Laura in Ruanda

Mein Jahr im „Land der tausend Hügel“

Kwibuka 24 -Die traurige Vergangenheit Ruandas

Ruanda, das „Land der tausend Hügel, des Honigs und des schwarzen Goldes“ (erratet Ihr, was als das ’schwarze Gold‘ bezeichnet wird? Schreibt mir ein Kommentar!), in Ostafrika gilt heute als eines der Vorbildländer Afrikas. Schon am Flughafen werden die Gepäckstücke mit strengen Gepäckkontrollen nach Plastiktüten durchsucht, denn in Ruanda herrscht ein striktes Plastiktütenverbot. Somit betreibt Ruanda die wohl progressivste Umweltpolitik in ganz Afrika. Nicht nur das, sondern Ruanda ist auch mit einem durchschnittlichen Wirtschaftwachstum von 8% und dem höchsten Frauenanteil im Parlament weltweit (64,4%) in den letzten Jahren eines der fortschrittlichsten Länder Afrikas geworden. -Ruanda befindet sich im Wandel und in Aufbruchsstimmung und die Ruander/innen sind stolz auf das, was sie in so kurzer Zeit geschafft haben!

Dem ganzen Erfolg (hauptsächlich in der Hauptstadt Kigali) gegenüber steht die Armut in der Campagne, die dadurch schnell in den Hintergrund rückt, und die traurige Vergangenheit Ruandas. Die Bevölkerung Ruandas ist traumatisch von den Schatten ihrer Vergangenheit geprägt: Der Völkermord oder auch Genozid 1994.

Ich erzähle Euch heute mal von einem etwas komplexerem Thema als sonst: Vom Völkermord der sich 1994 in 100 Tagen in Ruanda ereignete. Gerade weil der Völkermord immer noch ein Tabuthema ist, rede ich heute darüber, um Euch darüber zu informieren und aufzuklären. Ich habe mir auf einigen Seiten wahrheitsgemäße Informationen dazu gesucht. Wer wissen möchte, wo, meldet sich bitte bei mir. Ich werde Euch im folgenden Text nur einen groben Einblick geben, denn das Thema ist komplex, kompliziert, verzwickt und viel weitreichender, als ich das weiß und berichten kann. Mir ist es aber trotzdem wichtig, dieses Thema anzusprechen, mit den Gedanken im Hinterkopf, dass es sehr sensibel und verwoben ist.

Der Genozid in Ruanda ist nun 24 Jahre her, er fing am Abend des 06. April 1994 an und wurde Anfang Juli beendet. In nur 100 Tagen wurden etwa 75 Prozent (das heißt 3 von 4 Tutsi) der Tutsi-Minderheit, 800.000 bis 1 Millionen Tutsi, sowie moderate Hutu, die sich nicht am Völkermord beteiligten oder aktiv dagegen arbeiteten von Angehörigen der Hutu-Gruppe getötet. So wurde die die ethnische Gruppe der Tutsi in nur 3 Monaten fast gänzlich ausgelöscht.

Der Genozid ereignete sich im Zuge des langjährigen Konflikts zwischen der damaligen ruandischen Regierung und der Rebellenbewegung Ruandische Patriotische Front (RPF). Dieser Konflikt führte zu jahrzehntelangen gewaltsamen Spannungen, aus denen sich schließlich extremistische, teilweise bewaffnete Gruppierungen der Hutu formten, die mit Mordlust gegen die Tutsi-Minderheit hetzten. Der Konflikt wurde durch die Einteilung in die zwei sozialen Gruppen der Hutu und Tutsi in Ruanda durch die belgischen Kolonialherren -die ethnische Zugehörigkeit wurde im Pass markiert-, die ursprünglich lediglich zur Unterscheidung der zwei Gruppen, beziehungsweise deren Erwerbsart dienen sollte (die Hutu waren sesshaft und bewirtschafteten Land und die Tutsi zogen mit ihrem Vieh umher) verstärkt.

Die extremistische Propaganda der Hutu verdrehte die Realität spiegelbildlich, in dem sie den Tutsi vorwarf, die Hutu vernichten zu wollen. Sie „belegten“ dieses Vorhaben mit erfundenen Gewalttaten der Tutsi an den Hutu. Den Tutsi wurde jegliche Macht und Rechte entzogen. Sie wurden entmenschlicht, in dem sie als störende Tiere bezeichnet wurden, die getötet werden sollten, groß und klein.

Der bis heute ungeklärte Mord am damaligen ruandischen Präsidenten Habyarimana am 06. April 1994 löste schließlich den Völkermord aus. Er befand sich in Begleitung des damaligen burundischen Präsidenten Cyprien Ntaryamira in einem Flugzeug auf dem Rückweg von einer Konferenz in Daressalam, als das Flugzeug bei der Landung in Kigali mit Boden-Luft-Raketen abgeschossen wurde. Nur 30 Minuten nach dem Attentat auf das Flugzeug begannen die Morde an oppositionellen Hutu und mächtigen Tutsi.

Zuerst waren „nur“ politische Amtsträger im Visier der Täter, dann breitete es sich aber schnell auf die gesamte Tutsi-Minderheit aus. Der Völkermord konnte sich so rasant verbreiten, weil Hunderttausende Zivilisten mit daran beteiligt waren. Die Anwesenheit der Miliz führte zu 7,2 mehr Zivilisten, die beim Völkermord mittaten. Außerdem spielte das Radio eine wesentliche propagierende Rolle, vor allem da die Analphabetenquote zu dieser Zeit mehr als 40% betrug: Im Radio wurde zur Beteiligung am Töten aufgerufen und Namen und Anschriften der Menschen verlesen, die getötet werden sollten. Die Opfer, die sich auf den Listen befanden wurden in ihren Häusern aufgesucht und sofort umgebracht. Selten hatte man Glück und wurde von „Bienfaiteurs“ versteckt gehalten. Nachbarn brachten ihre Nachbarn um. Die Mörder drangen in die Häuser ein. Es wurden Familien auseinandergerissen, Schwester von Bruder, Mann von seiner Frau.

Frauen wurden vergewaltigt und viele Menschen grauenvoll umgebracht (geköpft, verstümmelt, gepeinigt, verbrannt…). Viele suchten Unterschlupf in Kirchen und Krankenhäusern, die letztendlich aber auch nicht verschont wurden. Es entstanden nach kurzer Zeit große Flüchtlingsströme aus Ruanda in die angrenzenden Staaten Tansania, Burundi und Zaire (heute die Demokratische Republik Kongo). Ab Juni 1994 versuchten auch viele sogenannte génocidaires (Völkermörder) dorthin zu flüchten. Denn viele Menschen wurden gezwungen, sich am Morden zu beteiligen, sonst wären sie als moderate Hutu getötet worden. So sahen sich viele also gezwungen, ihre Freunde, Bekannte und Nachbarn der Tutsi-Gruppe zu ermorden, um ihr eigenes Leben zu retten.

 

Hätte der geschehene Völkermord verhindert werden können?

Eine sehr schwierige und meinungsabhängige Frage. Jedoch kann man diesbezüglich etwas zu den Soldaten der UN, den Blauhelmsoldaten sagen: Der damals in Ruanda stationierte kanadische UN-General Roméo Dallaire forderte 5000 bis 8000 UN-Soldaten, die die Miliz in Schach hätten halten sollen, denn so hätte der Völkermord seiner Meinung nach verhindert werden können. Es waren UN-Soldaten vor Ort, aber zu wenige, die keine Chance gegen die große Masse hatten und so wurden viele belgische Blauhelmsoldaten der UN umgebracht. -Die internationale Zusammenarbeit in der UN ist gescheitert

Bis heute sitzt das Trauma des Völkermordes tief. Viele Menschen haben ihre Familie, ihren Mann/ihre Frau, ihre Kinder oder andere Verwandte, sowie ihr Haus, ihr Hab und Gut und besonders ihr Vertrauen in die Mitmenschen verloren.

Viele Menschen kennen die Täter ihrer Angehörigen und Freunden, waren teilweise selber Zeugen dieses Aktes. Es ist schwierig zu verzeihen, vor allem wenn der Täter direkt nebenan wohnt, Tür an Tür mit dem Opfer, das ist klar! Heute gibt es in manchen Teilen sogenannte Versöhnungsdörfer, die die nebeneinander wohnenden Täter und Oper zumindest annähern sollen. Denn es bleibe nichts anderes übrig, als sich mit seiner Geschichte auseinanderzusetzen. Ganz vermeidbar ist das aufgrund der kleinen Landesfläche ohnehin nicht, da Ruanda mit 11,5 Millionen Einwohnern auf einer Fläche so groß wie Mecklenburg-Vorpommern das am dichtesten besiedelte Land des afrikanischen Kontinents ist.

Die Vergangenheit wirft bis heute lange Schatten, die auch die heutige Jugend betreffen. Viele Kinder und Jugendlichen möchten mehr über die Vergangenheit ihres Landes erfahren. Doch möchten manche Eltern nicht (mehr) über die Zeit des Mordens reden. Um zu verhindern, dass die Erinnerungen, die tiefe Wunden hinterlassen haben, nochmal hochkommen, verschweigt man das alles einfach und spricht niemanden darauf an. Lieber spricht man über die Zukunft, davon, das Land weiter voranzutreiben. So haben einige Kinder keine Chance, von zu Hause etwas über die Vergangenheit des Landes zu lernen, weshalb heute sehr viel Wert darauf gelegt wird, dass schon in der Schule gelehrt wird, dass alle Ruander/innen gleich sind, egal welche ethnische Zugehörigkeit sie haben!

Denn „wenn man nicht darüber spricht, wird es nur schlimmer – dann jagen dich die Geschichten für immer.“, sagt ein Jugendmoderator des Radiosenders „Radio Heza“.

Doch um genau das nicht zu tun, sondern sich der Erinnerung zu stellen und diese aufzuarbeitet findet jedes Jahr vom 07. bis zum 14. April nach einer Woche Osterferien die Genozidgedenkwoche genannt statt. Das letzt- und auch diesjährige Motto: „Twibuke Twiyubaka“ – “Erinnern wir uns (zum 24. Mal) daran, uns fortzubilden“- und die Farbe dieses Jahr war grau; so trugen einige Frauen die Woche über zum Gedenken zum Beispiel graue Kopftücher „agatambaro“.

In der Genozidgedenkwoche finden jeden Tag in jedem „Umudugudu“ = Viertel nachmittags die „Ibiganiro“ statt. Es wird nur vormittags gearbeitet, sodass man nachmittags dorthin gehen kann. Die „Ibiganiro“ sind Gesprächsrunden, in denen man das Geschehene reflektiert, hautnahe Erfahrungen miteinander austauscht, sowie vor allem an Jüngere weitergibt, die selbst nicht hautnah betroffen sind und somit insgesamt dafür sorgt, dass sich so ein Schreckensereignis zukünftig nie wieder ereignen wird! „Never again!“ Es ist total wichtig, dass die „Ibiganiro“ von am besten jeder/jedem Bürger/in wahrgenommen werden. Außerdem haben mit den Gesprächsrunden die unter 24-Jährigen (denn jede/r älter als 24 Jahre hat das Schreckensereignis miterlebt) außerhalb der Schule die Chance, sich in Gemeinschaft damit zu beschäftigen und mehr darüber zu erfahren. Darum wird es vorausgesetzt, dass jede/r täglich an den „Ibiganiro“ teilnimmt, in der Realität sieht das aber leider anders aus, denn vor allem die Jugendlichen interessieren sich nicht alle dafür, wobei es umso wichtiger ist, dass genau sie sich damit auseinandersetzen. Katha und ich haben die „Ibiganiro“ beim Noviziat gegenüber von uns mal besucht, leider haben wir nicht viel verstanden, aber trotzdem war es uns wichtig, das mal gesehen zu haben.

Das Plakat auf dem Beitragsbild hängt auf unserem Gelände. Immer noch findet man solche Banner an vielen Orten, große Einrichtungen, in unserer Umgebung.

In der Genozidgedenkwoche soll man sich nicht amüsieren, sondern sich an die 100 Tage 1994 erinnern in denen in so kurzer Zeit so viel Leid angerichtet wurde. So hatten wir auch diese eine Woche kein Oratorium mit den Kids und Jugendlichen. Hat es mal nicht geregnet, waren eine handvoll Kinder da, denen wir aber kein Ball rausgeben durften und so haben wir uns anders mit ihnen beschäftigt.

Heute spielt diese Unterscheidung offiziell keine Rolle mehr spielen. Kein/e Ruander/in würde direkt nach der ethnischen Zugehörigkeit fragen, das macht und darf man nicht! Ob man Hutu oder Tutsi ist, darf in Vorstellungsgesprächen, später im Beruf oder in politischen Zusammenhängen keinen Platz mehr finden! Alle sind gleich!

 

Wer sich intensiv in das Thema ‚reinlesen möchte, dem empfehle ich folgende Bücher als Erfahrungsberichte: „Hundert Tage“ und „Ein Tag mehr Leben“.

Filmliteratur: Ist Versöhnung nach einem Völkermord möglich? Dem geht Regisseur Lukas Augustin zwanzig Jahren nach dem Genozid mit seinem Dokumentarfilm „Unversöhnt“ nach, indem er mit Opfern und Tätern des Völkermords spricht. Außerdem der Film „Hotel Ruanda“, der brutal, aber wirklichkeitsgemäß über den Genozid erzählt, dennoch aber kritisiert, da einige Inhalte übertrieben oder verändert dagestellt werden.

Folgend ein Link zu einer Fotostrecke mit Überlebenden: http://www.spiegel.de/fotostrecke/ruanda-fotos-von-ueberlebenden-des-voelkermords-vor-20-jahren-fotostrecke-113053.html.

 

Gerne beantworte ich zurück in Deutschland Eure Fragen zu diesem Thema.

Geht bitte respektvoll mit den Informationen um. Vielen Dank.

Bis zum nächsten Blogeintrag! Herzliche Grüße und Gottes Segen!

Eure Laura

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  1. Steffi

    Liebe Lauri,

    dein Blogeintrag ging mir wirklich nahe. Ich finde es immer wieder unglaublich zu was der Mensch, beziehungsweise eine ganze Gesellschaft, in der Lage ist … Wer gibt einem das Recht das Leben eines anderen einfach zu beenden?
    Sowas zu lesen macht mich traurig aber ich bin auch sehr froh, dass du es thematisiert hast! Es gibt nichts schlimmeres als wenn man die Augen vor seiner Vergangenheit verschließt. So Gräueltaten müssen einfach aufgearbeitet werden damit man zumindest etwas daraus lernt.
    Ich wusste bis grade gar nichts von diesem entsetzlichen Völkermord und danke dir, dass du es uns erzählt hast!

    Ich wünsche dir weiterhin eine super tolle Zeit in Ruanda. Genieße es! Ich freue mich wenn du wieder da bist <3

    Deine Steffi

  2. Martin Hohler

    Hi Laura,
    schwarzes Gold? Hier bezeichnet man Kaffee als schwarzes Gold, vielleicht handelt es sich in Rwanda aber um Coltan?

    Danke für diesen Blogbeitrag, der mich wirklich mitgenommen hat. Krass was so alles abgeht in der Welt und wovon man eigentlich nichts weiß, oder es einfach verdrängt.

    viele Grüße aus dem Westen und Gott segne auch Dich!
    Dieu vous aime et moi aussi 😀

    Beste grüße
    Martin – le petit blanc

    • Laura Heumann

      BJR! (kleiner Blague aus unsrer Community)
      Hey, mon cher petit blanc!

      Bei uns ist es der leckere schwarze Tee! Wobei unser Kaffe natürlich auch super ist! 🙂
      (Dank meiner Internetrecherche weiß ich jetzt auch, das Coltan „der Soff aus dem die Handys sind“ ist haha)

      Ich danke Dir! Jaa, das stimmt! Man kriegt oft so wenig mit, viel zu wenig, und weiß zu wenig.
      Wir Menschen müssen uns gegenseitig berichten und bereichern mit News und überhaupt. -Selon mon avis…

      Cool, dass wir zwei Volontaires de Don Bosco Freunde geworden sind 😀
      Und lieb, dass Du meinen Beiträge mit Deinen Kommentaren den vielleicht fehlenden gewissen Kick gibst 😉

      Liebe Grüße aus dem Osten!
      Merci pareillement!
      Man hört sich, hebe die Ehre, hebe die Haare, n’est-ce pas??

      Laura, alias ‚Umuzungu‘

  3. Dorothea Heumann

    Liebe Laura, danke für Deinen neuen Eintrag. Ich finde es gut und toll, dass Du Dich mit der V ergangenheit Deiner augenblicklichen Heimat auseinandersetzt. Ich habe den Artikel zweimal gelesen, um alles richtig verstehen zu können. Ich bin erschüttert und beschämt. Erschüttert, dass so etwas in diesem Ausmaß geschehen konnte. Beschämt, weil ich dies alles nicht gewußt habe, vergessen habe. 1994 war ich immerhin schon 55 Jahre alt. Der Mensch neigt dazu, vieles, was auf anderen Erdteilen vor sich geht, von sich weg zu schieben. Ich auch offensichtlich. Ich danke Dir für diesen Artikel. Herzlichst Deine Oma S.

    • Laura Heumann

      Liebe Oma,
      ich danke Dir für Deinen Kommentar!
      Schön, dass Du Dich jetzt auch (nochmal) damit auseinandergesetzt hast und jetzt besser darüber Bescheid weißt. Ja, da gebe ich Dir Recht. Es spielt auch eine Rolle, wo sich etwas ereignet, wie davon berichtet wird und wie einen das mitnimmt. Das freut mich! Ich habe das erreicht, was ich erreichen wollte. Herzliche Grüße zurück! Lauri

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