Bei uns hat sich der Alltag eingependelt. Wir gehen immer noch regelmäßig ins Fitnessstudio, Basketball spielen und genießen die Zeit in Cali. All die Dinge, die wir so oft wiederholen, wenn uns jemand aus Deutschland oder von unseren Freunden auf anderen Kontinenten fragt, wie es uns geht oder was es so Neues gibt. Themen über die so oft geredet wird, wobei über so viele andere, wichtigere Dinge kein Wort „verschwendet“ wird, die „soziale Säuberung“ oder womit man es auch vergleichen könnte- „The Purge“.

Bei der „limpieza social“ bzw. der „sozialen Säuberung“, die seit den 80er Jahren in Lateinamerika auftritt, handelt es sich um die gezielte Beseitigung bestimmter Randgruppen der Gesellschaft. Homosexuelle, Straßenverkäufer, drogenabhängige Jugendliche, Prostituierte, Transvestiten, Obdachlose, Menschenrechtler, Straßenkinder. Vor allem in Honduras, Argentinien, Brasilien und Kolumbien leben diese als „unnütz“ und gefährlich geltenden Menschen mit einer täglichen Bedrohung und der Angst um ihr Leben und das nur, weil sich andere Teile der Bevölkerung das Recht nehmen, sie und ihr Verhalten als „unmoralisch“ und „gefährlich“ abzustempeln.

Die Todesschwadronen, die für die Beseitigung dieser Randgruppen sorgen, werden durch lokale Banden und „soziale Säuberungs“-Gruppen, Paramilitärs, aber auch Polizisten oder staatliche Sicherheitsbeamte gebildet. Normalerweise werden lange Namenslisten an den Schultoren aufgehängt oder mündlich übertragen, aber auch anonyme Schreiben unter der Tür durchgeschoben. Wenn dein Name auf einer dieser Listen steht, hast du einen Monat Zeit das Gebiet zu verlassen, ansonsten wirst du „beseitigt“. Die Todesschwadronen durchkämmen die verwahrlosten Gegenden und Elendsviertel meist nach Anbruch der Nacht nach den „Los desechables“ (wörtlich: „wegwerfbar“), die sich dort ein Zuhause gesucht haben. Meistens erscheinen dabei Autos ohne Nummernschild mit maskierten Insassen, die im Vorbeifahren auf Obdachlose und Straßenkinder schießen. „In der Regel werden Botschaften in der Nähe der Leichen hinterlassen oder auf ihnen eintätowiert[…]“Wir säubern die Stadt!““ oder auch: „Ermordet wegen Diebstahls“.

In Kolumbien nutzen vor allem linke Guerilla-Gruppen und Paramilitärs die soziale Säuberung als Mittel, um die Bevölkerung einzuschüchtern und ihr Territorium abzusichern. Der Staat legitimiert dies durch seine Politik der „Nulltoleranz“ gegenüber Kriminalität, die durch die immer häufiger stattfindenden Terroranschläge an Zuspruch gewinnt. Arme, Straßenkinder und drogenabhängige Jugendliche werden zur Bedrohung und Gefahr der öffentlichen Sicherheit deklariert und so kommt es auch dazu, dass du deinen Namen auf einer dieser Listen findest, wenn du nur mit Bandenmitgliedern oder ähnlichen zu tun hast.

Der Staat, der oberflächlich meint, dass er das Land sicherer machen will, macht sich durch das lange Verschweigen und das Durchgehen dieser Praxis mitschuldig an tausenden Morden. Er verzichtet weitestgehend auf Strafverfolgung und Untersuchung der vorkommenden Fälle, weshalb viele Täter ungestraft davonkommen                                                                                                                         „Wenn wir hören, dass ‚Kriege‘ ausgerufen werden – ob gegen Terroristen, Drogenhändler, Kriminelle – sollten wir extrem vorsichtig sein. Solche Kriege werden oft dazu missbraucht, der Polizei, den Sicherheitskräften und ihren vielen ‚Verbündeten‘ einen Freibrief für die Verfolgung oder Eliminierung jeder Gruppe auszustellen, die sie als problematisch oder schädlich betrachten. Damit kann die Bahn für Formen der sozialen Säuberung frei gemacht werden.“, so UN- Sonderberichterstatter Philip Alston.

Wie wir auf dieses Thema kamen?                                                                                                                                 Wir haben uns letztes Wochenende mit deutschen Freunden von uns getroffen, die wie wir ein FSJ in verschiedenen Schulen in Cali machen und dabei Englisch, aber auch Deutsch unterrichten. Es ist immer ganz schön sich regelmäßig mit jemandem über unsere Organisationen, doch so unterschiedlichen WGs und über die verschiedenen Schulen austauschen zu können. Eine von den Mädels, die wie wir beide in Aguablanca, aber in einer der großen öffentlichen Schulen arbeitet, hat uns erzählt, dass den Tag ein Mädchen weinend in ihrem Unterricht saß und letztendlich zum Schulpsychologen rausgerufen wurde. Später erfuhr sie, dass die Mutter der Tochter erst den letzten Tag umgebracht wurde, sie und ihre Schwester aber trotzdem in die Schule gehen, aus Angst ihnen könnte auch etwas angetan werden. Aus diesem Grund dürfen die Eltern der Schüler auch das Gelände dieser Schule nicht betreten.

Eben diese Kinder, dessen Mütter und Väter vielleicht die „falsche“ politische oder sexuelle Einstellung haben, ihre Lebensart oder ihr Weg Geld zu verdienen als „gefährlich“ oder „sozialschädlich“ angesehen werden, obwohl sie vielleicht einfach keine andere Möglichkeit dazu sehen, leiden oftmals ihr Leben lang unter der „sozialen Beseitigung“. An manchen Schulen wird es zur „Normalität“, dass Kinder aus der Vorschule schon mit Messern in die Schule kommen, traumatisiert sind oder ein Elternteil erschossen wurde.

Was sich jetzt für euch, die Leser des Blogs, zwar schlimm, aber wahrscheinlich doch so weit weg anhört, wird für uns immer persönlicher. Es sind die Kinder und Jugendlichen, die wir immer mehr ins Herz schließen und uns immer wichtiger werden und der Gedanke daran, dass einer dieser Namen auf einer dieser Listen auftauchen könnte…aus welchem Grund auch immer.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.suedwind-magazin.at/gefahr-am-rande-der-gesellschaft

https://amerika21.de/2016/04/151869/soziale-saeuberungen-kolumbien

http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=1268

https://books.google.com.co/books?id=Q_46E670BBwC&pg=PA115&lpg=PA115&dq=soziale+s%C3%A4uberung+kolumbien&source=bl&ots=HJE94GNQBn&sig=Izv-rqXkD7vaxzKa7mI8cetvH2o&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiTiaD8gMvXAhXMKCYKHXFdB50Q6AEIMjAD#v=onepage&q=soziale%20s%C3%A4uberung%20kolumbien&f=false

https://books.google.com.co/books?id=h_fVBgAAQBAJ&pg=PA187&lpg=PA187&dq=soziale+s%C3%A4uberung+kolumbien&source=bl&ots=lFD90slAY-&sig=2QC9Is_J6XHhwB2hKqCDeY1Q1eA&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiTiaD8gMvXAhXMKCYKHXFdB50Q6AEILzAC#v=onepage&q=soziale%20s%C3%A4uberung%20kolumbien&f=false