So, ich dachte ich schreib mal ein bisschen über dieses wunderschöne Stückchen Erde auf dem ich hier gelandet bin. Um genau zu sein, meine ich das Stückchen Land von Vijayawada in Andhra Pradesh, Indien.

Samstags sitzen wir versammelt an unserem Chillplatz in der unteren Flat, an dem der Fan fleißig summt. Bei uns hat es nämlich immer noch um die dreißig Grad. Ein Ausflug steht an: die WG will auf den Tempel Hill steigen. Wir decken uns mit Wasser und Snacks ein und teilen uns dann auf zwei Rikshas à sechs Leute auf. Wir fahren bis zum Bahnhof, überqueren die Gleise. Auf dieser Seite der Stadt war ich noch nie. Die Straße sieht hier noch aus wie gewohnt: gerade, staubig-sandig, breit und von vielen kleinen Läden gesäumt, deren Schilder mit Telugu-Schriftzeichen versehen sind.

Der Lärm der hupenden Rikshas, die Fetzen telugischer Musik die von irgendwo hergeweht werden, die rufenden Straßenverkäufer und die Bettler- sie alle werden zu einer bunten Geräuschkulisse, die mich nicht mehr groß fordert. Auch die Gerüche; der dezente bis beißende Gestank von Exkrementen, der würzig-warme Duft von Chai, die dicken Schwaden vom Frittier-Fett der Straßenverkäufer, der Feinstaub und die Auspuffgase der Autos. Inzwischen gelingt es mir gut diese zahlreichen Sinneseindrücke im Hintergrund verschwinden zu lassen.

Wir biegen ein paar Mal links ab, und stehen bald in einem etwas ärmeren Wohnviertel. Die Straßen sind nun schmäler und es liegt mehr Müll rum. Nebenstraßen sind zu kleinen Gassen geworden, in denen ein Rinnsal Wasser fließt. Rikshas und Autos sind verschwunden, an ihre Stelle sind Fahrräder und Handkarren getreten. Ein paar Kinder schauen uns neugierig an. „Akka! Akka!“ rufen sie uns zu, das bedeutet „große Schwester“. Ein paar von ihnen folgen uns für zwei, drei Blogs.

Wir gehen nun immer weiter aufwärts. Schmale Treppen führen zwischen den bunten Häusern hindurch. Von manchen Häusern blättert schon der Putz ab. Wir wieseln uns immer weiter nach oben. Ich erhasche beim Vorbeilaufen immer mal wieder Blicke in die Wohnzimmer der Menschen, die Türen der Häuser sind angelehnt oder ganz offen. Ein sauber gefegtes Wohnzimmer mit Fliesenboden und Plastikstühlen. Eine Oma die etwas Gemüse schnippelt. Ein Kleinkind das seiner Mutter beim Waschen hilft.

Die Hitze der Spätnachmittagssonne brennt auf uns nieder, als wir immer weiter nach oben kommen. Trotz der zunehmenden Steigung, halten sich die Häuser stur in der Erde fest. Unser Weg geht nun steil nach oben, nur noch grau-weiße Treppenstufen. Letztendlich wird der Weg auch nicht mehr von den kleinen Häuschen gesäumt, nur noch ein paar dürre Sträucher und Büsche flankieren unseren Weg. Leicht gewindet sehe ich diese weiße Treppe auf dem Hügel liegen- bis oben ist es noch ein gutes Stück. Von wegen Hügel.

Treppenstufe für Treppenstufe arbeiten wir uns hoch. Langsam fange ich an zu schwitzen und atme etwas schwerer, bei Hitze ist das Besteigen von den unebenen und nicht gleichhohen Stufen schon etwas anstrengend. Ich raste kurz um etwas Wasser zu trnken. Am Rand des Weges entdecke ich wilde Minze, ich pflücke ein Blatt und zerreibe es mit den Fingern unter meiner Nase- es riecht wie die Minze aus dem Kräutergarten von zuhause.

Der Aufstieg hat etwas seltsam beruhigendes, mein Kopf ist leer- aber gesättigt- als ich immer nur auf die nächste Stufe schaue. Es gibt manche Gläubigen, die sprechen bei jeder Treppenstufe ein Gebet. Andere kriechen die Hügel zu den Tempeln hinauf. Diese intensive Form des Betens ist mir fremd, aber ich bin zutiefst beeindruckt und fasziniert davon. Es muss Stunden dauern wenn man so hingebungsvoll und spirituell erleuchtet einen Hügel besteigt. Wir, weniger spirituell erleuchtet und mehr schwitzend, haben nach dreißig Minuten den Hügel erklommen.

Es ist atemberaubend. Die Stadt liegt wie ein weißes Kleid unter uns. Wir sind alleine hier oben, der Tempel ist klein und sauber weiß verputzt. Wir setzen uns und lehnen uns mit dem Rücken an die kalte Mauer. Der Fluss Krishna zieht sich breit durch die Stadt. Die großen sanften Hügel Andhra Pradeshs erheben sich grün und unbebaut aus den Häuser Reihen Vijayawadas, auch in der Ferne kann man milchig-blau ihre Umrisse erahnen. Wir sitzen lange dort oben. Der Himmel verfärbt sich lila, die Libellen surren durch die Luft.

Der  Stadt entkommen wir nicht, aber die Luft ist hier viel klarer, viel sauberer. Das bunte Treiben lärmt zu uns hinauf. Als es Abend wird, sehen wir wie langsam die Lichter erwachen. Eine Moschee ruft mit Gesängen zum Abendgebet, die Hindus haben einen Feiertag und singen, die Rikshas hupen, die Leute rufen- es vermischt sich alles zu einem großen Gesamtkunstwerk. Aber man kann es hier ruhig aus der Ferne beobachten, ohne selbst in die wuselige Hektik der Stadt zu fallen.

Die Sonne geht unter und es wird dunkel. Die Libellen haben sich verzogen und an ihre Stelle sind Mücken und Fledermäuse getreten. Immer mehr Lichter erscheinen in der Stadt. Es ist der erste Moment seit ich hier in Indien bin, dass ich realisiere. Ich lebe in Indien, in dieser Stadt. Und dass ich mich wirklich geehrt fühle hier sein zu dürfen, zu arbeiten und so vielen großartigen Menschen begegnen zu dürfen, und das jeden Tag.

Wieso Ich die Spiritualität im Hinduismus mitlebe

Noch eine kleine Bemerkung über meine Einstellung zum religiösen und kulturellen Leben hier. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich mag es wirklich gerne über Gott zu reden- man kann nie definitiv falsch liegen. Und ich bin keine Theologin aber Gott fühlen, das kann ich wohl.

Ich bin Christin. Und mein Projekt ist christlich, und jeden Sonntag gibt es einen Gottesdienst in den ich brav gehe. Aber wenn ich in einem Hindutempel stehe, dann merke ich, dass da auch etwas ist. Etwas was die Menschen berührt und zusammen bringt, etwas Größeres als nur sozialer Zusammenschluss. Ein ähnliches Gefühl wie ich es in den Kirchen finde. Und da kann man doch mal reinschauen, wie die Leute hier so beten und Gottesnähe herstellen. Vor allem weil bis jetzt alle Hindus, die ich getroffen habe, mich immer sehr herzlich eingeladen haben und mir auch alles erklären.

Trotzdem gibt es natürlich auch große Unterschiede zwischen dem Christentum und dem Hinduismus. Zum Beispiel habe ich einen Gott mit tausend Facetten- und die Hindus haben tausend Götter mit eigener Facette. Allerdings sehe ich da im Wesentlichen Paralellen, und obwohl ich selber dem Christentum folge, habe ich dennoch Freude daran in Hindutempeln auch meinen Gott erkennen zu können.

Und das im Hinduismus manche Sachen im Gegensatz zum Christentum gehandhabt  werden- die meisten dieser christlichen Vorschriften stehen im Alten Testament. Und im Alten Testament steht schon ECHT viel. Jesus Christus hat selber auch ein paar dieser Regeln gebrochen, oder zumindest herausgefordert- ganz bewusst. Und er hat uns in der Bergpredigt die Kernaussagen seiner Lehre zusammen gefasst. Also, ich finde da geht es mehr darum mit dem Herzen wahrlich seine Mitmenschen und Gott zu lieben- als um irgendwelchen strengen Vorschriften.

Übrigens, diese Einstellung gegenüber anderen Religionen nennt man Inklusivismus. In Nostra Aetate, dem Erklärungsschreiben des 2. Vatikanischen Konzils, wird die Stellung der katholischen Kirche gegenüber anderen Religionen erörtert. Dort findet man auch diesen schönen Abschnitt: “Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.”