Ich war zu Besuch bei meiner Schulfreundin Miriam, die in Ambato, Ecuador ein FSJ macht. Das Land, eigentlich nur eben über die Grenze, nenne ich nun Schweiz Südamerikas.

Berge in Sicht
Okay, mal schnell über die Grenze ist übertrieben. Ich bin ziemlich genau vierundzwanzig Stunden gefahren. In Südamerika ist der Fernbus das Verkehrsmittel erster Wahl, auch sehr bequem und mit WLAN!, aber die Straßen ziehen sich voller Serpentinen in die Länge.

Mit dem Bus geht es die Anden entlang südwärts. Der über Cali schwebende Grünton der Berge verwandelt sich schnell in das Grau der eher felsigen Sierra. So heißt das Hochland und die Region um die beiden Anden-Kordilleren, in dem ich auf 2800 Metern durch die höchstgelegene Hauptstadt der Welt fuhr. Am Fenster zogen die Vulkane Ecuadors vorbei (einige sind momentan auf Alarmstufe aktiv), ein kühler Fahrtwind blies, knallende Sonne; später erfuhr ich, dass Miriam immer Lichtschutzfaktor 50 trägt.

Das Stadtbild Ambatos wirkte auf mich zunächst irgendwie europäisch. Mit der Zeit merkte ich, dass es die geschlossenen Häuser sind; in Cali, wo alles ventiliert werden muss, gibt es die nicht. In der Innenstadt gibt es einen ganz netten Platz neben der Kathedrale; hier wirkte alles ein bisschen wie Herrenhäuser aus Europa. Auf den Straßen sieht man unzählige indigene Frauen, die Obst verkaufen; Spezialität: Mangos zum Auslutschen! Außerhalb sieht es wieder wiederum wie in Calis schlechteren Gegenden aus, und der schöne Fluss, der mich an Freiburgs Dreisam erinnerte, ist umgeben von Gestank und einem Armenviertel. Gegenüber hingegen ist wieder ein schöner botanischer Garten.

 

An der Grenze bereits wechselte ich in Dollar. Er ist im Jahr 2000 eingeführt worden und gilt als Stabilitätsgarant. Die Vorgängerwährung Sucre war kaum noch etwas wert gewesen. Das Land wird seit Jahren von einem Präsidenten regiert, den selbst die, die ihn damals gewählt haben, satt haben. Es heißt, Regierungs- und Verwaltungsposten würden gekauft; um diese „Investition“ wieder rein zu bekommen, lassen sich Teile der Verwaltung schmieren. Momentan muss die sozialistische Regierung den Gürtel enger schnallen; seitdem der Ölpreis so abgestürzt ist, ist ein großer Teil der Staatseinnahmen weggebrochen (Öl macht 51% des BIP und 28% der Staatseinnahmen aus [1]).

Auch wenn Miriams Gastfamilie wegen des schwachen kolumbianischen Pesos öfters Großeinkauf auf der anderen Seite der Grenze macht – das Land versucht, sich abzuschotten. Das habe ich schon an der riesigen Plakataktion „Primero Ecuador“ an der Autobahn gesehen; die ecuadorianische Variante von „Buy Local“ (nur ohne Klimaschutz im Hinterkopf). Anfang 2015 wurden Schutzzölle von 5 bis 45% auf fast 3000 Produktkategorien eingeführt; dadurch will man dem Handelsbilanzdefizit entgegenwirken (-2 %, ohne Ölexporte mehr als -15 % des BIP).

Ein bisschen Steuern

Miriam arbeitete während meines Besuches weiter in ihrem Schulprojekt, und so besorgte sie mir für meine Vormittage ein Praktikum in einer Steuerkanzlei (Ich erwähne zu oft, dass ich ein Fan von Excel bin).
Das Steuersystem hat den Ruf, sehr umfangreich zu sein, wenn nicht gar, die Mittelschicht zu zerstören. Und so war das Praktikum ein spannender Einblick.

Modern ist die Steuer in Ecuador auf alle Fälle; alles passiert online, teilweise werden Rechnungen direkt mit der staatseigenen Steuerplattform synchronisiert. Die Kanzlei ermittelt die Einkommenssteuer kleiner und mittlerer Unternehmer. Letztere zahlen zwischen fünf und 35% (Kolumbien 33%, Deutschland 45%, Frankreich 49%) auf ihr Einkommen. Die meisten Kunden schimpfen; ein Klient meinte, er zahle an sich gerne Steuern – „Nur sobald ich das Geld in der Tasche habe, Sie wissen ja, wie das ist…“ Und so wird in beide Richtungen getrickst: Ist der Gewinn zu hoch, wird schwarz abgerechnet. Ist der Gewinn zu niedrig, glaubt das Finanzministerium der Kanzlei nicht, und man muss ein paar Rechnungen mehr schreiben. Das gehört zum Alltag der Kanzlei, erzählte mir meine Mentorin; die Kunden wandern sonst zu einem anderen Contador ab. (Kleiner Hinweis: Die Schattenwirtschaft ist nicht nur in Ecuador ein beachtlicher Batzen; 2007 schätzte man den Wert auf 30% des ecuadorianischen BIPs, respektive 15% für Deutschland; [2])

So schlimm erschien mir persönlich die Steuer gar nicht – beim Eintippen unzähliger Rechnungen lernte ich, dass die Mehrwertsteuer nur 12% beträgt (K. 2016 18%, D. 19%). Was dafür geleistet wird schien okay, die Autobahnen sind gut, Strom, Wasser und Telekommunikation gibt es auch in den abgelegensten Gebieten. Doch „Die Probleme in Ecuador kommen von den Steuern, insbesondere für den Import“ – deswegen gehen viele kaputt, meinten meine Kollegen.

Der erste Supermarkt von Ambato

So wie die Kunden der Kanzlei erschienen mir die meisten Geschäfte der Stadt; wie auch in Kolumbien kleine Läden mit ein paar Angestellten, viel informelle Arbeit. Ich war in meine Woche bei der Gastfamilie eines von Miriams Kollegen untergebracht. Die Familie lebt mehr schlecht als recht von einem kleinen Laden im Stadtzentrum, hat aber dennoch zwei Hausangestellte. Die Oma erzählte mir mit funkelnden Augen, wie sie das Geschäft 1947 gegründet habe. Damals war es der erste Supermarkt in der Stadt, spezialisiert auf Importwaren. „Die besten Weine, den besten Cognac haben wir angeboten. Aber jetzt darf man ja nichts mehr importieren.“ Ihr Sohn ist dabei, den Laden zu schließen, denn die Supermärkte übernehmen das Geschäft in Ambato. So ein Importwarenladen, wie man ihn in Deutschland auch nur noch von Omas Erzählungen kennt, lohnt sich nicht mehr, sei es wegen der Ketten oder wegen der Steuern. Und hier sah ich den Trend wie in Cali – in den Städten wird alles mehr wie in Europa. Man geht nicht mehr zu Don Colón um die Ecke, sondern zu Super Maxi (wie zu Catorze und Éxito in Cali).

Erkältet in den Tropen
Bei einem Land, das nach dem Äquator benannt ist, denkt man nicht direkt an Erkältungen, und es könnte auch ein Witz sein; aber wegen der heftigen Temperaturschwankungen in Ambato sind Miriam, Conrad und ich zeitgleich krank geworden. So steckte ich meine Reisepläne kurz, hütete das Bett; und fing an, Miriams Bezeichnung für ihr Einsatzland zu akzeptieren – die Schweiz Südamerikas.

Mein Aufenthalt in Ambato war für mich wie ein kleiner Winterurlaub (zumindest nachts), und es gab guten Kakao mit Käse drin. Die Brötchen Ambatos sind sehr lecker (was für Cali nicht gilt); und ich habe auf den Vulkanspitzen sogar Schnee gesehen. Zum Glück hatte ich so viele informierte Menschen zur Verfügung, die ein bisschen Informationsplattform für mich waren, während ich gegen den Schnupfen gekämpft habe.

PS: Wenn ihr mich fragt, ist Kolumbien das Frankreich Südamerikas. Ich begründe das mal nicht 😉

 

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[2] International Economic Journal: Schneider, Buehn und Montenegro (2010) ‚New Estimates for the
Shadow Economies all over the World‘; der Durschnitt von 162 Ländern dabei war 31,0% (gewichtet 17,2%); Visualisierung

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