Die Weihnachtszeit ist eine geschäftige Zeit (Wortwitzkritik am Weihnachtskonsum beabsichtigt), deswegen habe ich es leider letzte Woche nicht geschafft zu schreiben. Aber wie meine Advents- und Weihnachtszeit hier so aussah, könnt ihr dafür heute lesen.

Fröhliche Weihnacht überall!

Nicht. Deutschland ist christlich geprägt; Weihnachten ist in fast jedem Haus zu finden. Aber hier in Indien gehöre ich als Christin zu einer Minderheit und abgesehen von den großen westlicheren Einkaufszentren und christlichen Institutionen ist Weihnachten kaum zu finden. Vor allem die fehlende Kälte und Schnee versperren der Weihnachtsstimmung den Weg. Allerdings habe ich es auch gar nicht als störend empfunden im Supermarkt nicht mit „Last Christmas“ beschallt zu werden. Was ich dafür öfters im Dmart (dem super indischen Supermarkt meines Vertrauens) gehört habe, waren überraschenderweise Weihnachtswünsche. Man sieht es mir natürlich an dass ich eine Fremde bin und das ich damit auch wahrscheinlich einer anderen Kultur angehöre. Doch die Aufmerksamkeit; auch eins meiner Feste zu erinnern und meine Religion anzuerkennen, hat mich hier -trotz umgebender Weihnachtsflaute- sehr gefreut.

Adventszeit

Meine liebe Mitbewohnerin Cara hat von zuhause ein großes Paket mit 24 kleinen Päckchen bekommen, und in vielen davon waren Kekse und  Dekoration. So sah wenigstens die Flat nach einiger Zeit sehr weihnachtlich aus.

Auch ich habe von zuhause ein Paket mit Keksen bekommen (Zimtsterne, Toffifees und am besten: OMAS LEBKUCHEN!!!), das ich beim sonntäglichen Adventssingen mit den anderen geteilt habe. Denn wir haben uns einen Adventskranz gebastelt und haben jeden Samstagabend uns gemütlich-lauschig versammelt und „Wir sagen euch an“  und andere Weihnachtslieder gesungen, Punsch getrunken und Kekse gegessen. Manche Weihnachtslieder waren etwas aus dem Kontext gezogen, z. B. Leise rieselt der Schnee(bei 25 C°) oder Oh Tannenbaum (wir hatten einen aus Plastik, da ist es nicht mehr sehr besonders dass er das ganze Jahr grün ist). Falls sich jetzt jemand fragt wie ein indischer Adventskranz aussieht, wir haben uns selber einen gebastelt:

Weihnachten in den Projekten

Nur ein Wort: Lametta. Ich arbeite in einem christlichen Projekt, das heißt in Yuva Bhavan (YB, wo ich alle meine Mahlzeiten einnehme) und auch im Shelter und bei den Lilly Moggas (wo ich arbeite) wurde ordentlich aufgefahren. Dezente Unaufdringlichkeit beim Weihnachtsschmuck gibt es nicht. Im Shelter wurde z.B. die gesamte Zimmerdecke mit Papierspiralen, bunten Hexenleitern aus Krepppapierstreifen und vor allem silbernen und goldenen Lametta-Girlanden verhängt. Auch in YB wurde eine drei Quadratmeter große Krippe aufgestellt, die mit Discolichtern besprenkelt wird. Auch die Krippe bei den Lilly Moggas ist nicht weniger bestrahlt. Dafür pflanzt man in der Krippe Kresse als Gras an, was sehr cool aussieht. Sieht aber alles irgendwie ganz cool aus.

In der Flat hatten wir leider keine Krippe, weswegen ich auf unsere Tafel eine gemalt habe.

Am 23. gab es eine große Weihnachtsfunction mit ALLEN Kindern von Navajeevan in Kinderdorf-Projekt Chiguru. Wir Volontäre haben alle zusammen einen Tanz aufgeführt und jedes Projekt hat auch einen Tanz aufgeführt-  viele Tänze an dem Tag! Natürlich gab es auch Reden und ein Krippenspiel auf Telugu. Und auch einen Santa Claus. Mein erster Gedanke war „Der gehört hier aber nicht rein!“, aber irgendwie war es schön wie alle Kinder sich so gefreut haben. Außerdem hat er Süßigkeiten verschenkt, also darf auch der Weihnachtsmann mitfeiern. Das einzige was mich wirklich bis zum Ende gestört hat, war das der indische Weihnachtsmann eine Plastikmaske vom weißen Weihnachtsmann getragen hat … wieso muss der Weihnachtsmann weiß sein?

Weihnachten im Krankenhaus

An Weihnachten sollten alle intern im Projekt feiern, das galt aber nur für die Außenprojekte. In der Stadt hatten wir an dem Tag frei, also wollte ich den Tag über mich ausruhen und dann in die Mitternachtsmesse in  einer nahegelegenen Kirche gehen. Es sollte anders kommen: Am 24. ereilten uns in der Stadt nachmittags schlimme Nachrichten. Markus wurde mit Atemnot, Fieber, Erbrechen und Muskelkrämpfen in das Krankenhaus eingeliefert. Sein Projektpartner Tobi und die Familien von den beiden (die zu Besuch da sind) hatten wirklich ein paar Höllenstunden hinter sich. Deswegen sind Swaan, Cara und ich am frühen Abend hingefahren. Alle sehen komplett fertig aus, am meisten der arme Markus. Cara hat sich seit Tagen auf die Christmette in Chiguru gefreut, Tobi hat seine Familie da, Markus Eltern sehen voll am Ende aus. In indischen Krankenhäusern muss immer ein Zweiter dabei sein, um für den Patienten Essen, Medikamente, Rechnungen, Formulare, etc. zu erledigen.

Ich melde mich freiwillig und bleibe mit Swaan die Nacht über bei Markus. Das Saint Ann`s Hospital hat schon viele von uns Volontären wieder gesund gepflegt. Wie man schon am Namen sieht, ist es ein christliches Krankenhaus, es laufen sogar Schwestern in Kutten rum. Überall sind kleine Sterne aufgehängt, im Krankenzimmer ist in einer Ecke sogar eine bunte Krippe aufgebaut. Wir mussten eine Zeit lang draußen im Wartezimmer sitzen. Plötzlich kommt ein Menschenzug mit brennenden Kerzen eine nahe Treppe runter gelaufen. Vorne laufen zwei Mädchen mit weißen Kleidern die eine Figur des Jesuskinds tragen. Sie singen Weihnachtslieder. Ich lächele ein bisschen zynisch in mich rein. Weihnachtslieder, hm? Probier ich es doch auch mal: „I`m dreaming of an antibiotic christmas“ „On the first day of christmas my doctor brought to me a pill against diarrhea“ oder einfach nur „So this is christmas“. Ich lache ein bisschen über mich selber. Denn im Nachhinein war der Abend -den Umständen entsprechend- ganz schön.

Swaan und ich haben Tobi eine Liste von Sachen gegeben die wir gerne für unsere Übernachtung hätten. Was er uns trotzdem eingepackt hat, waren Weihnachtsplätzchen. Zuerst haben Swaan und ich also dafür gesorgt, dass Markus registriert und in ein Einzelzimmer gelegt wird und gleich am nächsten Morgen den Doktor sehen darf. Ihm ging es schon etwas besser aber eine Diagnose hatten wir noch nicht (Spoiler: er hat Malaria). Wir haben die Beschwerden wieder und wieder den Schwestern erzählen müssen und haben schön gegoogelt was unserem Kumpel dort eingeflößt wird. Und nachdem Markus eingeschlafen ist, haben wir uns zu zweit auf den Balkon gesetzt. Wir Deepa Nivas Sisters haben ordentlich geredet,  gekichert und die Kekse gemampft.  Wenn Krankenschwestern zum Blutdruck und Temperatur messen kamen, stand eine von uns immer auf und schaute mit. Und dann sind wir schlafen gegangen, Swaan hat mir die Pritsche überlassen und schlief auf dem Boden mit einem Laken als Unterlage. Arme Swaan, armer Markus.

Weihnachten in der Flat

Am 25. hatten wir alle frei und so haben wir Volontäre den Tag genutzt um selber nochmal zu feiern. Alle haben mitgeholfen, Swaan und ich nach einem kleinen Mittagsschlaf um uns von der Nacht im Krankenhaus zu erholen. Wir haben Matratzen geschleppt und Lichterketten aufgehängt, den Weihnachtsbaum nach oben getragen und Obst geschnippelt und Salat gemacht. Und dann wurde es Weihnachten: Oben auf dem Dach haben wir es uns sehr gemütlich gemacht; fast alle waren da, manche auch mit Familien. Wir haben Weihnachtslieder gesungen, die Weihnachtsgeschichte gelesen und zusammen gebetet. Es war eine sehr weihnachtliche und liebevolle Stimmung. Und dann gab es ja auch Bescherung!

Wir haben innerhalb der WG gewichtelt und ich hatte meine liebe Cara gezogen! Cara trägt so gut wie nie Schmuck aber bei manchen Angelegenheiten BRAUCH man einfach Schmuck. Also habe ich ihr eine passende Kette zu ihren Perlen-Ohrringen besorgt. Außerdem habe ich ihr zwei Punjabis geholt, einen lila schwarzen denn sie besonders schön fand  und einen blau gestreiften, weil sie blaue Streifen mag und schon ewig nach so einem gesucht hat.

Lustige Geschichte: Auf unserer Shoppingtour mit Tobis Familie hatte Cara einen Schwarz weiß gestreiften Punjabi entdeckt und kam freudig zu mir und sagte „Lilli, guck mal! EIN GESTREIFTER PUNJABI!!!“ Worauf ich antwortete (um den viel besseren blau gestreiften Punjabi zu retten): „Denn finde ich aber echt nicht schön…“ Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen weil Cara dann sehr enttäuscht war und denn Punjabi weglegte. Aber tja, sie hat sich umso mehr an Weihnachten gefreut. Außerdem wurde die Überraschung noch gesteigert: Ich habe die beiden Punjabis um einen Ziegelstein gewickelt, damit sie nicht sofort erkennt was sie da hat. He he he.

Ich selber habe vom lieben Justus eine Wok-Pfanne bekommen weil er weiß das ich gerne koche und mich immer über die kleinen (viel zu kleinen!) Töpfe beschwere. Und dann hat er bewehrten Kochtopf mit allen Süßigkeiten die ich in Indien mag (Snickers, Fuse Riegel, Kinder Joy) gefüllt. Ich hatte seit Wochen überlegt mir diesen Wok-Topf zu holen aber Justus hat mir das perfekte Geschenk gemacht. Und auch von zuhause habe ich ein wundervolles Paket erhalten! Gefüllt mit selbstgemachten Plätzchen, Spekulatiusschokolade, Baumstamm (BAUMSTAMM!!!) und am aller besten: zwei kleine Leinwände! Und Buntstifte und einen ordentlichen Radierer und Aquarell-Postkarten zum Selber bemalen. Ich hab mich so über alle Sachen gefreut und der Abend war einfach wunderschön, es war richtig Weihnachten.

Über das Vermissen

Wer glaubt dass ich kein einziges Mal meine Familie und Freunde zuhause vermisst habe, der irrt sich gewaltig. Ich bin hier in Indien und das freut mich jeden Tag, aber manchmal habe ich Heimweh. Und Textnachrichten und Briefe und Pakete freuen mich ungemein- aber etwas anderes hilft mir auch sehr. Und da Weihnachten das Fest der Liebe ist, kommt hier noch etwas was ich schon lange mal schreiben wollte aber nie irgendwo reingepasst hat.

Ich denke alle, die meinen Blog lesen, können auf die ein oder andere Art mit meiner Situation als Fremde hier sympathisieren- das ist viel einfacher wenn man die gleiche Sprache spricht. Ich bin vielleicht kein Flüchtling, aber ich bin definitiv Migrantin (wenn auch nur für ein Jahr). Eine Migrantin weit weg von ihrem gewohnten Umfeld. Eine Migrantin, die mit ihrer Religion ca. 5% in der Bevölkerung ausmacht. Die manchmal lieber unter ihresgleichen bleibt weil es einfach so gut tut jemanden zu haben der dich und deine Kultur versteht. Die nur ein paar Sätze der hiesigen Sprache kann. Die hier ohne Eltern und Geschwister ist. Die auf Einheimische manchmal komisch wirkt; vor allem was Kleidung, Handlungen und Benehmen angeht.

Wieso ich mich in Indien trotzdem wohl fühle liegt daran, dass die Leute meine Feiertage erinnern und mich jeden Morgen grinsend mit einem „Guht-enn Moh-gen!“ begrüßen (weil sie WISSEN dass ich ihre Sprache nicht spreche). Sie laden mich ein an ihrer Kultur teilzunehmen, sprechen Themen offen an und scheuen keinen Kontakt. Wie sieht es in Deutschland mit Migranten aus? Ich schreibe unter anderem Blog weil ich hoffe, dass meine Leser eine Liebe für  die Fremden haben.

Denn wenn das nächste Mal jemand euch auf vermeintlich schlechtem Deutsch anredet und nach dem Weg fragt, andere Arten und Weisen hat oder sich anders anzieht- dann hoffe ich das man als Christ in ihm oder ihr einen Bruder oder eine Schwester sieht. Und daran denkt dass dieser Mensch genauso gut ich in Indien sein könnte. Sogar ziemlich wahrscheinlich, ich mache hier SO viel in kultureller Hinsicht falsch… Außerdem- wer weiß, vielleicht ladet ihr “mich” mal auf einen Tee ein und lernt ein bisschen was über mein Land und meine Kultur kennen? Und wenn ihr Glück habt, gewinnt ihr letztendlich einen Freund.

Fröhliche Weihnachten nachträglich euch allen und viel Liebe nach Hause,

Eure Lilli