Schauerromane

Ich sitze nachts alleine in meinem Zimmer und lese im Sessel mein Buch. Alles ist leise, ab und zu blättere ich eine Seite um, während die Kerze wirre Schatten an die Wand wirft.  Ich lese bei Kerzenlicht, da meine Lampe vor ein paar Tagen kaputt gegangen ist und Kerzenlicht vor dem Einschlafen entspannend ist. Dann höre ich es. Ein dumpfes Rumpeln aus der hinteren dunklen Ecke meines Zimmers. Nein, das ist Einbildung. Das Buch, das ich schon seit letzter Woche lese, ist ein Schauerroman. Ich bin einfach paranoid. Ein weiteres Rumpeln aus der Ecke- genauer- aus dem Schrank. Ich stehe auf und trete näher. Die Schranktür ist angelehnt. Was …? Noch ein gedämpfter Stoß. Die Tür öffnet sich leicht. Ich quieke und schlage die Tür zu.

„Tabea, da ist etwas in meinem Schrank!“ sage ich zu Tabea, die grade noch ihren Unterricht für die nächsten Tage vorbereitet. „ Echt? Was denn?“ Sie kommt mit in mein Zimmer. Ich räume den Unrat vor meinem Schrank weg und überlasse das Feld Tabea. Mit Taschenlampe bewaffnet, öffnet sie die Tür einen spaltbreit. „Oh, eine ganz kleine süße Maus!“ Geblendet durch die Taschenlampe, sitzt mucksmäuschenstill eine graue Maus im in der vierten Etage vom Schrank.

Tabea senkt die Taschenlampe, worauf die Maus die Flucht ergreift. Sie probiert runterzuspringen, aber es ist zu hoch, weswegen sie in der Hast probiert nach oben wegzuklettern- auf eine leere Klebertube. Die Tube fällt um und rollt mitsamt der Maus aus dem Schrank. Die Maus rappelt sich auf, läuft einmal im Kreis, klettert meinen Schreibtischstuhl hinauf, hüpft auf meinen Schreibtisch, raus auf mein Fensterbrett, von dort erkennt sie keinen Ausweg, und klettert mein Fenstergitter hoch, bis auf meine Fensterläden. Dann ist sie komplett weg. Arme kleine Maus.

Anleitung wie man Schafe unglücklich macht

Als wir am Montag, nach dem Ostersonntag, zurück nach Vimukthi fahren, sind die Jungs alle verschwunden. Das Haus ist komplett leer. Hinten bei den Buffalos werden wir fündig. Die Jungs planschen in dem großen Wasserbecken, das wir benutzen um die Büffeltränken zu füllen. Mit dabei? Fünfzehn blökende Schafe. Die Schafe werden heute gebadet, und dafür wurden sie allesamt in den seichten Pool geschmissen. Die Mauern sind so hoch das die Schafe nicht selbstständig raushüpfen können. Zusammengedrängt stehen die Schafe in einer Ecke und warten auf ihr grausames Schicksal, von einem von den Jungs gepackt zu werden.

Die Jungs haben unterdessen den Spaß ihres Lebens. Sie greifen sich die Schafe raus, die daraufhin in eine Art Schockstarre fallen, in der sie alle vier Beine von sich wegspreizen. Die Jungs haben große Steine ins Wasser geworfen, auf denen sie jetzt hocken können. Die Schafe werden auf dem Rücken über`s Knie gelegt und die Jungs bürsten mit Bürste und Seife das dichte Bauchfell der Schäfchen durch.

Zwischendurch wird das Schaf getunkt um es auszuwaschen, und mehr als einmal ist der Kopf auch mit unter Wasser, wenn auch nur für wenige Sekunden. Wenn der Bauch fertig ist, wird der Rücken geschrubbt, dann der Hals und der Kopf. Spätestens beim Kopf verlieren die Schafe die Geduld. Hier merkt man wer Erfahrung hat und wer nicht. Der Ziegen und Büffelhirte klemmt das Schaf selbstbewusst zwischen die Beine und putzt Hornansatz und Ohren (man beachte den sehr unzufriedenen Gesichtsausdruck vom Schaf).

 

Der kleine Phillip hingegen probiert einen Bock am Hinterbein festzuhalten und wird – infolgedessen- auf dem Hosenboden von dem Tier quer durch das -inzwischen braun trübe- Wasser gezogen. Ein paar braune Köttel schwimmen auch mit drin. Wenn die Schafe fertig sind, werden sie unter dem Ächzen der Jungs aus dem Pool gehoben, wo sie klitschnass von Durgu, dem Betreuer, entgegengenommen werden und wieder auf den Boden gesetzt werden.

Witzige Beobachtung: Nasse Schaffe schütteln sich wie nasse Hunde.

Ich wäre natürlich auch reingehüpft, aber mein Punjabi ist weiß. Er wird durchsichtig wenn er nass wird- und ich habe keine Lust dass mein schöner Punjabi sich verfärbt. Außerdem hatten mir die Jungs das gleich am Anfang strikt verboten. Ich begnüge mich also damit vom Beckenrand aus die Köpfe der Schafe zu putzen, zuzuschauen und den Jungs von Zeit zu Zeit einen Krug mit Wasser aus dem Haupthaus zu holen. Später wird alles Wasser aus dem Pool gelassen, der Pool geschrubbt und dann neu befüllt.

Oka kottha abbayi! (Ein neuer Junge!)

Wir haben einen neuen Jungen! Sein Name ist M., wie Markus. Das erste Mal habe ich Markus getroffen beim Volleyball spielen. Gut gelaunt quatsche ich ihn auf Telugu an. „Hallo, ich bin hier Volontärin. Du bist ein neuer Junge, oder? Mein Name ist Lilli, oder Lilli Sister. Wie heißt du?“ Markus schüttelt meine Hand und blinzelt sehr oft hintereinander. Ups, ich glaube das war zu viel. Er hört nicht auf meine Hand zu schütteln, bis er sagt: „ Ich heiße Markus.“ „Nice Name, i like it!“ sage ich auf Englisch, um rauszufinden ob er es versteht. Er blickt auf seine Füße und sagt: „Thank you, Madam.“

Markus kommt zu mir in die untere Mathe Klasse, da er Addieren, Subtrahieren und Multiplizieren kann- damit ist es dann aber auch schon wieder vorbei. Englisch kann er leider so gut wie gar nicht, einzelne Wörter und Phrasen gehen schon, aber ganze Sätze kann er nicht formulieren. In solchen Momenten bin ich froh dass ich etwas Telugu kann, weil sonst die Kommunikation ziemlich hängen würde. Was sie auch so tut, aber na ja; C´est la vie.

Gespräche

Markus spricht schon immer mal wieder mit mir, er scheint etwas schüchtern zu sein. Er hat mir anvertraut dass er Hostels (Orte wo Kinder untergebracht werden, wie Deepa Nivas oder Vimukthi) nicht mag. Und das er wieder nach Hause will. Er hat zwar Geld von seiner Familie geklaut, ist von zuhause abgehauen, nicht zur Schule gegangen und hat (nur) eine Woche auf der Straße gelebt; aber er würde sich ändern, er will doch nur zurück nach Hause.

Ich frage ihn ob er überlegt von hier wegzurennen. Und nein, damit bringe ich ihn nicht auf dumme Ideen. Die Jungs reden alle offen über „Drop-Out“, und wenn einer wirklich weg will, dann schafft er das auch. Da ist es besser offen zu sein so dass man Bescheid weiß. Also ehrlich fragen. Bei der Antwort senkt er den Kopf und schaut wieder auf seine Füße. „Mein Vater hat mich hier her geschickt, ich soll hier bleiben. Ich darf noch nicht wieder nach Hause kommen.“ Sagt er leise. Jetzt habe ich richtig Mitleid mit dem jungen Mann, der vielleicht grade 16 oder 17 ist.

Ich hoffe wirklich dass Markus lernt Vimukthi zu lieben, es ist ein guter Ort. Wer weiß, es sind ja auch noch seine ersten Tage, der gewöhnt sich bestimmt noch ein. Bis dahin: liebe Grüße an alle!!!

Eure Lilli