Fladen und andere Köstlichkeiten, alle aus recht einfachen Zutaten, aber mit viel Liebe zubereitet. Auch ist Reis nicht gleich Reis. Stattdessen gibt es tomato rice, lemon rice, curd rice, Pongal, Biriyani und noch viele Varianten mehr. Wer an einer Galerie interessiert ist, klickt am besten mal hier. Einzig und allein mittags gibt es in der Regel Reis und dazu Sambar oder Rasam (die „Standard-Soßen“). Das ist die einzige Konstante im kulinarischen Tagesablauf.

So, nachdem ich mal mit diesen Vorurteilen aufräumen konnte, was ja auch ein Sinn dieses Blogs ist, geht es jetzt darum, was tamilisches Essen auszeichnet:

Die Multisensorik des indischen Essens

Angenehm scharf im Mund, glitschig in der Hand, pikant in der Nase. Klingt spannend, aber genau darum geht es beim Essen – Vielfalt für die Sinne. Neben dem, was ich esse, geht es wesentlich auch darum, wie ich es esse. Geh ich zum Fastfood-Laden um die Ecke und ziehe mir einen lieblosen Burger in meinen 15min Mittagspause rein oder … mache ich es mal indisch: Essen soll Sinneserfahrung sein, Essen soll Spaß machen, Essen soll man genießen. Man versucht mit dem Essen, alle fünf Sinne zu wecken:

  • sehen – es geht darum, möglichst viele Farben auf dem Teller zu haben. Gelb, rot, braun, weiß, grün. Man sagt nicht umsonst: „das Auge isst mit.“
  • riechen – klar, so geht es mir immer: sobald in in Ammaas Küche oder in die Dining Hall komme, riecht es schon nach dem Abendessen. Der Blick auf die Uhr sagt allerdings, dass ich noch bisschen warten muss.
  • hören – ja, hören gehört auch dazu. Damit ist gemeint, dass du es bewusst wahrnehmen sollst, wenn du beispielsweise Soße und Reis mischst.
  • schmecken – beim Schmecken geht es nun darum, durch intensive Geschmäcke zu triggern. Das erklärt einerseits das scharfe Element im Essen, aber auch das Süße im Tee, in Süßigkeiten, im Nachtisch.
  • fühlen – man muss sein Essen natürlich auch fühlen. Das heißt, mit der Hand essen, ist angesagt! Wir haben sehr schnell die Technik herausbekommen, wie man alles vom Teller in den Mund bekommt, und tatsächlich könnte ich es mir gerade nicht vorstellen, Reis mit Messer und Gabel zu essen (Es kommt aber ebenso vor, dass man den Reis zu früh anfasst und er noch verdammt heiß ist und er unter dem Ventilator noch nicht genügend abgekühlt ist. Bei Stromausfall ist das immer doof… 😊)

Du siehst, alle Sinne sind vertreten und so wird Essen zur Sinneserfahrung. Gleichzeitig wird man sich des Essens dadurch viel bewusster.

Teekultur

Ein Überbleibsel der britischen Kolonialherrschaft – neben dem Eisenbahnnetz und der Männermode – ist der Tee. Bis ins 19. Jahrhundert hatte China das Teemonopol, bis ein schlauer britische Geschäftsmann begann, in den Bergen Indiens Tee anzupflanzen. In den hill stations, wo es feucht und kühl genug ist, wächst in riesigen Monokulturen Tee. Meistens trinkt man mehrmals am Tag nach dem Essen einen Tee oder geht nach getaner Arbeit einen Feierabend-Tee trinken. Wobei … warte … unter Tee stellst du dir wahrscheinlich etwas anderes vor… Hier das Teerezept, das man mir beigebracht hat: eine Hälfte Milch, eine Hälfte Wasser, vier Löffel Schwarztee und dann mindestens 10 Löffel Zucker. Wenn dieser Tee von Profis an einem der Teeläden gemacht wird, wird der Tee oder die Milch in großen Strählen hin und her gegossen – ein wahres Kunststück!!!

Neben unserem Lieblings-Teeladen liegt „der Saftladen“ (Lukas meinte mal, der Name wäre unglücklich von mir gewählt, aber das ist er nun mal). Dort bekommt man Ananas-Juice, Lemon-Juice, Orange-Juice uvm. und auch Zuckerrohr-Juice (mein Lieblingsjuice). Alles wird frisch und vor deiner Nase gepresst. Wenn man nach einem Glas Saft immer noch Durst hat, geht man einfach etwas weiter und kauft sich eine Kokosnuss. Die wird dann geköpft und schon kann man das Kokoswasser darin trinken (soll Wunder gegen die Hitze wirken).

Einmal „satt“ bitte!

Im Restaurant essen: zunächst stellt sich die Frage „VEG or NON-VEG?“. Dort sucht man sich einen Tisch und bekommt von einem der herumhastenden Angestellten ein großes Bananenblatt vorgelegt. Danach wird dir, sofern du „Veg Meals“ gewählt hast, haufenweise Reis und Gemüse auf dein Blatt gehäuft und das so lange, bis man fast platzt.

Das ist meist das einfachste Essen im Hotel (=Restaurant) und kostet in etwa 40 Rupien (=50 Cent). Je nach Restaurant stehen aber auch weitere Dinge auf der Speisekarte, manchmal nordindisch, manchmal sogar europäisch. Nach dem Essen auf dem Bananenblatt ist es wichtig, das Blatt von oben nach unten zu klappen, denn dadurch signalisiert man, dass es geschmeckt hat. Andersherum meint natürlich Gegenteiliges.


eat banana, eat eat banana

Im Sinne des Kulturaustausches haben auch wir Volos uns an den Herd gewagt und manch heimische Gerichte gezaubert. So gab es schon Kässpätzle, Kaiserschmarrn mit selbstgemachtem Apfelmus, Lebkuchen, gebrannte Mandeln und neuerding Mango-Marmelade. Alles wird i.d.R. erst skeptische begutachtet, aber dann gerne gegessen 🙂 . Du siehst, Essen macht Spaß und nimmt in Indien eine zentrale Rolle ein. Die Frage „saptingla?“ (Hast du schon gegessen?) oder das englisch Äquivalent „eating finished?“ muss ich am Tag 10-20 mal beantworten und muss wie „Wie geht’s dir“ verstanden werden. Ich finde hier kann sich der deutsche Fast-Food-Liebhaber eine Scheibe abschneiden. Ich hoffe, du konntest etwas lernen und denkst nun anders über tamilisches Essen.

Wer Rezepte haben möchte, meldet sich einfach bei mir 😊

An gud’n und bis bald!


 

 

PS: dieser Blogeintrag erscheint an einem nicht ganz unwesentlichen Datum: heute sind es noch genau 100 Tage, die ich in Indien verbringen darf, das heißt konkret noch 300 indische Mahlzeiten, auf die ich mich jetzt schon freue. Aber natürlich versuche ich auch die Zeit zwischen dem Essen zu genießen ;), alles immer wieder wahrzunehmen und meine Aufgaben hier gut zu meistern. Es liegt nun schon ein großer Teil hinter mir und wenn ich zurück schaue, sehe ich, wie viel ich schon erleben durfte, wen ich alles schon kennenlernen durfte und was ich alles schon lernen durfte. Die Zeit muss verflogen sein, denn nun ist es schon Mai und vor einem Jahr saß ich noch vor den Abiprüfungen und habe andere Dinge gelernt, als jetzt. Ich bin dankbar für alles, was schon war, und genauso dankbar für das, was jetzt noch kommen wird. 100 Tage Countdown – los geht’s!