Am Freitag haben Vroni und ich gleich nach dem Frühstück einen ca. 45-minütigen Spaziergang gemacht. Wir sind durch den von der noch schwachen Morgensonne beleuchteten Dschungel zur Farm und weiter in einen kleinen Ortsteil des Dorfes Mawtnum gegangen. Es war wunderbar sich nach der üppigen Mahlzeit von mehreren kleinen Pfannenkuchen, mit Zwiebeln angebratenem Reis, Chana (ein Kichererbsen-Gericht, das es hier nahezu jeden Morgen in einer anderen Variante gibt) und doppelseitig angebratenem Spiegelei ein wenig an der frischen Luft zu bewegen. Wieder im Zimmer angekommen, sind wir zusätzlich noch ein paar Minuten von Wand zu Wand gejoggt (wir bilden uns ein, dass das was bringt…) und ich habe angefangen ein paar Dehnübungen zu machen. Während des Dehnens hat ein Mädchen angeklopft, um uns Bescheid zu geben, dass wir in das Office der Direktorin und leitenden Don Bosco Schwester kommen sollen. Dort erfuhren wir, dass wir eigentlich seit 9.00 Uhr Aufsicht des „Final Exam“ in unterschiedlichen Klassenräumen gehabt hätten. Jetzt war es 9.45 Uhr. Als Vroni und ich um 8.15 Uhr nach dem Frühstück zur Schule gegangen sind, um nach der Liste zu sehen, auf der die Aufsichts-Schichten der LehrerInnen vermerkt sind, war von dieser weit und breit noch nichts in Sicht. Aber gut: Hier läuft eben ALLES spontan ab. So haben wir uns jeder in das ihm zugeteilte Klassenzimmer begeben. Es haben immer mindestens zwei LehrerInnen (einschließlich einem von uns) gleichzeitig Aufsicht, damit man einen besseren Überblick über die Klasse hat und somit weniger abgeschrieben werden kann. Außerdem ist dadurch gewährleistet, dass man als Aufsichtsperson während des dreistündigen Tests auch mal kurz aufs Klo oder einen Tee trinken gehen kann. Allerdings steht unten auf der Liste noch, dass es ganz wichtig sei, nicht über 20 Minuten Pause zu machen und in dieser das Schulgelände nicht zu verlassen – klingt eigentlich logisch. Als ich nun das Klassenzimmer der fünften Klasse betrat, traf ich auf 24 Schülerinnen der Klassen 5, 8, 9a, 9b, 10a und 10b (und auf eine Lehrerin). Es waren tatsächlich Prüflinge aus sechs verschiedenen Klassen versammelt. Alle saßen jeweils neben einer Person aus einer anderen Jahrgangsstufe, sodass das Abschreiben schon allein dadurch einigermaßen verhindert wurde – trotz fehlender Trennwände. Kaum war ich im Raum angekommen, verlies Miss Johanna* denselben. Ich war mit der Klasse allein. Ohne auch nur irgendeine Einführung, was denn überhaupt zu tun ist. Ich mein, gut, ich soll für Ruhe sorgen – das ist mir einleuchtend. Und ich soll sie vom Abschreiben abhalten – das macht auch Sinn. Aber ansonsten – keine Ahnung. Dürfen die Schülerinnen zum Beispiel aufs Klo gehen? Darf ich ihnen Fragen beantworten, v. a. wenn sie die Aufgabenstellung nicht verstehen? – Lieber nicht. Aber was ist denn z.B. mit den Rahmenbedingungen? Wie lange geht ein Final Exam überhaupt? Und dürfen alle gleich lange schreiben, auch wenn sie unterschiedliche Prüfungen in anderen Fächern haben oder gar aus verschiedenen Jahrgangsstufen sind? Ich habe ja keine Ahnung. Aber das ist erstmal unwichtig. Jetzt geht es darum, Sicherheit auszustrahlen. Sonst kommen die noch auf die Idee, mich auszutesten… Also schaue ich mir die Klassenliste an, überprüfe die Anzahl der Anwesenden, ermahne einzelne Personen und gehe durch die Reihen, um mir einen Einblick in die Prüfungen zu verschaffen. Alle haben ein Aufgabenblatt mit der Aufgabenstellung bzw. mehreren Fragen drauf bekommen und beantworten diese jetzt auf einem Extrablatt. Ist das Erste (oder Zweite, je nach dem) vollgeschrieben, kommen sie nach vorne zum Pult und verlangen nach einem Weiteren. Bis jetzt eigentlich so ähnlich wie bei uns in Deutschland. Allerdings darf ich ihnen kein weiteres Blatt aushändigen, ohne vorher darauf unterschrieben und es mit dem heutigen Datum versehen zu haben, was mir eine Schülerin geduldig erklärt. Top vorbereitet wie ich bin – ohne Stift natürlich – nahm ich trotz schlechten Gewissens den Stift der Lehrerin, der offen auf dem Pult lag. Wieder was gelernt: Immer einen Stift mitnehmen! Bei den Kleinen bereiten wir den Unterricht meist soweit vor, dass wir während des Unterrichts keinen Stift brauchen – wenn dann eher Kreide. Und außerdem wussten wir ja noch gar nichts von unserer Aufgabe, als wir ins Office gerufen wurden. Zuerst dachten wir nämlich, dass die Direktorin etwas anderes mit uns besprechen möchte. So kann man sich irren! Ich habe ziemlich schnell herausgefunden, dass alle Prüflinge linierte Blätter brauchen, wenn sie nach vorne kommen – außer die der achten Klasse; die brauchen ein „plain paper“, da sie „Mathematics-Exam“ haben. Auch wenn am Pult nur vierseitige Bögen liegen, darf ich nur jeweils einen halben Bogen rausgeben. D.h. ich muss die Bögen in der Mitte auseinanderschneiden. Nur wie ohne Schere?!? Ich machte es mir also zur Aufgabe, die Blätter es Öfteren an der gleichen Stelle zu falten und dann vorsichtig auseinander zu reisen, wie es meine Mama mir gelernt hat. So war ich wenigstens eine Zeit lang beschäftigt und mir wurde nicht langweilig. Nach ca. einer Stunde und 20 weiteren verteilten und signierten Blättern, kam Miss Johanna zurück und bot mir an im Lehrerzimmer einen Tee trinken zu gehen. Das tat ich dann auch. Obwohl ich keine Ahnung hatte, welches Lehrerzimmer sie meinte und wie man dort zu einem Tee kommt, habe ich es letztendlich geschafft, mir die letzte Tasse vom heißem Inger-Tee zu ergattern. Er war sehr bitter (ich habe ihn natürlich wie in Deutschland ohne Zucker getrunken – vielleicht in diesem Fall ein Fehler), tat aber trotzdem gut. Als ich zehn Minuten später wieder zurückkam, ging die Lehrerin erneut ohne auch nur eine Silbe zu sagen aus dem Raum. Schnell habe ich mir erschlossen, dass die Schülerinnen schon abgeben dürfen, wenn sie denn wollen. Ich sammelte also die fertigen Tests ein und sortierte sie auf einem kleinen Extra-Tisch nach Klassen. Dabei fiel mir auf, dass mehrere Blätter der gleichen Schülerin immer oben links mit einer kleinen Schnur zusammengebunden waren. Das Angaben-Blatt wurde nie mit abgegeben. Ich hoffte inständig, dass das kein Fehler der Schülerinnen ist. Aber es schien nicht so. Wieder am Pult sitzend stach mir ein kleines Bündel von Schnüren ins Auge, von dem ich am Anfang bereits Notiz genommen habe – ohne zu wissen, wofür es eigentlich gut ist. Jetzt erschien es mir einleuchtend: Als „Tacker-Ersatz“, um ebenbesagte einzelne Blätter zusammenzuheften. Sofort machte ich mir Gedanken, wie ich das am schlauesten anstelle – ohne Nadel oder Schere zur Hand, um ein Loch zu bohren. Ich zog in Erwägung einfach den Stift von Miss Johanna dafür zu nehmen. Als die Nächsten ihre Unterlagen abgaben, fiel mir glücklicherweise auf, dass sie ihre Bögen bereits selber zusammengeschnürt haben und ich lediglich die Bänder dazu verteilen muss. Ich war sehr erleichtert. 15 Minuten vor Ende kam – zum Glück – ein anderer Lehrer herein. Er teilte mir mit, dass wir jetzt 15 Minuten vorm Ende sind, welches immer um 12.00 Uhr nach drei Stunden Bearbeitungszeit ist – und zwar für alle. Vor 11.00 Uhr dürfen die Prüflinge den Raum aber keinesfalls verlassen. Gut, dass ich das jetzt auch weiß… 🙂 Er zeigte mir jedenfalls, wie ich die fertigen und bereits abgegebenen Tests zusammenrolle (wortwörtlich) und beschrifte. In diesem Moment war er wie ein Engel für mich. Ich war ihm so dankbar und machte mich gleich an die Arbeit. Um Punkt 12.00 Uhr kam die Lehrerin zurück. Sie packte die schon fertig gerollten und sortierten Prüfungen und trug sie weg, ohne auch nur eine Silbe – geschweige denn ein „Thank you“ – von sich zu geben. Ich erklärte meinen Job somit als beendet. Eigentlich ist er ganz entspannt, wenn man weiß, wie der Hase läuft. Aber fürs nächste Mal bin ich ja jetzt gewappnet! Und im Nachhinein betrachtet war das Ganze nicht nur eine der zehn Abschlussprüfungen für die SchülerInnen der Auxilium Secondary School, sondern auch ein guter Test für mich.

Vroni erzählte mir übrigens beim Mittagessen von ihrer Aufsicht im Final Exam: Sie waren zu dritt eingeteilt, was dazu führte, dass Vroni wenn dann nur kurz mit der Klasse allein war. Ihr wurde sogar erklärt, was genau sie dann zu tun hat…

Leider kann ich zu diesem Blogartikel keine Bilder hochstellen, da ich mein Handy im spontanen Aufbruch nicht eingesteckt habe. Aber das nächste Mal gibt es wieder was zum Anschauen, das verspreche ich.

Noch kurz zu den letzten Wochen: Vroni und ich haben fast durchgehend unsere „große Indienreise“ geplant, die am 2. Dezember mit dem Flug nach Bangalore beginnt. Ich bin schon sehr gespannt und auch ein Wenig aufgeregt! Aufgrund der recht aufwendigen Vorbereitungen (Route planen, Flug buchen, Zugverbindungen und Hotels raussuchen, Reiseführer lesen ect.) hatte ich leider nicht viel Zeit zum bloggen. Während der Reise werde ich auch keine Möglichkeit haben etwas Neues hochzustellen, da ich meinen Laptop hier in Nongpoh lasse. Dafür werde ich nach unserer Rückkehr Mitte Januar von meinen Erlebnissen berichten! Macht euch also keine Sorgen, wenn ihr die nächsten zwei Monate nichts mehr von mir hört, vermutlich befinde ich mich dann gerade in einem der größten Abenteuer meines Lebens!

Ganz liebe Grüße aus ca. 7.217 km Entfernung 😉

 

*Der Name wurde aus Datenschutzgründen geändert.