In letzter Zeit hat sich so einiges geändert. So einiges? Nicht wirklich. Eigentlich hat sich für mich alles geändert. Denn die weltweit angespannte Lage aufgrund der schnellen Ausbreitung des COVID-19-Virus erforderte die Rückkehr aller „weltwärts“-Freiwilligen nach Deutschland. Vor einer Woche wurde das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie vom Außenministerium angeordnet.

Und weiter?

Wir „Argentinier“, also Maria (Volontärin aus Villa Regina), Jakob und Luis (Volontäre aus San Juan), Simon und ich, sind aber noch immer nicht in Deutschland. Seit Freitag sitzen wir alle in einem Don-Bosco-Haus in Buenos Aires und warten auf eine Maschine der Rückholaktion der deutschen Regierung. Etwas anderes bleibt uns zurzeit nicht übrig, denn alle Grenzen Argentiniens zu den Nachbarländern sind geschlossen (außer zu Brasilien, kann sich aber schnell ändern), genauso wie die Möglichkeit einen kommerziellen Flug nach Deutschland zu buchen, da der Luftverkehr zu Europa eingestellt worden ist. Und da zudem in Argentinien eine Art Ausgangssperre, die nur Einkäufe zulässt, wirkt, ist das „Festsitzen“ nicht nur auf den Kontinent, sondern auch auf unsere Unterkunft zu beziehen.

Wie ihr schon oben gelesen hat, alles ging unglaublich schnell. Bevor uns die Nachricht vom BMZ erreichte, war mir die Option, heimfliegen zu müssen gar nicht in den Sinn gekommen. Aber vom ganzen Abschiednehmen und das Gefühl, ein Zuhause verlassen zu müssen, schreibe ich jetzt bewusst nicht. Denn in meinem Blog steht noch etwas aus: Das Argentinien-ABC. Demnächst folgt auch ein Beitrag zu allem, was mich besonders in den letzten Tagen beschäftigt hat. Im Moment ist es aber für mich einfacher, mit euch das altbekannte Alphabet zu teilen.

V wie Vegetarisch?

Assoziationsbild Argentinien: Eine extrem große Rinderherde grast auf einer sonst verlassenen Steppe unter Beobachtung einiger „Gauchos“ (argentinischer Cowboy, mal ganz salopp gesagt). Das ist vielleicht das, was sich die meisten von euch unter Argentinien vorstellen. Beziehungsweise, dass was ich mir vorgestellt habe. Hauptnahrungsmittel Fleisch. Fleisch in Übermengen, immer und überall.

Nachdem ich jetzt hier schon seit über einem halben Jahr bin, kann ich euch sagen: Es stimmt! Wer sich als Vegetarier oder gar Veganer nach Argentinien traut, muss sich auf eine Gratwanderung zwischen mitleidigen und fragenden Blicken („Aber was isst du denn den ganzen Tag über?!“) und Verständnislosigkeit („Wie kann man kein Fleisch mögen?“) gefasst machen. Natürlich auch auf Mobbing und gesellschaftliche Ausgrenzung. Okay, so schlimm ist es wirklich nicht, aber es werden am Tisch schon das ein oder andere Mal Witze über Andersessende gemacht.

Ohne Fleisch ist alles nichts

Glücklicherweise blieb uns das erspart, da wir beide keine Allergien oder spezielle Ernährungsformen (wie die Argentinier das nennen würden) hatten. Eine Umstellung war es besonders in der ersten Zeit dann schon, den Fleischanteil einer Mahlzeit von europäischen (geschätzten) 40% auf den argentinischen Standart von mindesten 70-80% heraufzufahren. Wenn ein Argentinier von Essen spricht, beinhaltet das automatisch Fleisch. Alles andere ist unvorstellbar und wird nur akzeptiert, wenn es Pizza heißt (die gibt es hier nämlich am häufigsten in der Margarita-Form) oder wenigstens fleischähnlich zubereitet wird. Bei uns im Projekt wird schon versucht, denn Jungs zu vermitteln, dass es auch ohne „carne“ also Fleisch geht. Deshalb gibt es manchmal Auberginen-Schnitzel, die den „Originalen“ zum verwechseln ähnlich sehen. Ein Meisterstück der Küche – und auch echt lecker!

„Einmal Fleischbrot, bitte!“ – Pan de carne, gefüllt mit Schinken, Käse, Ei und ein bisschen Paprika/Tomate

So gewöhnten wir uns ans typische Asado (Argentinisches Grillen mit viel Fleisch und ab und zu etwas Gemüse) und an Alltagsgerichte wie Pan de carne („Fleischbrot“, hat nichts mit Brot zu tun…), Lasagne (aufgepeppt mit Schinken und Hackfleisch) und natürlich auch Innereien. Letztere habe ich in Deutschland fast noch nie probiert und ich denke dem kann sich die Mehrheit anschließen. Warum die Deutschen einfach keine Lust auf Leber, Niere und Co. haben, ich weiß es auch nicht. Die Argentinier lieben es aber auf alle Fälle so viel wie möglich vom Tier zu verwenden. Was ja aus ökologischer Sicht echt schon sehr hervorzuheben ist.

Ein typisches Asado: Auf den Grill kommt… Alles.

Funfact: Das Vorurteil mit der Rinderherde ist gar nicht so falsch, denn zum Großteil wird Rindfleisch konsumiert. Daher sprechen Argentinier eher selten von „carne de vaca“ sondern eben nur von „carne“, wenn sie aufs Rindfleisch hinauswollen. Neben „vaca“ gibt es zudem noch einen Haufen anderer Fleischlieferanten wie Geflügel, Schwein (hier eher eine Delikatesse), Ziege und „Spezialitäten“ wie Puma, Schlange oder Schildkröte.

W wie Weiten

Wo wir davor schon bei grasenden Viehherden auf der Steppe waren: Die scheinbar nie enden wollenden Graslandschaften sind eng mit dem Bild Argentiniens verknüpft. Ganz so trifft das nicht zu: Der raue Süden (ein Paradox für jeden Nordhalbkugelerdenbürger) mit den schweizerische anmutenden patagonischen Bergen, die nördlichen Provinzen wie Jujuy und Salta mit den Ausläufern der Anden und einige Provinzen wie Córdoba oder Mendoza haben einiges an Hügel-, Berg – oder Hochgebirgslandschaften zu bieten. Wie ich das alles jetzt so schreibe, fällt mir auf, dass nicht sehr viel an Argentinien dem Steppenbild gleicht.

Eine Provinz, die das Vorurteil dann doch wieder rettet, ist Santiago del Estero, deren Hauptstadt die gleichnamige Metropole ist. Außerhalb der Stadt gibt es schon einige Kleinstädte und Dörfer, aber bei einer Busfahrt in eine andere Provinz sieht man lange… Nichts. Also nichts im Sinne von Siedlungen, menschlichen Leben. Bei meiner ersten Fahrt über die Landstraßen war ich echt beeindruckt, so weit der Blick reicht Büsche, ein paar Bäume und vielleicht mal ein Kaktus. Dennoch keine Häuser oder Funkmasten in Sicht, nichts was den Blick in den Horizont stören sollte.

„Vergleich‘ mal!“

Laut „statista“ leben in Argentinien ca. 16,3 Menschen auf einem Quadratkilometer, in Deutschland sind es 237. Wer die beiden Länder auf der Karte mal vergleicht, dem wird schnell klar, wie groß Argentinien tatsächlich ist. Und wie viel „Nichts“ es denn überhaupt geben muss.

Okay. Gut, Argentinien ist groß. Bei den Busfahrten, die Simon und ich jetzt schon hinter uns haben, wird einem die geografische Lage des Landes noch einmal ganz anders bewusst. In die Stadt „Córdoba“ der gleichnamigen Nachbarprovinz sind es ca. 6 Stunden, in die Hauptstadt Buenos Aires 14-15 Stunden. Für die Argentinier: Normal. Für die zwei Volontäre: Eine halbe Weltreise mit Abstecher zum Mond. Einen Vorteil, den wir aus den Busexpeditionen ziehen werden, ist deshalb hoffentlich, dass uns Dimensionen in Europa (z. B. München-Hamburg, ca. 8-9h) eher wie eine Spazierfahrt vorkommen werden.

X wie „X“ von Nicky Jam

Wem dieses Lied jetzt nichts sagt: Kein Problem. In diesem Buchstabenpart soll es auch nicht direkt um diesen Reggaetonsong gehen. Das Lied steht stellvertretend für die gesamte Spanne an Musik, die hier in Argentinien so erklingt. Erschallen würde vielleicht besser passen, denn wenn Musik, dann laut. Man würde sie ja sonst für nichts und wieder nichts anhören.

Ohne Musik geht hier gar nichts. Selbst am Abend gegen 23 Uhr (oder auch um vier Uhr morgens…😉) krusen die fahrenden Party-Musikboxen (auch Autos genannt) durch die City und lassen den Rest der Welt am Musikgeschmack des Fahrers teilhaben. Um euch ein paar Hits von hier zu nennen:

  • „Tusa“ von Karol G feat. Nicki Minaj
  • „Tutu” von Camilo feat. Pedro Capó
  • „C90” von John C
  • “Nunca es suficiente“ von Los Angeles Azules
…und viele mehr

Beim Thema „Musik“ sind die Jungs aus der Residencia auch immer volle Experten und überraschen immer wieder mit ihrer scheinbar unendlichen Spanne an Lieblingsmusik. Da ist von Pop-Reaggeton-Remixes über Schlagerhits (alles natürlich mit argentinischen bzw. südamerikanischen Ursprung) bis hin zur Folklore (vom Kulturlevel ungefähr vergleichbar mit unserer Volksmusik) absolut alles dabei. Und so erschallen bei den täglichen Putz- und Wascheinheiten aus den oratorioeigenen Musikboxen ein kunterbunter Mix.

Leider ist es das auch schon wieder, meint toller Laptop arragniert sich nicht so gut mit dem lokalen Wlan vom Salesianerhaus, deshalb vertröst ich euch mit dem nächsten Teil des Alphabets auf die kommenden Tage (oder vielleicht auch Stunden, wir haben hier echt wenig zu tun ;)).

Bleibt gesund und machts gut,

Eure Martha