Tausche Alpen gegen Anden

Martha in Argentinien

A wie Argentinien

91 Tage. So lange bin ich nun also schon in Argentinien. Langsam geht es auf Weihnachten zu, was etwas skurril ist bei sommerlichen Temperaturen von 40 Grad. Ich könnte also über die Plastikweihnachtsbäume mit Schneeimitat oder die Plätzchen aus der hauseigenen Panadería schreiben.

Auch hier in Argentinien weihnachtets

Aber heute gibt’s keinen typischen Weihnachtsblog. Zwar habe ich in diesen 91 Tagen Argentinien, seine Kultur und seine Leute schon etwas kennengelernt. Vielleicht nicht gut genug, um eine These wie „So ist Argentinien“ aufstellen zu können – wer kann das schon außer die Argentinier selbst. Um ein Land kennenzulernen, zu verstehen, muss man mehr miteinbeziehen als den ersten oberflächlichen Eindruck. Um sich ganz philosophisch auszudrücken: Die kleinen Puzzleteilchen machen das große Ganze aus.

Euch jetzt aber Argentinien in allen Einzelheiten zu beschreiben, wäre unmöglich (da ich ja auch noch nicht so viel gesehen hab und ich ja keine Journalistin bin, meine Meinung ist daher sehr subjektiv). Deshalb beschränke ich mich auf ein paar Eindrücke und Anekdoten im großen

ARGENTINIEN-ABC

A wie Aire

Nein liebe Erdkundefreaks, hier ist nicht die Hauptstadt Argentiniens, sondern „aire acondicionado“, also die Klimaanlage, gemeint. Die ist in Santiago so gut wie in jedem Haus eingebaut und wird schon fast als selbstverständlich angesehen. Bedauernswert sind daher – aus dem Blick der Santiagueñer – Mitmenschen, die nur mit Ventilator zurechtkommen müssen. Also Simon und ich. Denn unsere Volontärswohnung neben dem Haupthaus im Oratorio ist ohne Klima ausgestattet und bei 40 Grad Außentemperatur eben nicht so angenehm wie die frisch klimatisierten Räume.

Da die Klimaanlage den guten alten Ventilator ersetzt, ist dieser oft einfachheitshalber Deko

Funfact am Rande: Fast immer werden die Klimaanlagen auf die niedrigste Temperatur (16 Grad) eingestellt. Dass die Differenz zwischen natürlicher und künstlicher Temperatur nicht zu groß sein sollte, scheint hier niemanden zu stören, auch wenn viele Argentinier im Sommer von einer Erkältung gebeutelt werden. Für uns ist dieser fast schon arktisch anmutende Wind, der uns da aus dem weißen Kasten entgegenweht, alles andere als angenehm und so stellen wir – wenn wir die Möglichkeit haben – unter den ungläubigen Blicken der Einheimischen 28 Grad ein und freuen uns über die „frische“ Briese.

B wie Bier

Hallo Klischee. Zwei Bayern im Ausland unterwegs, da ist einer der ersten Gedanken natürlich Bier. Tja, ganz so war es dann doch nicht. Das argentinische Bier hat uns ganz von selbst und mit ein wenig Hilfe der hier ansässigen Freiwilligen aus Santiago und Salesianer gefunden. Stolz sind die Argentinier besonders auf ihr Craftbeer (also Bier mit Geschmack nach z. B. Honig, Früchten usw.) und hoffen stehts die Deutschen auf ihre dunkle Hopfenseite der Macht ziehen zu können.

Hoch hinaus wollen die Argentinier mit ihrem Bier

C wie Chacarera

Anders als bei uns in Deutschland, ist in Argentinien die traditionelle Tanzkultur bei Jugendlichen mehr als beliebt. Während in Bayern immer weniger in den Trachten- oder Traditionsverein eintreten, ist es hier in Santiago fast schon eine Seltenheit, wenn ein Jugendlicher keine traditionelle Musik mag oder keine Volkstänze kennt.

Deshalb kennt hier auch jeder den bekanntesten Tanz, den „Chacarera“, denn schon in der Grundschule wird fleißig an den Kenntnissen der Kinder gefeilt, um sie für Familienfeiern oder traditionellen Festivitäten, aber schlussendlich auch für Partynächte in lokalen Clubs, vorzubereiten. Apropos Clubs: In den „Boliches“ wird zwar auch internationale Musik gespielt, im Laufe des Abends läuft es dann aber auf Cumbia (tradtioneller Rhythmus mit popmusikanmutenden Remixes) heraus. Vergleichbar, als würde den ganzen Abend die Wildecker Herzbuben gemischt mit Andreas Gabalier aus den Boxen donnern. Hier ein Hit.

Zwar sieht der Chacerera auf den ersten Blick ziemlich unkompliziert aus, entpuppt sich aber als weitaus mehr als nur „im-Kreis-gehen“. Da ist es natürlich ein Heidenspaß die Deutschen mitten auf die Tanzfläche zu stellen und sie mal machen zu lassen. Hier geht’s zu einem Video unsrer Tanzkünste, dass ich schon mal für einen Beitrag hochgeladen hab:

…mit deutscher Tanzeinlage

D wie Dulce de Leche

Ja, ich bekenne mich schuldig. Ich bin der Karamellcreme verfallen, seit wir das erste Mal in Córdoba bei den Posnovicios (hier ein großes Dankschön an Pablo für die erste Dulce) probieren durften. Vergleichen kann man Dulce de Leche vom Marktanteil her vielleicht nur mit Nutella in Deutschland (die es hier fast gar nicht gibt) und vom Konsum pro Person fast schon mit einem Grundnahrungsmittel. Denn das „Süße der Milch“ (grob übersetzt) ist überall, wirklich überall: Zum Frühstück aufs Weißbrot, zur Merienda auf einem Cracker, in Kuchen, Törtchen, Keksen, Bonbons, Eis… Ich wage sogar zu behaupten, dass eine Süßspeise ohne Dulce de Leche für die Argentinier als herzhaft gilt.

Beste Dulce

Nach einigen knallharten Tests durch die völlig unvoreingenommenen Volontäre ist der Platz 1 für die beste Creme mehr als klar: Die Don Bosco Dulce de Leche, die in einer Landwirtschaftsschule der Salesianer produziert wird, hat uns einfach überzeugt.

Die ganze Produktion von Landwirtschaftsschulen Don Boscos: Wein, Öl, Dulce de Leche, Honig, Balsamicoessig und Mateyerba

E wie Esperanza

…ist der Name eines Hundes des Oratorios (zu deutsch: Hoffnung). Denn der beste Freund des Menschen ist in hier nicht wegzudenken, in so gut wie jedem Haushalt gibt es mindestens einen Hund. Auch hier im Oratorio leben zusätzlich zu Esperanza zwei weitere Hunde.

Wer kann diesem zahnlosen Lächeln widerstehen? Die Hündin „Pigui“ hat eben wie Esperanza Kultstatus im Oratorio

Wobei ich das Oratorio nicht direkt als festen Wohnsitz bezeichnen würde, mal liegen Esperanza & Co. den ganzen Tag faul unter den schattigen Bäumen neben dem Fußballfeld und manchmal sind sie auch gar nicht aufzufinden. Wie uns schon so schön von Pater Silvio erklärt wurde: „Hier in Argentinien sind die Hunde frei“.

Ein rares Foto von Esperanza, die manchmal halt ein paar Tage nicht da ist

F wie Fanaticos

Wer Argentinien hört denk vielleicht zuerst an Fußball und Messi. Der zweite Gedanke, wenn man beim Thema Fußball bleibt, geht dann möglicherweise in Richtung emotionaler Anhänger, kurz Fanaticos. Und größtenteils ist das auch nicht falsch, die starke Emotionalität der Argentinier verbunden mit einem Fußballspiel, lässt jede kleine (unwichtige) Ligapartie zum überdimensionalen WM-Halbfinale werden. Als heißblütige Fans haben sich auch schon unsere Jungs in der Einrichtung geoutet: Beim gemeinsamen Fußballschauen war jede noch so kleinen Aktion Grund zum Anfeuern, Aufstöhnen, einfach zum Mitfiebern. Und nach dem langerwarteten Tor rasteten nicht nur die Jungs, sondern auch der Kommentator („GOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL“ = Tor, vereinfacht dargestellt) aus.

Aber natürlich wird hier nicht nur beim Fußball mitgefiebert, auch bei anderen Sportaktionen wird sich hier manchmal auch etwas hineingesteigert. So auch beim nachmittäglichen Volleyballspiel mit den Jungs: Jeder Ball wird irgendwie wieder auf die andere Seite gespielt, auch wenns mehr nach Fußball-Volley ausschaut. Und natürlich wird über jede (unklare) Situation diskutiert, bis Punkte wiederholt und Spielstände angepasst werden.

So, dass wars mit Teil 1 des ABC’s, wir hören uns demnächst wieder!

Eure Martha

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  1. Felipe Vanrrell

    Hallo Martha,

    ich kann einfach nicht aufhören, deine Texte zu lesen. Es ist so schön und ehrlich, wie du Argentinien beschreibst.. ich komme gebürtig aus Santa Fé, wohne aber alleine seit 3 Jahren in Deutschland. Derzeit bin ich in Bonn, denn ich studiere Politikwissenschaft an der Uni hier.
    Ich kenne dein Heimtland auch sehr gut, und es macht mir viel Spaß, den Deutschen den Spiegel vorzuhalten und ihnen typisch deutsche Gewohnheiten vor Augen zu führen, die einem Deutschen niemals aufgefallen ist.
    Genau das machst du mit Argentinien! Das gefällt mir echt gut!! Liebe Grüße aus Bonn nach Argentinen, muchos saludos!!!

    • Martha Ehrtmann

      Hola Felipe,
      danke erstmal für deinen Kommentar. Es freut mich total, dass mein Blog auch Leute erreicht, die außerhalb meines Familien-/Bekanntenkreises liegen. Und dass du dich und dein Land ein wenig im meinem Bild des argentinischen Prototypen wiedererkennst, ist wirklich super schön für mich!!
      Deine Beobachtungen über Deutschland würden mich aber auch sehr interessieren, also falls du einen Blog hast, nur her damit 😉
      Viele Grüße ins winterliche Deutschland,
      Martha

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