Wer kennt das nicht. Man schläft friedlich, träumt vor sich hin und gerade dann, wenns am schönsten ist…klingelt der verdammte Wecker! Aber Wecker haben auch einen unbestreitbaren Vorteil: man kann sie ausschalten. Ich aber werde jeden Tag von etwas geweckt, was man leider nicht ausschalten kann…der Schule! Letztere hat nämlich hier endgültig wieder begonnen und da der Schulhof direkt unter unserem Fenster liegt, kam ich nicht umhin, aktiv am Schulbeginn teilzunehmen. Das heißt, pünktlich um 6.55 (ja, die Schule beginnt hier etwas früher als bei uns) müssen sich die Schüler zum Morgengebet auf dem Hof versammeln und die, aus den Lautsprechern schallende Stimme der Schwester directrice de l’école, reißt mich brutal aus meinen süßen Träumen. Und selbst wenn ich es schaffe nach diesem ersten Weckruf noch einmal einzuschlummern, dann ist es spätestens sie Schulglocke, die mich ans Aufstehen erinnert. Obwohl SchulGLOCKE das falsche Wort ist. Eigentlich ist es vielmehr ein langgezogener Heulton, der an die Sirene bei Feueralarm erinnert. Dann ist es endgültig vorbei mit dem Schlaf. Da wünsche ich mir manchmal sogar meinen verhassten Wecker zurück. Aber als wäre das noch nicht genug, so gibt es auch am Wochenende etwas, was uns daran hindert einmal so richtig auszuschlafen. Direkt neben der Communauté liegt ein Polizei-Ausbildungszentrum. Da wir von unserem Zimmer aus auch einen sehr guten Blick in den Hof der Polizisten haben, können wir, freiwillig oder unfreiwillig, an deren Leben teilhaben. Dazu gehört aber auch der tägliche Morgensport, natürlich auch sonntags. Und das heißt wiederum: Laute Anfeuerungsrufe des Ausbilders („Allez, allez! Un, deux, trois, un, deux, trois…“) und der Gesang der Polizisten, die, mangels Sportplatz, einfach unendliche Runden um das Haus joggen. Täglich ab viertel nach sieben! Da lob ich mir das stille Landleben!
Wenn ich es dann aber endlich geschafft habe mein Bett zu verlassen, dann geht es auf in die Arbeit. Natürlich mit dem Zem. Ich bin inzwischen schon ein echter Verhandlungsprofi geworden. Hier ein Beispiel einer morgendlichen Diskussion:
Dramatis personae:
Der Zem-Fahrer (im Folgenden „Z“ genannt)
Lena, die Volontärin (im Folgenden „ich“ genannt)
Schauplatz:
Eine Hauptstraße, zur morgendlichen Stoßzeit
Ich winke mit der Hand lässig einen Zem-Fahrer zu mir
Z: Bonjours, vous allez où ?
Ich : Bonjours, quartier Hindé, avant Mahoulé
Z : Où ?
Ich : Quartier HINDÉ
Z : Ahaaaa, quartier HENDÄ
(die Aussprache des Viertels ist unglaublich schwierig)
Ich: Oui, oui. C’est sont 250 F
Z : (völlig entrüstet) QUOI ??? 250 F ????? Non, non, c’est sont 500 F
Ich : (ebenfalls vollkommen entrüstet) Quoi Monsieur? Je ne veux pas acheter votre moto! C’est sont 250 F !
Z : (lacht sich halb tot) Mais Hendä, c’est loin! 400F!
Ich: (noch immer entrüstet) Je sais que c’est loin, mais vous demandez ce prix seulement parce que je suis Yóvó !
Z : (mit beleidigtem Geschtsausdruck) Non, jamais!
Ich: D’accord, je vais payer 300 F, mais pas plus.
Z : Mais Madame, 350F
Ich : Non, 300F ou je cherche un autre Zem, il y a assez, Monsieur !
Z : Non, non, non ! (Bedeuetet mir mit einem Kopfnicken aufzusteigen)
LA FIN
So, oder so ähnlich, läuft das eigentlich jeden Tag. Und es macht mir, meistens zumindest, ausgesprochen Spaß. Weil da natürlich viel Schauspielrei dabei ist. Je entrüsteter man sich angesichts des Preises gibt, den der Fahrer nennt, desto besser.
Allerdings gibt es Momente, in denen das Verhandeln keine große Freude macht. Zum Beispiel, wenn es bei strömendem Regen stattfindet. Inzwischen hat sich eine Regel, bezüglich des Wetters, herauskristallisiert. Es regnet jeden Tag mindestens einmal, meistens aber nicht länger als eine halbe Stunde. Und mindestens einmal die Woche fällt diese halbe Stunde genau auf die Zeit, in der ich zur Arbeit fahren muss. Aber ich lerne dazu. Inzwischen habe ich meine Regenjacke und eine Hose zum Wechseln immer dabei, auch wenn die Sonne im Moment noch so schön scheint.
Wenn ich dann irgendwann mal im Maison du Soleil angekommen bin, dann machen mir die Kinder große Freude! Die meisten meiner Kleinen sind inzwischen schon komplett eingewöhnt. Das heißt, dass sie sich freuen wenn ich in der Früh ankomme und weinen, wenn ich mittags gehe. Außerdem kann ich mitverfolgen, wie meine Babys groß werden! Es war so ein toller Moment, als die kleine Emilienne, die bisher nur mit meiner Hilfe stehen konnte, einfach meine Hand losgelassen hat und mich, anstatt umzufallen wie sonst, einfach nur angegrinst hat, als wollte sie sagen: „Na, da guckste!“. Oder Christian, der eines morgens auf mich zugekrabbelt kam und laut „Tata, Tata“ krähte. Ein Wort, das er vorher noch nie gesagt hatte. Solche kleinen Erlebnisse sind das, was ich an meiner Arbeit mit den Babys so toll finde und die mich auch Momente überstehen lässt, in denen mir Geschrei und stinkende Windeln einfach zuviel sind.
Bevor ich mich für diese Woche verabschiede, möchte ich noch die Anekdote der Woche erzählen. Im Moment gibt es hier eine Art Fliegenplage. Ich habe noch nie so viele Fliegen auf einmal gesehen, außer vielleicht in einem Kuhstall. Das nervt unglaublich, wenn man beim Essen ständig um sich schlagen muss, um diese Fliegen loszuwerden. Deshalb sind wir am Monatgabend auf die Jagd gegangen. Auf Fliegenjagd! Es gibt hier ein Gerät, das aussieht wie ein Tennisschläger. Ein ziemlich tödlicher Tennisschläger allerdings. Er ist nämlich von Strom durchflossen. Damit versucht man die Fliegen im Flug zu erwischen. Eine sehr bizarre Situation. Wir vier Volontäre und eine junge Schwester, die sich gegenseitig im Fliegentöten übertreffen wollen. „Hierher, hierher, schnell!!!“ „Nein, jetzt ist sie abgehauen!“ „Wo ist sie hin?“ „JA! Ich hab sie erwischt!“ Unsere Jagdtrophäe war dann schulssendlich eine ganze Kehrschaufel toter Fliegen…
Helga Stark
Liebe Lena,
heute habe ich mir endlich wieder einmal den Pfad rausgesucht, um Deine Berichte zu lesen. Da saß ich nun eine Stunde, hab total vergessen,dass eigentlich Mittagszeit ist und ich Hunger habe, so gefesselt war ich von Deinen anschaulichen und spannenden Erzählungen. Ohne selbst den Gefahren einer Zem-Fahrt, Malaria oder sonstigen Malaisen ausgesetzt zu sein, nimmst Du uns auf eine Reise durch Dein spannendes Leben. Ein Gefühl von Dankbarkeit und Freude durchströmte mich dabei. Dankbarkeit Dir gegenüber, dass Du zu diesem Einsatz bereit warst und bist und Dankbarkeit über das Geschenk der Freude, das Du durch die Kinder erhältst. Ich werde einen Aufruf in unserem Club nach Baby- und Kinderspielsachen machen.
Lass es Dir weiterhin gut gehen und bleib gesund.
Herzliche Grüße aus dem tief verschneiten Moosrain
Deine Helga Stark