Henriette in Benin

Komm mit mir ins Abenteuerland

Der 16. August

Völlig durcheinander und aufgedreht sitze ich mit meinen Mitvolontärinnen im Flugzeug Richtung Deutschland. Richtung zu Hause. Mein zweites zu Hause. Die letzte Woche habe ich nochmal in vollen Zügen genossen. Noch ein letztes Mal über den Markt geschlappt, den wilden Wusel in mein Herz eingesaugt, ein letztes Mal die Qual der Stoffwahl gehabt. Ein letztes Mal unser Lieblingsessen Igname Pilé gegessen. Ein letztes Mal auf dem Mototaxi durch die Stadt gefahren. Ein letztes Mal über die Preise einer Ananas diskutiert. Ein letztes Mal meine Kinder und Jugendlichen in die Arme geschlossen. Ein letztes Mal ein Foto schießen. Ein letzter Rundgang auf dem Gelände der Schwestern. Ein letztes Mal Danke sagen. 

Tränen des Abschieds kommen in meine Augen.

Und nun kehre ich zurück in unsere behütete Welt. Wie haben sich meine Freunde entwickelt? Wird es noch so passen wir vor einem Jahr? Werd ich mich wieder schnell in meine Familie einklinken können? Werden mich meine Katzen wiederkennen? Wie werde ich mit diesen Ungleichheiten fertig werden? Wird es nicht furchtbar kalt sein in Deutschland? Schmeckt Vollkornbrot mit Brie wirklich so gut, wie ich es mir seit 10 Monaten vorstelle? Wer wird ein offenes Ohr haben für meine Geschichten? Wie oft werde ich die Frage hören: Und wie war dein Jahr in Benin? Wie oft werde ich nur mit einem „danke gut“ antworten müssen? Werde ich mit einer Willkommensparty überrascht? Werde ich Kontakt nach Benin halten können? Mit wem werde ich regelmäßig schreiben? Was wird mir am meisten fehlen? Wie wird es sein die anderen Volontäre wiederzusehen? Wie sieht mein weiteres Leben aus? Was möchte ich aus meinem Freiwilligendienst mitnehmen? Wie krass ist es ein Glas unter den Wasserhahn und es ohne Bedenken leer trinken zu können? Wie sehr habe ich mich verändert?

Fragen über Fragen. Vorstellung über Vorstellung.

Wie oft saßen Lea und ich Abends da und haben uns unsere Gefühle im Flugzeug Richtung Deutschland vorgestellt. Dieses Chaos aus Trauer vom Abschied, aber auch die riesen Freude alle wieder zu sehen. Tja, schade eigentlich, nix wars! Wir hatten auf unserer überstürzten bestürzten Heimreise nichtmal die Zeit uns solche Fragen zu stellen und Freude war da auch auf der Strecke geblieben. Es ist verrückt. Seit 149 Tagen sind wir wieder zu Hause. Und eigentlich wären wir morgen angekommen. 

Und jetzt?

Nun sitze ich mit meiner lieben Mitvolontärin Jule auf der Terrasse, einem Glas Wein und wir stoßen auf unseren Freiwilligendienst, der schon ein halbes Jahr zurückliegt, an und schwelgen in Erinnerungen…

Was vermissen meine Mitfreiwilligen und ich am allermeisten an Benin und seinen Einwohnern? 

On n’a besoin pas beaucoup pour rigoler

Für Lea Scheder ist es die Kunst mit wenig zufrieden zu sein. Ich erinnere mich gut, dass ich als Kind das neueste Playmobilschloss wollte, in der Schule den coolen Kugelschreiber meiner Sitznachbarin, die neuesten Klamotten. Und immer noch will man mehr, mehr, mehr. Nie ist es genug. Und die Kinder in Benin bauen sich aus einen Kronenkorken und einem Gummi einen Kreisel und können sich stundenlang damit beschäftigen, freuen sich jedes Mal aufs neue darüber. Oder sie bauen eine Flöte aus Grashalmen und spielen fröhlich vor sich hin. Die Leute in Benin haben nicht viel, und trotz der großen Ungerechtigkeiten hatten wir komischer Weise oft das Gefühl die Menschen sind glücklicher mit dem Wenigen, was sie haben, als wir in Deutschland mit unserem Luxus und unserer Bedürfnissübererfüllung. Euloge hat den Kindern in dem kleinen Dorf Taneka Beri neue Schulranzen geschenkt. Bei seinem nächsten Besuch, bei dem ich dabei sein darf, kommt trotzdem ein Junge mit einem alten Reissack in die Schule in denen er seine wenigen Sachen verstaut hat. Der neue ist ihm zu heilig, der liegt zu Hause und wird geschont. Euloge nimmt ihm den Reissack weg und bittet den Jungen den Ranzen zu benutzen – er ist zum tragen und nicht zum ausstellen da. 

Fait doucement!

Für Jule ist es das Lebensmotto „doucement“. Es ist nicht schlimm, wenn du zwei Stunden zu spät kommst. Es ist auch nicht schlimm, wenn du was vergessen hast. Entweder es geht ohne oder du drehst nochmal ganz gemütlich um. Mach einfach langsam, chill dein Leben. Mach Dêdê! Es ist auch kein Problem zu viert auf einem Mototaxi durch Ouidah zu düsen und dafür ein bisschen mehr Zeit zu brauchen. Es ist auch nicht schlimm, wenn der Motofahrer sagt: „Jaja, ich kenn den Ort wo du hinwillst“, und er anschließen planlos durch die Gegend fährt, acht mal nach dem Weg fragen muss und einen schließlich doch noch an der ganz falschen Stelle rauslässt. Dann nimmst du halt ein neuen Motofahrer. Es kommt eh immer anders – also nimm es einfach gelassen!

L’union fait la force.

Für meine Mitbewohnerin Lea Sand ist es der große Zusammenhalt, der fast überall zu spüren ist. Im Maison de l’Esperance, wenn wieder große Bestellungen reinkommen und dann vielleicht die Konditoren einfach in der Küche mitarbeiten – ohne aufgefordert zu werden.

Oder im Mädchenheim: da sind die Kleinen, die die großen Mädels nach einem schlechten Tag aufheitern und die Großen die den Kleinen bei den Hausaufgaben helfen. Oder ein Mädchen macht der anderen fünf Stunden lang eine Frisur. Einfach so. Eine Hand wäscht die andere. Beispielsweise war ich mit einem Auszubildenden eines Tages was zu essen kaufen. Wir laufen zurück Richtung Ausbildungszentrum mit dem Essen in der Hand. Ein wild fremder spricht Valentin an und sagt „Je veux manger“. Valentin nimmt sein Teigbollen, teilt ihn und gibt das größere Stück dem Fremden. Einfach so, auch wenn er selber Hunger hat. 

On va fêter

Und was vermisse ich am meisten? Ich bewundere die Beniner dafür, aus dem kleinsten Ding das größte Fest zu machen. Dazu fällt mir folgende Begebenheit ein: es ist Sonntag Abend und wir sitzen beim Abendessen mit den Präaspirantinnen, also jenen Frauen die mal Ordensschwestern werden wollen. Wir sind alle müde, die Stimmung ist trotzdem gut. Dann kommt eine Schwester mit einem Rest Orangensaft für uns und verschwindet wieder. Die Freude ist groß. Schwesterlich wird der Saft geteilt: am Ende hat jede einen kleinen Schluck Saft in ihrem Glas – Lächerlich würde man hier sagen, den UWE kann man gleich wegschütten. Und die Präaspirantinnen? Die stehen auf, klatschen in die Hände, fangen an zu singen und ihre Hüften zu schwingen. Und das geht nicht nur 20 Sekunden, das geht ganze fünf Minuten. Die Freude schwappt bei mir und Lea über, auch wir stehen nun auf und packen unsere Tanzkünste aus. Ein normaler Abend wurde plötzlich zu einem Abend an den ich mich ein halbes Jahr später immer noch so gut erinnere, dass mich jedes Mal ein Glücksgefühl überkommt, wenn ich diesen Moment revu passieren lasse. 

Es braucht nicht immer viel, es muss nicht immer schnell gehen. Es braucht nur ein paar Beniner und Beninerinnen um das Leben in aller Bescheidenheit in vollen Zügen zu feiern.Schade, dass sie inzwischen so weit weg sind . Ein halbes Jahr weit weg sind. 

Meine lieben Leserinnen und Leser. Dies ist mein vorletzter Blogeintrag. Also schaut demnächst nochmal vorbei.

A bientôt.

Oriette

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  1. Martina Hasenzahl

    Liebe Henriette,
    heute will ich doch wieder die Erste sein, die Dich digital umarmt und danke sagt;)
    Wieviel können wir doch aus Deinen farbigen, aufrichtigen und lebendigen Berichten mitnehmen!
    Wie schön ist es , das Leben dieser Menschen voll mit Lebensfreude dank Dir zu begleiten.
    Wenn Du nochmal eine Aktion für Benin starten möchtest, auf mich kannst Du zählen!!
    Herzliche Grüße
    Hasi

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