Regenzeit und Alltag

Gerade regnet es in Strömen. Hätte ich kein Dach überm Kopf, wäre ich in null Komma nix nass bis auf die Unterhose. Oberbayrischer Platzregen ist nix dagegen!!!

Für mich und die Natur ist der Regen (noch) ein Segen. Wenn es nämlich nicht schüttet, ist es inzwischen ziemlich heiß. Die höchste gemessene Temperatur waren zwar „nur“ 36°C, aber dafür angezeigte „gefühlte 44°C“ – nach meinem Gefühl 100.000°C!!! Warum? Das ist ganz einfach: Wenn es in der regenreichsten Region der Welt nicht regnet, dann hat es 100% Luftfeuchtigkeit. Okay keine 100 %, aber tatsächlich hat mein Handy schon mal 96% angezeigt. An „normalen“ Tagen zeigt es zwischen 80 % und 90 %. Deswegen schwitze ich bei ALLEM was ich tue – sogar beim faul Rumliegen! Es ist wie in der Dampfsauna…

Der starke Regen fällt fast täglich um die Mittagszeit rum. Von 0 auf 100 schießt er vom Himmel herab. Meist gibt es zusätzlich ein heftiges Gewitter. Der Donner hört sich oft so an wie ein Raketenschuss: Ganz laut und kurz. Manchmal donnert es auch mehrere Minuten am Stück. Nahezu kein Auto fährt mehr auf der Straße und jeder flüchtet so schnell wie möglich unters Dach. Nur zu oft frage ich mich, was die InderInnen machen, die kein Dach überm Kopf haben. Auch diejenigen, die in einer „Holzhütte“ wohnen, werden kaum ganz trocken bleiben. Zu einem solchen Gewitter gehört nämlich auch ein ordentlicher Wind. Die Bäume rauschen laut und ich fürchte, dass nicht alle „Bambushäuser“ im Dschungel diesem Wetter auf Dauer standhalten können.

Was anfangs neu für mich war ist „Gewitter am Morgen“. Wenn mein Wecker um 6.00 Uhr klingelt, höre ich erstmal ein lautes Donnern. Auch in der Nacht stürmt und regnet es oft heftig. Die vielen Blitze erleuchten unser Zimmer hell. Ich liebe das prasselnde Geräusch des Regens auf dem Blechdach. Allerdings es sooooo laut, dass ich davon oft mitten in der Nacht aufwache. Manchmal setze ich mich dann kurz ans Fenster und schaue der Natur zu, wie sie ihr Unwesen treibt. <3

Im Vergleich zu Deutschland gibt es sehr selten graue Dauerregentage. Trotzdem liebe ich sie hier. Einfach weil ich den Regen liebe und es dann aushaltbar ist! 🙂

 

Recht viel Neues ist nicht passiert. Ich möchte trotzdem ein Wenig von meinem „Regenzeit-Alltag“ berichten:

Das erste Mal bin ich seit vier Monaten DURCHGEHEND im Projekt. Ich würde behaupten richtig angekommen zu sein. Mein Alltag – inzwischen kann man es echt so nennen – hat sich eingespielt:

In der Schule kenne ich nicht nur die LehrerInnen bei Namen, sondern auch meine SchülerInnen. Mit der Zeit habe ich herausgefunden, zu wem ich kommen kann, wenn ich Hilfe brauche, wer mir beim Übersetzen hilft, wo ich Kreide finde oder wie viel Hausaufgabe ich aufgeben kann.

In Handwriting merke ich schon Unterschiede: Den Punkt am Ende eines Satzes (auf den ich hartnäckig bestehe) machen inzwischen fast alle. Die Kleinen kennen den Unterschied zwischen Groß- und Kleinbuchstabe oder Frage- und Ausrufezeichen. Das Schreibschrift-Alphabet habe ich mit ihnen geübt bis zum Erbrechen und wenn sie sich anstrengen, können sie richtig schön IN DEN LINIEN schreiben.

Die Begeisterung für den Drawing-Unterricht ist immer noch so groß wie am ersten Tag: Komme ich mit meiner Zauberbasteltüte ins Klassenzimmer, rennen alle auf mich zu und wollen wissen, was sich diesmal darin verbirgt. Ob Scheren, Kleber, Wasserfarben, Tonpapier oder einfach nur Buntstifte, sie basteln und malen mit einer Lebensfreude, die ich mir im Handwriting-Unterricht nur erträumen kann.

Games ist immer sehr spontan, da zwischen 15 und 80 Kinder kommen, wir aber im Vorhinein nicht wissen, wie viele es werden. Aufgrund des Regens bzw. Sturms konnten wir öfter nicht spielen. 🙁  Aber wenn wir spielen, machen die Kids mit strahlenden Augen mit. Unser derzeitiges Hauptspiel ist „Mein rechter, rechter Platz ist frei“. Einige der SchülerInnen sind auf jeden Fall schauspielerisch begabt. Und natürlich ist es immer wieder ein Highlight wenn Miss Vroni oder Miss Anita als Krokodil, Elefant, Schlange, Spinne oder Frosch auf den freien Platz kriechen, stampfen, krabbeln oder hüpfen. So erlernen sie spielerisch die Tiernamen auf Englisch und zusätzlich wird ihre Kreativität gefordert. Ich glaube sie haben ganz nebenbei noch den Unterschied zwischen rechts und links gelernt. 😉

Seit letztem Freitag sind in der Schule die „Half Yearly Exams“. Der Ablauf ist eigentlich genau der gleiche wie bei den Final Exams (siehe Final Exam – auch ein Test für mich, November). Das tägliche Beaufsichtigen des dreistündiges Exams ist gar nicht so ohne. Eigentlich sind immer zwei LehrerInnen für ein Klassenzimmer eingeteilt. Bis jetzt war ich trotzdem fünfmal allein. Wenigstens weiß ich inzwischen, was zu tun ist. So schnell bringt mich nichts mehr aus der Ruhe… Obwohl ich nichts Großes mache, bin ich danach ganz schön fertig. Das Ständige Rumgehen, Ermahnen, Austeilen, Einsammeln und Sortieren von Tests, Unterschreiben und Beobachten macht müde und erfordert volle Konzentration. Trotzdem geht es danach gleich zum Essen und dann zu den Mädels.

Seit ein paar Wochen helfe ich nach der Schule oft Alaka* bei ihrem „Evening Job“. Ihre Aufgabe ist es, die Eimer der 63 Mädchen aus dem Convent mit Wasser aus dem Brunnen zu füllen, damit diese alle nach ihren Arbeiten gleich waschen und duschen können und es keinen Stau am Brunnen gibt. Da jedes Mädel mindestens zwei Eimer besitzt (manche haben auch fünf…), ist dieser Job ganz schön anstrengend. Zu zweit macht es jedoch viel Spaß und wir vergessen schnell, wie schwer Wasser sein kann. Während ich „schöpfe“ (meine Eimer-Wurf-Technik hat sich seit März deutlich verbessert 🙂 ), richtet Alaka die leeren Eimer her und rückt die Vollen aus dem Weg. Wenn ich nicht mehr kann, tauschen wir. Ist Alaka erschöpft, bin ich wieder an der Reihe usw. Bei unserer Arbeit singen wir gerne und bringen uns gegenseitig Lieder in jeweils anderen Sprache bei. Es ist aber auch schön, sich mal in aller Ruhe zu unterhalten, auszutauschen oder einfach nur leise vor sich hinzuarbeiten. Dann wirkt das Eimerhochziehen neben dem Krafttraining auch noch meditierend. Sind alle Eimer gefüllt, „kehren“ Alaka und ich noch den Platz um den Brunnen herum. Das machen wir mit „Besen“ aus irgendwelchem getrocknetem Grünzeug, die als Rechen fungieren. Ich muss sagen sie erfüllen auf jeden Fall ihren Zweck. Allerdings macht mir das Gebücke zu schaffen: Die Rechen sind vielleicht 50 cm lang…

Jetzt in der Regensaison gibt es zwar im Brunnen immer genügend Wasser, jedoch ist dies meist trüb. Der Regen wirbelt Dreck auf. Für mich bleibt es ein Wunder, wie die Mädels sich nach einer „Dusche im Dschungel“ sauber fühlen können. Auch in unserem Zimmer gab es länger kein sauberes Wasser. Teilweise konnte ich beim Duschen den Boden des Eimers nicht mehr sehen – so trüb war es. Immer wieder haben wir auch gar kein fließendes Wasser aus der Leitung, obwohl es zeitgleich draußen schüttet. Das finde ich ziemlich verrückt!

Im Convent hat sich auch ein richtiger Alltag eingespielt: Morgens gehe ich täglich (außer sonntags) joggen im Dschungel und genieße den Regenwald bevor es wieder zurück nach Deutschland geht. Hierzu eine kurze Geschichte:

Ich laufe auf einer schmalen Straße durch den Dschungel in ein kleines Dorf. Von Weitem sehe ich wie ich kleines Mädchen in einem Kleid am Straßenrand steht. Sie steht dort fast jedes Mal in demselben Kleid. Inzwischen kennt mich die Vierjährige schon und winkt mir zu. Lächelnd läuft sie mir die letzten Meter entgegen und greift nach meiner Hand. Sie sieht mit ihren großen, dunkelbraunen Kinderaugen zu mir hoch. Dann rennt sie los und zieht mich mit. Sie läuft immer schneller. Dabei hält die Kleine meine Hand ganz fest umklammert, als würde sie sie nie mehr loslassen. Und trotzdem bleibt sie immer an derselben Stelle stehen und lässt mich alleine weiterjoggen. Manchmal komme ich auf dem Rückweg wieder dort vorbei. Das Mädchen wartet an exakt derselben Stelle wo sie stehen geblieben ist, um mit mir wieder zurück zu laufen. Einmal hat sie ihre kurzen Ärmchen zu mir hochgestreckt. Also habe ich sie hochgehoben. Erst als ich sie schon auf meinem Arm hatte, habe ich bemerkt, dass sie eine Blume in der Hand hielt. Sie hat sie mir geschenkt und sich an mich gekuschelt. Ich glaube so fühlt sich Glück an.    

Seit den letzten Wochen geben Vroni und jeweils von 15.00 – 16.00 Uhr Nachhilfe. Danach geht’s zum Tee und anschließend haben wir nochmal von 16.30 – 19.00 Uhr Nachhilfe. Dann ist der „Nachhilfe-Marathon“ (endlich…) beendet. Eigentlich gebe ich sehr gern Nachhilfe, aber nach dreieinhalb Stunden bin ich echt immer durch. V.a. wenn ich in dieser Zeit nur mit ein und demselben Mädchen lerne. Es erfordert hohe Selbstdisziplin bei der Sache zu bleiben und nicht auf Ablenkungsversuche einzugehen, sondern zum Lernen zu motivieren.

Motivation zu haben ohne Motivation – das habe ich gelernt.

Ich freue ich immer noch sehr auf den täglichen Rosenkranz vorm Abendessen. Das Beten gibt mir Zeit zum Nachdenken und das kontinuierliche Vor-Mich-Hingehen einen Ausgleich zum ständigen Sitzen auf dem Boden der Hall.

Bevor die Mädels so viel für ihre Prüfungen lernen mussten, durften Vroni und ich jeden Abend 10 min Vorlesen. Ich habe den „großen Mädels“ (siebte bis zwölfte Klasse) den kleinen Prinzen vorgelesen. Weil ich dieses Buch so liebe, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, für jedes der 27 Kapitel eine Zusammenfassung auf ein A4-Papier zu schreiben. Diese habe ich nach dem Vorlesen des jeweiligen Kapitels aufgehängt. Es freut mich immer noch, wenn ich sehe wie einige der Mädels wirklich dastehen und lesen. Eines der Mädchen hat sich sogar Zitate in ihr Poesiealbum abgeschrieben. Ich finde es sehr schade, dass wir derzeit nicht Vorlesen dürfen. V.a. weil die Mädchen ohnehin circa sechs Stunden am Tag lernen müssen. Hoffentlich bestehen wenigstens alle!

Die Mädels, die im Februar neu dazugekommen sind, sind mir inzwischen schon so vertraut wie die Alten. Sie haben mich und ich habe sie kennengelernt. Je länger ich hier bin, desto klarer wird mir der Sinn von einem Freiwilligen Sozialen JAHR. Wenn ich überlege, wie ich Indien nach drei Monaten wahrgenommen habe, wie wenig ich die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite eigentlich gekannt habe und wie „gut“ ich sie jetzt kenne, wird mir klar warum Don Bosco Volunteers nur für ein ganzes Jahr entsendet. Es ist zwar lang und manchmal schwierig, aber es hat auch seinen Sinn:

Jetzt bin ich richtig angekommen: Ich kenne das Land, die Kultur und die Rituale. Ich habe mich (einigermaßen) an das Klima gewohnt und alle Jahreszeiten (einschließlich der Regenzeit) miterlebt. Ich spreche Englisch, ohne davor nachzudenken. Ich habe tatsächlich so etwas wie einen Alltag entwickelt. Ich kenne meine Aufgaben und Pflichten. Aber v.a. kenne ich die Menschen um mich herum. Nicht nur meine SchülerInnen, die LehrerInnen, die Schwestern und sogar die Pfarrer, sondern die Mädels vom Convent. Ich bin ganz anders in meinem Alltag drin als nach drei Monaten oder einem halben Jahr. Wohnt man für zwölf Monate unter einem Dach, so verbringt man doch ganz schön viel Zeit miteinander und baut eine intensive Bindung auf. Es sind richtige Freundschaften entstanden. Außerdem finde ich es spannend zu beobachten, wie die Kinder- und Jugendlichen sich entwickeln. Manche sind vom Mädchen zur Frau geworden. Teilweise sind sie um einen ganzen Kopf gewachsen. Wir haben sie in allen möglichen Lebenslagen erlebt: Glücklich, traurig, aufgedreht, hungrig, motiviert, niedergeschlagen, zickig, müde, begeistert usw. Und wir haben versucht immer für sie da zu sein – mit ihnen mit zu leben; gemeinsam durch dick und dünn zu gehen.

Es ist schön nicht nur bei den Mädels eine Entwicklung wahrzunehmen, sondern auch bei mir selbst. Wenn ich in meinem Tagebuch blättere und meine jetzigen Einträge mit den Ersten vergleiche, dann denke ich lächelnd an mein damaliges Ich zurück und frage mich, ob das wirklich erst ein Jahr her ist.

Auch wenn ich immer noch das Gefühl habe, dass die Zeit rennt, so rennt sie grad deutlich langsamer als vor einem Monat. Ich habe den Abschied innerlich zugelassen und freue mich unglaublich auf Daheim. Auch der ganze Bewerbungskram ist (vorläufig) erledigt – jetzt heißt es abwarten und Tee trinken! 😀 Inzwischen habe ich auch das Gefühl, einige der im Blogartikel 99,98,97,96,95 aufgezählten Sachen umgesetzt zu haben: Wir haben neue Spiele angeleitet, das Vorlese-Projekt gestartet, aussagekräftige Filme gezeigt, beim Unterrichten neue Methoden ausprobiert und genießen einfach nur unsere letzten 55 Tage.

Liebe Grüße aus dem heißen und verregneten Indien und bis bald!

Anita

 

*der Name wurde aus Datenschutzgründen geändert

 

 

 

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  1. Franziska K.

    Servus Anita 🙂 das mit dem kloana Madl is ja richtig liab! Das mit der Motivation ohne Motivation musst du mir glaube ich a no beibringen. Genieß die letzten Wochen und freue mich wenn du wieder im schönen Bayern bist. 🙂

    • Anita Krammer

      Des Madl is a echt liab. Leider hob i bis jetzt ihrn Nama nu ned dafrogt. Vielleicht mach i irgendwann moi a Buidl vo ihra in dem liabn Kleidl. 😉
      Des mit da Motivation is so a Sach. Aber i ruaf ma oafach immer wieder in Kopf warum i eigentlich do bin: Wega de Kinder. Desweng soidad i a immer ois fia sie gem! Und wenn sie si am End vo da Study Time herzlich bedanken und vo aoloa kemma, dann macht des a richtig Spaß. 😀
      I hoff oafach nur, dass meine Gloana de Prüfungen a bestenga…

  2. Franziska K.

    Bei so a guadn Lehrerin hob i do koane Zweifel das die ned bestehn 😉

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