Wie die fleißigen Blogleser unter euch schon wissen, ist das Oratorio Don Bosco in Santiago del Estero eine Einrichtung für Jungs, die vom Land kommen und dort keine Möglichkeit haben, ihre weiterführende Schule abzuschließen. Da sie in der Stadt zur Schule gehen und der Weg nach Hause einige Stunden in Anspruch nehmen würde, leben sie im Oratorio und besuchen ihre Familien nur an langen Wochenenden oder Feiertagen.

Ein Besuch kommt selten allein

Damit die Salesianer und die Mitarbeiter im guten Kontakt zu den Angehörigen bleiben, werden diese einmal im Jahr auf dem Land besucht. Als Volontär, der überall irgendwie so mitläuft, ist man da natürlich gerne dabei und so wurden Simon und ich auf zwei Besuchsfahrten aufgeteilt. Zwei, weil das „Campo“ (span. „Land“) doch etwas weitläufig und deshalb ein Besuch von 28 Familien an einem Wochenende schier unmöglich ist. 

Und deshalb war es dann letzten Freitag und Samstag schließlich so weit für mich. Bepackt mit Rucksack, Schlafsack und einem Haufen gutgemeinter Ratschläge von diversen Leuten (unser Hausmeister meinte, das wichtigste wäre ein Mate-Set) machte ich mit Padre Alejandro (Salesianer), Nico (angehender Salesianer) und Barbara (Mitarbeiterin) auf den Weg. Natürlich 20 Minuten später als geplant, ich verweise auf die landestypische Pünktlichkeit.

Geschüttelt, nicht gerührt

Nach der ersten Stunde auf dem geteerten argentinischen Highway, war ich eigentlich ganz zuversichtlich, dass die angekündigte Reise von ca. zwei Stunden sehr entspannt ablaufen würde. Da hatte ich die Rechnung aber ohne die „richtigen“ Landstraßen gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt, war mir nie klar gewesen, wieso die Salesianer in einer Stadt wie Santiago überhaupt einen Pick-up brauchen, was mir jetzt aber im Angesicht von Schlaglöchern gesäumten, sandigen Trails einleuchtete.

Die Straßenverhältnisse machten auch das Mate-Tee-Trinken nicht einfacher
Als die Straße noch eben war…

Und wohin jetzt?

Bis wir – gut durchgeschüttelt – bei der ersten Familie einen Halt einlegen konnten, mussten wir diese erst mal finden. Und das ist bei einer wüstenähnlichen Landschaft, bei der fast jeder Pfad eine Straße sein könnte, relativ schwierig. Auch die Einheimischen, die bei der Angabe von Entfernungen gern mal untertreiben (Die Auskunft „Achja die Familie kenne ich, die wohnen gleich da hinten“ stellte sich als Fahrt von einigen Kilometern heraus), waren nicht wirklich hilfreich. Irgendwann kamen wir dann schließlich doch an und wurden sehr herzlich von allen auffindbaren Familienmitgliedern empfangen.

Auf unserem Plan – ja, ich war auch sehr erstaunt – standen sieben Familien, die wir besuchen sollten, bei einigen würden wir zu Mittag oder zu Abend essen. Das hielt die verbleibenden Familien aber nicht ab, uns zu einer zusätzlichen Mahlzeit überreden zu wollen, obwohl es schon bei jeder Station unserer Reise gesüßten Mate-Tee und Tortilla (fladenähnliches Brot) gab.

…und die Jungs?

Neben der Wo-essen-wir-wann-Frage, die für viele Familien ein Hauptanliegen zu sein schien, wurde natürlich viel über die einzelnen Jungs geredet. Das war echt interessant, denn obwohl die Jungs selbst nicht da waren, konnte ich mir doch ein Bild machen, was das Oratorio für die Jungs und ihre Familien bedeutet. Zwar erzählen die Jugendlichen nicht mehr als grobe Infos über ihren Alltag, das lässt sich aber auch dem Alter zuschreiben.

Natürlich darf das obligatorische Gruppenfoto nicht fehlen

Oratorium auf Rekrutierungsmission

Trotzdem erzählten die Eltern oft davon, wie gerne ihre Jungs ins Oratorio kommen würden und dass die wenigsten Probleme mit Heimweh hätten. Am Ende jedes Besuchs bei einer Familie gabs dann noch die Notenübersicht des jeweiligen Schülers, was einen Teil unserer Mission darstellte. Der andere Part bestand darin, möglichst viel Werbung für die Plätze im Oratorio zu machen. Das Schuljahr endet in Argentinien jetzt dann im Dezember und zehn Jungs sind in der fünften und damit letzten Klasse der Secundaria. Das bedeutet, dass im neuen Schuljahr um die zehn Plätze frei sein werden und das ist bei einer Kapazität von 30 Plätzen ziemlich viel. Also verteilten wir fleißig Infoblätter mit den wichtigsten Terminen zur Anmeldung und Bewerbung.

Wie bereits erwähnt gibt es eben nur eine kleine Anzahl an Plätzen, was der Nachfrage nicht im Mindesten entspricht. Denn die Jungs im Oratorio sollten in der Secundaria, also der weiterführenden Schule nach der Grundschule, in der Klasse eins bis fünf sein. Auf dem Campo gibt es in einigen „Ortschaften“ (wo einfach mehrere Familien näher zusammenwohnen) eine Secundaria, welche aber für Jungs und Mädchen nur bis zur dritten Klasse geht. Danach müssen die Familien schauen, wo sie ihre Kinder am besten hinschicken, um ihnen einen Schulabschluss zu ermöglichen. Manchmal gibt es eben aber keine Schule, zu der man nicht zwei Stunden unterwegs wäre.

Aufopferungsvoll

Erdöfen für die Holzkohleproduktion

Und auch sonst ist das Leben für die Menschen auf dem Land nicht sehr einfach: Die meisten leben von Holzkohle, die aus den gefällten Bäumen der umliegenden Wälder in riesigen Öfen hergestellt wird. Das geschieht aber nicht in Fabriken, sondern noch immer auf traditionelle Weise in Erdöfen. Und trotzdem sichert diese Arbeit nicht das Überleben: Ein Vater erzählt, dass er das Leben im Campo liebe, es sei aber „sacrificada“. Sich selbst aufzuopfern, klingt für uns Europäer ziemlich hart, aber etwas anderes bleibt den Campesinos, wie sich hier die Einwohner nennen, nicht übrig. Alles für das Überleben geben, dass sieht man besonders an den Häusern. Wobei das Wort „Häuser“ dem einstöckigen fensterlosen Unterstand, bedeckt mit einem Wellblechdach und Plastikfolien, eigentlich nicht wirklich gerecht wird.

So sieht es nicht überall aus, in Ortschaften hat die Regierung für einige Familien kleine Betonklötze gesponsert, die eine Küche und ein Bad beinhalten, was die Wohnsituation erheblich gesteigert hat. Für die Großfamilien reicht das aber oft nicht aus und deswegen ergibt sich das komische Bild einer modernen Wohnanlage neben einem ebenerdigen Unterstand.

Betonklotz im Nirgendwo

In den Gesprächen kamen auch oft die Familiensituationen zur Sprache und ich war ehrlich gesagt etwas überrascht: Fast alle Jungs leben in sowas wie Patchwork-Familien, nur bei einem Elternteil oder bei den Großeltern. Da junge Frauen – besonders auf dem Land – sehr früh schwanger werden, wird auch dementsprechend früh geheiratet. Diese Ehen halten aber oft nicht sehr lange und daher wurden wir mit vielen verwinkelten Stammbäumen konfrontiert, die selbst die Salesianer nicht ganz durchblicken.

Zwischen Erde und Empanadas

Was den Ausflug auf’s Land eigentlich am besten beschreibt ist die Erde, die irgendwie überall zu sein scheint. Noch vor unserer Abfahrt wurde immer wieder das Übermaß an „Tiescha“ („Tierra“ = „Erde“ im wunderbaren Dialekt Santiagos) erwähnt, was nicht übertrieben war. Denn der feine Staub, der ein bisschen an Wüstensand erinnert, ist dank ständigem Wind überall: An Wänden, Tischen, Stühlen, Kleidung und – nach ein paar Minuten an der frischen Luft – an der Haut. Und eben auch an den ehemals schneeweißen Pick-up, dessen Farbgebung nach unsrer Tour eher an ein dunkles beige erinnerte.

Aber nicht nur zentnerweise Erde (eine deutsche Feinstaubbehörde würde den Notstand ausrufen), sondern auch Essen gab es in unglaublichen Mengen: Tortillas, Empanadas (gefüllte Teigtaschen) und Asado aus Rind, Hähnchen und Ziege (Fleisch über offenem Feuer gegrillt).

Zum Essen gab’s dann auch Bier – wenn schon deutscher Besuch kommt…

Wie schmeckt eigentlich Löwe?

Die Empanadas unseres zweiten Halts waren für mich dabei das Highlight. Aber das sollte mir erst im Nachhinein bewusst werden: Als wir nämlich wieder im Oratorio ankamen, bestürmte mich unser Chef, Padre Silvio, gleich mit der Frage, wie denn der „León“ (Löwe) geschmeckt hätte. Für die Argentinier ist ein „León“ neben dem afrikanischen Wildtier der hier ansässige Puma. Da ergab das stolz präsentierte Pumafell, dass ich bei der zweiten Familie gesehen hatte, und die Empanadas, die irgendwie einen anderen Nachgeschmack hatten als andere, plötzlich sehr viel Sinn. Die Salesianer witzelten später dann noch, dass unser Empanada-Puma, da er noch vor einigen Jahren vom Aussterben bedroht war, vielleicht der letzte seiner Art gewesen wäre. Was ich wirklich nicht hoffe.

Da hängt es… und ich hab noch ganz interessiert nachgefragt, ob es wirklich Puma ist
Andere Länder, anderes Essen

Neben den – hoffentlich noch nicht ausgerottetem – Puma soll es alle möglichen Tiere im Campo geben. Während mir das Gürteltier nicht über den Weg gelaufen ist, habe ich aber doch Bekanntschaft mit zwei Papageien, einigen Katzen und haufenweisen Hunden gemacht. Da jedes Haus einige Hunde hat und die Argentinier total verrückt nach diesen sind, kamen wir auch oft aus dem Streicheln nicht heraus.

Hund, Katz, Maus Papagei

Allem in allem war der Ausflug auf das Land echt eine sehr spannende Erfahrung. Die Familien und die Umgebung der Jungs kennenzulernen, wo sie aufgewachsen sind und mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben. Das alles wird einem im Alltag gar nicht so bewusst. Auch habe ich bei unserem Besuch viel davon mitbekommen, wie wir als „Deutsche“ hier wahrgenommen werden. Aber dazu mehr in einem nächsten Blog.

Bis dahin, machts gut! Eure Martha

P.S.: Bevor ichs vergess, die kreative Überschrift hab ich meinem Mitvolontär Simon zu verdanken. Schaut doch auch mal auf seinem Blog vorbei, da gibts nicht nur gute Header, sondern auch sehr interessante Beiträge 😉