Lilli in Indien

Don Bosco Volunteer Blog

Über die Geschlechter, die Equalität und das Lernen

Wie geht man mit diesen westliche Themen in Indien um? Und noch viel wichtiger, wie gehe ich damit in Vimukthi um?

Wie erkläre ich ihm das?

Bei der Bastelstunde haben Tabea und ich eingeführt, Mandalas mit Wasserfarben auszumalen. Filzstifte kosten zwar nur 25 Rupees, sind aber eine Menge Plastik. Holzstifte und Wassermalfarben sind ökologischer- und bei Wasserfarben noch als großer Pluspunkt: man muss nur ein paar Pinsel zählen, um zu kontrollieren dass auch alles da ist und nichts vergessen wurde zurückgegeben zu werden. Natürlich haben die Jungs einen Heidenspaß daran die Wasserfarben zweckentfremdend zu benutzen. So malen sie sich -neben schwarzen Schnurrbärten im Gesicht- auch Tiere, Blumen und Muster auf ihre Unterarme. Auch ihre Schreibbretter fangen manche an zu bemalen.

„Falko“ sitzt in der Crafts Class neben mir. Ruhig und ganz sauber malt er in allen Regenbogenfarben kleine Herzen auf seinem Holzbrett aus. Es sind vier an der Zahl; rot, orange, grün und blau. Und ich als aufgeklärter Millenial muss bei Herzen und Regenbogenfarben natürlich an was denken? Na klar, an die LGBTQ+ Community(LesbianGayBisexualTransgenderQueer). „Hey Tabea, schau mal, er hat fast alle Farben der LGBTQ Flagge auf seinem Brett.“ Falko schaut auf. „What, sister?“ „Nothing, Falko.“ Jetzt ist Falko neugierig. „Please, Sister, tell.“ Ich wechsele einen schnellen Blick mit Tabea- kann ich das machen? Umbringen wird es ihn ja nicht… aber wie fange ich so eine Erklärung an? „Sister, please tell.“

Na gut, hier kommt es… „Okay, you know there is indian society and western society, yes? And in my society there are people who … ummm … are different, but that is okay, yes?” Ja sehr gut, jetzt hat er so viel Plan wie davor. Ich schaue mich hilfesuchend nach Tabea um, die sich ein paar Meter weiter vor Lachen kringelt. Ein paar Jungs schauen von ihren Werken auf. „So, you know man and woman love, sarre? But in my society there are also men in love with men- ” Falkos Gesicht verdunkelt sich kaum merklich, Homosexualität ist hier auf dem Land bekannt und eher skandalös- „but there are also women in love with women.” Falko schaut mich verdutzt an, das ist unbekannte Information. „And in my country, they marry and have children. It is normal.” Kurz kläre ich ihn noch über die Flagge und die Farben auf.

„You know, Falko, in some countries people like that are in prison or are being killed. They live in fear, just for loving a “wrong” person.” Falko nickt ernsthaft und reibt sein Kinn. Er überlegt. “That is no good, sister. I think you society, my society- different. But Killing human is not nice.“ Um ehrlich zu sein bin ich sehr zufrieden mit mir selber, ich erwarte nicht dass die Jungs plötzlich genderaufgeklärte Aktivisten sind. Aber ich bin froh dass sie jetzt wissen dass Homosexualität existiert- und dass es durch aus Leute gibt, die das okay und ganz normal finden. Ich plane aber weiterhin das Thema nicht aktiv zu behandeln, einfach aus dem Grund weil ich mit den Jungs über sowas  nicht sehr gut reden kann. Weil ich halt eine Frau bin.

Dreck und Schweiß unter der Sonne

Weil ich halt eine Frau bin, lasse ich mir dafür in anderen Bereichen nichts nehmen. Nach der Crafts Class könnte ich im Prinzip in meinem Zimmer chillen, aber ich helfe meistens lieber bei der Garden Work mit. Garden Work hört sich so nett an, wenn man nicht weiß, dass der Begriff in Vimukti  eine Stunde körperliche Arbeit auf dem Feld mit den Jungs bedeutet. Ich helfe beim Wasserschleppen für die Büffel, ernte Mais mit der Sichel in der prallen Nachmittagssonne, schleppe Futtermais vom Feld zu den Ställen, trage Wasserrohre durch die Plantage, putze den Büffelstall mit Besen und Wasser, helfe beim Anfertigen von Besen aus Palmenzweigen, …

Ich will dass die Jungs sehen dass ich auch arbeiten kann und das ich mir auch nicht zu schade dafür bin. Manchmal schütteln die Jungs mir nach getaner Arbeit  auch die Hand. Besonderen Respekt habe ich bekommen als ich mich mal während einer kurzen Pause in einen Mangobaum setzen wollte. Die Erde um den Baum ist komisch weißlich, getrocknet und hart-ich denke mir nichts, bis mein Fuß mitsamt Sandale in der Erde versinkt. Ab und zu wird der Mist der Büffel auch zur Gasgewinnung für die Küche genutzt, und ich stecke nun wadentief im braunen Endprodukt. Ich fluche auf Deutsch und ziehe meinen Fuß hinaus. Allzu schlimm ist es nicht, ich helfe noch schnell (trotz Stinkefuß)den langen und schweren Wasserschlauch durch die Mangoplantage zu verlegen und gehe mir dann meinen Fuß (inklusive Schuh) waschen.

Was ich über Männer gelernt habe

Seit ich hier in Indien bin habe ich viel gelernt, auch über Männer. Nicht nur in Deepa Nivas, sondern auch in meinem Leben in der Stadt und in Vimukthi. Ein paar der folgenden Punkte  mögen  offensichtlich erscheinen, aber für mich waren sie es nicht. Mein erster echter Kontakt mit Jungs war ca. als ich sechszehn war beim Tanzen. Ich war jetzt kein Trottel, wir sind ja alle Menschen, aber manche Sachen habe ich halt nicht ganz durchblickt. Davor hatte ich nur meine drei entzückenden Schwesterherzen, meine lieben Eltern und war auf einem katholischen Mädchengymnasium. Gefühlt wurde also viel von meinem Männerbild durch die Medien, blödsinnige amerikanische Filme und Walt Disney geprägt. Und erstaunlich wenig haben sie mir von der tiefen Ganzherzigkeit gezeigt, die ich hier in Vimukthi jeden Tag sehen darf.

  • Schabernackereien des Jungenpacks: Die Jungs in Vimukthi fassen sich schon härter an, als ich es gewohnt bin. Gleichzeitig halten sie aber auch Händchen auf der Straße (in Indien weit verbreitet) und nach dem Friseurbesuch haben die Burschen aus Jux ein großes Glatzen schmatzen gemacht (immer schön auf der glänzesten Punkt). Auch sonst wie die Jungs herumblödeln können; abends hopsen sie regelmäßig übereinander, erzählen sich Witze oder singen ihre Lieblingslieder zusammen. Abends beim Fernsehschauen holen sie sich Decken und kuscheln auf dem Boden vor dem Fernseher alle zusammen.
  • Die Jungs sind verletzlich. Wenn einer Träume über Eltern hat, die aber gar nicht existieren, dann weiß man dass dieser Junge nicht alleine auf der Treppe sitzt und weint. Immer ist ein Anderer dort und nimmt den Jungen in den Armen, spricht leise in Telugu auf ihn ein, bis alles aufhört. Mit Sorgen und Gefühlen sind sie selten alleine. Und als der kleine Phillip mal geheult ha, hat Falko sich zum Affen gemacht und nur für ihn ein mega quäkiges Lied geträllert- bis Phillip wieder gelacht hat.
  • Sharing is Caring: Obwohl sie sich oft um Buntstifte und alles Mögliche streiten, ist das Teilen das Wichtigste. Beim Abendessen werden nicht selten Beilagen hin und hergetauscht, „Da, guck mal, dort!“ und wupps hat der andere einen Goldfinger mehr auf dem Teller. Und das nicht weil der eine Goldfinger nicht mag, sondern weil Goldfinger das Beste ist.
  • Über mutige Jungs, die es manchmal auch nicht sind: Schüchtern können sie auch sein, die Burschen rätseln oft über uns Schwestern in Telugu. Ich verstehe den groben Kontext und freue mir dann einen Ast ab zu hören, was die Jungs denken. Manche der Jungs, die in der Bande die ärgsten Rowdys sind, sind bei der Essensausgabe ganz still. Ganz kleinlaut schauen sie auf ihren Teller und antworten auf mein „Good Evening!“ nur ein leise gemurmeltes „Evening, sister.“. Aber selbst bei diesem Jungen ist das Eis ein wenig geschmolzen, wir machen Mathe zusammen und ich gehe sicher ihn für alle seine Erfolge zu loben.

Diese Woche hatte ich ein Volunteer´s Meeting in Vizag mit anschließendem Trip nach Arakku, weswegen sich der Blog etwas verspätet hat. Ich arbeite jetzt die nächsten acht Tage in Vimukthi durch, der nächste Beitrag erscheint vermutlich übernächstes Wochenende. 🙂

Liebe Grüße an alle,

Eure Lilli

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1 Comment

  1. Melissa

    Du hast gar nicht gesagt was die Jungs so denken!! Ich dachte das kommt noch und plötzlich ist es vorbei?! 😱 Du bist wirklich eine Bad sister 😘

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