Britta

Meine Reise ins andere Extrem Kolumbiens beginnt schon mit dem Bus, der Miriam und mich in  der Nähe unserer Wohnung abholt . Gemütliche Stoffsitze, in denen man sich bequem nach hinten fallen lassen kann. Kein Vergleich zu den schrottigen Busetas, die die Straßen Aguablancas passieren.
Als wir nach einer guten Stunde Fahrt aussteigen, denke ich zuerst, dass ich mich verirrt habe. Willkommen im Colegio Bolivar – Schule der Superreichen. Die Schule sieht auf den ersten Blick aus wie ein fünf Sterne Hotelresort. Große Grünflächen schmücken die langen, roten Gebäude, die die Schulgebäude darstellen. Es gibt zwei riesige Sportplätze, einen Swimmingpool, eine riesige überdachte Mensa, Palmen und verschiedene Blüten, die die Wege schmücken, die sich durch die riesige Anlage schlängeln.
Das Colegio Bolivar ist eine bilinguale Schule, von Amerikanern geführt, die Hälfte der Lehrer kommen aus den Staaten und beherrschen kaum die spanische Sprache. Alles ist typisch amerikanisch organisiert.
In meiner ersten Stunde habe ich Kunstunterricht, der Klassenraum wirkt mit den zwölft Schülern ziemlich leer, ich setze mich zu einem Mädchen, das blonde Haare und blaue Augen hat, eine Seltenheit hier in Kolumbien. Ihre Eltern sind Amerikaner, erzählt sie mir und auch die beiden anderen Schüler an meinem Tisch haben deutsche und amerikanische Vorfahren, wie viele hier an der Schule.
Über die Schüler vom Bolivar habe ich vor unserem Besuch eigentlich nur Schlechtes gehört. Sie wären arrogant, sie wären oberflächlich und ignorant, eingebettet in ihren Reichtum. Doch ich habe ein völlig anderes Bolivar erlebt, eine Schule voller Kolumbianer (oder Halbkolumbianer), die ihren Mitbewohnern aus den unteren Klassen in Sachen Höflichkeit, Freundlichkeit, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft in keinster Weise nachkommen! In der Pause sind wir umringt von Kolumbianern unseres Alters, die uns ausquetschen,  zum Feiern einladen, oder auch zu sich nach Hause, uns ihre Handynummern übergeben.
Im Colegio Bolivar hat sich meine Liebe zu Südamerika einfach wieder bestätigt!!! Man kann die Mentalität und Lebensfreude der Kolumbianer nicht in Worte fassen. Ein Beispiel: Wir befinden uns in einer Eisdiele eine gute dreiviertel Stunde entfernt von unserer Wohnung, zusammen mit einem neu erworbenen Freund aus dem Colegio Bolivar. Dieser begleitet uns zunächst eine halbe Stunde in der MIO (das neue Bussystem hier), obwohl er eigentlich in der völlig entgegengesetzten Richtung wohnt. Als er uns dann unserem Schicksal in einem Bahnhof verlässt, in dem wir umsteigen müssen, sehen wir uns plötzlich von fünf Kolumbianern umzingelt, die uns alle freudig schreiend den Weg nach Hause erklären müssen. Völlig euphorisch begleitet uns einer der Reisenden schließlich bis zu unserer Haltestelle, an der  er uns schließlich freudig zuruft: „Hier müsst ihr raus! Willkommen in Kolumbien! Lasst es euch gut gehen! Passt auf euch auf!“ Auf dem Rückweg kommen wir bei einer Panaderia vorbei – die beiden alten Damen im Inneren erkunden sich nach unserer Herkunft, bewundern überschwänglich unsere schönen Augen und geben uns dann zum Schluss noch einen Warnruf mit auf den Weg. So sind sie die Kolumbianer: Herzlich, überschwänglich, extrem. Einfach toll!
Zurück zum Bolivar – Gleich am Wochenende sind wir bei einem der Schüler auf der Finca seines Vaters eingeladen. Um zwei Uhr nachmittags geht es los, hinauf in die angenehm, kühlen Berge, bis wir schließlich vor dem hochmodernen, neuen Gebäude stehen. Das erste, was ich erblicke, als ich die Finca betrete, ist der Whirlpool, der in der Ecke vor sich hinsprudelt. Ich bin begeistert und geschockt zugleich. Natürlich genieße ich den Luxus, der mich dieses Wochenende hier oben in den Bergen umgibt, das leckere Essen, das teure Sofa und die extravaganten Bilder an der Wand, doch das Angestelltenhaus unten im Garten trübt das Bild. Es ist winzig und bietet einer vierköpfigen Familie den Unterschlupf. Als wir anfangen Tischtennis zu spielen, guckt uns der vielleicht dreizehnjährige, indigene Sohn mit großen Augen zu. Nach einer halben Stunde darf er sogar auch mal zum Schläger greifen. Doch danach wird er zum Bälle suchen losgeschickt.
Ich bin geschockt, aber ich sage nichts. Unser kolumbianische Freund Carlos ist super nett und unterrichtet sogar im Centro in einer Schule für arme Kinder. Und doch lebt er in seiner luxuriösen Welt der Superreichen. Er kennt es einfach nicht anders.
Der Vergleich zwischen unserer Schule und dem Colegio Bolivar hat mir deutlicher denn je die harten Kontraste Kolumbiens vor Augen geführt. Während im Bolivar jeder Raum über einen eigenen Beamer verfügt, Unterricht mithilfe von Webcams und auf höchstem Niveau betrieben wird, erzählt mir unsere Direktorin Reyna, dass sie letzte Woche nicht einkaufen gehen konnte, da kein Geld mehr da ist. Die Schule in Aguablanca finanziert sich zum Teil über Spenden, zum anderen Teil über eine staatliche Hilfe, die die Eltern dort zur Verfügung haben, und die direkt vom Staat an die Schulen weitergeleitet wird. Doch bisher hat unsere Schule in Aguablanca im ganzen Jahr noch keinen Cent dieses Geldes zu Gesicht bekommen.

Ich muss an dieser Stelle auch leider schon wieder ein paar Worte über den Verkehr verlieren – ich komme damit einfach nicht zurecht!!! Ich bin jetzt zwei Monate hier und habe schon fünf Unfälle live gesehen!!! Außerdem haben wir im Auto von Reyna schon dreimal fast selber einen gebaut. Ganz schlimm sind übrigens die Fahrradfahrer – in Cali ist alles voll mit ihnen und man könnte meinen sie wären noch die Harmlosesten auf der Straße – doch ich musste schnell lernen, dass dem nicht der Fall ist: Beim Passieren einer Kreuzung wurde ich schon zweimal fast von einem dieser Wilden über den Haufen gefahren, denn es interessiert sie einfach nicht, ob die Ampel grün oder rot ist.

Auch super toll war das Petronio Alvaréz – ein Musikfestival der Extraklasse!! Oder eben auch eine fünftägige Dauerparty. Musiker von der Pazifikküste stellen im renovierten Stadion bei uns um die Ecke die typischen Klänge vor. Es war wirklich toll, daran teilzunehmen und auf die afrikanisch angehauchten Bässe die Hüften zu schwingen. Die Stimmung im Stadion war einfach am kochen!

Die Kolumbianer haben die Musik einfach im Blut und ich liebe es 🙂

Muchos saludos y hasta pronto!