Ich frage mich ab und zu, was Don Bosco tun würde in bestimmten Situationen. Und die Antwort hilft mir so gut wie immer weiter. Wer nicht mit dem Pädagogikkonzept von Don Bosco vertraut ist, empfehle ich mal rein zu lesen, da er wirklich helfende und gute Gedanken zu (anstrengenden) Kindern und Jugendlichen hat.

Meine Mitarbeiterin

Wie mir Father Balashowry versprochen hatte, bin ich nicht lange in Vimukti allein geblieben. Im Februar sind zwei neue Volontärinnen aus Österreich gekommen, Tabea und Hannah. Und Tabea wurde zu mir ins Vimukti eingeteilt, was mich riesig freut. Kurze Vorstellung: Tabea ist 28 Jahre alt und kommt aus Berlin und Wien. Sie studiert Lehramt für die Fächer Philosophie und Englisch und macht jetzt einen Freiwilligendienst hier in Indien. Unter anderem hat sie auch zwei Jahre in Australien gewohnt und ist sonst schon ordentlich rumgekommen. Tabea ist trotz ihrer größeren Lebenserfahrung nicht bevormundend oder sonst was in der Art, sondern sehr offen, unkompliziert und cool- deswegen verstehen wir uns sehr gut. Ich freue mich schon darauf mit Tabea die nächsten sechs Monate zusammen zu arbeiten und denke dass ich viel von ihr lernen und mitnehmen kann- sowohl für das Unterrichten in Vimukti als auch für mein angestrebtes Philosophie-Studium.

Health-Camp

Sonntag. 6 Uhr morgens. Begeisterung hält sich in Grenzen. In den Bus steigen. Dann Share Auto. Morgenspaziergang durch die Pampa nach Vimukti. Tabea hat Besuch von ihrer Organisation und kommt deswegen erst morgen. Die Jungs haben grade ihr Frühstück beendet, aber ich habe Glück und finde noch zwei kalte Idlys mit Sambar in der Küche. Ich setze mich auf die Stufen bei der Küche neben den Welpen, der als einziger der sechs Welpen in Vimukti geblieben ist. Meine gemütliche Morgenruhe mit Blick auf den rot-sandigen Boden und die Mangobäume wird allerdings jäh vom Brummen eines Autos und Rufen unterbrochen. Schnell spüle ich meinen Teller ab und laufe zum Eingang: in der Auffahrt steht der silberne Jeep von Navajeevan, der von den Jungs aufgeregt umrundet wird.

Der Besuch besteht aus einem etwa 40 Jahre alten Inder, den ich nicht kenne und der Krankenschwester von Navajeevan, die normalerweise im sick-room ist. Ravi, der Care-Taker vom Projekt, versammelt alle Jungs in der Eingangshalle. Das Health Analysis and Diagnostics Center in Vijayawada spendiert heute für alle ein Health Camp, die Jungs müssen und die Angestellten sind eingeladen. Die Jungs sitzen gespannt ordentlich in Reih und Glied- was wird der Doktor wohl machen? Wird er Puls und Blutdruck messen? Oder  wiegen und die Körpergröße aufschreiben? Mehr als ein Junge wird bleich um die Nasenspitze als der Doktor zwei Hände voll einzeln abverpackten Spritzen aus seiner Tasche holt. Er wird Blut abnehmen und dann auf Nährwerte, Krankheiten, etc untersuchen.

Der Doktor richtet sich langsam und gemütlich auf einem kleinen Tisch ein. Der kleine Junge der Hirtenfamilie von Vimukti spricht mich an. „Sister, what?“, während er mit seinem Finger auf die Szene zeigt. Mir wurde schon öfters Blut abgenommen, unter anderem beim Blut spenden. Anschaulich demonstriere ich dem Kleinen an seiner Armbeuge den Vorgang, die Jungs von Vimukti beäugen kritisch. Ich versichere, dass es nicht weh tut und gar nicht schlimm ist- an der Stimmung ändert sich aber wenig. Ravi sagt kurz ein paar Worte: dem Doktor wird gedankt und die Kinder sollen brav und leise sein, sitzen bleiben, usw.

Und dann die Stunde der Wahrheit: Der Doktor fragt wer als erstes will. Alle sind mucksmäuschenstill. Was würde Don Bosco jetzt tun? Ich strecke meine Hand noch oben. Ich mag es nicht besonders mir Blut abnehmen zu lassen, aber was soll`s. Hinsetzen, Arm zeigen.  Dann desinfiziert der Arzt meine Ellenbeuge, öffnet eine neue Nadel. Bei diesem Anblick springen die Jungs auf und scharen sich um meinen Stuhl, sie wollen alles ganz genau sehen. Ich probiere betont gechillt zu wirken, während der Doktor mit der Nadel in meine Vene sticht. Mein dunkelrotes Blut fließt gemächlich in die Ampulle… und schwupps di wupps ist alles vorbei. Aber jetzt geht es richtig ab- Einer nach dem Anderen geht nach vorne und setzt sich danach wie ein gestandener Kriegsheld wieder auf seinen Platz … ach, Männer.

Streit im Vimukti

Der Jüngste meiner Boys heißt „Phillip“, ist 14 und damit ein bisschen das Baby im Projekt. Alle haben ihn lieb, aber er ist halt der Kleine und bekommt halt schon häufiger einen Großer-Bruder-Klaps. Aber er ist doch kein kleines Kind mehr! Zumindest hat er diese Woche angefangen Hemden zu tragen. Viel zu groß schlackert das Hemd um seinen schmalen Oberkörper, und jeden Morgen kommt Phillip zu mir damit ich ihm die Ärmel hochkrempeln kann.

Doch ich vermute dass er langsam auch ernst genommen werden will. Anders kann ich sein Verhalten diese Woche nicht deuten. Die Jungs haben alle Bretter auf denen sie malen und schreiben, aber sie gehören niemandem. Phillip stellt eines immer hinter den Fernseher, doch zu einer Bastelstunde ist er zu spät gekommen, so dass „Leo“ sich das Brett schon genommen hat. Gemütlich sitzt er auf dem Boden und malt ein Mandala aus. Das mit dem Brett ist ja kein Problem, denke ich, es gibt ja noch welche, bis… und wupps hatte Phillip schon angefangen Leo anzumotzen und ihn mit dem Fuß zu stupsen- was in Indien schon ziemlich aggressiv ist.

Ich kenne Leo und weiß das er in der Regel sehr ruhig und freundlich ist. Er deutet auf die anderen Bretter und sagt, dass der Kleine sich nicht anstellen soll. Und der kleine Phillip wird laut. Ich ermahne ihn und stehe auf um ihm eins dieser verdammten Bretter zu holen, doch Phillip hat Leo schon auf den Kopf gehauen.

Jetzt springt dieser auf und schlägt ihm einmal hart auf dem Rücken. Phillip heult los, tritt Leo, dreht sich dann wild um, packt einen Schuh und will Leo damit schlagen (extreme Beleidigung sowas zu tun) und- ich schwinge meinen linken Arm um den Kleinen und drehe ihn weg, während ich mit dem rechten Leo gegen die Brust zurückdrücke. Wenn sie sich jetzt schlagen bin ich dazwischen, aber Phillip ist nicht sehr stark, heult noch mehr und schreit Schimpfwörter rum. In den Augen des Älteren sehe ich, dass er zwar wütend ist und es unfair findet, aber nicht weiter machen wird. Der zweite Care-Taker, Durga, kommt ins Klassenzimmer und nimmt beide Jungs mit. Er redet 20 Minuten mit beiden vor dem Klassenzimmer und schickt sie dann zurück.

Diese Woche gab es drei Kabbeleien und in jede war Phillip verwickelt. Was würde Don Bosco tun? Wahrscheinlich sich mit Phillip hinsetzen, Phillip über seine Gefühle reden lassen, ihm sagen dass er nicht auf die anderen losgehen soll, weil sie ihm nichts wollen. Bosco würde vielleicht sagen, dass Phillip geliebt ist und wichtig ist, dann würde Bosco mit ihm Fußball spielen. Leider ist mein Telugu nicht SO gut, deswegen probiere ich mit Phillip eine gute Verbindung aufzubauen und sage ihm verständnisvoll und sanft dass er bitte keine bad words sagen soll. Es geht doch immer um irgendwelches Kleinzeugs, ich hoffe er ist da bald wieder draußen…

Vimukti wird heimgesucht

Nach dem Abendessen sind manche Jungs auf das Dach vom Küchen-schuppen raufgeklettert, haben sich hingelegt und die Sterne angeschaut. Ich geselle mich dazu und rede ein bisschen mit den Jungs. Mit Hilfe von einer nahen Nachtleuchte(die die Sonne darstellt) erkläre ich den Jungs den Mondzirkel. „Sister, Aliens existing?“ Möglich ist es ja schon, das Universum ist unendlich groß, ist meine Antwort. Leicht ängstlich schaut sich ein weiterer Junge um „Sister, Ghosts existing?“ Okay jetzt wird es albern. „No, Ghosts don`t exist.“  Zu 100% sicher bin ich mir da um ehrlich zu sein auch nicht, aber… nein, es gibt keine Geister.

Die Jungs müssen  trotzdem einen kleinen Zweifel gespürt haben, sie schauen sich verunsichert um. Ich rolle mit den Augen. „Hello, if there are any Ghosts,please come forward, the boys would like to meet you!!!“ schreie ich über das nächtliche Zirpen der Grillen in die dunkele Mangoplantage hinein. Die Jungs schauen mich erschreckt an, zischen “Sch, Sister!” und starren in die Dunkelheit hinein. Stille. Alles ist still, bis- ein weißer Schweif erscheint zwischen den Bäumen, langsam bewegt sich das Unerkannte in unsere Richtung. Lautlos aus der Dunkelheit, es verschindet hinter dem nächsten Baum und mäht. Der Hirte hat ein Schaf verloren, das er jetzt wieder zurückbringt. Die Gesichter von den Jungs waren so köstlich.

Es wird  langsam spät und ich mache mich auf den Weg in mein Zimmer. Im dunklen Treppenhaus geht ein leichter Windhauch. „… sister, sister…“ Bescheuerte Einbildung. Ich komme oben im Stockwerk an. „Sister…“ Dann ein unterdrücktes Räuspern. Folgend eine Batman-Stimme. “…LILLI SISTER… I AM GHOST! YOU ARE BAD SISTER! YOU NO CHOCOLATES GIVING! GIVE ALL YOUR CHOCOLATES PHILLIP! OR THERE WILL BE … ummmm … SNAKES IN YOUR ROOM!!! “ Jetzt habe ich richtig Angst, verzweifelt flehe ich Mr. Geist an mein Leben zu verschonen. Angstschweiß rinnt meinen Nacken hinunter als eine Tür quietscht und ein schielender Phillip vor mich springt und mit seinen Händen vor meinen Gesicht rumfuchtelt und „WOOHOSUMGALADINETADA…“ blubbert. Puuuh, nochmal Glück gehabt.

Holi-Festival

Diese Woche war das berühmte Holi-Festival. Dafür haben Tabea und ich Farben gekauft, die extra nicht giftig, wasserlöslich und leicht abspülbar waren. Ravi wollte aber mehr, deswegen hat er nochmal einen Haufen mehr buntes Farbpulver gekauft, aber von der Straße. Wir haben die Jungs während der Studytime überrascht und sie wild mit Pulver beschmissen- und auch ordentlich zurückbekommen. Anschließend haben wir drei Stunden getanzt, weiter mit Farbe geschmissen und Süßigkeiten verteilt. Totale Eskalation. Ich war voll mit dabei- und ich bin mir ziemlich sicher, dass Bosco das Holi-Festival sehr hart gefeiert hätte. Die Farben von Ravi waren echt cool- allerdings hatte ich unter meinem Auge lila Farbe, die nicht weg gehen wollte- so das ich ein paar Tage mit „Veilchen“ rumgerannt bin und ich jetzt ein paar bunte Strähnen habe. Hihi. Hier die Bilder:

  

Liebe Grüße an alle zuhause,

Eure Lilli