Jana
Ein jeder Dienstag ist für mich und meine fünf Celloschüler etwas ganz Besondereres. Wir finden neben dem sonst allzu hektischen Schulalltag am einmal in der Woche stattfindenden „Tag der Ästhetik“ die Zeit, um zu proben, uns zu beraten und Neues auszuprobieren. Kaum sind die Instrumente ausgepackt, schlendern auch schon die Violinisten gut gelaunt in den kleinen, stickigen Probenraum herein und wedeln mit neuen Partituren, die sie gerne spielen würden. Und so kommt es, dass das Reportoire unseres kleinen Ensembles mittlerweile von Beethoven über Filmmusik reicht und auch vor schwierig erscheindenden kolumbianischen Rhythmen und argentinischen Tangos nicht Halt macht. Einen dieser Schüler möchte ich nun besonders hervorheben. Alejandro ist 15 Jahre alt und erhält seit letztem September Cellounterricht im städtischen Konservatorium.
Alejandro, wann hast du mit dem Cellospielen begonnen?
Als ich zwölf war, hat mir mein Musiklehrer Oscar das Angebot gemacht, ein Instrument hier in der Schule zu erlernen. Eigentlich wollte ich erst Violine lernen, doch dann hörte ich den tiefgehenden Klang des Cellos und bin dabei geblieben. Zusammen mit drei anderen Schulfreunden habe ich erste kleine Stücke gespielt. Das hat ziemlich viel Spaß gemacht und uns alle sehr zufrieden gestellt.
Was gefällt dir so sehr an genau diesem Instrument?
Ich mag, dass es so kompliziert ist. Immer muss man aufmerksam sein, ein gutes Gehör haben und oft die Positionen wechseln. Das macht mich stolz, denn nicht jeder kann Cello spielen.
Was empfindest du beim Spielen?
Für mich ist es die Flucht in eine andere Welt, abseits des Bekannten und der Routine. Ich spüre, wie ich mich entspanne, ich fühle mich frei, denn ich kann ausdrücken, was ich ich fühle und was ich will. Dadurch will man immer weiter spielen und kann gar nicht mehr aufhören.
Erzähl doch mal, wie dein Tag aussieht, wenn du ins Konservatorium gehst.
Um 5 Uhr stehe ich auf und frühstücke. Um 6.30 Uhr bin ich bereits in der Schule und habe Unterricht bis um 13.00 Uhr. Dann esse ich in der Schule zu Mittag und habe zu Hause dann eine Stunde Zeit für meine Hausaufgaben. Um 15.00 Uhr fahre ich mit dem Bus los, denn die Fahrt bis zum Konservatorium dauert eine Stunde. Dann habe ich Unterricht oder Orchsterproben und komme gegen 19.00, manchmal aber auch erst um 21.00 Uhr nach Hause. Und das vier Mal in der Woche. An den restlichen freien Tagen übe ich aber auch zwei bis vier Stunden täglich.
Wünscht du dir ab und an nicht etwas mehr Zeit, um anderen Aktivitäten nachzugehen?
Kurz bevor ich dem Konservatorium beigetreten bin, erhielt ich ein Angebot, bei einer sehr guten Fußballmanschaft in Manizales zu spielen. Ich habe immer schon gerne Fußball gespielt, doch dann kam der Moment, in dem ich mich entscheiden musste. Meine Freunde verstanden erst nicht, wie ich eine so große Chance vergeben kann, doch mittlerweile akzeptieren sie es. Ich wollte lieber etwas Außergewöhnliches machen, etwas, das nicht alle Jugendlichen machen. Also habe ich mit dem Fußballspielen aufgehört. Manchmal fehlt er mir auch, aber das ist nicht so schlimm. Und als ich dann die Aufnahmeprüfung bestanden habe, wäre ich mich vor Freude am liebsten von einem Hochhaus gesprungen.
Was hat sich seitdem verändert?
Geändert hat sich eigentlich alles: Mein Lebensstil, meine Art, ich zu sein. Vorher war ich faul, ich habe keine Hausaufgaben gemacht und hatte schlechte Noten in der Schule. Ich hatte nichts zu tun. Dann habe ich mit dem Cello begonnen und wollte gut werden. Doch um gut zu sein, muss man viel üben und hart für das arbeiten, was man möchte. Und ich will nun mal Cello spielen. Die Musik hat mir zu verstehen gegeben, wie wichtig es ist, diszipliniert zu sein und wirklich eine Sache durchziehen zu können, auch wenn es schwierig ist.
Welchen Einfluss hat die Musik auf deine Familie?
Meine Familie ist durch die Musik näher zusammen gerückt. In unserem Haus gab es vorher nie eine Cd mit klassischer Musik, das war meinen Eltern völlig fremd. Jetzt schauen wir manchmal im Fernsehen Konzerte zusammen an und auch mein kleiner Bruder spielt seit drei Monaten Violine. Um die Busfahrten zum Konservatorium bezahlen zu können, bereitet meine Mutter Empanadas (gefüllte und frittierte Teigtasche) zu und verkauft sie. Bis Dezember konnte ich nicht im Orchester mitspielen, weil ich kein eigenes Instrument hatte. Vielleicht hätte ich mir auch eines leihen können, aber die Gefahr, dass es mir gestohlen wird und ich ein neues hätten kaufen müssen, war zu groß. Eines Abends kam ich nach Hause und sagte: „Mama, ich brauche ein Cello.“ Also haben wir so viel Geld aufgebracht wie wir konnten, das waren etwa 50.000 Pesos (ca. 20 Euro). Als mein Musiklehrer Oscar davon erfuhr, hat er einen Deal vorgeschlagen: Wenn ich zu jeder Probe erscheine und das Weihnachtskonzert mitgestalte, würde er mir helfen, mein eigenes Cello zu bekommen. Und so war es dann auch. Ich werde auf unglaubliche Weise unterstützt, denn alle wissen, dass es für mich nicht nur Zeitvertreib, sondern eine ernstzunehmende Karriere ist, die mich aber gleichzeitig in meiner Persönlichkeit prägt und mich auf das Leben vorbereitet.
Hast du ein Vorbild?
Einen Cellisten, den ich sehr bewundere, ist Yo Yo Ma. Er spielt immer mit einem Lächeln im Gesicht. Man sieht ihm die Freude und den Spaß an, die er hat. Andere sind natürlich auch gut, aber sie vermitteln oft den Eindruck, als würden sie nur spielen, um das Publikum zu beeindrucken. Man muss mit Herz und Freude spielen, nur dann ist es wirklich gut. Auch Jacqueline du Pré finde ich toll. Einmal habe ich ein Video von ihr gesehen, in dem sie eine Geige spielte wie ein Cello. Das ist witzig und originell. Sie schaffte es, ein Stück aus einer bestimmten Epoche so zu interpretieren, dass man sich selbst in diese Zeit zurückversetzt fühlt, als würde man den Moment selbst miterleben. Ihr Temperament war mitreißend und ihre Gabe, Stimmungen zu vermitteln, außergewöhnlich.
Die Werke welches Komponisten magst du besonders?
Johann Sebastian Bachs Minuette und Suiten sind genauso schön wie herausfordernd. Am liebsten musiziere ich aber eigentlich im Orchester, da spiele ich mit Freunden zusammen. Wir haben immer so viel Spaß, wenn wir uns verspielen und lustige Fehler machen.
Was wünschst du dir für deine musikalische Zukunft?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, Musik zu studieren. Der Unterricht im Konservatorium bereitet mich optimal darauf vor. Und selbst, wenn das nicht möglich sein sollte, will ich auf jeden Fall weiterspielen. Mein Traum ist es, ein erfolgreicher Cellist zu werden und andere Länder, vielleicht Europa, zu bereisen.
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