Lilli in Indien

Don Bosco Volunteer Blog

Ein Abschied und ein Umzug

Wie schon im letzten Blogeintrag erwähnt, habe ich am Ende dieser Arbeitswoche mein Zimmer (mein eigenes Zimmer mit Tür und Privatsphäre) in Deepa Nivas geräumt und bin komplett in die Stadt gezogen. Dies geschah um einen Volontärmangel in den Stadtprojekten auszugleichen. In meiner letzten Woche Deepa Nivas war ich aber nicht untätig.

Mein Geschenk an die Jungs

Swaan drehte als Abschied ein Video über das Deepa Nivas (wenn es fertig geschnitten ist, gebe ich euch den Link). Und was mache ich zum Abschied? Neben der Musik ist meine Leidenschaft das Malen. Und eine Wand die mich schon am Anfang nicht angesprochen hat, war diese:

Aditya Music draufgeschmiert und dreckig. Die Jungs waschen dort morgens, mittags, abends ihre Teller, klar ist die Ecke ein bisschen dreckig aber es könnte cooler sein! Also Skizze angefertigt, Permission vom Incharge geholt, Farbe gekauft und los! Das Malen an sich war etwas Public Viewing mäßig, obwohl ich immer nur gemalt habe wenn die Jungs in der Schule waren. Während ich also, mit Pinsel, Schablonen und Fingern; mit Blau, Grün und Gelb die Wand verschönert habe, sahen mir mindestens fünf Leute zu. Sehr ungewohnt.

Als mein Teil der Arbeit vorüber war ließ ich jeden Jungen einzeln kommen. Daumen in das Lila, Daumen an die Wand- Swaan hilft mir an dieser Stelle und schreibt mit Wasserunlöslichem Edding die Namen. Ja, der Name neben meinem Namen ist Martamas, auf Telugu geschrieben. Ziemlich anstrengend die ganze  Aktion, aber …

Ein paar nennenswerte Kommentare:

„Sister, idhi Hamsa?(Ist das ein Schwan?)“  Was… ? Ein Schwan? Ehrlich?

“Sister, in twenty years, you are successful painter!“  Aww, danke! Aber… Hey, zwanzig Jahre sind noch voll lang!

„Sister, Nose/Mouth and Feet are missing!“ Schnabel (beak ist der korrekte englische Fachterminus) und Füße kamen erst als Letztes. Wer sich dachte dass die Füße etwas komisch platziert sind. Ja, ein Junge hat das Malen der Füße zu lang gedauert und hat mit Kulli meinem Pfau Füße gemalt. Und … tja, go with the Flow!

Abschiedsfeier

Für die Abschiedsfeier mussten wir uns Mädels natürlich ordentlich rausputzen. Also haben wir uns zuerst gegenseitig Henna gemalt. Also, ich habe meine Hände und Füße selbst bemalt und Swaan gleich mit dazu. Wir haben das am Dienstagabend bei unserem letzten Filmabend so chillig neben her gemacht, sah alles ganz gut aus. Aber dann um zwei Uhr morgens… hat man keine so guten Ideen mehr, und ich hab angefangen auf Swaans Fuß rumzualbern („OMG, Lilli, i trusted you!“), und dann durfte sie meinen Fuß natürlich auch verunstalten. Man sieht die Füße unter den Saris aber eh nicht und niemand erkennt das, also… Das Ergebnis:

Natürlich haben wir uns auch wieder schick gemacht. Swaan trug ihren neuen blauen Sari mit silbernem Schmuck und ich meinen neuen roten Sari mit goldenem Schmuck. Man beachte meine Ohrringe! Und wir haben uns geschminkt. Und haben unsere Haare halb offen getragen (!!!). Ich will nicht lügen, wir haben uns wie ultrataffe Kriegsprinzessinnen gefühlt: Die eisige Hamsa-Sister(Tel. Schwan-> Swaan) und die feurige Kaluva-Sister(Tel. Lilie-> Lilli)! Die Kinder nennen uns übrigens wirklich so. 🙂

Wir kommen zu zweit die Treppe nach unten geschritten, und werden als erstes von dem ältesten taubstummen Jungen entdeckt. Seine Reaktion ist so herzlich: er reißt seine Augen auf und schlägt eine Hand vor seinem Mund, und starrt uns einfach nur an. Dann fuchtelt er mit seinen Händen in der Luft herum und freut sich richtig. Dann besinnt er sich, dass er ein Gentleman ist, und nimmt uns je zu einer Seite und führt uns majestätisch in die Dining Hall. Hier haben Swaan und ich den ganzen Tag über fette Boxen geschleppt, so dass es richtig laut Telugu-Musik gibt. Nach dem Essen stellen wir die Musik aus und versammeln uns mit den Kindern draußen, für einen Good Night Talk. Bis dahin wollen die Jungs aber noch ein paar Fotos machen. Und kommen einem dabei ziemlich nahe.

„Sister, why are you going?“, “Sister, you are color of Deepa Nivas, you go- Deepa Nivas not bright anymore.”, “I not crying, sister, but my heart is broken.”, “Please stay, Sister.”, “We will miss you, sister.” Ich fange an zu heulen. Ich werde euch doch auch vermissen. Wenn es gehen würde, würde ich doch auch bleiben. Am Anfang habe ich nur geheult, weil ich weg muss, aber dann- „Sister, Ravi is crying.“.

Mein kleiner und mein großer Straßenkönig, mein treuer Kollege, die älteren Jungs zu denen ich mehr Freundschaft empfinde als Erzieherpflicht, meine Kleinen aus der Studytime- sie fangen auch alle an zu weinen. Sie alle weinen zu sehen, schmerzt mich auf eine komplett andere Art. Denn davor war es mein Schmerz, aber jetzt ist es  ihrer und ich wollte nie dass sie traurig sind und es tut so weh sie jetzt zu verlassen. Ich setze mich zu meinen Kleinen und probiere sie irgendwie zu trösten aber es klappt nicht.

Es ist Zeit für den Good Night Talk. Ich habe ein paar Zeilen an die Jungs geschrieben, und weil ich wollte dass sie es auch wirklich verstehen, habe ich mir Hilfe geholt. Meine Collegeboy-Kumpel Sonno hat mir meine Zeilen auf Telugu übersetzt (das war einfach) und dann mit mir Training gemacht, damit ich alles richtig ausspreche (das war schwer). Kennedy´s „Ich bin ein Berliner“? Ich hab eine ganze Rede so gehalten. Wir saßen alle zusammen in einem großen Kreis im Innenhof und Swaan und ich trugen jeweils unseren eigenen Zeilen vor. Zu diesem Zeitpunkt war ich sehr dankbar dass ich auf Telugu redete, denn hätte ich verstanden was ich sage, wäre ich bestimmt nicht durch meinen Text gekommen.

Unerwartet gibt der Collegeboy Ram den Jungs die Möglichkeit, uns auch etwas zu sagen. „Thank you sisters, for playing with us.“, „Thank you sisters, for helping us with homework.” …  Die Runde wird aufgelöst mit einem I-Love-You-Clap (Wer sich an den kleinen Straßenkönig erinnert, und wie wir uns nach Streitereien gegenseitig die Liebe erklärt haben, weiß was das ist). Und dann nochmal ein I-Love-You-Clap. Und dann ein We´ll-Miss-You-Clap. Wir lösen die Runde auf, Martama kommt weinend auf mich zu und wir umarmen uns. Danach leiten wir alle Kinder zurück in die Dining Hall und unser Tanzkind von Haus führt einen Tanz auf, während dem ich mich wieder beruhigen kann.

Spontan führen Johnny, Swaan und ich danach unsere Tanzeinlage vom Children´s Day auf. Ich merke wie die Traurigkeit beim Tanzen langsam von mir abfällt, die Kindern jubeln ihren Volontären beim Tanzen zu und bei meinem letzten Deepa Nivas Abend soll es krachen. Kurzer Blick und Geste zu Swaan-sie ist dabei! Ich nehme nicht unsere Abschlusspose ein, sondern laufe auf die Kinder zu und bewege meine Arme nach oben. Die Kinder springen auf und Johnny dreht die Boxen auf. Eskalationsparty im Deepa Nivas!

Wir tanzen alle zusammen, schneller und schneller. Ab und zu bilden wir einen Kreis, in den wir uns im Takt der Musik rein beugen und beim rausgehen „Hey!“ schreien. Einmal wurde ich auch in so einen Kreis reingeschubst und der College Boy Ram hat vor mir einen Tanz für mich aufgeführt (dessen Beispiel danach übrigens manche älteren und jüngeren Jungs gefolgt sind), was glaube ich ziemlich unproper war. Noch mehr unproper war es wahrscheinlich als ich auf das Getanze eingegangen bin und mich im Takt der Musik gewogen habe. Sonst sind wir einfach zu der wilden Telugischen Party-Musik durch den Raum gehüpft. Wir tanzen eine Stunde und schicken dann die müden Jungs in Bett.

Am nächsten Morgen helfe ich wie immer beim Frühstück und warte dann mit den Jungs auf die Riksha zur Schule. Renne wie immer bis zur Straße mit der Riksha mit. Am Morgen waren wir nicht mehr traurig, wir hatten den Abschied genug beweint und gefeiert. Am Morgen war alles okay, und weil Swaan und ich auch nicht mehr zu Deepa Nivas gehören, haben wir jedem Jungen(der es wollte) eine feste Umarmung und einen Schmatzer gegeben. Und dann waren die Kinder in der Schule und wir gingen zur Flat zum normalem Wochenende. Und am Sonntag würde Johnny Brother wieder kommen.

Ich werde probieren die Jungs sonntags an und ab zu besuchen, dort hat man in der Stadt einen gewissen Freiraum. Es schmerzt mich immer noch mit meinen Jungs nicht mehr zusammen zu arbeiten, aber wie einer der ältesten Jungs in Deepa Nivas sagte: „Sister, don`t cry. No pain, you keep sweet memories.“

Liebe Grüße,

eure Lilli

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1 Comment

  1. Melissa

    Oh Lilli ich sitz grad im Zug und bin voll am heulen wegen deinem Blogeintrag 😭 wie gut das der Typ neben mir schläft. Ich hoffe du kannst die Kinder viel besuchen oder sie vielleicht dich. Spätestens wenn wir dich besuchen kommen müssen wir dahin, ich will die Jungs kennenlernen!

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