Theresa in Bolivien

¡Un año en Santa Cruz!

Mienentour in Potosí

Lange habe ich überlegt, ob ich diesen Blogeintrag wirklich hochladen soll. Schließlich sollen meine Einträge nicht hauptsächlich von Reisen erzählen, wo sie doch den geringsten Anteil meines FSJs ausmachen. Außerdem ist mir bewusst, dass es sich um ein sehr kritisches und vielschichtiges Thema handelt. Eine Mitvoluntärin zum Beispiel war ebenfalls im Cerro Rico, hatte einen anderen Führer und eine ganz andere Wahrnehmung. Sicher ist meine Position extrem und gibt es auch noch andere, positive Seiten, die ich in der 3-Stunden-Tour nicht zu erfassen vermochte. Mich hat das Thema aber sehr aufgewühlt und mir wieder gezeigt, dass Bolivien zwar weit weg scheint, unsere Welt aber durch Globalisierung und eben auch menschenunwürdige Ausbeutung eng miteinander verbunden ist.

Durch enge Gänge

Unser Führer Pablo war um die 35 Jahre alt und arbeitete seit seinem 14. Lebensjahr in den Mienen. So wollte es die Tradition: Vater und Großvater waren Mienenarbeiter und so war es ihm eine Ehre, den Mienenanteil der Familie zu wahren. Pablo stattete uns, bevor wir die Mienen betraten, nicht nur mit einem passenden Outfit, sondern auch einer leisen Vorahnung und typischen Mitbringseln aus.Trotz schlechter Qualität kann man es vielleicht erkennen: Dynamit, Sprengstoff und 96%iger Alkohol. Später sollten wir erfahren wofür. Endlich ging es los: Wir passierten den mit Lamablut bespritzten Eingang und folgten Pablo ins Dunkle. Je tiefer es in den Stollen ging, desto enger und staubiger wurde es. Immer wieder hielten wir an, um uns Silberadern oder Zinkbestände zeigen zu lassen. Da wir nur zu dritt waren, konnte uns Pablo tatsächlich überall mit hinnehmen: Auf allen vieren stolperten die Finnin und ich ihm hinterher, kletterten Leitern hoch und rutschten auf Gesteinshaufen in den nächsten Gang. Und nun kamen unsere Mitbringsel ins Spiel: Wir trafen auf eine Zweiergruppe an Mienenarbeitern. Ich schätzte sie auf 60 Jahre, beide hatten Meißel in der Hand und waren dankbar über den Sprengstoff, welchen wir ihnen mitgebracht hatten. Pablo schien mit ihnen befreundet zu sein; sie prabbelten Quechua, lachten und teilten sich den hochprozentigen Alkohol. Es waren immer nur ein paar Schlücke und trotzdem war ich erstaunt, als Pablo wieder aufbrach und uns ohne Schwanken in den nächsten Tunnel leitete.

Harte Arbeit & eine geringe Lebenserwartung

Meine zittrigen Beine waren dankbar um die Pause, in denen wir Pablo mit Fragen löchern durften. Auf sie antwortend begann er, Cocablätter kauend, zu erzählen: Seine Freunde sind keine 60, sondern 40 Jahre alt. Die meisten Mienenarbeiter beginnen schon als Kinder mit dem Beruf und werden im Durchschnitt nicht älter als 45. Eine Arbeitergruppe reicht von 2 bis 30 Männer, je nach dem, wie reich das Gebiet an Mineralien ist. So eine Gruppe besteht aus einem Chef (der, der am längsten in den Mienen arbeitet) und seinen Mitarbeiter. Mitarbeiter kann jeder werden: Würde sich zB mein Bruder entscheiden ab morgen in den Mienen arbeiten zu wollen, ist das kein Problem! Er braucht keine Papiere und keinen Arbeitsvertrag, er braucht lediglich einen Chef, der ihm das Arbeiten beibringt. Es gibt also keinerlei Kontrolle, wer wann arbeitet. Kinderarbeit ist gesetzlich verboten, doch wo muss man mit Sanktionen rechnen, wo keine Kontrolle herrscht? Sehr wichtig ist der Glaube an das Paar Pachamama & Tío – sie regieren die Mienen. Aus diesem Grund darf hier auch keine Frau arbeiten: Der Tío würde sich schließlich in die Frau verlieben, Pachamama würde neidisch und sie umbringen…

Die Informationen prasselten nur so auf mich ein und trotzdem schien ich nicht zu verstehen: Wie kann es sein, dass Bolivien, so reich an Bodenschätzen, das ärmste Land Südamerikas ist? Wie kann es sein, dass Männer mit 45 Jahren ihr Leben lassen, um trotzdem kaum ihre großen Familien ernähren zu können (Pablo hatte zB 16 Kinder)? Pablo erklärte uns, Bolivien sei nun mal ein korrupter Staat. Die Menschen da oben wüssten nicht welche Arbeit in den Mienen geleistet wird, deswegen würden sie so wenig zahlen. Innerlich lächelte ich traurig und dachte: Sie wissen ganz genau, wie es aussieht. Nur verschließen sie die Augen, denn das ist das einfachste und bringt den größten Gewinn!

Zurück auf festem Boden

Um 12 Uhr endete die Tour und ich war froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Ich hatte noch einen ganzen Tag vor mir, den ich und meine Mitreisenden damit verbrachten, durch Potosís Gassen zu schlendern und “ la Casa de la Moneda“ (Geldhaus) zu besuchen. Hier wurden Menschen aus Bolivien und afrikanischen Ländern von Spanier:innen unter miserabelsten Umständen zu Sklavenarbeit gezwungen. Wofür? Um Münzen, Silberbesteck und -krüge, Schmuck und silberüberzogene Gemälde primär für Spanier:innen herzustellen.

Was mich am Ende dieses Tages am meisten ekelte war das Wissen, dass ich im übertragenen Sinne zu den ausbeutenden Spanier:innen gehöre. Tausende meiner Alltagsprodukte enthalten Silber: Schmuck, Handy, Küchengeräte, Kosmetika etc. Als Konsumentin einer Industrienation nehme ich Teil an der Ausbeutung der Mienen und der Sklavenarbeit, die noch heute herrscht. Das System hat sich kaum geändert: Menschen arbeiten und sterben in den Mienen (eine Lebenserwartung von 45 Jahren!), damit andere billig konsumieren können.

Längst bin ich wieder in Santa Cruz und gehe täglich ins Hogar. Ein Heim, welches junge Menschen von der Straße holt und eine Alternative zu ausbeuterischer Kinderarbeit schafft. Auch wenn noch vieles auf unserer Welt getan werden muss… vielleicht liegt hier der Anfang.

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  1. Carla Wendte

    wow das klingt wirklich krass, Theresa! Anna und ich waren auch am überlegen, die Mienentour zu machen. Danke für deine Ansicht:) freue mich, doch bald zu sehen

  2. Klaus Winkels

    Kinderarbeit und die frühe Sterblichkeit sind bedrückend. Und es ist noch gar nicht solange her, dass dies auch in Deutschland geherrscht hat und die wirtschaftliche Not die Menschen in die Minen getrieben hat. An manchen Entwicklungs- und Schwellenländern sieht man, dass auch ein höheres Bildungsniveau allein nicht der Ausweg ist, wenn eine hohe Geburtenrate Arbeitslosigkeit produziert und damit Armut, wie z.B. in Ägypten, wo es viele arbeitslose Ingenieure und Lehrer gibt.
    Einen Unterschied zur trostlosen Armut hat schon gemacht, wenn man zusammen gerückt ist und z.B. der Besitzer der Mine oder des Stahlwerks sich um Wohnungen und Gesundheit auch der Familien der Mitarbeiter gekümmert hat, denn hierdurch konnte eine Zusammengehörigkeit wachsen und damit der gegenseitige Respekt und auch ein neues Selbstbewußtsein.
    Es ist rührend zu lesen, dass der Minenarbeiter davon ausgeht, dass „die da oben“ nicht wüßten, welche Arbeit in den Minen geleistet wird; sonst würde besser bezahlt. Da herrscht allenfalls bewußte Verdrängung oder Gleichgültigkeit, die nur mit diesem naiven Glauben ertragen werden kann. Macht uns das Wissen um die Ausbeutung schuldig, wenn wir Silberschmuck tragen oder ein Handy besitzen? Leider wird ein solches ‚Schuldgefühl‘ von manchen Institutionen und Journalisten als neues Geschäftsmodell entdeckt. Dennoch ist es wahr, dass alles zusammen hängt und wir alle für einander Verantwortung tragen. Wenn dies jeder an seinem Platz umsetzt, ändert sich die Welt.

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