Henriette in Benin

Komm mit mir ins Abenteuerland

Das Espace Eveille in La Dji

Die Schwestern haben in Cotonou vier Vorschulen, eine davon befindet sich in La Dji, eine weitere meiner Arbeitsstellen. Eine kleine Holzhütte auf Stelzen mit zwei Klassenräumen, ohne Strom und ohne Wasser, ist der tägliche Arbeitsplatz von Fofo Jean-Paul und Tata Carmen. Fofo betreut 36 Kinder im Alter von drei bis vier Jahren, Tata Carmen und schließlich auch ich sind für 32 Vorschulkinder im Alter von vier und fünf Jahren verantwortlich.

Gegen 8:20 Uhr trudle ich in die Schule ein, wo mich schon einige Kinder mit einem „Bonjour Tata, ça va, ça va bien merci et vous?“ empfangen – eine Begrüßungsfrage, auf die die Zwillinge Louise und Laura für mich mit „Trèèès bien“ antworten.

Tata Carmen schaut mich müde an und fragt „Et ce matin?“ und widmet sich ihrer Bibel. Ich mach es mir auf dem Beistelltisch bequem. Gegen 8:30 Uhr erhebt sich Tata Carmen dann mal von ihrem Stuhl und fängt an, ein Gutenmorgenlied anzustimmen, nachdem sich die Kinder erhoben haben. Manchmal ist bei Tata aber die Motivation auch ganz verschwunden, sodass dann mal wieder die kleinen Zwillinge die morgendliche Begrüßung übernehmen.

Louise und Laura sind mir von den Kindern im Espace Eveille am meisten im Gedächtnis geblieben. Zwei exakt gleich aussehende vierjährige Mädels. Selbe Schuhe, selbes Kleid, selbe Frisur. Beide sind die Animateure der Klasse und bringen alle zum Lachen, auch Tata und ich können nicht anders, als vor uns hin zu grinsen.

Nach der morgendlichen Begrüßung schauen Tata und ich dann auf den Lehrplan, was alles auf dem Tagesprogramm steht. Farben, Gedichte, Vokabeln Buchstaben, Zahlen, Lieder, Haushaltsaufgaben – mit all dem machen wir die Kinder hier und heute vertraut.

In erster Linie lernen die Kinder aber Französisch, denn der Unterricht in den staatlichen Schulen wird ausschließlich auf der amtlichen Landessprache gehalten und nicht auf der Regionalsprache Fongbe. Für viele Kinder wäre der Schritt ohne das Espace Eveille viel zu groß, einige würden wahrscheinlich durchs Raster fallen, womit ihre Biographie als Kinderarbeiter auf dem Markt vorgezeichnet wäre.

Heute stehen Buchstaben auf dem Lehrplan: U und L.

Dafür teile ich den Kindern eine kleine Schiefertafel und eine Kreide aus, Hefte können sich die meisten nicht leisten.

Entweder schreiben Tata oder ich die Buchstaben groß an die Fronttafel und wiederholen sie nochmal, bevor es dann mit der künstlerischen Umsetzung losgehen kann. Künstlerische Umsetzung? Ich dachte U steht auf dem Programm?

Naja, so ein U kann man wild verändern. Zum Beispiel ist da Marc. Marc liebt Einser und malt auf seine Tafeln lauter Einser anstelle der Us. Irgendwann wird ihm das dann aber zu langweilig und helle Kreide auf der schwarzen Haut sieht einfach hinreißend aus. Als dann ganz viele Schlangenlinien auf Marcs Haut zu sehen sind und wir eigentlich meinen, dass es keinen Platz mehr auf dem Körper gibt, muss am Ende noch der Kopf herhalten. Nun sitzt ein weißer Marc vor mir. Ich muss grinsen und als er dann noch den Tafelschwamm in den Mund steckt, ist es um mich geschehen.

Meistens laufen Tata und ich mit einer farbigen Kreide herum und verbessern die Kinder oder malen ihnen ein Beispiel auf die Tafel.

Beim fünften Fehlversuch, ein nach oben geöffnetes U zu erklären, bin ich mit einem Latein am Ende – die liebe Naomi malt immer noch ein umgekehrtes U. Tata Carmen hingegen begegnet ihr mit einer Engelsgeduld, die wirklich bewundernswert ist.

Im Laufe des Vormittags bringen Mütter immer mal wieder dampfende Teller oder kleine Teigbällchen vorbei. Gegen 10 Uhr schmeiße ich zwei Matten auf den Boden und wir händigen den Kindern nach und nach das Essen aus, das für sie gebracht wurde.

Vor dem Essen werden aber erst mal in großen Bottichen gründlich die Hände gewaschen. – fließend Wasser gibt es nicht, es wird aus dem Brunnen geschöpft und hergetragen. Manchmal muss das Händewaschen aber auch ausfallen, wenn das Wasser zu schmutzig ist. Nun sitzen alle Kinder auf dem Boden, mampfen fröhlich vor sich hin. Auch Tata Carmen und ich widmen uns unserer täglichen Vesperpause: Eigentlich habe ich um 10 Uhr gar keinen Hunger und bringe deshalb nie etwas zu Essen mit. Das kann Tata Carmen aber nicht mit ansehen und so hat sie jeden Tag ihr Essen mit mir geteilt. Sie hat meistens Reis mit irgendeiner Soße dabei – ich versorge uns im Gegenzug mit Früchten. Was Tata Carmen aber sehr liebt, ist der Tee, den ich ihr jeden Morgen mache und mitbringe. Diese kleine Tradition habe ich unglaublich geliebt. Das ist auch typisch beninisch: Teilen. Egal wie wenig du hast oder wie groß dein eigener Hunger ist – du teilst. Und wer die Esseneinladung nicht annimmt, kränkt die andere Person damit. Es wird nicht hinterfragt, es wird nicht mal gefragt oder aufgefordert, es wird einfach gemacht. Das ist etwas sehr Schönes. Denn gemeinsam essen macht viel mehr Freude als alleine. Von dieser Mentalität könnten wir uns in unserer Welt des Wohlstands und Überflusses ruhig eine Scheibe abschneiden.

Nach dem Essen starten wir noch eine neue Lerneinheit, ehe wir die Kinder gegen 12 Uhr nach Hause entlassen. Danach fege ich den Klassenraum, während Tata Carmen den Unterricht für morgen vorbereitet.

Tata Henriette im Aktion

Es gibt viele lustige Situationen im Espace Eveille, die ich gerne in guter Erinnerung behalten will. Zum einen ist Tata Carmen jeden Tag für zwanzig Minuten aufs Klo verschwunden, sodass ich dann die Kids komplett übernehme. Irgendwie habe ich es wohl in den ersten Wochen nicht ganz geschafft, mir Respekt zu verschaffen und so steigt der Lärmpegel um einiges, sobald Tata Carmen den Klassenraum verlassen hat. Auch nennen mich ab sofort die Kinder nicht mehr Tata, sondern Yovo, ziehen an meinem Kleid und führen mich an der Nase rum. Irgendwann hat das Tata Carmen bemerkt und mir immer mehr Unterrichtseinheiten zugeschanzt, damit die Kinder verstehen, dass auch ich eine Lehrerin und Respektsperson bin. Weil ich aber kein Fon spreche, und sie mich oft nicht verstehen, wenn ich sie zurechtweise, ist das Unterrichten für mich immer schwierig geblieben.

Dann ist da Josef; er baut sich vor mir auf, sagt „Ich muss aufs Klo“ und fängt im selben Moment schon an, zu pinkeln. Naja, passiert.

Eines Morgens rennt mir Tata Carmen schreiend entgegen, sie hat eine Maus im Klassenraum gesehen. Es herrscht helle Aufregung, denn noch nie hat etwas Tata Carmen derart aus der Fassung gebracht. Doch Fofo von nebenan eilt zur Hilfe und verscheucht den ungebetenen Gast.

Ich war zwar leider nur einen Monat in der Vorschule, doch ich habe von Tata Carmen viel gelernt, aber auch die kleinen Witzbolde haben mich gelehrt, über eine Sache lieber einmal mehr zu lachen, als sich gleich bis zur Weißglut ärgern zu lassen.

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Der 16. August

  1. Elke Müller

    Liebe Hasi🌦-was ist los?
    Ich mache den ersten Kommentar?Liebe Leserinnen und Leser,
    Bei unserem Besuch in Diji hat uns besonders beeindruckt wie der „Unterricht“ immer wieder durch Bewegung, singen und tanzen aufgelockert wurde. Da könnten wir uns eine dicke Scheibe für die Unterrichtsgestaltung abschneiden!
    Was aber absolut verblüffend war: wenn die Tata sagte:“ tete en table!“
    machten die kleinen Zwerge dies sofort, legten ihr Köpflein auf den Tisch und machten eine stille Erholungspause. Ein Kind ist sogar dabei tief und fest eingeschlafen.
    Ich hab das natürlich gleich an meiner Schule ausprobiert:
    Nix schlafen- eher viel Gekicher- aber lachen ist ja auch gesund!
    Freue mich , dass Henriette uns mit ihren Einträgen weiterhin zum Schmunzeln bringt. Merci
    Deine Mama

  2. Martina Hasenzahl

    Mensch Elke, da muss ich Henriette erst auf der Straße treffen, damit mir gesagt wird,dass es was Neues gibt im Blog….
    Heute also zum Thema Lachen ( grob vereinfacht, ich weiß)
    Aber sofort fällt doch ins Auge , was uns hier oft genug fehlt. Nicht das Auslachen aber das Lachen- übereinander und vor allem miteinander!!
    Danke Henriette!
    Hasi

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