Lilli in Indien

Don Bosco Volunteer Blog

Was stellt ihr denn da auch an…

Hallo meine Lieben, hier ein neuer Beitrag über meine Woche in Deepa Nivas.

Ohrlöcher

Ich hatte nie Ohrlöcher. Der Gedanke ein Loch in meine weichen, süßen, flauschigen Ohrläppchen zu schießen… Also, ich bin 18 Jahre und hatte nie Ohrlöcher. Meine allerliebste Martama(Köchin von Deepa Nivas) hat das spitz gekriegt, weil man hier in Indien gerne Ketten, Armreifen, Schmuck am Nasenflügel und Ohrringe trägt. Also, hat sie mir angeboten mir Ohrlöcher zu stechen. Und da ich ja sowieso totaler Adrenalinjunkie und Draufgänger bin(nicht?!?) – hab ich ja gesagt. Echt, seit ich in Indien bin mache ich so viele Sachen die ich zuhause NIE tun würde.

Kettaya(Kerl der sich um unsere Buffalos kümmert) bringt vom Buffalospaziergang am Morgen einen besonderen Dornzweig mit. Lieber Gott, bitte hat da kein räudiger Straßenhund draufgepinkelt. Die älteren Jungs haben am Nachmittag Englisch-Prüfungen und sind deswegen zuhause. Und sie wollen Blut sehen. Plötzlich hat jeder Junge was in der Küche zu tun- er will beim Schnippeln helfen, den Reis sortieren, aufpassen das nichts anbrennt (Der Herd war nicht mal in Betrieb!). Ich stehe draußen auf der Steintreppe, auf der ich schon so schöne ruhige Chai-Ukulele-Singen-Momente hatte, und weigere mich gar nicht mehr dagegen. Sollen sie halt zuschauen, diese (in aller Liebe) Sadisten.

Kinder, macht das nicht zuhause nach.

Mit ganz sicher gequälten Gesichtsausdruck trete ich durch die dünne blaue Holztüre in die Küche/Ohrläppchen-Exekutionsarena ein. Die Jungs scharen sich um den kleinen roten Plastikhocker, auf dem ich mich würdevoll nieder lasse. Martama bricht einen der holzigen, ca. 5 cm langen Dorn ab. Ich fiepe. Ein Junge bietet mir mitleidig seine Hand zum Halten an und ich nehme sie dankbar wimmernd entgegen. Ooooh Gott. Martama setzt den Dorn an und schiebt ihn durch mein rechtes Ohrläppchen; sehr, sehr langsam. Ich höre die Knorpel leise knacken und einen leichten Wiederstand als die Spitze des Dorns auf der anderen Seite wieder durch die Haut heraustritt. Sie beugt sich über und beißt knapp an meinem Ohr den Dorn ab. Ich spüre ihren warmen Atem an meiner Ohrmuschel. Sie kneift mir in die Wangen, ich bin fertig- mit dem rechten Ohr. Ich nehme mir eine kleine Pause und dann ist das linke Ohr dran.

Als ich fertig bin, meint Swaan dass ich so aussehe als ob ich ohnmächtig werde oder gleich kotze.  Martama bietet mir sofort an mir auch noch schnell einen Nasenflügel zu piercen- sicher nicht.Aber Johnny lässt sich zum Spaß auch EIN Ohrläppchen stechen. Ich lege mich eine Weile in mein Zimmer und am Abend desinfiziert Martama mein Ohr mit dem abgekochten Reiswasser. 24 h später zieht sie den Dorn ohne Schmerzen locker aus meinem Ohr und will ein neues Stück Holz reinstecken, aber Swaan leiht mir ihre Silberohrringe. Das Holz muss sonst alle drei Tage gewechselt werden, und das ist mir dann doch zu viel. Meinen Ohren geht es soweit gut, ich desinfiziere morgens und abends neben Reissuppe auch mit Johnnys Desinfektionsspray und es scheint besser zu werden.

Neues Straßenkind

Neue Kinder sind natürlich immer eine Freude. Mit dem ersten Straßenkönig, den ich kennen gelernt hatte, hatte ich am Anfang echt Probleme. Zum Beispiel wollten wir mit den Kindern den Schlafsaal putzen und die Matratzen der Kinder ausklopfen- aber keines der Kinder hat sich getraut sich dem Bett des kleinen Königs zu nähern. Er hatte nämlich allerlei Reichtümer unter seiner Matratze versteckt, und diese hütete er sehr gewissenhaft. Und wenn ein Kind sich die Sachen mal genauer anschauen- oder zurück haben- wollte, konnte das auch ordentlich eskalieren.

Um ehrlich zu sein ist jetzt mein kleiner König eins meiner Lieblingskinder. Erstens ist er super kreativ und kann überall spielen und Spaß haben. Er ist jetzt auch sanfter und lieber geworden und hat auch viele Freunde gefunden. Wenn ich durch den Hof laufe, kommt er meistens von irgendwo her, nimmt meine Hand, legt sie sich um die Schulter und läuft stolz neben mir her. Und wenn die Jungs mal was machen was ich nicht so cool finde, gibt er manchmal den anderen Kindern eine kleine (verbale, darauf lege ich Wert) Standpauke und sagt dass sie auf mich hören müssen während er wild in meine Richtung gestikuliert. Auch lasse ich inzwischen alle Kinder die Ukulele zupfen- während ich die Akkorde greife. Das mag er wirklich gerne und kuschelt sich danach manchmal auf der Steintreppe zusammen und legt seinen Kopf auf meinen Schoß.

Da ich diese schöne Erfahrung schon mit einem vorherigen Straßenkind hatte, war ich auch guter Hoffnung wegen des neuen Kinds- obwohl dieses nun zu den Jüngsten in Deepa Nivas zählt. Er hat morgens als alle in der Schule waren, ein bisschen mit Kullis gezeichnet. Also habe ich meine Buntstifte aus dem Zimmer geholt, er freut sich total. Fein säuberlich malt er sein Bild aus. Zwischendurch fragt er ob er die Stifte behalten darf. Die Stifte gehören aber mir, ich hab sie für die Kinder gekauft. Ich gebe sie unter Aufsicht her und fordere sie nach dem benutzen wieder zurück. Als ich dann am Ende die Stifte zurückfordere, sind von den 24 Stiften 15 Stück da. Und er war der einzige Junge weit und breit. Er beteuert mit einer perfekten Unschuldsmiene dass er sie nicht hat. Sie ist so gut dass ich an mir selber zweifele.

Ich zwinkere ihn an und fange an zu suchen, am Körper kann er sie nicht tragen. Nach kurzer Zeit finde ich 9 Stifte senkrecht  versenkt in der Erde eines am Rand stehenden Blumentopf. Ich setzte mich, lache ihn an, stecke meine Stifte ein. Kein so schlechtes Versteck, dieser Blumentopf. Ich verbringe noch einige Zeit bei unserem Frischling, spiele ein paar Klatschspiele mit ihm. Er lacht immer mehr. Nachmittags kommen die anderen Kinder heim.

Beim Ball spielen will er nicht so gerne teilen, wenn ich den anderen Kindern zu oft den Ball zu werfe, rennt er zu ihnen und nimmt ihnen den Ball weg. Das war etwas problematisch. Und beim Abendessen MUSS ich neben ihm sitzen, aber so wie mein erster König muss auch dieser kleine Prinz lernen dass ich nicht nur für ihn da bin, so er beim Abendessessen sehr bestimmt gesagt dass kein anderer Junge sich zu uns gesellen darf. „No thammudu(kleiner Bruder), in Deepa Nivas we are family. All brothers and sisters- everybody welcome.” Bekräftigend mache ich den besonderen Klatsch, der ungefähr so gut: *clap,clap*I (man zeigt auf sich) – *clap, clap* love (man macht ein Herz mit den Händen) – *clap, clap* you! (man zeigt mit den Armen auf die Person). Die Differenzen sind vergessen, die nächsten zehn Minuten sind wir damit beschäftigt uns mithilfe des Love-Claps gegenseitig die Liebe zu erklären.

So toll funktioniert das zwar nicht immer und klar ist jetzt nicht alles gut, aber solche Tage und Erlebnisse sind einfach toll zum Miterleben.

Thammudu und Anneya

“Kleiner Bruder und Großer Bruder”. Freundschaft ist etwas sehr greifbares in Deepa Nivas. Ältere Brüder passen auf ihre jüngeren Brüder auf, egal ob blutsverwandt oder nicht. Das gilt bei Streitereien und Raufereien. Das gilt bei Unfällen beim Spielen, bei dem die Großen regelmäßig die Kleinen zum Personal tragen um verarztet zu werden. Auch beim Essen, wenn man seinen Bankgenossen den letzten Leckerbissen des eigenen Tellers zusteckt. Besonders beim Spiele kann man die brüderliche Liebe zwischen den Jungs sehen: sich gegenseitig in den Schwitzkasten nehmen, zusammen spielen und trainieren. Und auch bei Problemen sind sie für einander da.

Ein Junge hatte eine mentale Krise und saß heulend vor dem Gatter Deepa Nivas. Er war so aufgewühlt, schnappte sich Steine in der Nähe und schlug sie gegen seine Stirn. Während ich ihn daran hinderte weiter den Stein in seiner Hand gegen die Stirn zu schlagen, schleicht sein bester Freund leise um ihn herum und sammelte alle großen Steine in seiner Nähe auf und trägt sie schweigend weg. Solche Extremsituationen passieren nicht so oft, aber wenn sie passieren ist es immer schön zu sehen das die Jungs sich gegenseitig auffangen.

Liebe Grüße an alle,

Eure Lilli

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2 Comments

  1. “Und da ich ja sowieso ein totaler Adrenalinjunkie bin…” Ich möchte das Fräulein Meyer-Berg an dieser Stelle gerne an das U-Boot erinnern.
    Grüße aus China

  2. Cara

    Wie kannst du die gute Küche nur als Ohrläppchen-Exekutionsarena bezeichnen! Trotz meines tiefen Respekts für diesen wundervollen Neologismus, muss ich die Küche definitiv in Schutz nehmen, denn dort werden wundervoll köstliche indische Sachen zubereitet. Respect this room, um die flat zu zitieren 😉

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