Britta
Die neue, staatliche Schule im Viertel Aguablanca macht auf den ersten Blick einen eindrucksvollen Eindruck. Palmen zieren das riesige Gebäude, in dem mehrere tausend Schüler Platz nehmen. Direkt vor der Schule wird einen neue Mio-Station gegründet und die gelben Mauern machen einen freundlichen Eindruck.
Doch was nach viel aussieht, ist wenig. Sechs unserer Schüler haben im Sommer unsere Schule verlassen, um im „Nuevo Latir“ unterrichtet zu werden. Fünf sind wiedergekommen und haben darum gebeten, wieder bei uns aufgenommen zu werden.
Was sie erzählen, sind wahre Horrorgeschichten. Die Wände sind voller Graffiti, die Schüler bringen Waffen mit in die Schule und es gibt regelmäßig Banden, die sich um die Wette prügeln. In der Schule musste Polizei platziert werden, da sich einige Lehrer schon nicht mehr in die Schule trauen.
Als ich letztens mit der Buseta aus Aguablanca nach Hause gefahren bin, erzählt mir meine Sitznachberin, dass vor zwei Jahren eine ihrer Kolleginnen von einer vierzehnjährigen Schülerin mit einem Messer angegriffen wurde, und dass sie seit dem ihre Schüler mit großer Strenge und immer mit viel Abstand unterrichtet.
Ich bin geschockt, denn bei uns stellt sich ein ganz anderes Bild der Kinder aus Aguablanca dar. Die Atmosphäre ist einfach nur wundervoll, liebevoll und herzlich. Die Schüler behandeln sich auch untereinander mit großem Respekt und für die Älteren ist es selbstverständlich, dass sie sich um die Kleinen kümmern und ihnen in der Mittagspause zum Beispiel das Essen ausgeben. Da musste ich daran zurückdenken, wie sich bei uns an der Schule die älteren Stufen immer für etwas Besseres gehalten haben und die Kleineren eigentlich nie beachtet haben.
Wenn der Unterricht um ein Uhr zu Ende ist, werden in „La Providencia“ die Instrumente rausgeholt und die ganze Schule ist erfüllt von Musik. Querflöten, Violinen, Cellos – Was das Herz begehrt! Und einige der Schüler spielen sogar schon richtig, richtig gut. Das merke ich auch im Klavierunterricht, in dem sich der ein oder andere als richtiges Musiktalent entpuppt.
Mittlerweile habe ich eine echt enge Bindung mit den meisten meiner Klavierschüler aufbauen können, ich bin wirklich froh, dass ich immer nur zwei Schüler auf einmal unterrichte, und nicht eine ganze Gruppe, weil das einfach viel Persönlicher ist und man viel mehr vom Leben der Schüler mitbekommt. (Zum Beispiel, dass mein gähnender Erstklässler am Abend erst um zwölf ins Bett gehen konnte, weil er seiner Mama bei der Arbeit helfen konnte, oder dass mein ziemlich aktiver Zweitklässler sich letztens im hintersten Eck des Hauses verkriechen musste, weil auf der Straße direkt vorm Haus Schüsse zu hören waren.)
Ich habe erst hier wirklich zu schätzen gelernt, dass meine Eltern mich früher regelrecht zum Klavierspielen gezwungen haben. Musik ist einfach etwas so Tolles, das einem so viel geben kann und verbindet. Ich glaube, der musikalische Schwerpunkt in „La Providencia“ macht die Schule erst zu dem, was sie ist.
Als die Schüler letzte Woche für ein Konzert zur Feier des 40jährigen Bestehens ihrer Institution „Fe y Alegria“, zu dem die Schule gehört, probten, saßen geschlagene 60 Schüler auf dem Pausenboden, mit strahlenden Gesichtern und einem Lächeln auf dem Lippen und sangen aus Leib und Seele. Ich würde dieses Bild jetzt gerne vermitteln, aber ich glaube, dass ist gar nicht möglich. Dahinter spielte das Streichorchester und mitten drin sprang der Musiklehrer Oscar mit sich selbst um die Wette. Als ich mich mitten im Chor niedergelassen habe und irgendwie versucht habe die traditionell, kolumbianischen Lieder mitzusingen, haben sich dann 60 Kinderköpfe zu mir umgedreht und noch mehr gestrahlt. Das war wirklich einfach nur total eindrucksvoll.
Das Konzert freitags war dann der absolute Knaller, einfach nur wunderschön, wie die Kinder in ihren einheitlich orangenen Tshirts auf der Bühne standen und gesungen haben. Im Moment versuche ich ein paar Lieder auf dem Klavier einzustudieren, die der Chor bald lernen wird. Wäre wirklich toll, wenn ich nächstes Mal aktiv daran teilhaben könnte!!!
So nun muss ich aber auch mal weiterpacken, denn wir verabschieden uns morgen für zehn Tage an die Karibikküste. Ich hoffe wir kommen dann mit atemberaubenden Reiseberichten zurück.
Hasta pronto, Britta!
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