Die meisten meiner KollegenInnen aus nah und fern haben eben diesen Eintrag recht am Anfang des Volontariats geschrieben. Ich bin bis jetzt leider nicht dazu gekommen, finde aber, dass das auf keinen Fall fehlen darf.

Deswegen ist das bei mir jetzt sozusagen ein „Rausschmeißer“, in den ich all meine über ein Jahr gesammelten Erfahrungen miteinbeziehen konnte.

Verkehr

Der Verkehr in Indien ist ein ganz eigenes Thema.

Das Erste, was uns aufgefallen ist (das weiß ich bis heute), war das viele „Gehupe“. Gehupt wird einfach immer: Hup – fahr mal schneller. Hup – heute ist das Wetter schlecht. Hup – es ist mir zu heiß.  Hup – ich überhole gleich. Hup – weiß noch nicht, ob links oder rechts. Hup – habe mich entschieden. Hup – Doch anders. Huuuuuuuuuup (=Überholvorgang) – endlich geht’s weiter. Hup – Vollbremsung. Eine Kuh steht auf der Straße. Wartewartewarte. Hup – es geht weiter.

Blinker werden generell nicht und wenn dann falsch benutzt. (Ist eh überflüssig. Wer hat sich das mit dem Blinken überhaupt ausgedacht?)

Anschnallgurte sind auch überflüssig. Wir haben es uns (fehlerhafter Weise!) inzwischen auch abgewohnt, nach ihnen zu suchen. Am Anfang des Freiwilligendienstes war das eine krasse Umstellung für uns. In jedem Fahrzeug haben wir uns immer automatisch umgedreht und ins Leere gegriffen. Meist gibt es gar keine Gurte. Wenn dann für den Fahrer (und Beifahrer). Der muss nämlich offiziell angeschnallt sein. Sollte einE PolizistIN am Straßenrand stehen, so wird häufig ganz schnell und provisorisch der Gurt umgelegt.

Da wären wir auch gleich beim nächsten Thema: Der Polizei im Straßenverkehr. Bis jetzt ist mir noch nicht bewusst, was genau die eigentlich macht. An größeren Kreuzungen stehen schon des Öfteren einE PolizistIn mit einer Pfeife, der/die hektisch in der Gegend rumfuchtelt und dauerpfeift. Es gibt auch hin und wieder irgendwelche Kontrollen. Was genau da kontrolliert wird, weiß ich nicht. „Stopp-Police-Hürden“ gibt es quasi auf jeder Fahrt. Die Fahrer machen sich einen Spaß draus und fahren Slalom um die Wette. Als Hilfe zum Straßenüberqueren steht in Nongpoh neuerdings oft einE BeamterIN, der/die den Verkehr so regelt, dass alle heil über die Straße kommen. Wir haben irgendwie das Talent diese Person immer zu übersehen und gehen einfach, wenn wir es für richtig halten.

Straßenüberqueren in Indien ist wieder eine eigene Sache: Wenn man so wie in Deutschland wartet, bis kein Auto mehr kommt, wartet man lange. Das Fazit nach über elf Monaten im Land ist: Einfach losgehen. Sich durchschlängeln. Dabei Augen und Ohren offenhalten. Ein guter Trick ist es, sich an die InderInnen zu halten. Die wissen meistens am besten, wie man sicher rüberkommt. 😉

Zu Unfällen kommt es trotzdem. An dem Highway, der an unserem Projekt entlangläuft, wurden angeblich schön öfter Menschen totgefahren. Die Straße ist sehr kurvig und schlecht überschaubar.  Während meines Aufenthalts wurde „nur“ ein Mädchen aus Nongpoh schlimm angefahren, wenn ich mich richtig erinnere. LKW-Fracks, die die Kurve nicht mehr rechtzeitig gekriegt haben, liegen öfter im Straßengraben. Auch viele kaputte Autos sind häufig noch an der Unfallstelle oder wurden nur flüchtig an den Straßenrand geschoben.

Autoskooter: Ich habe es mehr als einmal miterlebt, wie ein Fahrzeug ein anderes angefahren hat. Meist nicht mit Absicht. Teilweise werden aber auch bewusst andere gerammt, um durchzukommen. Die InderInnen regen sich selten darüber auf, sondern fahren dann halt wieder ein Stück zurück (aus dem anderen Auto raus) und weiter geht’s. Von wegen Polizei rufen, Nummern austauschen, anschnauzen, Zeugen usw.

In diesem Jahr wurde ich (trotz Vorsicht!) zweimal angefahren. Das erste Mal hat mich ein Außenspiegel eines vorbeifahrenden Autos am Oberarm getatscht. Das zweite Mal hat mich ein langsam einparkendes Auto „weggeschoben“. Ich dachte zuerst es wäre ein drängelnder Mensch. Beide Male wurde sich nicht gekümmert oder entschuldigt. Ich kam mit blauen Flecken weg, keine Sorge!

Tempolimits gibt es. Theoretisch.

Schilder (wenn vorhanden) dienen nur zur Dekoration.

Wenden kann man nur beim Turning. Fast durchgehend gibt es einen bepflanzten Mittelstreifen (häufig auch mit Leitplanke). D.h. nur an wenigen dafür vorgesehenen Stellen kann man umdrehen. An der Ausfahrt unserer Schule gibt es wegen der Kurven kein Turning. D.h. wir müssen meist erstmal ca. 500 Meter in die falsche Richtung fahren. Umwelttechnisch nicht ganz so korrekt, aber was ist in Indien schon umwelttechnisch korrekt?

Prinzipiell (das war am Anfang auch eine Überraschung für mich) gilt in Indien Linksverkehr. Das ist aber nicht immer ganz deutlich zu erkennen.

Häufig gibt es statt einer Spur drei oder vier. Man weicht auch auf die Gegenfahrbahn aus.

Menschen, Kühe, Ziegen, Hunde, Hühner und andere Lebewesen halten sich gerne auf den Straßen auf und lassen sich vom Hupen nicht aus der Ruhe bringen. Ich habe oft das Gefühl sie genießen die Aufmerksamkeit.

Die InderInnen haben es eilig. Deswegen wird fleißig überholt.

Das Durchschnittstempo ist trotzdem deutlich niedriger als bei uns, was aber wegen der Straßen und auch der Fahrzeuge gar nicht anders möglich ist.

Zebrastreifen gibt es auch. Ich würde allen davon abraten, sich auf sie zu verlassen!

Ich möchte mich an dieser Stelle kurz bei meinem Schutzengel bedanken: Dankeschön. <3

Straßen(verhältnisse)

Am Anfang hat ein Einheimischer mir erklärt:

„Anhand der Straßenverhältnisse siehst du, wie gut es dem jeweiligen Staat oder ganz allgemein dem Land geht.“

Hier in Meghalaya wird verhältnismäßig viel ausgebaut. Trotzdem gibt es einige Straßen, die man nicht wirklich eine Straße nennen kann. Dagegen ist der Schärflmühlweg Daheim eine Autobahn. 😉

Viele Straßen sind so eng, dass man eigentlich nur mit einer Rikscha (siehe unten) durchkommt. Aber Außenspiegel existieren häufig eh nicht (mehr), was die Sache auch erleichtert. 

Andere bestehen nur aus Schlaglöchern. Man wird ganz schön durchgeschüttelt und gerüttelt. Anfangs war ich oft angespannt, aber inzwischen versuche ich locker zu lassen und die „Achterbahnfahrt“ zu genießen.

Wieder andere bestehen nur aus Schlamm. Und zwar wirklich Schlamm und nicht Kies. D.h. wenn es trocken ist staubt es ohne Ende und in der Regenzeit bleibt man schon auch mal stecken. Zum Glück gibt es öfter am Rand rechteckige hohe Steinklötze, auf denen man wenn die Straße weggespült wird laufen kann.

Kurven gibt es v.a. in Meghalaya viele, da dieser Staat größtenteils im Bergland liegt. Trotzdem wird überholt und die Kurven werden ohne Rücksicht auf Verluste geschnitten.

Ich glaube ich bin im Laufe des Jahres etwas abgehärtet worden. Leider war mir aber auf einer Vielzahl der Reisen durchgehend schlecht. Ich konnte mich weder entspannen, noch die Augen zumachen (Angst), geschweige denn Schlafen und fast immer war mir kotz-übel. Aber das hat ja jetzt bald ein Ende (wenn ich den Flug überlebe). 😀

Verkehrsmittel

Auf dem Highway bei unserem Projekt fahren sehr viele Lastwagen vorbei, da es die einzige Verbindungsstrecke ist. Sie sind oft sehr schön geschmückt und fahren selten schneller als 40 km/h. Folgende Bezeichnung einer Don Bosco Schwester trifft’s ganz gut:

„King of the road.“

Möchte man größere Distanzen überwinden oder einfach nur verhältnismäßig komfortabel reisen, so empfiehlt sich der Zug als optimales Verkehrsmittel. Diese fahren sehr weit am Stück (bis zu 72 Stunden) und haben dementsprechend häufig Verspätungen. Dafür muss man nicht – wie in Deutschland – ständig umsteigen. Jedoch sollte man mindestens einen Monat vorher buchen. Wir sind meist erste Klasse (AC = Air Condition) gereist, was ich jedem, der länger unterwegs ist, nur empfehlen kann. In der alternativen „Sleeper Class“ sind die Betten nicht so komfortabel und es ist dreckiger. Ein Zug besteht meist aus einer Lok, mindestens einem Gepäckwagen, bis zu 15 „Sleeper-Wagons“ und maximal vier „AC-Wagons“. Oft gibt es noch einen „Sitting-Class-Wagon“, für die die nur tagsüber fahren und keine Liege-Möglichkeit benötigen. Insgesamt kann so ein Zug 500 – 1000 Meter lang sein. Das ist mit ein Grund dafür, warum sie immer so lang in den Bahnhöfen stehen: Damit man Zeit hat, den richtigen Wagon zu finden. Bei unserer allerersten Zugfahrt haben wir das nicht geschafft. Also sind wir am nächsten Bahnhof schnell umgestiegen. An einigen Bahnhöfen gibt es schon elektronische Anzeigetafeln mit den Wagon-Nummern. Außerdem hat uns ein reisender Kanadier die „Where-is-my-train-App“ gezeigt. Sie zeigt nicht nur an von welcher Richtung der Zug einfährt und wo der gebuchte Sitzplatz im Zug ist, sondern auch wie viel Verspätung der Zug schon hat. Eine super Sache, denn mit Verspätungen muss man rechnen. Das Reisen ist deswegen so komfortabel, weil man Platz zum Sitzen hat und sich auch hinlegen kann. Das muss man sich so vorstellen: Es gibt eine 2er-Seite, auf der sich oben ein Festbett und unten ein klappbares Bett befinden: Sind die beiden Lehnen heruntergeklappt, so entsteht unten eine große Liegefläche, auf der es sich auch bequem sitzen lässt. Klappt man die Lehnen hoch, so erhält man zwei Sitze und hat Platz in der Mitte, um die Füße auf den Boden zu stellen. Auf der gegenüberliegenderen Seite gibt es sechs Sitz- bzw. Schlafplätze. Sie sind im Rechtenwinkel zu den beiden Betten auf der 2er-Seite angeordnet. Unten sind zwei Festbetten, unter denen sich prima das Gepäck verstauen lässt. Deren Lehnen kann man problemlos zu den mittleren Betten hochklappen. (Dann kann allerdings keiner mehr sitzen.) Oben sind ebenfalls nochmal zwei Festbetten. Zu zweit ist es optimal, auf der 2er-Seite zu sein. So muss man sich nicht mit den anderen InderInnen absprechen. Die indischen Züge haben übrigens keine Türen… An die Kosten erinnere ich mich nicht mehr ganz so genau. Aber im Vergleich zu Deutschland ist es sehr wenig. „AC“ ist circa das Doppelte von „Sleeper“, aber ich finde das ist es wert. Man bekommt sogar Decken, ein Kissen mit Bezug, zwei Leintücher und ein kleines Handtuch. Teilweise war auch eine Wasserflasche und/oder Essen mit dabei. Die teuerste Zugfahrt war auf unserer Rundreise von Varanasi nach Guwahati. Wir sind 24 Stunden gefahren und haben knappe 30 € gezahlt. Die kürzeren Distanzen waren glaub ich alle bei um die zehn Euro.

Mit dem Flugzeug reisen nur weniger InderInnen, da es verhältnismäßig unbezahlbar für sie ist (internationale Preise). Wir haben dort fast ausschließlich Männer getroffen, die geschäftsmäßig unterwegs waren.

Ein anderes, sehr wichtiges Fortbewegungsmittel ist das Sumo. Das ist ein großer Jeep. Vorne sitzen der Fahrer (sind ausschließlich männlich) und zwei weitere Passagiere. In der Mitte und hinten ist Platz für je vier Personen. Sind dies Frauen mit breiten Hüften, so kann es sehr eng werden. Meist sitzt man dann versetzt. D.h. abwechselnd eine vorne an der Kante und eine an der Lehne. Hinten sitzt man ein wenig erhöht. Leider sieht man von hier aus schlecht raus. Es kann durchaus vorkommen, dass man sich bei all den Schlaglöchern den Kopf anstößt. Im Regelfall sind also elf Personen im Sumo. Es fährt erst los, wenn alle Plätze belegt sind. Dafür sind die Preise meist dementsprechend niedrig. Für die guten 50 Kilometer von Nongpoh nach Shillong (eineinhalb Stunden Fahrt) zahlt man beispielsweise einen knappen Euro. Von New Jalpaiguri nach Gangtok (circa 120 Kilometer, gute vier Stunden Fahrzeit) haben wir umgerechnet je drei Euro gezahlt. Häufig gibt es auf so langen Fahrten Pausen, auch eine Mittagspause. Das finde ich prinzipiell sehr praktisch. 🙂 Manchmal steigt für eine kurze Distanz noch eine weitere Person hinzu. Diese kann dann vorne „in“ der Schaltung oder hinten als fünfte Person sitzen. Babys und Kleinkinder kommen zusätzlich auf den Schoß.

Das von uns mit am meisten benutzte Verkehrsmittel ist die motorisierte Rikscha, auch Auto oder Tuktuk genannt. Das ist alles dasselbe. Wir müssen circa fünf Kilometer von unserem Projekt nach Nongpoh fahren. Eine einfache Fahrt dauert knappe zehn Minuten und kostet zehn Rupie pro Person, was vielleicht zwölf Cent entspricht. Bei uns in Meghalaya zahlt einfach jede Person die einsteigt den gleichen Preis. D.h. je mehr Leute mitgenommen werden, desto mehr verdient der Fahrer. Dementsprechend liegt der Rekord bei zwölf Personen in einer einzigen Rikscha!!! (Es war wirklich sehr eng.) Da wird gestapelt was das Zeug hält. Teilweise sitzt man schon gar nicht mehr in der Rikscha, sondern mehr draußen und klammert sich irgendwo fest. 😉

Als Alternative für etwas weitere Strecken gibt es das „Lokal Taxi“. Wollen wir von Nongpoh beispielsweise nach Umden, um Primus Familie zu besuchen, so fahren wir ungefähr 20 Kilometer in einer Stunde und zahlen dafür 60 Cent. Diese Taxis sind recht kleine Autos, in denen aber auch hinten vier Personen (versetzt) und vorne drei sitzen. In Städten wie Shillong sind keine Rikschas erlaubt, d.h. man kommt mit eben diesen Taxis voran.

Busfahren ist mit die billigste Fortbewegungsmethode. Sie fahren prinzipiell von festen Haltestellen ihre Routen und kosten immer nur ein paar Cent. Allerdings zahlt man auch, wenn kein Sitzplatz frei ist. Für kürzere Fahrten in den Städten haben wir oftmals nur sieben Rupie (circa zehn Cent) gezahlt. Auf unserer Reise nach Kaziranga sind wir 200 Kilometer in fünf Stunden gefahren und haben unter vier Euro gezahlt.

Die rund 600 SchülerInnen der Auxilium Secondary School Nongpoh, die zu unserem Projekt gehört, werden täglich von drei Schulbussen abgeholt. Klar gehen einige zu Fuß oder werden privat gebracht und die Internats-Mädels fallen weg, aber es ist trotzdem ganz schön eng dadrin!

Es gibt auch „richtige“ Taxis mit Federung und Ledersitzen. Auf ihren Frontscheiben steht TOURIST PERMIT. Teilt man es, kostet es etwas mehr als ein Sumo. Bucht man es für sich privat (mit Abholservice etc.) zahlt man schon mal an die 15 € (gesamt).

Privatautos gibt es nur wenige, da sich die meisten InderInnen kein eigenes Auto leisten können. (Die Sprit-Preise sind verhältnismäßig hoch.) Außerdem kommt man ohne Probleme öffentlich voran.

In dem ganzen Jahr kann ich die Momente, in denen ich eine Frau am Steuer gesehen habe, an einer Hand abzählen. Wenn dann fährt sie Skuti (=Roller).

Es gibt auch weniger Motorräder.

Fahrräder werden kaum benutzt. In Nongpoh sieht man nur sehr selten eines. In Assam waren es ein paar. In Südindien (auch in den Projekten meiner KollegenInnen) wurden häufiger Fahrräder benutzt. Aber im Vergleich zu Deutschland ist das nichts. (Noch dazu auf die Bevölkerungszahl gesehen.)

Dafür gibt es in größeren Städten „Radrikschas“. Das sind „Dreiräder“ mit einer Sitzfläche über den hinteren beiden Rädern. Da sie von einem Menschen gezogen werden, haben wir sie kein einziges Mal benutzt.

Ganz oft sieht man Transporter, die auf ihrem Dach noch einen Meter Chips-Tüten oder Kekse draufgepackt haben (ohne Witz). In ihnen befinden sich beispielsweise Hühner in engen Käfigen, haufenweise Ananas oder Bananen wohin das Auge reicht.

Viele Menschen, v.a. junge Männer, sind oft auf freien Ladeflächen oder turnen auf dem Bus-Dach rum.

Traktoren, Bagger oder andere Baumaschinen sieht man nur sehr selten. Es wird eben alles mit der Hand gemacht.

Fazit: Man kommt sehr
billig sehr weit und hat eine große Auswahl an öffentlichen Verkehrsmitteln. 

Wie komme ich von A nach B?

Züge oder private Taxis (und natürlich Flüge) sind das einzige, was man im Vorhinein buchen sollte.

Ein Sumo oder einen Bus bekommt man spontan am jeweiligen Stand. Pläne gibt es nicht. Man geht einfach hin und wartet, bis das erste Sumo voll ist oder ein Bus ankommt und in die richtige Richtung fährt. Wir haben oft auf Google Maps verfolgt, ob wir noch richtig sind und wenn wir zu weit in die falsche Richtung gefahren sind, sind wir einfach ausgestiegen und haben auf das nächste Fortbewegungsmittel gewartet.

„Irgendwie kommt man immer an.“

Wollen wir mit der Rikscha nach Nongpoh oder mit dem Sumo/ Taxi nach Shillong, so stellen wir uns einfach an die Hauptstraße und warten, bis das Gesuchte vorbeifährt. Inzwischen haben wir auch schon raus, wie man winkt: Ein „Calm-Down-Winken“. Hält das Fahrzeug trotzdem nicht, ist es wahrscheinlich schon voll. Meistens kriegen wir in unter zehn Minuten eine Mitfahrgelegenheit.

Wenn man in Indien reist,
sollte man auf JEDEN FALL viel Zeit einplanen.

Mir ist am Anfang aufgefallen, dass man selten InderInnen zu Fuß gehen sieht. Jede Distanz, die mehr als 100 Meter beträgt, wird gefahren. – Das ist wirklich so!!! Ich glaube die InderInnen sind einfach ein faules Volk, was das betrifft. 😛 Vielleicht liegt es aber auch an der Hitze oder daran, dass sie keine Zeit haben zu Fuß zu gehen, weil sie arbeiten müssen…

Auf unseren vielen Reisen habe ich mir seit Beginn immer wieder Gedanken, Eindrücke und Stichworte aufgeschrieben, als ich aus dem Fenster geschaut habe. Ich liebe es, während dem Fahren rauszuschauen, Neues zu entdecken. Meine Neugierde gleicht die Übelkeit ein wenig aus. Nicht umsonst wollte ich mir ein anderes, fernes und fremdes Land anschauen…

Hier das Ergebnis:

Fantasiereise

Ich sitze mehr oder weniger bequem mit angezogenen Füßen in unserem Zugabteil. Noch stehen wir im Bahnhof. Trotzdem ist mein Blick nach draußen gerichtet. Auf dem Nachbargleis steht ein Güterzug. Einmal habe ich 57 Wagons bei einem gezählt. Ich glaube sie transportieren Kohle, bin aber nicht ganz sicher. Zwischen unserem und dem Nachbargleis gibt es mehrere Leitungen und Schläuche. Ich sehe Müll auf dem Boden. Ups – eine Ratte läuft vorbei. Ein schäbig angezogener Mann mit einer ebenso schäbigen Warnweste kommt vorbei und macht irgendetwas mit den Schläuchen. Noch während er am Arbeiten ist, kommen zwei Frauen in zerrissenen Saris. Die eine trägt ein kleines, schlafendes Kind auf dem Rücken. Es ist ganz dreckig. Sie suchen (vermutlich) nach Essen auf dem Boden. Die andere hebt eine leere Plastikflasche auf, freut sich und geht weiter. Als sie mich sehen, flüstern sie sich etwas zu. Dann kommen sie zum Zugfester und strecken ihre Arme zu mir herauf. Zusätzlich sagen sie irgendwas – vermutlich auf Hindi und es heißt „Gibt uns was zu Essen. Gibt uns was zu Trinken.“ Doch der Zug beginnt zu rollen. Sie laufen noch ein paar Schritte mit, dann hängen wir sie ab. Ich schaue zurück, sehe ihre verzweifelten Gesichter. Am Anfang hat mich das sehr berührt. Ich war geschockt. Inzwischen ist es Alltag geworden. Auf Reisen werden wir meist mehr als einmal täglich angebettelt. Das Leiden ist groß. Indien nicht umsonst eines der ärmsten Länder der Welt. Ich versuche mich abzulenken und schaue wieder aus dem Fenster. Ein sanfter Fahrtwind weht durch meine Haare. Ich wage es kaum zu atmen, denn die Luft in den Großstädten ist schlecht. Mir steigt ein unangenehmer Geruch in die Nase: verfault, verschimmelt, vergammelt. Es stinkt nach Urin. Man kann die Abgase in der Luft stehen sehen. Trotzdem ist mein Blick nach draußen gerichtet. Wir überqueren geraden einen Bahnübergang. Die Schranken sind zu. Es warten v.a. Motorräder und „Radrikschas“. Aber auch viele Menschen in bunten Kleidern. Einige sind schon innerhalb der Schranken und bereit, jeden Moment das Gleis zu überqueren. Ein Taxi schlängelt sich hupend durch nach vorne – das reine Verkehrschaos. Ein paar Meter weiter sehe ich Menschen auf dem Nebengleis sitzen. Sie reden. Einige gehen auch auf dem Gleis entlang. Das ist ganz normal in Indien. Wir nähern uns dem Ende der Stadt und kommen ins Armenviertel. Ich sehe viele Blechdächer, auch provisorische Zelte sind dabei. Ein Mann schläft im Dreck. Ein nacktes Kind macht die ersten Gehversuche im Schlamm. Es spielt mit einer leeren Chips-Tüte. Eine ältere Frau macht ihr Geschäft. Alle trage dreckige, zerrissene Klamotten, haben eingefallene Wangen. Viele Männer haben eine Schnapsflasche in der Hand. Dort sitzen sie an einem kleinen Lagerfeuer. Wahrscheinlich verbrennen sie Müll, um warm zu bleiben. Über den Slums herrscht ein reines Kabelchaos. Ein Passagierzug kommt entgegen und versperrt mir kurz die Sicht. Für einen Moment werde ich aus meinen Gedanken gerissen und schaue den an den Fenstern des anderen Zugs hängenden InderInnen ins Gesicht. Einige schreien laut, als sie meine Hautfarbe erkennen. Andere winken. Ich winke zurück. Ein kleiner Junge wirft irgendein Müll-Papier aus dem Fenster und verfolgt dessen Flugbahn mit seinen großen Kinderaugen. Die Mutter sitzt daneben. Sie sagt nix. In mir steigt Wut hoch. Eine Sirene ertönt. Wieder werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich vergesse die Wut und frage mich, was wohl passiert ist. Hoffentlich geht es nicht um Leben und Tod. Hoffentlich kommt der Krankenwagen rechtzeitig an der Unfallstelle an. Oder erlaubt sich der Fahrer nur einen Scherz und es ist gar nichts passiert? Als ich wieder zu mir komme, sehe ich weite Reisfelder. Sie sind fast komplett mit Wasser bedeckt und wenn man nicht genau hinschaut, sieht es aus wie ein großer See. Einige Vögel kreisen über den Feldern. Ich atme tief ein. Die Luft riecht gut. Frisch. Natürlich. Sauber. Ich blinzle ein paar Mal und lasse den schnellen Fahrtwind durch meine Haare wehen. Dann schließe ich meine Augen und genieße die Freiheit, das Reisen, das Unterwegssein. Ich freue mich darauf, Neues zu erkunden. Ich spüre, wie der Zug unter mir wackelt. Ich höre wie er auf den Gleisen rollt. Im Nachbar-Abteil reden Menschen auf einer mir unverständlichen Sprache. Ich male mir aus, was diese komischen Laute wohl bedeuten könnten. Reden sie über uns? Jetzt dröhnt mir einer der gängigsten Hindusongs ins Ohr. Ich kann die Melodie schon mitsummen. Das Mädchen neben mir singt lautstark mit. Ein Kleinkind schreit. Die Abteiltür geht auf und wieder zu. Ich öffne die Augen, um zu sehen, wer gekommen ist. Bevor ich eine Person erblicke höre ich es schon. „Chaichaichaichaichai!!!“ Ein Tee-Verkäufer. Bepackt mit einer Teekanne wie im Bilderbuch und einem Stapel Pappbechern läuft er durch das Abteil. Wieder ruft er: „Chaichaichaichaichai!!!“ Er sagt das so schnell, dass man es eigentlich gar nicht verstehen kann. Ich verstehe es nur, weil es offensichtlich ist und nicht das erste Mal, dass ich das höre. Da dachte ich mir nur „Hääää??? Was bitte will der?“ Ich will aber grad keinen Chai, also wende ich meinen Blick wieder nach draußen. Jetzt geht alles ganz schnell: Wir fahren an einem großen See vorbei, in dem viel Müll schwimmt. Hunde liegen neben den Gleisen. Einige bellen sich an, andere kämpfen spielerisch. Ein Bauer treibt seine Ziegenherde mit einem Stock voran. Da vorne steht eine Kuh. Und noch eine. Und noch eine. Sie sind sooo klein. Am Horizont sehe ich die Umrisse von Kokospalmen. Vor mir ist plötzlich eine Bananenplantage. In mehreren Reihen stehen große Bananenstauden. Frauen mit riesen Bambuskörben auf dem Rücken laufen durch die Plantage. Immer voller werden die Körbe geladen, bis sie fast überlaufen. Von Weitem höre ich Hindu-Gebets-Lieder. D.h. irgendwo in der Nähe muss ein Hindutempel sein. Wie wird er wohl aussehen? Bestimmt ist er schön mit Blumen geschmückt. Dort hinten sehe ich schon das Dach. Wir kommen näher und näher. Schwupps – jetzt sind wir auch schon vorbei. Würde ich diese Schriftzeichen auf den Tempeln nur lesen können. Was sie wohl bedeuten? Wummm – auf einmal ist es unglaublich laut. Wir fahren über die Brücke eines großen Flusses. Das Wasser ist trüb und wieder sehe ich Müll, der an der Oberfläche schwimmt. Unsere MitfahrerInnen stehen hysterisch auf, kramen in ihren Taschen und werfen Münzen in den Fluss. Hätten sie die mal lieber den bettelnden Frauen vorher gegeben, anstatt sie jetzt in diesem stinkenden Drecksloch zu versenken. Ich lache als es klirrt, weil sie nur die Brücken-Pfosten treffen. Zack – es ist wieder leiser. Ruhe. Neben den Schienen ist ein Schild mit irgendeinem Zeichen drauf. Was es wohl bedeutet? Wieso steht es denn nach der Brücke und nicht davor? Der Zug bremst ab. Wir werden langsamer. Vielleicht hat das Schild ein Tempolimit angezeigt? Ich erkenne einzelne Bauarbeiter. Sie tragen Steine in einem alten Sack, der an Bambusstangen hängt, die sie wiederum zu zweit auf den Schultern tragen. Ein kleiner Junge hilft auch mit. Er trägt einen Stein ganz allein! Viele angefangene Häuser stehen am Wegrand. Sie sind mit Bambusgerüsten stabilisiert. Warum gibt es so viele unfertige Häuser an denen selten gearbeitet wird? Einige sind schon wieder zu Ruinen verfallen. Anscheinend beginnen die InderInnen oft neue Bauprojekte, haben dann aber doch nicht genügend Geld, um fertig zu bauen. Anders kann ich es mir nicht erklären. Einige Menschen sitzen vor großen Steinen und hämmern darauf rum. Ich sehe, dass sie schwitzen. Die Gegend wirkt besiedelter. Wir kommen an mehreren kleinen Shops vorbei. Das einzige, was man erkennt sind die großen Plastiktüten mit Snacks. Sie hängen in langen Reihen an den Seiten runter. Einige Kinder in Schuluniformen stehen an einem Shop und kaufen sich wahrscheinlich für ein paar Rupie Süßigkeiten. Ein großes Mädchen hat einen kleinen Jungen an der Hand. Er ist fast kleiner als sein Schulranzen und trägt eine Minischuluniform. Niedlich. Ein großes Gebäude tut sich vor mir auf. Es ist gelb – blau angemalt. Davor ist ein Fußballplatz aus Sand mit Stöcken als Toren. Jungs in unterschiedlichen Uniformen spielen mit einem zerknautschten Ball. Eine Glocke läutet. Die Kinder mit den blauen Hosen und Röcken stürmen ins Innere der Schule. Ich höre lautes Hupen. Ein Radfahrer fährt auf einem klapprigen Fahrrad vorbei. Für einen Moment schließe ich die Augen und hänge meinen Gedanken nach. Als ich sie aufmache, steht der Zug fast. Ich blicke mich im Abteil um. Es wird gepackt, gedrängelt und geschubst. Anscheinend sind wir in einen Bahnhof eingefahren. Von oben schreit mir Vroni zu: „Ist noch nicht unserer, noch eine halbe Stunde.“ Also entspanne ich mich wieder und wende meinen Blick abermals zum Fenster. Ein alter Mann zieht einen schweren Gepäckwagen. Mit seinem ganzen Gewicht stemmt er sich auf die Stützen, damit das Gepäck nicht auf den Boden knallt. Hoffentlich hat er es bald geschafft. Eine kleine Katze sitzt auf einem Stuhl vorm Bahnhofsgebäude. Sie zuckt zusammen, als laut gehupt wird und verschwindet in der Menge. Viele Menschen drängeln sich am Bahnsteig. Sie tragen die verrücktesten Farbkombinationen, die man sich vorstellen kann. Ein paar weiße Turbane stechen aus der Menge hervor. Kinder zeigen auf mich und flüstern ihren Eltern etwas ins Ohr. So ist das hier, wenn man eine andere Hautfarbe hat.

Ich möchte dazu gar nichts mehr groß sagen... Lasst es auf euch wirken.

Das waren ein paar Eindrücke von der Fortbewegung in Indien. Jetzt könnt ihr es euch vielleicht ein bisschen besser vorstellen und ich hatte eine gute Abschluss- Reflektion. 😉

Hier wieder ein paar Bilder:

https://www.dropbox.com/sh/4s0tvxspchs02sa/AAB4mFrhCkIotqodFtK2AME2a?dl=0

Wahrscheinlich brauche ich – wenn ich in fünf Tagen Daheim bin – einen „GegenblogartikelFortbewegung in Deutschland, da ich mich jetzt schon so an alles hier gewöhnt habe. 🙂

Bin gespannt wie heftig der Kulturschock wird, wenn ich zurückkomme.

Momentan überwiegt die Vorfreude, aber das wechselt von Minute zu Minute.

Liebe Grüße aus dem heißen Indien,

Anita