Ahoj liebe Leserinnen und Leser!

Wie im Flug…

Jetzt bin ich doch tatsächlich schon mehr als drei Monate hier in Prag. „Wer hat an der Uhr gedreht“, frage ich mich manchmal. Ich habe in dieser kurzen (oder doch schon langen?) Zeit schon sehr viel über unsere Welt und die Menschen gelernt. Aber am Meisten habe ich über mich selbst gelernt und ich bin sehr froh, diese Erfahrungen als Freiwilliger machen zu können.

Rückblick und Ausblick:

In meinem letzten Blogeintrag habe ich gegen Ende einen Absatz mit der Überschrift „Was bewirke ich“ betitelt. Diese Frage würde ich in diesen Eintrag gerne noch einmal mit aufnehmen. In dem besagten Absatz ging es um einen „Stammgast“ des Oratoriums. Auch von ihm wird dieser Blog wieder, unter anderem, handeln.

Stammgäste:

In diesem Blogeintrag würde ich gerne etwas näher auf diese Stammgäste eingehen. Diese Kinder besuchen das Oratorium öfters, regelmäßig oder sogar jeden Tag. Und das aus unterschiedlichen Gründen. Manche gerne, manche aber auch eher weniger gerne, weil ihre Eltern sie ins Oratorium „schicken“. Zum Beispiel wenn sie nachmittags nicht zu Hause sind. Zu diesen Kindern habe ich schon ein bisschen so etwas wie eine Beziehung aufgebaut. Diese will ich hier im Weiteren auch noch etwas näher beschreiben. Das mit dem Aufbauen der Beziehung ist jedoch gar nicht immer so einfach:

Nicht immer einfach:

Denn ich bin nur zwei Nachmittage im Oratorium tätig, nämlich dienstags und donnerstags. Deshalb sind diese beiden Tage meine Lieblingstage hier in Kobylisy. Denn an diesen Tagen bin ich mit den „jungen Menschen“ zusammen. Manchmal kommt es aber vor, dass am Anfang eines Nachmittages überhaupt kein Kind kommt. Auch generell ist das Oratorium manchmal recht leer. Dadurch kommt es auch vor, dass ich ein Kind einmal eine ganze Woche nicht sehe. Weil es an einem „meiner Tage“ nicht kommen konnte oder wollte. Das finde ich dann immer ein bisschen schade.

„Einzelbetreuung“:

Einen großen Vorteil hat die eher niedrigen Besucheranzahl des Oratoriums jedoch. Es ist eben nicht rappelvoll. Deshalb können meine Kollegen und ich, besser und intensiver auf die einzelnen Kinder eingehen. Ich persönlich versuche das vor Allem mit ganz viel Geduld. Außerdem will ich ihnen die Aufmerksamkeit schenken, die sie benötigen. Dabei ist ein großes Interesse meinerseits an den Kindern und ein liebevoller Umgang ebenfalls sehr wichtig für mich, um auf die Kinder zuzugehen.

Sprechen ist wichtig:

Dabei steht mir jedoch einmal mehr und leider immer noch die Sprachbarriere ich Weg. Auch wenn einige der Kinder mit anderen Mitarbeitern des Oratoriums auch nicht gerade gerne oder intensiv sprechen wollen, würde ich persönlich, dies gerne manchmal tun können, um ihr Handeln, ihre Laune und die Geschichte, die jedes einzelne Kind hat, besser verstehen zu können oder nachzuvollziehen zu können.

Freud und Leid:

Ich freue mich über jeden noch so kurzen Gruß, den ich von den Kindern bekomme oder wenn mich mal wieder jemand fragt, ob ich denn morgen ins Oratorium käme. Manchmal sind sie auch geradezu beleidigt oder wütend, wenn ich einmal nicht den ganzen Tag für sie da bin, weil ich versuche mit allen Kindern in Kontakt zu treten. Dann vergesse ich all die Aussetzer, die die Kinder manchmal haben, das sind dann deutsche Fluch-Ausbrüche, die sie irgendwo aufgeschnappt haben und wodurch sie sich dann selbst ziemlich feiern oder auch kleinere körperliche Attacken, gegen die es nicht einfach ist, sich zu wehren, da es schlichtweg nicht erlaubt ist, handgreiflich zu werden. Es ist auch schwer eine gewisse Seriosität auszustrahlen, wenn man die Sprache nicht ausreichend beherrscht.

Im Folgenden werde ich etwas näher auf meine „Beziehung“ zu einigen der „Stammgäste“ des Oratoriums eingehen:

Ein sehr schüchternes Mädchen, das oft auf gar nichts Lust hat, mit dem ich aber mittlerweile recht regelmäßig Fußball spiele. Dabei steht sie zurzeit gerne im Tor und möchte, dass ich ihr „hohe Bälle“ serviere, die sie parieren kann. Für sie ist es auch manchmal schwierig, da sie oft das einzige Mädchen in ihrem Alter ist.

Der älteste Besucher des Oratoriums den ich kenne, der recht anstrengend sein kann. Mittlerweile sehe ich jedoch auch Situationen in denen man bemerkt, dass er schon fast 18 Jahre alt ist.

Ein schüchterner Junge, der jedoch manchmal auf sich aufmerksam machen muss, indem er andere Besucher imitiert oder so versucht zu sein, wie sie. Er freut sich eigentlich immer sehr, wenn er mich sieht. Er spielt gerne mit mir alleine Tischtennis und ist ein guter Linksfuß.

Ein recht impulsiver Junge, der gelegentlich zu Wutausbrüchen neigt, die auch ich zu spüren bekomme. Aber in manchen Situationen merkt man dann doch, dass er eigentlich einiges auf dem Kasten hat (wie bei Tischspielen zum Beispiel).

Ein aus Vietnam stammender Junge, der meistens mit seinem eigenen Fußball kommt und dann auch mal gut und gerne eine Stunde lang mit mir spielt, dabei stehe ich im Tor und wir üben gelegentlich Kopfbälle oder ich teste seine linke Klebe, mit der er echt was drauf hat. Er neigt dazu, sich weniger gute Sachen bei anderen abzugucken.

Ein eher ruhiger Junge, der jedoch ein bisschen zu Arroganz neigt und vor Allem beim Fußball (noch) kein Team-Player ist. Sonst ist er auch relativ viel mit seinem Handy zugange. Er hilft mir jedoch manchmal, bestimmte Kinder ein bisschen zu beruhigen.

Ein recht aggressiver Junge, der mir gegenüber auch recht beleidigend werden kann. Er ist eher ein Einzelgänger, vor Allem auch beim Fußball, aber es gibt Momente, in denen er sich wirklich sehr bemüht, betont höflich zu sein.

Ein schon etwas älteres Mädchen, das oft auch eher nur herum sitzt und sich langweilt. Mit ihr, habe ich noch nicht viel gesprochen, aber sie kommt ganz gut mit den Betreuerinnen aus dem Oratorium ins Gespräch.

…„Pepa“ (Josef), „Jirka“ (Jiří), Vašků (Václav), „Stefu“ (Stefan), „Kuba“ (Jakub), „Dan“ (Daniel), „Terka“ (Tereza), „Anička“ (Anna)…     

Um die Identitäten der Kinder zu schützen, habe ich die Namen nicht zugeordnet, es sind aber ohnehin sehr typische tschechische Namen, es könnte hier fast jedes Kind so heißen.

Die eigene Geschichte:

Wie gesagt, jedes dieser Kinder hat seine ganz eigene Geschichte. Diese würde ich gerne im Laufe meines Freiwilligendienstes noch besser kennenlernen. Ich hoffe, dass das mit besser werdenden Sprachkenntnissen auch noch einfacher für mich wird.

Gibt es Fortschritte?

Ich denke, dass ich schon sehr viel sehe, was in den Jugendlichen vor sich geht oder was sie beschäftigt. Und jeden Abend nach dem Schließen des Oratoriums wird das mit den Kindern Erlebte, schriftlich festgehalten und ich hoffe, ich kann durch das was ich sehe, meinen Beitrag zu einer positiven Entwicklung beitragen (so ähnlich, wie ich das oben dargestellt habe, nur nicht so detailliert und nicht so persönlich). Das ist sehr gut, um zu sehen, wie oder ob die Kinder sich entwickeln. Manchmal sind aber auch die ausgebildeten Mitarbeiter des Oratoriums etwas ratlos, weil die Jugendlichen sich oft in den gleichen Mustern bewegen (soweit ich das aus den tschechischen Gesprächen manchmal heraushören kann). Ob ich in der Zeit, in der ich bis jetzt hier war, etwas verändert habe, kann ich nicht wirklich sagen.

Freizeitgestaltung:

Natürlich geht es in erster Linie darum, die Freizeit der Jugendlichen zu gestalten und diese Zeit mit ihnen zu verbringen. Und meistens sind sie dabei auch nicht besonders anspruchsvoll. Es braucht nicht viel dazu, um sie abzulenken oder sie zu unterhalten. Manchmal ist es ein Ball, ein Spiel, ein Skateboard. Oder manchmal braucht es sogar gar nichts, wenn man einfach einmal wieder Verstecken spielt.

Kann ich mehr?

Aber manchmal frage ich mich, was ich darüber hinaus, tun kann um an einer positiven Entwicklung ihres Lebens beizutragen, wie zum Beispiel pädagogische Kniffe anzuwenden oder ein tieferes Gespräch zu führen. Denn ich habe leider keine professionelle Ausbildung. Ich spüre deshalb, wie wichtig es ist, das Handeln im sozialen Bereich zu professionalisieren.

Mit Don Bosco:

Manchmal frage ich mich einfach: „Was hätte Don Bosco in dieser Situation gemacht, wie hätte er vielleicht reagiert“. Um diesen Mann näher kennenzulernen hat mir ein Spielfilm über ihn, sehr weitergeholfen. Nun beginne ich eine Autobiographie von ihm zu lesen, die ich zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Dadurch versuche ich ihm immer ein Stückchen ähnlicher zu werden, da ich ja in seinem Geiste arbeite.

Bitte:

Ich habe die Namen der Jugendlichen und einen Bruchteil ihrer Geschichte und meine Erfahrungen mit den Jugendlichen erwähnt, damit ihr an sie denken könnt, wenn ihr wollt und Zeit dafür findet, das würde mir persönlich sehr viel bedeuten. Oder ihr könnt sie sogar in eure Gebete miteinschließen, „damit das Leben junger Menschen gelingt“. Denn eigentlich haben sie alles was sie brauchen (materiell gesehen), ganz anders als viele Kinder in den Projekten der anderen Don-Bosco-Volunteers. (Denkt bitte auch an meine Kollegen und die Menschen in ihren Projekten).

Da man für mein EFD-Projekt leider nichts spenden kann, möchte ich hiermit noch einmal auf die Blogs der anderen Volontäre hinweisen und gerade in dieser Adventszeit um eure Spenden für diese Projekte bitten!

(Blízko, blízko je Pán! – Schon ist nahe der Herr.)

Zeit und Geduld:

Ein Grund für meine Entscheidung, nach Prag zu gehen war, dass ich gerne in einem Oratorium arbeiten wollte um auch eventuell eine Entwicklung bei den Jugendlichen sehen zu können (Langzeitpädagogik). Auch wenn man bei meinem Handeln nicht von professioneller Pädagogik sprechen kann, die ich anwende. Manchmal frage ich mich auch, was ich hier eigentlich bewirke, weil man in der sozialen Arbeit nicht immer (schnell) unbedingt Ergebnisse sieht. Ein Mitglied des tschechischen Parlaments, er war hier einmal zu Besuch, der früher als Sozialpädagoge gearbeitet hat, hat gesagt, dass man in der Politik noch mehr Zeit und Geduld braucht, als in der sozialen Arbeit, um etwas zu bewirken. Deshalb bin ich froh, dass ich eher in Richtung soziale Arbeit tendiere, als in Richtung Politik.

Der Glaube hilft:

Doch was ich bei den Kindern bewirke sehe ich oft vielleicht gar nicht, denn ich kann ihre Gedanken nicht lesen oder so früh noch nicht erkennen, was mein Handeln im Oratorium in ihnen bewirkt aber wer weiß, vielleicht entscheidet sich jemand von ihnen später auch einmal ins Ausland zu gehen oder sich generell ehrenamtlich zu engagieren. Außerdem könnte mein Zusammensein mit ihnen, gerade in den kleinen Situationen, sie ihr Handeln überdenken lassen. Wahrscheinlich werde ich davon dann auch nie erfahren aber der Glaube daran, dass ich mit meinem Handeln etwas Gutes bewirke, gibt mir Mut. Ich bin gespannt, wie sich die Jugendlichen der „Generation Z“, mit denen ich hier zu tun habe entwickeln, oder wie sich meine Beziehung zu ihnen sich im Laufe meiner Zeit hier entwickelt.

Hoffnung:

Ich hoffe jedenfalls, dass ich meinen Teil zu etwas Gutem beitragen kann. Vielleicht kann ich auch eines Tages die Früchte meiner Arbeit sehen, wenn auch eventuell nur im Kleinen.

Ein Paar passende Don-Bosco-Zitate zum Thema:

„Diese Kinder sind Edelsteine, die auf der Straße liegen. Sie müssen nur aufgehoben werden, und schon leuchten sie.“

„In jedem jungen Menschen, auch in dem schlimmsten, gibt es einen Punkt, wo er dem Guten zugänglich ist, und so ist es die erste Pflicht des Erziehers, diesen Punkt, diese empfängliche Stelle des Herzens, zu suchen und zu nutzen.“

„So ist die Jugend: Wie das Walzwerk einer immer laufenden Mühle. Schüttet man gutes Korn in die Mühle, so wird gutes Mehl daraus. Gibt man jedoch minderes oder verdorbenes hinein, so wird auch das Mehl minderwertig oder schlecht. Tut man aber gar nichts hinein, dann zerreiben sich die Steine selber.“

Don Bosco (1815 – 1888), eigentlich Giovanni Bosco, genannt Don Bosco der »Bubenkönig«, italienischer Priester und Sozialpädagoge

Ins Wasser fällt ein Stein:

Ein Funke, kaum zu sehn,
entfacht doch helle Flammen,
und die im Dunkeln stehn,
die ruft der Schein zusammen.
Wo Gottes große Liebe
in einem Menschen brennt,
da wird die Welt vom Licht erhellt;
da bleibt nichts, was uns trennt.

Nimm Gottes Liebe an.
Du brauchst dich nicht allein zu mühn,
denn seine Liebe kann
in deinem Leben Kreise ziehn.
Und füllt sie erst dein Leben,
und setzt sie dich in Brand,
gehst du hinaus, teilst Liebe aus,
denn Gott füllt dir die Hand.

 

Vielen Dank dafür, dass du meine Seite besucht hast und bis bald,

liebe Grüße

TOBI