Tumaco. Wir hatten zunächst keine Ahnung, auf was wir uns da einlassen, als wir zusagten die Tochter Maria José unserer Mentorin dahin zu begleiten.

Tumaco ist eine auf zwei Inseln und ein bisschen Festland verteilte Stadt mit ca. 10 000 Einwohnern. Das Departamiento (so etwas, wie ein Bundesland) von Tumaco Nariño grenzt direkt an Ecuador.

Maria José fliegt jeden Monat nach Tumaco, zusammen mit einer Gruppe von Ärzten.

Da fragt man sich natürlich, wieso eine Ärztebrigade in eine 10 000 Einwohnerstadt fliegen soll, um dort in einem Krankenhaus am Wochenende auszuhelfen.

Wir haben uns leider auch erst am Abend vor unserem Abflug angefangen über Tumaco zu informieren. Was wir herausgefunden haben, war jedoch nicht gerade einladend.

 

Die Insel Tumaco ist eine der am dichtesten besiedelten Inseln der Welt.

Die Region  Nariño produziere 21% der kolumbianischen Drogen. Dies mache die Region nicht gerade sicher und es komme regelmäßig zu Unruhen auch durch Paramilitär und Guerilla.

Gelesen haben wir außerdem, dass auf die 10 000 Einwohner ungefähr genauso viele Mototaxis kommen. Darüber hinaus gäbe es ein ausgeprägtes Bandensystem, sodass das Passieren mancher Wege nur mit Wegzoll möglich wäre.

 

Mit diesen Informationen im Hinterkopf stiegen wir am Freitagmorgen in eine kleine Propellermaschine, die uns nach Tumaco bringen sollte.

Mitgenommen haben wir 3 Kisten voller Medikamente, 4 Ärzte und jede Menge Sonnenmilch und Mückenspray.

 

Während des Fluges konnten uns die Ärzte auch einige Fragen beantworten. Sie fliegen jeden Monat nach Tumaco, da das Geld für gut ausgebildete Ärzte fehlt und die Medikamente auch. Es gibt ein ziemlich großes und gut ausgestattetes Krankenhaus, jedoch fehlt das Geld es zu betreiben.

Einer der Ärzte, der Doktor Biojó, kommt ursprünglich aus Tumaco und hat diese Ärztebrigade angestoßen. Anfangs flogen bis zu 10 Spezialisten nach Tumaco, um einen überfüllten Wartesaal zu leeren.

 

Die Pazifikküste ist kulturell etwas ganz anderes, als Cali. Jemand hat mir mal gesagt, dass Kolumbien ein riesige bunte Mischung von verschiedenen Kulturen ist, die es (meist) ohne Diskriminierung und Rassismus schaffen nebeneinander und miteinander zu leben und das kann ich nur bestätigen. Hier könnte sich Deutschland auch mal eine Scheibe abschneiden.

Am Pazifik haben sich über die Jahre die Kinder und Kindeskinder der ehemaligen Sklaven aus Afrika angesiedelt. Deshalb auch der etwas merkwürdige Name: Biojó. Die Familie stammt von einem afrikanischen Prinzen ab, der als Sklave nach Kolumbien kam. Hier hat er als erster Sklave in Kolumbien geschafft eine Gruppe von mehreren Sklaven zu befreien und hat mit ihnen eine Stadt nach afrikanischem Vorbild in der Nähe von Cartagena gegründet.

 

Beim Warten auf unser Gepäck am Flughafen wurde das Thema der Unterkunft dann kurz angesprochen und jeder hatte eine andere Meinung dazu. Beschlossen wurde dann, dass wir bei den Schwestern des Dr. Biojós in Tumaco unterkommen.

 

Die Schwestern des Doktors, wohnen auf eine der Inseln Tumacos, auf der weniger bevölkerten und dadurch auch erheblich schöneren. Der Weg vom Flughafen zu ihrem Haus hat mich zunächst sehr geschockt. Schon auf dem Rollfeld wird man von schwer bewaffnetem Militär empfangen. Direkt an den Flughafen grenzt ein riesiges Militärgelände mit schauriger Propaganda für einen Militärdienst.

Neben den Ausschauposten des Militärgeländes sind alle 100m am Straßenrand Sandsäcke aufgestapelt, hinter denen ein bis zwei Soldaten sitzen. Außerdem stehen auf der Straße große Tonnen. Ob sie zur Verkehrsberuhigung oder als Barrikaden dienen sollen, weiß ich nicht.

 

Als Ausländer ist man in Tumaco noch exotischer, als in Cali. Dies habe ich bemerkt, als wir aus dem Auto ausstiegen ein Schulbus vorbeifuhr, in dem sich die Schulkinder die Gesichter an der Fensterscheibe plattgedrückt haben, um die Weißen zu sehen.

 

Die Schwestern des Doktor Biojós stellten sich als Mitte 60jährige unheimlich gastfreundliche Damen heraus. Sie haben uns sofort mit Frühstück versorgt und haben ohne größere Aufstände akzeptiert, dass Nicolas Vegetarier ist. Das ist hier in Kolumbien normalerweise nicht so einfach.

Das Essen in Tumaco ist jedoch recht eintönig. Eigentlich gibt es morgens, mittags und abends nur Fisch, Patacones (frittierte und plattgestampfte Kochbananen, die unheimlich lecker sind) und vielleicht noch Reis, oder Bohnen.

Dementsprechend riecht auch die gesamte Insel … nach Fisch, schlimmer als in jeder Nordsee. Was ich jedoch nicht verstanden habe, dass es im Badezimmer am meisten nach Fisch gestunken hat, vielleicht kommt der Geruch auch über die Wasserleitungen hoch.

 

Am Freitag haben wir noch mit einer der Schwestern, Marta, eine Tour über die Insel gemacht. Am Strand waren einige Schulklassen und wir wurden natürlich direkt gefragt, ob sie mit uns ein Foto machen könnten und wo wir denn herkommen würden und was wir denn in Tumaco machen würden.

 

Danach sind wir in die Innenstadt Tumacos gefahren, also auf diese überbevölkerte Insel. Das öffentliche Verkehrssystem in Tumaco besteht aus Busetas. Man nehme einen uralten Kleinbus. Die Türen sollten nicht mehr wirklich zugehen und alles sollte so quietschen, als ob es gleich auseinander bricht. Man bemale ihn oder klebe wilde Blitze und andere Sticker darauf. Dann fehlt nur noch ein Drehkreuz vorne, dass nicht wirklich funktioniert und ein Fahrer und ein „Schaffner“.

 

Wenn man nun mit diesem Bus fahren will, stellt man sich irgendwo an die Straße und winkt den nächsten Bus heran. Man steigt ein, bezahlt 700 Pesos und wenn man aussteigen will schreit man einfach „Stopp“ und der Bus hält, wenn es gut läuft direkt vor deiner Tür.

Auf der Mitte der Strecke rennt der Schaffner aus dem Bus, um in einem kleinen Laden eine Karte abstempeln zu lassen, damit gesichert ist, dass der Bus den richtigen Weg fährt.

Diese Busse sind jedoch erstaunlich zuverlässig und sehr günstig.

 

Die Innenstadt Tumaco ist das reinste Chaos. Wie schon angekündigt fahren dort ca. 10 000 Mototaxis rum, also ein Motorrad- oder Rollerfahrer, der hupend durch die Straßen fährt und damit signalisiert, dass er Menschen transportieren kann. Dann sind dort tausende kleine Läden, deren Ware von den Verkäufern auf der Straße angepriesen wird.

Straßenhändler verkaufen, man kann es gar nicht erraten … Fisch.

 

Die gesamte Insel ist schon ziemlich dreckig und wirkte auf mich eher provisorisch zusammengestückelt. Die Häuser sind fast alle aus Holz und auf Stelzen, da sie bei Flut geschwemmt werden würden.

Es gibt einen Supermarkt einer größeren Kette und die restlichen Läden sind ein großes Sammelsorium aller möglichen Dinge.

Wir waren in der Stadt, um Gemüse für Nicolas zu kaufen, da in einem Haushalt in Tumaco Gemüse eher wenig vertreten ist.

 

Nachmittags sind wir noch mit dem Auto von Maria Theresa (die andere Schwester) zum Krankenhaus gefahren. Ich muss zugeben, dass ich in Kolumbien schon in vielen „Autos“ mitgefahren bin, aber dieses war wirklich die Krönung.

Von innen sah es so kaputt aus. Die Türgriffe waren teilweise ab und die Verkleidung sowieso. Die Elemente des Armaturenbretts existierten nicht, waren eingedrückt oder verdreht. Die Sicherungen hingen lose heraus, aber das Lenkrad und der Tacho waren zum Glück noch da.

Wenn der Motor an war hat es ziemlich im Auto gestunken, aber die Fahrt war glücklicherweise nicht so lang und Maria Theresa hat für eine Kolumbianerin einen sehr guten Fahrstil. Das Auto hat es sogar auf 80 km/h auf der Landstraße gebracht. Ich war sehr beeindruckt.

 

Das Krankenhaus selber war dann gar nicht so spektakulär. Ich verstehe nicht so viel von Krankenhäusern, aber aus meiner Sicht war es wirklich gut ausgestattet und recht modern, nur war es ziemlich leer. Schwestern habe ich gesehen, aber keine einzigen Arzt, außer denen aus Cali.

Letztere meinten zu uns, dass in dem Krankenhaus vor allem Gynäkologen fehlen und das ist schon mein nächstes Thema, für das ich aber ein bisschen ausschweifen muss.

 

Maria Theresa hat uns erzählt, dass sie ein Projekt gegründet hat etwas außerhalb von Tumaco. Seit ein paar Monaten ist es am Laufen und sie ist ganz begeistert, davon zu erzählen.

Eines der großen Probleme in Tumaco ist die Schwangerschaft von Jugendlichen. Teilweise werden die Mädchen schon mit 13 schwanger. Viele gehen danach weiter in die Schule, aber bringen sie auch nicht zu Ende. In Tumaco selber gibt es auch nicht viel Arbeit. Die meisten Leute leben vom Fischfang, Straßenkunst oder Drogenschmuggel.

Die gegründete Organisation von Maria Theresa kümmert sich um die jungen Mütter und bietet eine Nachmittagsbetreuung für die Kinder und eine handwerkliche Ausbildung für die Frauen. Das ganze wird auch vom Staat durch die Sena unterstützt. Es geht nicht nur darum, dass die jungen Mütter etwas erlernen und es verkaufen können, sondern auch, dass sie selber etwas schaffen können, im Gespräch mit anderen sind und ihr Selbstwertgefühl wieder steigern können.

Nachdem Maria Theresa erfahren hatte, was Nicolas und ich in der Schule in Cali machen, konnte sie auch nicht mehr aufhören davon zu reden: „Ich will auch Deutsche.“ Und „ Ihr müsst unbedingt wiederkommen und dann könnt ihr vielleicht auch mit den Frauen etwas machen …“

 

Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich mich auf einem Sklavenmarkt befinde … wer bietet am meisten für diese(n) tolle(n) Deutsche(n), aber in einer ironischen und sehr positiven Weise. Es ehr uns nämlich sehr, wie viel Vertrauen und Wertschätzung uns entgegengebracht wird.

 

Am Samstag sind mit einem Boot nach Boca Grande gefahren. Eine Insel in Richtung Ecuador, auf der eigentlich nichts ist. Ein paar Hängematten, ein kleines Restaurant und ein paar Hütten zum Übernachten. Es war sehr komisch auf das Meer zu blicken und sich vorzustellen, dass wenn man immer weiter schauen/ gehen/ schwimmen oder wie auch immer könnte, man in Japan, oder wo auch immer in Asien ankommen würde.

Aber das interessante an dem Tag war nicht die Insel und die kleinen Hundewelpen, die ich jagen musste, da sie meine Schuhe geklaut haben, sondern der Weg zur Insel.

Wir sind mit einem Boot vom Hafen in Tumaco gestartet. Der Hafen ist mit deutschen Häfen nicht so wirklich zu vergleichen. Es ist einfach eine Plattform auf Stelzen am Ende einer Straße, mit einer Leiter ins Wasser. Dort unten liegen dann ca. 10 Boote und man steigt von einem ins andere Boot, bis man in dem richtigen angekommen ist.

Da wir unser Boot nicht gefunden haben, sind wir zum zweiten „Steg“ gegangen. Dorthin gelangte man, indem man im Supermarkt den Notausgang nimmt.

Offiziell sollte unser Bott um 8 Uhr ablegen. Das hat es natürlich nicht, aber mit geringer (kolumbianischer) Verspätung sind wir dann losgefahren. In einem Tempo, da war ich nur froh, dass wir Schwimmwesten bekommen haben. Auf der Hälfte der Strecke haben wir umgedreht, weil wir Leute vergessen hatten. Ja, das ist uns auch auf dem Rückweg passiert und hier anscheinend ganz normal. Aber die Landschaft war einfach beeindruckend. Das Wasser, der blaue Himmel und die grünen Inseln überall. Ich habe sogar Vögel gesehen, die wie in der Licherwerbung ins Wasser fliegen, um Essen zu jagen. Bäume, die aus dem Wasser wachsen und wieder hinein. Leider konnten wir nicht später wieder zurück fahren, dann hätten wir bei Sonnenuntergang Vögel beobachten können, doch wäre der Wasserstand dann zu niedrig gewesen.

 

Am Sonntag haben wir einen Strandtag mit den Ärzten gemacht, die sich das auch wirklich verdient hatten. Am Samstag haben sie bis 23 Uhr operiert, jedoch waren alle ausgelassen und glücklich. Maria José meinte zu uns, dass sie unheimlich gerne nach Tumaco kommt, da sie hier das machen kann, wozu sie Ärztin geworden ist.

Am Strand haben wir dann Kokosmilch aus einer Kokosnuss getrunken, uns einen Sonnenbrand geholt und natürlich musste der Fisch noch abgeholt werden, der mit nach Cali genommen wird.

 

Insgesamt hatten wir eine tolle Zeit und vielleicht schaffen wir es noch einmal zurück zu kommen, um das Projekt von Maria Theresa zu besuchen und unseren eigenen Fisch mitzunehmen :).