Lilli in Indien

Don Bosco Volunteer Blog

Urlaub und meine erste Woche in Vimukti

Ab jetzt habe ich keine Ausreden mehr den Blog schleifen zu lassen, ran ans Werk!

Urlaub in Südindien

Vom Urlaub mit meiner Familie bin ich sehr entspannt wiedergekommen. Wir haben eine ganze Rundtour durch Südindien gemacht und haben so viel gesehen! Von der Geschäftigkeit von Madras, zu den detailreichen Tempeln Tiruchirapallis, weiter an das Venedig Indiens- Allepey- an den Backwaters Keralas vorbei, direkt zu den Fischernetzen Kochis und von dort in die erfrischende Kühle der Teeplantagen in den Westghats… Der Abstand von meiner Arbeit hat mir sehr gut getan. Aber noch besser war es wieder mit meiner Familie zusammen zu sein. Und zu sehen das wir immer noch alle alteingespielt sind und sich das auch durch Indien nicht geändert hat. Für mich war es ehrlich gesagt weniger Urlaub mit der Familie, als Urlaub bei der Familie. Auch habe ich es sehr genossen ihnen meine Welt in Vijayawada zu zeigen und ihre Reaktionen auf Indien zu sehen, obwohl sie alles mit Würde, Gelassenheit und viel Humor getragen haben. Es war für mich wie ein verfrühtes Heimkommen, dementsprechend habe ich natürlich wieder wie ein Weltmeister geheult als sie wieder gegangen sind- aber das bin halt ich.

Ausbruch aus der Stadt

Um sechs Uhr morgens an einem Sonntag werde ich zum fünften Mal von einem sehr penetranten Wecker gestört, worauf ich mich schlaftrunken aus meiner Eisenpritsche mit vermeintlicher Matratze rolle. Miumpf. Ich mache mich fertig und schwinge meinen großen Reiserucksack auf meine klampfen Schultern. Am Gittertor der Flat wartet schon ein ebenfalls schlaftrunkener Tobi auf mich, der noch bemüht ist, sich das Hemd zuzuknöpfen. Tobi hat vor mir in Vimukti gearbeitet und begleitet mich zu Beginn meiner neuen Arbeit in das Projekt, da die Anreise zwei Stunden dauert und per bloßer Wegbeschreibung praktisch unmöglich ist. Zuerst steigen wir in eine Riksha und fahren zum Busbahnhof, dort steigen wir in einen dicken Pendelbus. Gott sei Dank ergattern wir zwei Sitzplätze, sehr unindisch sitzen wir zu zweit als Mann und NICHT-MANN(!!!) auf einer der schmalen Sitzbänke.

Willkommen in der Pampa!

Während der Busfahrt gibt mir Tobi einen Schlüssel und beantwortet etwas wortkarg ein paar Fragen. Irgendwann schweigen wir nur noch und schauen dem Bus dabei zu wie er waghalsige Manöver in hinuntergekommenen Dörfern und  Vororte abzieht und sich dann gemütlich durch die sattgrünen Reisfelder und sanften Hügel schiebt. Ab und zu sieht man Bauern oder grasende Wasserbüffel. Bäume flankieren hier und da die Straße und manchmal bilden zwei Bäume auch ein Tor. Öfter wurde unser Bus auch von überladenen Traktoren mit Stroh gestreift. Sehr faszinierend so mal das Umland von Vijayawada kennenzulernen. Nach zwei Stunden gemütlicher Fahrt erreichen wir den Busbahnhof vom Dorf Nuzvid -zweifelsohne der spannendste Ort im Umkreis von 20 Kilometern.

Warte, es geht noch mehr Pampa???

Dann zehn Minuten Share Auto zu einem weiteren Dor- Nein, es ist eigentlich nun wirklich nur eine Ansammlung von Schuppen an einer staubigen buckeligen Sandstraße. Auf dieser wenig schattigen Sandstraße laufe ich neben Tobi immer weiter grade aus, zwanzig Minuten lang. Insgeheim bin ich nun sehr dankbar dafür früh losgefahren zu sein, denn in Andhra Pradesh wird es wieder heißer, mittags wird die dreißig Grad Grenze schon locker überschritten. Wir laufen an einer Legebatterie mit sehr lauten Hühnern vorbei und dann an den ersten Mangobäumen, die  in voller(puschelig-beiger) Blüte stehen. Die Mangobäume gehören schon zu Vimukti.

Der Himmel liegt im Niergendwo

Die Straße biegt ab in eine geschotterte Mangobaum-Allee. Ein gebogenes Eisentor heißt uns farbenfroh, wenn auch mit etwas Rost, in Vimukti willkommen. Der fleckige Schatten unter den Mangobäumen ist sehr willkommen, da die Sonne nichts von ihrer munter-mörderischen Attitüde verloren hat. Ein großer, kurzhaariger Rüde rennt uns entgegen und springt fiepend Tobi an, während ich von einer goldfarbenen, zierlichen -aber nicht mindergroßen- Hündin angesprungen werde. Tobi hat diesen ehemaligen Straßenhunden die Namen Rudi und Gerti gegeben. Ich will nur kurz anmerken, dass Tobi Österreicher ist und die wirklich ein ganz komischer Schlag sind. Vom Knirschen des Schotters begleitet, laufen wir auf das breite Haupthaus zu. Es ist ein sehr offenes Gebäude mit zwei großen Mangobäumen davor. Die knapp zwanzig Burschen genießen grade auf dem Boden der Eingangshalle ihr Frühstück. Wir werden freudig begrüßt, genießen Couscous mit Tomatenchutney und dann zeigt mir Tobi das Gelände.

Eine kleine Rundführung

Im Herz des Komplex ist ein großes, rundes Stück Rasen der von einer niedrigen weiß getünchten Mauer eingeschlossen wird. Außen drum herum läuft die Schotterstraße. Zur einen Seite stehen ein paar Mangobäume, und dahinter sieht man ein weites Grasfeld, welches für Spiele wie Cricket, Volleyball und Kabaddi genutzt wird. Hinter dem Haupthaus stehen weit und breit nur Mangobäume und auch die kleinen Häuser der Familien, die sich um die Landwirtschaft und die Tiere in Vimukti kümmern. Direkt daneben gibt es außerdem einen Guavengarten und vereinzelt auch Kokosnusspalmen. Das Haupthaus ist zweistöckig und hat einen linken und einen rechten Flügel. Im untersten Stock ist links das Klassenzimmer/Freizeitraum, in der Mitte ist eine Halle zum Essen und rechts ist das Schlafzimmer des Care Takers Ravi (Der immer da ist) und das Büro vom Incharge. Im zweiten Stock ist links der Schlafsaal der Burschen, in der Mitte ist der Flur und Treppenhaus und rechts ist der Trakt der Volontäre.

Willkommen in Vimukti!

Die dicke Eisentür vor den Unterkünften der Volontäre erinnert mich schlagartig an ein mittelalterliches Gefängnis. Ich schließe mit dem Schlüssel das Tor auf und trete ein, Tobi zeigt mir noch schnell wo ich im Trakt alle Materialien finde und weist mir mein Zimmer zu. Dann macht er sich (wortwörtlich) wieder vom Acker. Ich bin allein. Ganz allein? Ich schaue unten vorbei und werde mit herzlichen Worten und warmen Händedruck von Ravi begrüßt. Er kündigt an, dass sie sich heute nicht an den Zeitplan halten werden, da es mein erster Tag ist. Neugierig scharen sich die Jungs um mich, ein paar kenne ich schon. Ein Junge aus Deepa Nivas, ein Junge aus dem Shelter, der Ziegenhirte aus Chiguru, … Die meisten sind wohl um die 16 Jahre alt. Vimukti ist für Jungen, die es schwer getroffen hat und die aus ihrem Alltag rausgefallen sind. In Vimukti sollen sie wieder an einen normalen und produktiven Tagesablauf gewöhnt werden und auf die Wiedereinführung in die Schule und die Ausbildung im Projekt RVTC hingeführt werden. Alle sind sehr freundlich zu mir und ein paar Jungs laden mich ein mit ihnen die Tiere zu besuchen.

Wie auf dem Bauernhof

Zuerst zeigen sie mir die Welpen von Rudi und Gerti, die erst ein paar Wochen alt sind. Sehr klein und wuselig tapsen mir die gold-schwarzen Welpen um die Füße. Ich sterbe vor Süßheit. Dann zeigen sie mir die Hühner, und ich bekomme sofort ein ängstlich quieckendes Kücken in die Hände gedrückt. Auch die Herde Schafe bekomme ich zu sehen -und zu hören. Zuletzt zeigen sie mir die Wasserbüffelställe und das drei Tage alte Kalb, welches noch etwas unsicher und knochig aussieht. Dann haben die Jungs ihre Aufgaben in und ums Haus zu erledigen und ich werde abermals eingeladen die Wasserbüffel mit zu hüten. Mit Stöcken treiben drei Jungs die Büffel durch die Mangobaumplantage. Die Äste verzweigen sich tief, ideal zum Klettern. Als die Jungs einen geeigneten Platz zum Grasen für die Büffel gefunden haben, darf ich in einem Baum Platz nehmen.

Meine Unterkunft

Wir reden etwas miteinander, bis ein Junge mich zum Mittagessen wieder zum Haus leitet. Am Nachmittag  spiele ich mit den Jungs Volleyball. Es macht echt viel Spaß, die Jungs sind wirklich freundlich- Und das obwohl ich wirklich miserabel in Ballsportarten bin- in allen. Ausgepowert ziehe ich mich zurück in mein Zimmer und gönne mir eine Dusche. Dann richte ich mir mein Zimmer etwas ein: es stehen schon zwei Eisenbetten darin, die zusammengeschoben wie ein Doppelbett unter einem Moskitonetz stehen. Es gibt drei große Fenster, die ich weit öffne um die schöne Aussicht auf die Mangoplantage zu haben. Direkt vor den Fenstern steht ein Schreibtisch, und aus einem anderen Zimmer fladere ich mir einen Sessel. Zwar ein bisschen kaputt und zerfressen(?), aber ich werfe einen gemusterten Bettbezug drüber und schon geht es. Auch mein eigenes Bad ist relativ okay, nur die Dusche und ein Wasserhahn für den Toiletteneimer haben funktionierenden Wasseranschluss. Aber kein Problem, Waschbecken und Klospülung sind eh überbewertet. Der nackte Wasserhahn reicht mir für alles aus und für die Klospülung habe ich einen Eimer. Doch allem in allem ein sehr schönes Zimmer. Dann verbringe ich wieder Zeit mit den Jungs und lerne sie besser kennen.

La bella Notte

Nur abends wird mir etwas bang, denn alleine in dem Trakt zu schlafen taugt mir eigentlich gar nicht. Um mich abzulenken, kuschele ich mich in den Sessel und lese etwas bis es plötzlich einen Stromausfall gibt und es stockdunkel ist. Ach ne. Ich suche im Dunkeln mein Handy und finde es schließlich, als schon wieder das Licht angeht. In den folgenden Tagen bemerke ich dass es total normal ist, dass mal kurz zehn Sekunden der Strom weg ist. Ich gehe früh schlafen und wache am nächsten Morgen um 6:20 von alleine und ausgeschlafen auf. Vogelgezwitscher und Sonnenstrahlen begleiten mein Aufstehen, und ich beginne meinen ersten richtigen Arbeitstag. Ein grober Einblick in:

Mein Tagesablauf in Vimukti

Zuerst nehme ich Teil am täglichen Morgengebet, welches eine halbe Stunde dauert, auf Telugu gehalten wird und lustigerweise genau gleich wie Cara und mein Morgengebet aufgebaut ist. Danach gibt es Frühstück, wo ich mit austeilen helfe. Dann kommt die Assembly, bei welcher die Jungs die Nationalhymne singen und den Nationalschwur ablegen, meine Anwesenheit wird erwartet und geleistet. Dann beginnen die Classes. Das Niveau der Jungs ist sehr divers, von Analphabet zu Schulabbrecher im Abschlussjahr. Ich unterrichte Englisch und Mathe. Am Ende der Stunde sagt mir jeder Junge einzeln Danke und zeigt mir unaufgefordert sein Heft. Dann habe ich Freizeit, die ich in meinem Zimmer oder mit denen Jungs verbringen darf, bis zum Mittagessen. Nach dem Mittagessen gibt es eine Bastelstunde, dann machen die Jungs Gartenarbeit und dann gibt es zwei Stunden Games Time im Freien. Dann 30 Minuten Dusche und eine Stunde Study Time, bei der die Jungs Lernspiele und Wortgitter machen. Danach gibt es eine Feelingsround, die mir sehr gefällt, da alle sich in einen Kreis setzen und sagen wie sie sich heute fühlen. Santoshinga heißt glücklich und ist glaube ich mein neues Lieblingswort auf Telugu. Dann gibt es Abendessen, und danach kommen auch die vom Projekt beschäftigten Familien mit ihren Kindern vorbei und wir schauen fernsehen, bis es Schlafenszeit ist.

Wusstet ihr, dass sich früher indische Prinzen mit ihren Mangobaumgärten gerühmt haben? Ich bin ganz bezaubert von Vimukti und den Jungs, und auch die baldige Mangozeit kann ich kaum erwarten! Diese soll in einem Monat beginnen…

Liebe Grüße an alle,

Eure Lilli

P.S. Die letzten beiden Beiträge sind etwas farbenloser weil ich sehr viel aufholen musste, ab nächster Woche erzähle ich wieder  von urkomischen Missverständnissen, hautnahe Geschichten und typischen „Was tut ihr da bitte?“-Aktionen von den Jungs. Denn daran mangelt es in Vimukti kein Stück!

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1 Comment

  1. Cara

    Ich lese nur Mangobäume, Mangobaum da, Mangobaum dort, Mangos Mangos Mangos. Du weißt, dass dein offizieller Auftrag ist, jedes Wochenende deine Taschen mit Mangos vollzustopfen und uns tonnenweise Mangos aus Nuzvid zum schmuggeln? Alles Liebe und ich bin froh, dass du wieder da bist!

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