Und sieh! und sieh! an weißer Wand: // Da kam’s hervor wie Menschenhand;

Und schrieb, und schrieb an weißer Wand // Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand

Heinrich Heine, in „Belsazar“ (http://www.heinrich-heine.net/belsad.htm)

Durch diesen Auszug habe ich hoffentlich nicht den Großteil der Leserschaft verloren. Aber es wird aber auch keine Gedichtsanalyse mit anschließenden Vergleich werden. 😉 Dennoch passt das Zitat doch ganz gut, schreibt euch doch Marthas Menschenhand den nächsten Teil des Argentinien ABCs.

Wer N sagt muss auch O sagen

O wie obligatorische Uniformen

… denn diese sind für alle Schüler verpflichtend und werden ziemlich streng kontrolliert. Auch in der brütenden Nachmittagshitze müssen unsere Jungs in Schuluniform (mit schwarzen Schuhen, weißem Hemd und Krawatte oder Schul-T-Shirt und brauner langer Hose) aus dem klimatisierten Oratorio hinaus in die staubigen Straßen Santiagos. Die Ankunft in der Schule bringt nicht immer die gewünschte Abkühlung, da sich einige Schulen keine Klimaanlagen leisten können. Von den deutschen Temperaturen bei einem Hitzefrei können die Schüler hier nur träumen und schütteln ungläubig den Kopf, wenn wir erzählen, dass in Deutschland bei über 35 Grad schon lange kein Unterricht mehr stattfindet.

Dabei sind beim Wetter in Santiago del Estero „Ojotas“ (also Flipflops, sind formbedingt nach dem Buchstaben „Y“ benannt) unverzichtbar. Besonders wenn die Sonne an manchen Tagen herunterbrennt und die Luft aufgeheizt ist, würde man es in handelsüblichen Turnschuhen nicht wirklich aushalten. Und trotzdem wird für die Schüler keine Ausnahme gemacht, Regeln sind Regeln und Uniform ist Uniform.

Bei allem, was diese verpflichtende Schulkleidung betrifft, sind die Schulen ziemlich streng. Denn neben den Ojotas sind auch keine „zerrissenen“ (modischen) Hosen, Caps (was bei uns ein Problem ist, denn die Jungs haben sie fast immer auf. Seit unserer Ankunft auch mit 1.-FC-Nürnberg-Aufdruck), kurzen Hosen (bei Jungs) und Tops/Muskelshirts erlaubt.

Happy mit den Nürnberg-Caps (auch wenn sie die Jungs in der Schule abnehmen müssen). Hier ohne obligatorische Schuluniform, die daheim im Oratorio natürlich nicht gilt

Dass diese Ordnung ausnahmslos für JEDEN gilt, haben wir auch schon gemerkt, als wir Pater Silvio einmal in eine Schulmesse begleiten wollten. In die Schule durften wir jedoch nicht rein, weil wir beide Flipflops trugen und Simon noch dazu fast alles oben Genannte anhatte. Also hieß es „draußen bleiben“ -obwohl wir nur Besucher und weder Lehrer noch Schüler waren.

Bei all diesen strengen Richtlinien, die für die Schüler hier gelten, wundert es mich dann doch, wie die Uniformen bei den Mädchen gehandhabt werden. Die tragen nämlich manchmal (wenns kalt ist natürlich nicht) statt langen Hosen, kurze Miniröcke. Und die sind wirklich kurz. Wieso die Jungs dann nicht kurze Hosen tragen können, bleibt mir schleierhaft, aber vielleicht muss hier auch einfach erst mal etwas Emanzipation aufkommen.

P wie Plataformas

Ups, schon wieder geht es ums argentinische Outfit. Aber jetzt will ich euch etwas über die Mode außerhalb von Schuluniform-Richtlinien erzählen. Meinem Geschmack entspricht die argentinische Modewelt nicht immer, auch wenn sich schon ein paar europäische Styles eingeschlichen haben, aber im Großen und Ganzen ist es dann doch eine andere Welt. So heißt der derzeitige Trend für modebewusste Argentinier (eigentlich nur für Frauen) „Plataformas“.

Ein exemplarisches Schuhschaufenster, voll mit Plataformas

Diese Schuhe, die Sandalen, Turnschuhe usw. sein können, haben eine Besonderheit gemeinsam: Plateau, eine auffallend dicke Sohle, die zur Größe einer Person mindestens ein paar Zentimeter hinzufügt. Was in den europäischen Breitengraden „mehr oder weniger beliebt“ (laut Wikipedia) ist, ist hier absolut hipp. Die Schaufenster sind voll mit diesen Schuhen, die uns vielleicht eher aus den 70er bekannt vorkommen. Da ich noch nie einen Unfall ausgelöst durch die Plataformas gesehen habe, denke ich, dass sie einigermaßen sicher sind, auch wenn sich manche Trägerinnen außerordentlich vorsichtig fortbewegen.

Q wie Quichua

Es ist ein ganz normaler Tag in der Panadería, gerade werden die Bleche aus dem Ofen geholt und dabei ist natürlich Vorsicht geboten. Denn der Großofen, in dem man gut und gerne eine mehrstöckige Torte für eine ganze Fußballmannschaft backen könnte, erwärmt sich und die Griffe an seinen Seiten schnell. „Túi“ entfährt es da einem Jugendlichen, als er das Backblech etwas zu lange in der Hand gehalten hat. Und da ist er auch schon, unser erster – bewusster – Kontakt mit Quichua, eine der vielen südamerikanischen Lokalsprachen. Wie ihr bestimmt schon geahnt habt, bedeutet „túi“ „heiß“. Das adäquate Gegenstück dazu wäre „chúi“ (kalt).

Dass wir uns hier nicht nur mit Spanisch und der argentinischen Aussprache (genauer: der santiagueñischen Aussprach) auseinandersetzen, sondern uns auch eine vollkommen neue und unbekannte Sprache begegnet, damit hätten wir nicht gerechnet. Klar, vergleichbar mit dem Amtsspansich ist Quichua im Sinne einer Alltagssprache nicht. Unsere Jugendlichen im Projekt verwenden immer mal wieder ein paar Wörter, sprechen – geschweige denn fließend – können sie nicht.

Denn Quichua wird in der heutigen Zeit selten an die jüngeren Generationen weitergegeben, selbst die Eltern der Kids können die Sprache ihrer Vorfahren teilweise oder gar nicht mehr. Dagegen wird jetzt aber angegangen: In der Universität von Santiago del Estero gibt es Quichua-Kurse, ebenso wie in einer Grundschule, wo es als Wahlfach angeboten wird. Es gibt Onlinelexika und Erläuterungen, zum Ableiten der Wörter aus dem Spanischen. Wer sich mehr dafür interessiert, hier eine Website (besonders für Spanischsprachler echt interessant.): http://www.quichuasantiagueño.com.ar/

Ans Lernen haben wir uns noch nicht gemacht, obwohl schon mehrere Argentinier gemeint haben, dass besonders Deutsche Quichua schnell lernen würden. Angeblich gibt es Gemeinsamkeiten in Sachen Wörter bzw. Buchstaben. Vielleicht würden sie aber auch einfach nur gerne sehen, wie wir uns durch den Quichua-Dschungel quälen.

Von wegen Quichua

Funfact: Das Wort „paisa“ haben Simon und ich irrtümlicherweise mehrere Wochen für einen Ausdruck aus Quichua gehalten. Stolz wie Oskar waren wir dann natürlich mit unserer ersten Vokabel aus der indigenen Sprach prahlen zu können. Dass ihr schlauer seid als wir: Es kommt vom Wort „paisano“ (spanisches Spanisch=Castellano), ist eine Abkürzung und bedeutet übersetzt „Landsmann“. Im Gebrauch mit dem deutschen „Alter“ oder „Mann“ zu vergleichen.

R wie „River oder Boca?“

Eine Frage die Simon in seinem Blog schon erwähnt hat und wir gefühlt schon mindestens hundertmal gefragt worden sind. Für die beiden größten argentinischen Fußballvereine entscheidet sich der gestandene Argentinier (genauso wie die Argentinierin) so früh wie möglich und hält diesem Verein auch durch dick und dünn die Treue. Denn Boca Juniors und River Plate bilden den Grundstock der argentinischen Fußballwelt und spalten diese jedoch gleichzeitig.

Um dieser Frage, die abhängig vom Gegenüber, manchmal einfach nur falsch beantwortet werden kann, zu entgehen, habe ich mich also auf die Suche nach meinem Club gemacht. Nach tagelanger Recherche (ja Simon und Noelia, das könnt ihr mir glauben) bin ich dann auf Velez Sarsfield gestoßen, ebenso wie die anderen zwei ein Verein aus der Hauptstadt mit interessanter Vereinsgeschichte und weitreichender Charity. Auch wenn die wenigsten verstehen, wieso ich mich als „Fußballhipster“ ausgerechnet für diesen Club entschieden habe, bin ich jetzt immer fein raus, wenn ich auf River- oder Bocafans treffe.

Und die sind überall: Sogar auf unserem Trip nach Bolivien haben wir immer wieder Anzeichen für eine argentinische Fußballvereinsanhängerschaft bemerkt, welche aber eben auch in Argentinien selbst auftauchen: Handyhüllen, Rucksäcke, Shirts, ja sogar eine gelb-blaue-Boca-Kapelle am Wegesrand im argentinischen Jujuy.

S wie Stressbefreit

Schon einige Male habe ich das geringe Stresslevel der Argentinier erwähnt. Darüber könnte ich jetzt viele Geschichten schreiben, denn selbst schon unsere Jungs in der Residencia sind sehr stressresistent, was im Anbetracht von anstehenden Prüfungen nicht unbedingt ein Vorteil ist.

Generell sind die Menschen aus Santiago del Estero in anderen Provinzen für ihre Entspanntheit bekannt. Manche führen es auf die Hitze zurück, bei der an schnelles Arbeiten nicht zu denken ist, denn bei „fast 50 Grad“ (um die Santiagueños zu zitieren) trägt die drückende Hitze schon zu einer gewissen Müdigkeit bei. Andere (vielleicht auch neidische) Zeitgenossen sprechen auch von Faul- oder Motivationslosigkeit, aber das kann ich so wirklich nicht unterschreiben. Denn faul sind die Bewohner von Santiago del Estero nicht: Wenn in Deutschland um sechs oder spätestens um sieben die Läden schließen, geht es hier in der Stadt gerade erstmal los. Die Hitze ist zwar noch immer präsent, aber jetzt geht die Sonne wenigstens langsam unter und die zweite Hälfte des Arbeitstages kann nun bis ca. 22 Uhr in die letzte Runde gehen.

Trotzdem gehen hier in Argentinien die Uhren einfach ein bisschen anders und es ist kein Weltuntergang, wenn man einen Termin einfach auf dem nächsten Tag verschiebt. „Tranqui“, der argentinische Ausdruck für „Gaaaanz ruhig, die Zeit läuft dir nicht davon“, ist hier scheinbar immer und überall. Also alles ganz entspannt. Und diese Mentalität nimmt man schon langsam an.

Treffen, morgen. 10 Uhr.

Bedeutet in argentinischer Zeitrechnung mindestens um 10:30 Uhr und selbst wenn man zu spät kommen sollte, beeilen muss man sich wirklich nicht. Denn nur keinen Stress. Ist ja ungesund.

Obwohl wir uns schon ganz gut in diesen Rhythmus eingefügt haben, sind wir oft trotzdem die Ersten, es bleibt also noch Luft nach oben. Da wir dem unvermeidbaren „Versuchs mal mit Gemütlichkeit“ nicht entkommen können, graust es uns schon etwas vor der Rückkehr in die deutsche Pünktlichkeit mit Fahrplänen, Terminkalendern und strengen Fristen.

T wie Teilen

…macht für mich einen Teil der argentinischen bzw. südamerikanischen Mentalität aus. Denn es wird so gut wie immer geteilt: Egal ob beim Mate-Trinken, beim Sport, die Colectivo-Karte im Bus. Immer. Vielleicht ist dieses Sharing ja besonders präsent hier im Oratorio, jedoch gibt es auch viele Angebote in Restaurants oder Supermärkten, die speziell zum Teilen einladen. Bringt jemand Snacks mit, werden diese immer geteilt, niemand is(s)t für sich alleine.

Und da ist eben auch der Mate, DAS argentinische Nationalgetränk. Genauers zu Zubereitung, Inhaltsstoffen und Beliebtheitsgrad in der nächsten Ausgabe. Aber zum Teilen lädt er wirklich ein. Die wenigsten trinken Mate allein in der Öffentlichkeit und wenn doch, lädt man andere zum flüssigen Glück ein. So haben Simon und ich beispielsweise in Bolivien argentinische Studenten aus Córdoba kennengelernt, die natürlich ohne Thermoskanne und Yerba (Kräuter für den Matetee) weder Land noch Heimatstadt verlassen.

Eine typische Materunde, niemand hat sein eigenes „Pan“ dabei, es wird brüderlich geteilt.

Und das war’s auch schon wieder mit dem vorletzten Teil des ABC’s aus meiner menschlichen Hand – auch wenns mein Blog und keine Wand in Babylon war. Bei uns laufen zurzeit die Vorbereitungen für die Sommerfreizeit für die Jugendlichen aus den Stadtvierteln. Beginnend mit der Ankunft von Volontären aus anderen nördlichen Provinzen Argentiniens am Donnerstag und mit dem letzten Tag und gleichzeitig dem Höhepunkt, den 31. Januar (Don-Bosco-Tag), stehen spannende zweieinhalb Wochen an. Dazu aber mehr bei einem der folgenden Blogs. Jetzt mache ich mich auch mal ans heinische Verschwinden und wünsch‘ euch bis zum nächsten Mal eine gute Zeit,

Eure Martha