Ich sitze gerade im kühlen Abendwind auf unserem Balkon und blicke über Cali auf die hohen Berge in den rotbeleuchteten Himmel. Das klingt nun ersteinmal nach einer Kitschpostkarte..
Wir nehmen aber immer noch mehr wahr als das war wir sehen. Ich höre nämlich auch jede Menge Hundgebell und laute Motorengeräusche und die Luft, die ich einatme ist so staubig, dass man eine viertel Stunde nachdem der Esstisch abgewischt wurde schon wieder deutlich sichtbare Staubpartikel auf ihm erkennt.
Die Stadt Cali an sich würde ich wirklich nicht gerade als schön bezeichnen mit ihrem vielen Grau und dem vielen Schmutz. Blickt man in die armen Viertel wie Aguablanca, so scheint sie noch trostloser. Doch was einer Stadt wirklich Farbe gibt, sind nicht ihre Straßen und Häuser, sondern die Menschen, die darin wohnen. In den letzten Wochen haben wir viele graue, schwer zuertragende Dinge erlebt, die mir – um ehrlich zu sein – wirklich Angst vor dieser Stadt gemacht haben. Das erste Mal in meinem Leben habe ich gesehen, wie schnell Polizisten eine Waffe auf jemanden richten. Die Proteste gegen die Ersetung der Busetas durch ein modernes Bussystem arteten hier ganz anders aus, als ich es von Deutschland gewohnt bin, sodass die Schule ausfiel und wir die großen Hauptstraßen nicht betreten durften. Doch das einschneidenste Erlebnis der letzten Wochen war der Mord an einem unserer Mathelehrer auf offener Straße, der die ganze Schule erschütterte.
Mit dem Wissen, dass so etwas hier tagtäglich für ein Paar Pesos oder ein Handy passiert, bin ich vor zwei Monaten zwar hierher geflogen, aber bewusst war es mir bis zu diesem scheußlichen Tag nicht. Es ist als wäre meine riesige bunte Seifenblase zerplatzt. Wie kann man einem so liebenswerten Menschen das Leben nehmen und dadurch auch noch so vielen Menschen so viel Leid und Trauer antun?! Ich habe wirklich überlegt, ob ich in einer solchen Umgebung noch bleiben will..
Doch wie ich am Anfang erwähnte, erhält eine Stadt ihre Farben durch ihre Menschen. Es gibt in Cali zwar viele graue Menschen, aber glücklicherweise überwiegen hier deutlich die bunten Menschen!
Am meisten habe ich glaube ich von unseren Schülern gelernt, dass man zwar trauern darf, doch dass das Leben weitergehen muss. Dass man, statt Angst vor den grauen Menschen zu haben, sich über jeden bunten Menschen freuen und ihn wertschätzen soll. Man weiß nie, wann es vorbei ist.
Jeden Tag darf ich hier von neuem auf wundersame Art erfahren, was Wertschätzung und Zusammenhalt heißt. Jedes kleine Lächeln, jeder freundliche Blick, jede Umarmung erhält eine ganz neue Bedeutung.
So lebe ich nun nicht mehr in meiner Seifenblase, sondern nehme all die bunten Farben und bemale mein Gesicht mit der Farbe der Hoffnung – so wie unsere Schüler es immer singen: „Pintarse la cara, color esperanza.“
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