Ich sitze auf unserer Dachterrasse. Eigentlich ist alles normal. Immer wieder hupen Autos, ein bimmelnder Verkaufswagen wird die Straße entlang geschoben und leise wird die Musik eines Tempels vom Winde zu mir getragen. Irgendwo bellt ein Hund. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Dann geht es wieder los. Ich bemerke es schon früh. Es kommt immer näher. Mit tosendem Krach. Immer näher. Doch dann höre ich auf einmal noch eines. Von der anderen Seite. Auch dieses zweite kommt auf mich zu. Immer lauter werdend. Abwechselnd laute, scheppernde Musik und Worte, auf einer Sprache, die ich nicht verstehe. Sie nähern sich immer weiter. Dann treffen sie auf einander. Direkt vor unserem Haus. Ein Mischmasch aus zwei Reden liegt in der Luft. Es ist ein Chaos bestehend aus Worten. Dann endet einer der Reden und sofort folgt Musik. Doch sie fahren an einander vorbei. Ohne sich auch nur eines Blickes zu würdigen. Das Chaos löst sich langsam wieder auf. Zu meiner linken wird nun langsam die Musik wieder leiser, zu meiner Rechten die Reden. Dann herrscht wieder die Ruhe vor dem Sturm. Doch ich weiß, es würde nicht lange dauern, bis es erneut beginnt. Ich kann es schon wieder hören.

April. Das bedeutete, die Wahl stand an. Das bedeutete wieder rum, es wurden viele Wahlkampfreden gehalten. Auch bei uns in Vilathikulam. Manche waren auf der Bühne, auf der auch die KulturNacht unseres Projektes im Februar war. Nicht selten verließen die Redner aber gar nicht ihren Van. Die Autokolonne blieb dann einfach mitten vor dem Busbahnhof stehen, die wichtigen Menschen guckten aus dem Dachfenster des Vans und redeten von dort, durch die am Auto angebrachten Lautsprecher. Dies bedeutete dann immer, dass der ganze Verkehr in Vilathikulam einfror. Auch eine gute Möglichkeit, um Zuhörer zu generieren. Die zweite Möglichkeit ist, die Leute einzukaufen. Unsere Fathers meinten, dass sei bei allen Parteien üblich. Die Leute wurden mit Bussen angekarrt, bekamen einen ordentlichen Stundenlohn und Parotta zum essen und klatschten dafür laut.

Doch neben den Reden, die direkt gehalten wurden, wurden Reden vor allem  aber auch wie oben beschrieben, durch die Straßen gefahren. Kleine Pickups, die auf ihrer Ladefläche mit einem kleinen Generator und einem oder mehreren großen Lautsprechern ausgestattet waren, fuhren durch die Stadt und spielten abwechselnd Reden und Lieder. Nicht selten wurden die Reden auch direkt vom Beifahrer vorgelesen. Den ganzen Tag fuhren sie durch die Stadt. Und nicht nur eines.

Aufgrund der Größe Indien dauert die Wahl einen ganzen Monat lang. Nach und nach wird in den Bundestaaten gewählt. Tamil Nadu war am 18. April dran und damit einer der ersten.

Zuvor im April war also noch etwas Zeit. Beispielsweise für einen Besuch in Kanyakumari.

An der Südspitze Indiens

Je weiter wir uns von Vilathikulam entfernen, desto höher werden die Berge

Ende März kamen Bennis Eltern nach Indien. Nach dem sie im Rameswarem und in den Grundschulen waren, machten sie zusammen mit Benni eine zweiwöchige Reise durch Kerala. Zur ersten Station fuhr ich noch mit. Aufgrund des indischen Zeitoptimismus rasten wir über die Straße, auf dem Weg zum Bahnhof. Doch alles lief glatt und bald saßen wir, Benni, Bennis Eltern, seine Schwester und Ich im Zug in Richtung Kanyakumari.

Was folgt, ist nichts

Kanyakumari ist der südlichste Zipfel Indiens. Alles was weiter südlich folgt, ist das Wasser. Und dann irgendwann die Antarktis. Wir erreichten Kanyakumari und machten uns auf den Weg zu unserem Hotel. Dieses lag auf einem kleinen Hügel und war so das höchste Gebäude im Umkreis. Vom Dach hatten wir daher eine wunderbare Aussicht.

Im Süden lag das endlose blau des Ozeans vor unseren Füßen und zog sich nach links und rechts um den Landbogen. Im Norden folgten auf die Stadt ein Wald aus Palmen, aus denen sich dann aus dem Nichts Berge auf bahnten und in die Ferne streckten.

 

Im Süden blaues Meer…

Es war schon später Nachmittag. Bald würde die Sonne untergehen und so machten wir uns auf dem Weg zum Sonnenuntergangpunkt („Sunset point“ ist hier um einiges handlicher). Wir liefen den Strand entlang, während sich vor uns die Sonne langsam immer tiefer sank. Wir kamen an einen felsigen Sandstrand. Es war kurz vor dem Sonnenuntergang. Langsam schob sich die rot glühende Sonne immer tiefer und verschwand auf dem Weg zu Welten hinter dem Meer.

 

 

… im Norden erhebt sich ein Gebirge.

Wir gingen zurück durch den Strand entlang und aßen eine kleinigkeit. In Gedenken an unsere erste Tour gab es für mich natürlich Naan mit Paneer.

 

Am nächsten Tag standen wir um kurz vor sechs auf und kletterten aufs Dach unseres Hotels. Langsam beobachteten wir, wie sich der Himmel mit verschiedenen Orangetönen bemalte und aus Wolken wunderbare Kunstwerke bastelte.

Vor Kanyakumari liegen zwei Inseln.

Das Vivekananda Denkmal von außen. Innen steht eine Statue

Auf der einen steht das Vivekananda-Felsendenkmal. Swami Vivekananda war ein hinduistischer Mönch, der auf dem Felsen die Erleuchtung erlang haben soll. Er war vor allem auch deshalb von bedeutung, da er den Hindusimus in die westliche Welt brache und ihn dort eklärte.

Die Statue des Tiruvalluvar.

Auf der zweiten Insel steht eine riesen Statue des tamilischen Dichters Tiruvalluvar.

Nachdem 1970 das Denkmal von Vivekananda eingeweiht wurde, wurden einige Stimmen von Tamilen laut, dass es doch nicht geht, dass an der Südspitze Indiens eine Person aus dem Norden steht. Daher ließ die Regierung 1975 dem Dichter Tiruvallur ein noch größeres Denkmal errichten.

Nachdem wir die beiden Inseln besichtigt hatten, besuchten wir das „Mahatma Gandhi Mandapam“. Dort wurde einst die Asche Mahatma Gandhis aufbewahrt, bevor sie über dem Meer entlassen wurde. Außerdem sind dort einige beeindruckende Bilder aus dem Leben Mahtma Gandhis ausgestellt.

Our Lady of Ransom Church

Nach einer Mittagspause ging es für mich langsam in Richtung Abfahrt. Doch zunächst verließen Benni, sein Vater und Ich wieder einmal die typischen Touristenwege und gingen durch ein buntes verwinkeltes Fischerviertel. Von überall wurden wir freundlich beggrüßt. Wir kamen zur großen Kirche Kanyakumari und verweilten dort für einige Zeit. Dann machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof und bald darauf saß ich im Zug zurück nach Kanyakumari.

Das erste Finale – Part II

Nachdem die Jungs nun schon alle Zuhause in den Ferien waren, ging nun auch das Schuljahr der Grundschulkinder zu ende. Nach ihren Abschlussprüfungen Anfang April gab es noch eine kleine Feier. Zusammen mit unserem Parish Priest machte ich mich auf den Weg. Ein letztes Mal in diesem Schuljahr packte ich Bälle und Seile aus. Dann gab es Biryani und Abschiedsgeschenke für die, die die Grundschule verließen und Willkommensgeschenke für die, die nächstes Schuljahr die erste Klasse besuchen würden.

Der südlichste Bahnhof Kanyakumaris. Von hier geht es in 80h ans andere Ende Indiens

Dann war alles vorbei. Keine Jungs mehr im Projekt, keine Grundschulen mehr. Es brachen also auch für mich sowas wie Ferien an. Nur die Kinder des Nightcenters kamen jeden abends noch, doch da die Prüfungen zu Ende war, waren wir auch nur am Spielen und herumtoben.

Hell, dunkel, leuchtend

Es ist wieder einmal Nacht. Keine Sterne sind zu sehen. Alles ist dunkel. Nur der Mond leuchtet golden zwischen den Wolken hervor und erhellt den bedrohlichen Himmel.

Langsam füllt sich der Hof des Projektes. Dann beginnt es. Eine kleines Feuer leuchtet auf, die Osterkerze wird entzündet. Bald ist der ganze Hof von vielen kleinen Kerzen erhellt. Laut schallt das Gloria  durch die schlafende Stadt.

Auf dem Weg nach Hause werden die Berge wieder kleiner

Doch dann, mitten zum Evangelium fallen auf einmal schwere Regentropfen zu boden. Dabei hat es seit Dezember nicht mehr geregnet. Doch der Regen wird immer stärker. Regenschwaden fallen vom Himmel. Es schüttet. Die Gemeinde flieht vor dem Regen unter die Dächer. Der Gottesdienst geht drinnen weiter. Doch auf einmal… puff. Der Strom ist weg und alle stehen wieder im dunkel. Ganz Vilathikulam ist ohne Strom. Doch da geht die erste Kerze wieder an und bald ist der ganze Saal wieder erleuchtet. Von flackerndem Kerzenschein.

Es ist Ostern, mit einem ganz anderen, aber daher auch besonderen Gottesdienst.

So endete der April dann auch schon wieder. Ein Monat, in dem vor allem viel Lesen für mich auf dem Programm stand. Und orientieren, für das, was nach dem Jahr in Indien für mich in Frage kommen könnte. Auf den April folgte der heißeste Monat im Jahr. Der Mai. Aber davon  gibt es bald etwas zu hören.

Auf bald,

Lukas


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