Erstmal frohe Ostern euch allen! Genau wie mein Weihnachten, war auch mein Ostern etwas anders als erwartet.

Karfreitag

Karfreitag bin ich brav mit fast allen Volontären zur Kirche bei den Lilly Moggas gefahren. Es gab dort eine riesige Prozession mit geschätzt 200 Menschen. Bei der Kirche gab es einen kleinen Auftakt, ein Theaterstück von seiner Erniedrigung von den Soldaten, seiner Verurteilung und seinem Aufbruch mit dem Kreuz zu seiner Hinrichtung. Danach sind wir zwei Stunden in der prallen Sonne durch die engen Straßen des Viertels gelaufen. In der Mitte vom Menschenzug war ein echtes Holzkreuz, das abwechselnd von Männern getragen wurde. Die Soldaten vom Theater sind neben her gelaufen. Wir sind alle zwei Minuten stehen geblieben und haben gebetet oder gesungen. Viele Frauen hatten weiße Saris an und viele haben auch geweint. Die Prozession war schon ziemlich anstrengend, aber es war mir eine Freude daran teilzunehmen.

Der OStersonntag

An Ostersonntag wurden die Fathers und die Volontäre von den Schwestern Mutter Theresas eingeladen, bei ihnen zu feiern. Anscheinend machen sie das jedes Jahr. Wir bekommen den Sonntag frei, um mitfeiern zu können. Die Schwestern haben auch ein Projekt in Vijayawada- aber was mich erwarten würde, konnte ich nicht ahnen. Was wusste ich über den Orden? Alles Frauen, blaue Streifen und Hilfe für die Ärmsten der Armen. Soweit so gut. Wir Volontäre; oder genauer gesagt, wir Mädels, stehen um sechs Uhr morgens auf und schmeißen uns in unsere schönsten Saris- an so einem Tag wird von uns erwartet, dass wir uns in Schale schmeißen. Cara hat Familienbesuch und ist auf Urlaub, was bedeutet, dass ich alle Mädchen alleine in ihre Saris helfen darf…

Ostergottesdienst

Wir stiegen um acht Uhr morgens picobello in ein Share Auto und fahren zu dem Projekt. Wir kommen an und fühlen uns sofort etwas deplatziert. Die Schwestern haben auch an diesem Tag ihre schlichten Kutten mit den drei blauen Streifen nicht abgelegt. Die Menschen, die in dem Projekt leben, sind alle ziemlich alt und manche scheinen auch geistig behindert zu sein. Die Frauen tragen alle rosa Kleider, die Männer blaue Hemden mit Hosen. Die Kleidung sieht ein bisschen wie Krankenhauskleidung aus.

Wir sitzen in dem kleinen Innenhof, und der Father fängt an die Messe zu halten. Alles ist auf Telugu, nur manchmal übersetzt er ein paar Sätze auf englisch. Ist aber okay so, ich bin jedes Ostern in der Kirche, so viel Neues kann der da vorne gar nicht mehr reden. Am Ende des Gottesdienstes sollen wir Volontäre ein Lied vorführen, und ich packe die Gitarre aus. Die Alten freuen sich total, sie klatschen im Rhythmus mit und ein alter Opa springt sogar auf und fängt an vor uns zu tanzen, wobei er von einem Bein auf das andere hüpft.

Das Projekt der Schwestern

Als der Gottesdienst vorbei ist, zeigt uns eine der sechs Schwestern das Projekt. Es ist ein Ort, an den obdachlose, geistig behinderte und kranke, alte Menschen hinkommen können, um in Friede und Würde zu sterben. Ich feiere Ostern immer wenn der Apfelbaum in voller Blüte steht, mit meiner Familie. Bei Oma und Opa sehe ich dann meine kleinen Cousins, die sich im Garten im Gras balgen. Dieses Jahr feiere ich es mit Sterbenden.

Die Schwester führt uns ruhig durch das Haus. Inzwischen bin ich körperlich und geistig Behinderte so gewohnt, so dass ich ganz entspannt mit allen Anwohnern umgehen kann. Viele wollen meine Hand schütteln, uns berühren. Ich bemühe mich, allen ein Lächeln oder ein Hallo zu schenken. Ihnen allen in die Augen zu schauen. Durch die großen Fenster scheint goldenes Sonnenlicht in die großen Schlafsäle. In manchen Betten liegen noch Menschen, die nicht aufstehen können um draußen zu sitzen. Obwohl die niedrigen Betten alle gemacht sind und der Boden blitz blank ist, kann man trotzdem deutlich den Geruch von menschlichen Fäkalien und alten Menschen wahrnehmen. Wie komisch ich mir grade vorkomme, im eleganten Sari durch dieses Haus der heiligen und armen Arbeit zu gehen.

Eine alte Frau ist aus ihrem Bett gefallen. Als ich sie sehe kommen mir Tränen in die Augen. Sie ist abgemagert wie ich es noch nie gesehen habe, ihre Augen liegen tief und dunkel in ihren Höhlen und am Kopf hat sie eine kleine Wunde, die sich nicht mehr schließen wird. Sie hat die Augen geschlossen und wimmert leise. Mit ihren Händen greift sie schwach in der Luft nach etwas. Zwei Schwestern kommen und heben die Frau sanft zurück in ihr Bett. Die Frau beruhigt sich etwas und tastet nach der Hand der Schwester. Sanft nimmt diese ihre Hand an und streichelt sie, während sie leise auf Telugu mit ihr redet.

Ein besonderes Ostern

Jesus hat gelitten. Er wurde verraten, erniedrigt, ausgelacht, verurteilt, verleumdet von seinen Freunden. Gestorben am Kreuz. Und er war nicht furchtlos, er hatte die Hoffnung verloren. „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ waren seine letzten Worte, aber  sie scheinen auch im Angesicht des Elends der Menschen hier ein Echo zu finden. Und die Jünger? An Karfreitag ist ihre Welt zerbrochen. Sie stürzten sich in die Trauer, als sie Zeugen dieses Leides wurden. Ja, sie haben sogar Glaubenskrisen durchlebt. Sie haben sich verängstigt in ihre Häuser eingeschlossen.

Somit ist Ostern, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, ein Fest, dass aus tiefster Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit heraus gefeiert wird. An dem man Tod und Schmerz kennt, ja, sogar noch frisch im Gedächtnis hat. Es ist ein Fest, an dem man nicht den Tod und das Leid ignorieren kann, sondern sich wieder einmal bewusst wird, dass es nicht das Ende ist: weil Jesus auferstanden ist. Und in schwierigen Zeiten, in Angesicht von Tod und Elend, können auch wir sicher sein, dass die Hoffnung wiederkommt, dass die Freude wiederkommt. Und für mich ist diese Hoffnung und diese Freude, trotz des Angesichts von Tod und Schmerz, an diesem Ort der Schwestern von den Seiten der Schrift mitten in das Leben geflossen.

Der Gottesdienst war auf Telugu und ich habe sehr wenig  verstanden, aber dennoch scheint es mir, als hätte ich noch nie so klar gefühlt und erkannt, was Ostern für mich wirklich bedeutet. Im Haus der Schwestern kam es mir so vor, als würde Jesu Geist mitten in der liebevollen Pflege der Schwestern leben. Diese Liebe, in ihrem Handeln zu erleben und zu spüren, hat mich tief berührt. Ich hoffe, ich konnte gut beschreiben, wie meine Ostern dieses Jahr für mich war.

Euch allen nachträglich ein schönes Ostern und ganz viel Liebe nach Hause,

Eure Lilli