Meine lieben Leser,

mein Jahr in Ruanda ist vorbei. Der Tag des Abschieds liegt hinter uns. Katha und ich sitzen gerade in Brüssel am Flughafen und warten auf unseren Flug nach Frankfurt. (Vorausgesehen war es, dass wir am Donnerstagabend fliegen, aber da es Probleme mit unserem Ticket gab, weil die Fluggesellschaft einen Fehler gemacht, fliegen wir heute Abend zurück.) So haben wir die letzten 2 Tage in Kigali im Provincial House verbracht und die Zeit genutzt, um nochmal auf den Markt zu gehen und die ruandische Luft zu genießen.

Alles fühlt sich sehr unwirklich an, ich kann es immer noch nicht begreifen, kann gar nicht glauben, dass es jetzt plötzlich vorbei sein soll. Wir gehen den Weg von den Sportplätzen zur Nische, wo sich die Bälle befinden, den Weg von unseren Zimmern zum Salon doch jeden Tag oder den gewohnten Gang zum Kamin, um meinen Müll zu verbrennen -und das ist jetzt auf einmal nicht mehr Alltag?

…und dann ist da auch dieses Gefühl. Dieses komische Gefühl. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich will gar nicht gehen. Und gleichzeitig freue ich mich auch auf Deutschland. Ich fühle mich hin und her gerissen, wobei ich es gänzlich noch nicht begreifen kann. Und jetzt sind wir weder in Ruanda, noch in Deutschland. Es tut mir im Herzen weh zu gehen und so vieles hinter mir zu lassen. Ich lasse meine Liebsten und meine Gewohnheiten in Ruanda. „Unsere Kinder“ lasse ich zurück, werde ich sehen, wie sie erwachsen werden, sie weiterhin begleiten können? Meine Erfahrungen, die Gesichter und Lächeln so vieler Menschen und so viele Bilder in meinem Kopf bleiben mir jedoch für immer im Gedächtnis und erscheinen mir vor meinem geistlichen Auge. Was ich in Ruanda erlebt habe, meine Höhen und Tiefen, kann mir niemand nehmen! Alles ist tief in meinem Herzen verankert und ein Teil von mir!

Die letzten Wochen, die letzten Tage habe ich nochmal intensiver erlebt. Mir sind Kleinigkeiten ins Auge gefallen, die ich noch nie wahrgenommen habe. Ich habe jede Begegnung mit Menschen und meine Tages-/Wochenrhythmen nochmal bewusster gelebt.Aber die letzte Zeit verflog so rasend schnell, alles ging am Ende irgendwie so schnell.

Ich kann nicht genau sagen, was mich erwarten wird zurück in Deutschland. Klar, ich weiß, wer mich erwartet und wie die Dinge laufen, aber wie werde ich mich fühlen in dieser doch anderen Welt -die mein anderes Zuhause ist? Dieses Zuhause wird es neu zu entdecken gelten. Ich habe Angst, dass mich der Alltag in Deutschland viel zu schnell einholt. Ich muss wieder neu ankommen und begreifen und einige Dinge neu lernen. Ich habe das letzte Jahr sehr viel gesehen und gelernt. In Deutschland gilt es, diese 2 Welten zu vereinen.

Einige Dinge sehe ich jetzt mit anderen Augen. Ich habe andere Blickwinkel als sonst eingenommen und Dinge hinterfragt. Mir ist nochmal bewusster geworden, dass man nicht immer mit dem Strom schwimmen muss. Du musst Dein eigenes Ding machen, nach Deinem Kopf gehen, egal, was von außen kommt. So viele Menschen haben mich gelehrt, dass es glücklich sein ist, was zählt im Leben; mit den Dingen, mit dem Leben, das man hat, sein persönliches Glück zu finden, so viele Menschen sind mehr total offen begegnet und ich habe auch gelernt, dass man viel mehr gelassener nehmen sollte und es manchmal wichtig ist, die Zeit zu vergessen, nicht ständig auf die Uhr zu schauen, sondern im Moment zu leben und zu genießen.Die Priester in Rango sagen: „Die Europäer haben Uhren, wir haben Zeit.“

Ich habe mein Leben in Deutschland noch mehr zu schätzen gelernt. In Deutschland braucht man sich keine Sorgen um ein Dach über dem Kopf zu machen, das nicht von einem heftigen Regenfall kaputt gehen kann, auch um das täglich Brot, in den meisten Fällen. In Deutschland hat jede/r eine (Kranken)versicherung und einen Pass. Ein Pass öffnet so viele Türen, wie wertvoll dieser ist, ist einem meist nicht bewusst.

Jetzt möchte ich Euch sagen, wieso ich mein Jahr in Ruanda so geliebt habe, was ich vermissen werde. Ich habe es als eine Art Liebeserklärung an Ruanda geschrieben.

Du, das „Land der tausend Hügel“ das „Land des Honigs, der Milch und der Bananen“ und auch nicht geringer bekannt als das „Land des schwarzen Goldes“!

Ich habe Dich in den vergangenen 12 Monaten lieben gelernt! Im September 2017 bist Du mein zweites Zuhause auf dieser Welt geworden, Du hast mir neue starke Wurzeln geschenkt.  Ich habe ein Jahr in diesem wunderschönen, mit seinen Höhen und Tiefen, Land gelebt und versucht, jeden Moment zu genießen!

Du hast mir so viel gegeben; Du hast mich so vieles lernen lassen, ich habe so vieles mitgenommen, so viel Neues ausprobiert, Du hast mich so viele Erfahrungen machen lassen, die ich in Deutschland nie hätte machen können.

Du hast mich gestärkt und mich wachsen lassen. Ich bin ein Teil Ruandas, ein Teil von Dir und Ruanda ist ein Teil von mir geworden, Du wirst für immer einen Platz in meinem Herzen haben, ich werde Dich immer bei mir tragen.

Ich habe Dich als Land mit herzlichen Menschen, einer bunten Kultur, die nie müde wird und zugleich als ein Land mit einer traurigen Vergangenheit kennengelernt.

Ich bin Deinen Wurzeln auf den Grund gegangen, habe mich mit Deinen Höhen- und Tiefpunkten auseinandergesetzt. Versucht, jedes noch so kleine Detail zu hinterfragen, um Dich bestens zu kennen und zu verstehen. Natürlich habe ich nicht alles verstehen können, aber ich habe versucht nachzufragen und neugierig zu sein.

Ich habe immer wieder über Dich gestaunt, Du hast mich zum lachen und so glücklich gemacht und ich habe vieles hinterfragt. Du hast mich immer wieder neue Dinge gelehrt.

Die feinen Eigenheiten, die Dich so besonders machen, haben sich in mein Herz und Kopf eingebrannt. Deine Gerüche, Geräusche, Gewohnheiten, Kinder, Aussehen und vor allem Deine Kultur sind fest in mir verankert.

Wie zum Beispiel über die bunten Märkte schlendern und verhandeln, Stoffe zum Schneider bringen und die fertigen Meisterwerke meist zufrieden wieder abholen, die verblüffenden Gesichter und Worte der Menschen über mich als kinyarwandasprechende Weiße und vor allem Mototaxi fahren,… Ich kann gar nicht alles aufzählen, so viele Dinge und Menschen und Momente werden mir fehlen! -Die Liste ist ellenlang.

Ich denke so gerne an die Zeit zurück, an das eine irgendwie viel zu kurze Jahr, das mich geprägt hat. Ich habe so vieles erlebt, was sich nicht alles in Worte fassen lässt, jeden Tag einzeln gelebt und bin reifer geworden. Ich glaube, ich habe mich verändert. Wie, weiß ich jetzt noch nicht, aber das werde ich sicher bald merken, bzw. andere. Ich habe Dinge gemacht, die vielleicht nicht alle verstehen können, aber ich bin auf jede einzelne Tat und Entscheidung stolz und habe meine Zeit in Ruanda genossen und bin sehr glücklich, Dich, Ruanda mein Zuhause nennen zu dürfen und immer willkommen zu sein im „Land der tausend Hügel“!

Es war formidable, nein, formidouble, mon chèr!

Kleine Rückblicke, kleine Impressionen der letzten 12 Monate. Warum es mir so schwer fällt zu gehen.

Ich habe…

  • so oft die schönen Stoffe bewundert
  • so viele Hände geschüttelt
  • so viel Liebe an Kinder verschenkt
  • so viele Kinderhände gehalten und an mir gehabt
  • so viele Ballwechsel gespielt
  • so viele Regentage gehabt
  • so viele Begegnungen gehabt
  • so oft die wunderschönen Sterne hier beobachtet
  • so oft so viele Tassen gehortet
  • so viel gelacht
  • so viele Lächeln ausgetauscht
  • so oft mit Hürden gekämpft
  • so oft wurde mir gesagt, ich liebe Dich, ich will Dich als meine Frau…
  • so oft mit Kinyarwanda gekämpft
  • so oft gedacht, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin, dass ich richtig hier bin
  • so viel Musik gemacht
  • so oft viel Aufmerksamkeit auf mich gezogen
  • so oft „Umuzungu“ gehört
  • so oft gesagt, dass ich nicht umuzungu, sondern laura heiße
  • so viele neue Traditionen, Denkweisen etc, kennen- und lieben gelernt!
  • Spontanität und Einfachheit vieler Menschen gelernt
  • So viele neue Freunde gewonnen
  • so viel Neues gelernt, um so unendlich viele Erfahrungen, Denkanstöße etc. reicher geworden!
  • so viele Strom- und Wasserausfälle
  • so oft zu spät gekommen und gemerkt, dass es meistens nicht schlimm war
  • so oft in den Garten zum Kamin gegangen, um meinen Müll zu verbrennen
  • so oft mit dem Auto über die Hubbelpisten gefahren
  • so oft leckere, nicht nach Wasser schmeckende Früchte gegessen
  • so viele Witze und Insider der Kommunität gesammelt
  • so oft mit der Kommunität
  • so viele Tiere gesehen, besonders Ziegen udn Kühe
  • mich jedes Mal total über meine Post gefreut
  • so oft das schwarze Gold Ruandas genossen
  • so viele coole Feste gefeiert
  • so oft Fanta Citron getrunken
  • so oft Mototaxi gefahren

…und und und…

Ich werde „unsere“ Kinder, meine Schüler, all die lieben Menschen, die facettenreiche ruandische Kultur und Mentalität, die wunderschöne Landschaft, das Essen -mein Zuhause vermissen. Es sind so viele Dinge, die ich gar nicht alle aufzählen kann!

…und auch wenn es nicht immer einfach war, ich nicht nur rosige Zeiten hatte, sondern auch Tiefen erlebt habe, ich manchmal an meine Grenzen gestoßen bin, war es aber immer gut und richtig, so wie es war!

Ich bin besonders an solchen Situationen gewachsen und wurde durch sie geformt. Ich habe meine Persönlichkeit gefestigt, bin stärker geworden, habe mich selbst besser kennengelernt und bin mir nun sicherer darüber, was ich will.

Ich bin unendlich dankbar über die Erfahrung, die ich machen durfte. Die so prägende Zeit, die mir in Ruanda geschenkt wurde! Ein unendlich großes Dankeschön -Murakoze cyane- an all die Menschen, die das möglich gemacht und an Euch, die Ihr mich auf diesem wertvollen Weg begleitet haben!

Ruanda rwanjye! Du wirst mich so schnell nicht wieder los! Du gehörst zu mir! Wir sehen uns -Tuzasubira!

Ich möchte jetzt aber auf eine mir sehr wichtige Sache eingehen: Ich habe fast ein ganzes Jahr in Ruanda gelebt, gearbeitet, gelacht und geweint. In Ruanda, nicht in „Afrika“ oder „da unten“! Dieses ganze Jahr, diese 11,5 Monate, kann man nicht einfach so in einem Satz zusammenfassen! Es ist so viel passiert, ich habe so viel erlebt, das ich dies alles nicht mit wenigen Worten ausdrücken kann. Es war wunderschön, lecker, neu, traurig, zum Lachen, zum Schreien, zum Weinen, intensiv, lehrreich, anstrengend, bunt, nervenaufreibend, sportlich, lustig, aufregend…. -einfach prägend! Diese Liste mit Worten, die meinen Freiwilligendienst nur im Ansatz beschreiben, kann ich noch viel weiterführen, also Ihr seht, es ist alles andere als einfach, ein Jahr kurz zusammenzufassen! Ich hoffe, Ihr versteht das.

Also wenn Ihr mich fragt: „Wie war Dein Jahr?“, „Wie war’s in Ruanda?“, besonders „Wie war’s in Afrika?“, muss ich ehrlich sagen, dass ich Euch darauf nicht antworten kann. Ich möchte spezifische Fragen gestellt bekommen, wie beispielsweise: „Was hat Dir an Deiner Arbeit am besten gefallen?“, „Wie hat sich Euer Leben in einer Kommunität mit Geistlichen gestaltet?“, „Wie kamt Ihr mit der Sprache klar?“ und so weiter… Denn auf solche Fragen kann ich detaillierter und zufriedener antworten. Oder was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch fragen würde: „Wie war’s die letzten 11,5 Monate in Europa? In Deutschland?“?

Ich freue mich auf Eure kreativen Fragen und bin mir sicher, dass Euch einiges ideenreiches einfallen wird!

Ich danke Dir, Katha! Wir haben alles so gut gemeistert, waren und sind immer füreinander da, in Höhen und auch Tiefen. Ruanda ist unser zweites Zuhause geworden und ich bin froh, dass

Zusammen horten wir Tassen, haben mittlerweile eine lange Liste an ‚blagues‘ und haben gelernt, auf der Toilette zu analysieren (Du weißt, was ich meine). …und weil einfach niemand unsere Klopfzeichen versteht. Es wird sicher komisch sein, Dich nicht jeden Tag zu sehen. Ein unvergessliches Jahr liegt hinter uns -inoubliable!

Wir sind ein starkes Team!

Ich kann mich an viele Dinge in Deutschland nicht mehr so gut erinnern, ich werde alles wieder neu entdecken. Ab Oktober werde ich Soziale Arbeit im schönen Münster, dem deutschen Amsterdam, studieren, da freue ich mich schon drauf. Meine Mission in Ruanda ist vorbei, es wird Zeit für einen neuen Lebensabschnitt.

Liebe Grüße aus Bruxelles

Laura