Funkstillenende

Mich gibt’s noch. Ich habe weder zu lange Siesta geschlafen und noch hat die Sonne von Santiago meinen kleinen Laptop zerstört. Nach über einem Monat Funkstille, lasse ich also wieder etwas von mir hören. Dieses Mal etwas ausführlicher und zur Abwechslung nicht über das schon bereits bekannte Argentinien-ABC. Das muss warten, denn es ist Zeit für:

Story-Time

Denn in den gut eineinhalb Monaten seit meinem letzten Eintrag, ist so viel passiert, das ich euch einfach nicht vorenthalten möchte – und auch nicht kann. Also macht euch einen Tee (ich empfehle Mate), setzt euch in der deutschen Kälte vor den Heizkörper und legt euch kein Kissen zurecht, denn zum Einschlafen wird dieser Blog hoffentlich nicht führen.

Aber keine Panik, an einem Virus oder gar der Corona-Krankheit bin ich nicht erkrankt. Was mich in den letzten Monaten eher unter Beschlag genommen hat, war die Colonia.

Also fangen wir von vorne an… F wie Ferienfreizeit

(Ok sorry, bin so im Alphabet drin😉)

…beziehungsweise mit der Colonia. Wie ich bereits beim „Buchstabensalat“ erwähnt habe, lief im Januar unsere Ferienfreizeit im Oratorio. Diese „Colonia de vacaciones“ ist seit Jahren eine Institution, die anderen Animadores (Jugendliche und junge Erwachsene, die sich im Oratorio engagieren) schwärmen schon das ganze Jahr über von der zweiwöchigen Aktion und werden sogar von Kindern auf der Straße angesprochen, wann denn wieder die Colonia stattfindet.

Was wir davor wussten:

Die Colonia ist wie gesagt für zwei Wochen angesetzt. Von Montag bis Freitag läuft alles im Oratorio auf Hochtouren, denn ca. 500 Kinder und Jugendliche verbringen den Tag in unserer Einrichtung. Dabei geht es nicht ganz ohne Struktur, was bei der schieren Anzahl von Teilnehmern auch nicht anders möglich ist. Ohne der Hilfe des Teams, das aus Salesianern, den Oratorio-Mitarbeitern, viele anderen Ehrenamtlichen und Animadores besteht, würde dieses Großereignis nie stattfinden können.

Die letzteren sind dabei die größte Gruppe: Zu den ca. 35 Animadores aus Santiago stießen ein paar Tage vor Beginn der Colonia 15 Freiwillige aus anderen Provinzen im Norden von Argentinien. Achja und dann gab es noch zwei Alemanes, die schon sehr aufgeregt waren und große Erwartungen an die Ferienfreizeit hatten. 😉

Familia del Oratorio

Die anderen Freiwilligen, die nun für zwei Wochen eine „experiencia del verano“ (Sommervolontariat) machen würden, sind normalerweise auch Animadores in Don Bosco Einrichtungen und konnten sich für die Colonia anmelden. Wie es bei den Salesianern so der brauch ist, wurden die Volontäre „von außen“ (buchstäblich übersetztes „afuera“) sofort in die lokale Salesianer-Animadores-Gemeinschaft aufgenommen und über zwei Wochen entwickelte sich eine Gruppendynamik, aus der einige Tränen beim Verlassen des Oratorios resultierten.

Die Freiwilligen aus den Provinzen Rosario, Córdoba, San Luis, Formosa, Paraná, Tucumán, Santa Fé und Misiones (achja und wir)
Und nochmal alle Volontäre

In den Blocks von Santiago

Nachdem der Großteil der Animadores aus den anderen Provinzen zwei Tage vor Beginn der Colonia im Oratorio ihre Zelte aufgeschlagen hatten (sprichwörtlich, da unsere Jungs Ferien hatten, konnten die Volontäre die Schlafsäle nutzen), gings in die Stadtviertel von Santiago del Estero um mit den „Inscripciones“ zu starten. Diese Anmeldung der Kinder ist sehr wichtig, denn versichert sind sie nur, wenn das Oratorio Daten wie Name, Geburtsdatum und DNI (Nummer des Personalausweises, die kann so gut wie jeder auswendig) hat. Geld verlangt unsere Einrichtung bei der Anmeldung und im weiteren Verlauf der Freizeit nicht, alles wird gestellt, um die Freizeit für alle Altersklassen und Gesellschaftsschichten zugänglich zu machen.

Auf Teilnehmerrekrutierung

Da die meisten nicht ganz genau wissen wann es im Oratorio losgeht und wie alles ganz genau abläuft, verteilten wir kleine Flyer mit den wichtigsten Infos rund um die Sommerfreizeit während wir die Häuser abklapperten (und nicht klingelten, in Argentinien klatscht man ein paar Mal um den Bewohner aus dem Haus zu bitten).

Dabei teilten wir Animadores uns in drei Gruppen auf, die auch die Gruppen für den Vormittag sein sollten. Am Vormittag kommen für die Colonia nämlich die Kleinen, Kinder von 7 bis 14 Jahren. Um den quirligen Haufen beisammen zu halten und wenigstens ein bisschen Kontrolle über die 300 Kids zu haben, werden sie nach Alter in drei Gruppen aufgeteilt. Jede dieser „Patrullas“ hat zudem einen Namen, welche von Jahr zu Jahr geändert wurden. Weil auch jede Colonia ein anderes Thema hat und für 2020 Baumnamen (ja, auch in Argentinien kommt die Eco-Welle an) abgelehnt wurden, hatte man sich auf Werte geeinigt und so sah es wie folgt aus:

  • Esperanza (Hoffnung): Kinder von 6-8 Jahren
  • Generosidad (Großzügigkeit): Kinder von 9-11 Jahren
  • Empatia (Empathie): Kinder von 12-14 Jahren

Während sich Simon für die „Größten“ entschied, suchte ich mir Esperanza aus. Aus dem einfachen Grund, weil wir in unserem Alltag eher mit älteren Jungs zu tun haben und mir die Arbeit mit Mallín (Samstagsaktivitäten mit Spielen), wo auch jüngere Kids dabei sind, eben auch sehr gut gefiel.

Da kommt Hoffnung auf – Meine Gruppe beim Viertelsbesuch

Also gings mit meiner Gruppe der Hoffnungsträger (ich zähle auf eure Kombinationsfähigkeit) ins Viertel ein paar Straßen vom Oratorio entfernt. Begleitet wurden wir auch einige Zeit von unserem Pick-up, der den Werbesong der Colonia mit zwei großen Ghettoblastern in den schmalen Straßen erklingen ließ. Angemeldet haben wir nicht wirklich viele Kinder, da bei den meisten, die wir in den Straßen getroffen haben, keine Eltern fürs Unterschreiben der Einwilligung zur Stelle waren. Jedoch war das kein Weltuntergang, den die Anmeldung war trotzdem im Oratorio möglich.

Die macht das schon…

Dank meiner lieben Patrulla durfte ich auffällig häufig das Wort ergreifen und Einladungen aussprechen, weil angeblich „bei einer Deutschen die Leute viel mehr interessiert sind“. Und so beantwortete ich nicht selten keine Fragen über die Ferienfreizeit, sondern meinen Freiwilligendienst und deutsches Bier. Aber gut, alles für die Colonia.

Denn am Vormittag waren die Patrullas für einige Aktivitäten selber zuständig. Von 9-12 Uhr wurde das Oratorio in Stationen aufgeteilt: Einige Bereiche wie „Spiele im Oratorio“ oder „Wasserspiele“ gab es jeden zweiten Tag, während der Pool und „Sport“ immer vorgesehen waren. Und so rotierten die Patrullas für 45 Minuten jeden Tag dreimal.

Bei den heißen Temperaturen bringt so eine Dusche schon eine Abkühlung
…genauso wie für mich mit einer Wasserbombe

Nach den Einladungsgängen am Samstag und Sonntag folgten noch einige Treffen der Arbeitsgruppen, denn jeder engagierte sich zusätzlich in einem Aufgabenbereich. Meiner war die Anmeldung im Oratorio, bei der ich mich durch sämtliche Nuschellagen, Namenskombinationen (Fernando kann ein Vor- und Nachname sein) und Wege die DNI-Nummer zu sagen (ein Kampfsport, Wer-Kann-Am-Schnellsten-Seine-Nummer-Sagen-Und-Martha-Verwirren) kämpfen musste. Simon versuchte derweil in der Logistik deutsche Ordnung mit Listen und Sortierung von Bällen, Stiften und anderen Materialien zu bringen.

Ein Kinderspiel

Was sich jetzt im ersten Moment harmlos nach ein bisschen Kinderbespaßen anhört, war im Endeffekt ein Großprojekt. Obwohl wir mit mehr als 50 Freiwilligen sehr gut aufgestellt waren, war die Zeit schon sehr intensiv. Manchmal kamen die Kinder schon eine Stunde vor dem eigentlichen Beginn und spätestens am dritten Tag meldete sich die Nacken- bzw. Rückenpartie, aufgrund der mindestens drei Kids, die sich bei der Schwimmbadzeit an die Volontäre klammerten. Aber genau das war das schönste an der Colonia, zwei Wochen lang den ganzen Alltag auf die Kids auszurichten.

Eine Mammutaufgabe war es dann auch für unsere Patrulla, die 30-40 Kinder unserer Gruppe zusammenzuhalten, gesammelt zu den einzelnen Stationen zu bringen, sie für die Spiele zu motivieren und nach der Zeit im Pool zum Rausgehen zu bewegen.

Pooltime mit den Volos
Der Tag beginnt am Morgen mit Animationssongs und einem grooooßen Kreis, bei 300 Kids nicht immer einfach

Das war der erste Streich und der zweite folgt zugleich:

Denn nach der Siesta war es Zeit für die „Colonia Juvenil“, also die Sommerfreizeit für alle Jugendlichen über 14 Jahren. Hier wird nicht so viel wie am Vormittag geplant, zum einem, weil es weniger sind (um die 200 Teilnehmer) und zum anderen, da es eben unabhängige Teenies sind. So wird nur die Zeit fürs Schwimmbecken festgelegt, Mädls und Jungs müssen dasselbe nämlich getrennt benutzen. Außerdem sollten die Jugendlichen einen Taller (Workshop) besuchen, die von Tag zu Tag variieren. Vor dieser Zeit des Workshops war entweder Pool, Volleyball, Fußball oder Mate bzw. Terere trinken angesagt.

Dabei hat sich der Terere in der Colonia am meisten bewährt, denn der Januar ist in Santiago del Estero der heißeste Monat mit locker 40-45 Grad, an ganz heißen Tagen 50. Ohne diese kalte Variation des Mates, die mit Eiswasser (eher nicht so beliebt bei den zuckergewöhnten Kids) oder kaltem Fruchtsaft getrunken wird, wäre für einige Animadores die Colonia nicht möglich gewesen. Mein Versuch, den Zuckergehalt etwas herunterzufahren scheiterte dabei kläglich, als ich meinen verdünnten Terere einigen Jungs unterjubeln wollte („Hast du den Saft vergessen?“).

Backe, backe Kuchen

Nachdem ich während des Jahres schon oft im Bäckereiworkshop mit dabei war, wurde mir eine abgespeckte Version der Bäckerei für die Colonia am Nachmittag zugeteilt. Eine Stunde, ein einfaches Rezept und am besten etwas, von dem die Jugendlichen lernen können. Obwohl es anfängliche Startschwierigkeiten gab (argentinische Öfen können schnell extrem heiß werden und dem Gebäck eine rustikale schwarz-braune Farb- und Duftnote verpassen, was natürlich nicht passiert ist ;)) und die Jugendlichen eben aus schwierigen Verhältnisse kommen, was schon mal zu Spannungen führen kann, entwickelte sich der Workshop von Tag zu Tag besser.

Bei so viel Spaß (Bild oben) kann man vebranntes Gebäck schon mal ignorieren (Bildrand)

Deutsche Gerichte konnte ich leider nicht backen, dafür fehlte mir die Zeit, denn eigentlich war es nicht mehr als eine halbe Stunde, die die Jugendlichen zum backen hatten, wenn man Ankunfts-, Begrüßungs- und Backzeit abzieht. Nie geschafft hätte ich den Taller ohne die Hilfe der anderen Animadores, die immer an der Verbesserung der Panadería mit mir arbeiteten. Danke an dieser Stelle bei allen, besonders Noe, Ariel, Sol, Elu, Santi und Thiago.

Wenn mein Workshop nicht stattfand, begleitete ich andere Talleres mit den Jugendlichen. Denn es gab ein breit gefächertes Angebot: Von Kino, über Tanzen, Schreinerei, Recycling und Kartenspiele war für jeden und jede etwas dabei.

Immer schön Position halten beim Tanzworkshop

Nachdem die Nachmittagscolonia mit einem Buenas Noches und einer kleinen Mahlzeit bestehend aus Trinkjoghurt und einem Sandwich (für die Bäckereiteilnehmer zusätzlich Produkte aus eigener Herstellung) beendet wurde, versammelten sich nochmal alle Freiwilligen für eine kleine Tagesevaluation, bei der nochmal alle Licht- und Schattenseiten beleuchtet und Verbesserungen erörtert wurden.

Zu viel zu Berichten

Nach dieser intensiven Zeit, kam mir die Colonia nicht wie zwei Wochen, sondern mehr wie mindestens ein Monat vor und es war auch ein bisschen Melancholie dabei, als der letzte Tag gekommen war. Auch den meisten Kids am Vormittag fiel es sichtlich schwer, die Colonia hinter sich zu lassen und so wurden am letzten Tag für jeden Animador fleißig kleine Kunstwerke gemalt, die dann mit einem riesigen Strahlen überreicht wurden.

Während ich jetzt so vor meinem Computer sitze und an die Colonia zurückdenke, fällt mir auf, dass sich die Zeit schwer in Worte fassen lässt. Auch kann ich nicht jeden Moment, der für mich besonders war, teilen. Sonst würde ich vielleicht noch in ein paar Wochen über das gleiche Thema schreiben. Trotzdem hoffe ich, dass ihr einen kleinen Einblick bekommen habt und nicht eingeschlafen oder von meinem Colonia-Erzählstil nicht verwirrt worden seid.

Ich lassen demnächst wieder etwas von mir hören und wünsche euch bis dahin alles Gute,

Eure Martha