Jetzt wo ich in das Außenprojekt Deepa Nivas („Dibaniwas“) eingeteilt bin, gehöre ich nun auch zu den Pendlern. Jedes Wochenende komme ich in die Flat, aber unter der Woche lebe ich im Projekt. Mit anderen Worten: ich leben 5 Tage die Woche mit 75 kleinen Jungs zusammen.

Ankommen

Als ich Sonntagnachmittag in einer Riksha mit Johnny im Projekt eintreffe, strömen von überall kleine Kinder auf uns zu. Die Jungs beäugen mich neugierig, was hat Johnny Brother da wohl im Schlepptau? Eine Lilli Sister! Wir wimmeln die Kinder erstmal ein bisschen ab und machen uns auf dem Weg zur Care-Mother von Deepa Nivas.

Die Jungs hier nennen die Care-Mother nur „amma“ (Telugu für Mutter). Ich nenne die “amma” aber natürlich bei ihrem Namen; Vani- weil meine Mama nicht hier, sondern zuhause in Deutschland ist. Vani begrüßt mich mit einem strahlenden Lächeln und schüttelt meine Hand. Sie ist etwa einen Kopf kleiner als ich, hat ihre lockigen Haare locker im Nacken zusammengebunden und trägt einen kunstvoll gewickelten farbenfrohen Sari. Schon in den nächsten Tagen merke ich, dass es ihr hier an Autorität nicht mangelt, da sie streng und dennoch sehr liebevoll alles handhabt was die Jungs betrifft. Ich mag die “amma” schon jetzt und hoffe wir werden gut auskommen. Vor allem, weil wir, neben der Frau des Kochs, die einzigen Frauen in Deepa Nivas sind! Sie drückt Johnny Zimmerschlüssel in die Hand und Ich darf mir mein Zimmer aussuchen.

Mein Zimmer

Die Unterkünfte der Volontäre sind im obersten Stockwerk und sind leicht abgegrenzt vom Rest des Hauses. Mein Zimmer ist Luxus pur, allein schon aus dem Grund weil es MEIN Zimmer ist und ich es mir mit niemandem teilen muss. In meinem wunderschönen Zimmer gibt ein Doppelbett, dessen unbenutzte Hälfte ich geflissentlich mit meinem Handy, Ladekabeln, einer Ukulele und ein paar Büchern voll mülle. Außerdem habe Ich in meinem Zimmer einen Deckenventilator, ein Waschbecken, einen Schreibtisch, 2 Spiegel, 5 Haken, ein Regal, zwei Fenster und ein Badezimmer (NUR FÜR MICH! AHHHH!!!) -… ich bin so überwältigt! Nachdem ich meine wenigen Sachen ausgeräumt habe, mache ich mich auf um das Haus und seine Bewohner besser kennenzulernen.

Erstes Treffen mit den Jungs

Ich sehe Johnny im Innenhof rumgestikulieren und steige schnell die Treppen hinab. Im Innenhof angekommen, bemerke ich dass Johnny gar nicht redet, sondern NUR gestikuliert. In der Nähe von Deepa Nivas ist eine Schule für Taubstumme, und bei uns wohnen auch drei Jungs von der Schule! Diese gehören aber schon zu den ältesten Jungs hier und helfen auch ein bisschen mit, lösen kleinere Raufereien und Kabbeleien auf. So ist mein erster Tag im Deepa Nivas auch der Tag, an dem ich das Alphabet mit den Händen lerne und Charade, SMS-Sprache und mit den Händen buchstabieren vereine. Die Jungs sind sowieso ziemlich cool, sie haben ein Sportstipendium für Volleyball und nehmen sogar an den Meisterschaften teil.

Bei der Games Time probiere ich schon mal ein paar Namen zu lernen, so dass ich am Ende des Tages schon zehn Namen von den insgesamt 75 Jungen kann. Wobei es keine Hilfe ist dass die Namen ungewohnt sind (Chettanya, Nagajunar, Prassad-Kumar) und manche öfters auftauchen; z.B.  Anil, Krishna und Ganesh- das sind anscheinend beliebte Vornamen für Jungs. Wie bei meiner Hospitation merke ich, dass die Jungs sehr lieb sind und auch recht viel Energie und Ausdauer beim Spielen zeigen.

Hier ein Foto von Deepa Nivas: ein großer Innenhof zum Spielen und zwei große Häuser. In den Häusern sind Unterrichtsräume,Lager, Büros der Verwaltung, drei Gemeinschaftsunterkünfte für die Jungs und alle möglichen anderen Räume. Außerdem viele Bäume und viel Grün außen rum. Hier noch ein Foto vom Grün (Aussicht vom Dach des Hauses links):

Der alltägliche Tagesablauf

Sonntags haben die Kinder komplett frei, der Tagesablauf in Deepa Nivas ist montags bis samstags immer gleich:

5:00 bis 6:00       Aufstehen und Jobs ausführen (Hof kehren, im Haus fegen, …)

6:00 bis 8:00       Study Time (Hausaufgaben machen und lernen)

8:00 bis 9:00       Frühstück in der Dining Hall und Morgenappell

9:00 bis 9:30       Alle Kinder gehen los zur Schule

…      bis 16:30     Schule für alle Kinder (außerhalb)

16:30 bis 18:00  Games Time mit Johnny und mir/ Chillen

18:00 bis 20:00  Study Time

20:00 bis 21:00  Abendessen in der Dining Hall und Good Night Talk

21:00 bis 22:00 freiwillige Computer Class von Johnny für die Älteren

22:00                     Licht aus

Mein Tagesablauf

Mein Tagesablauf ist etwas gechillter: Ich stehe jeden Tag um 6:00 auf und übernehme mit Johnny die kleine Studytime mit den (mit Abstand) Jüngsten (6 bis 7 Jahre). Das sind zwar nur 4 Kinder, aber die dazu zu bringen sich hinzusetzen und Mathe zu machen oder einen Text abzuschreiben ist auch nicht einfach. Vor allem weil sie gerne rauslaufen oder sich kabbeln. Außerdem müssten die Kleinen sonst in die große Study Time- wo sie durchgehend still sitzen müssen, 4 h am Tag. Trotzdem wollen wir unsere kleine Study Time gerne noch um ein paar Jungs erweitern.

Wenn alle (B-)Engelchen brav ihre Hausaufgaben gemacht haben, bekommen sie eine kleine Süßigkeit und wir beginnen die inoffizielle Studytime. Hier machen wir Klatschspiele, machen Telugu-Musik an und tanzen, singen Lieder mit Bewegungsabläufen mit den Kindern oder kuscheln einfach mal eine Runde mit ihnen („kuscheln“ bedeutet: man setzt sich irgendwo hin und die Kinder schmeißen sich auf einen und man probiert nicht zu ersticken).

Beim gemeinsamen Frühstück sitzen wir alle zusammen in der Dining Hall auf dem sauber gefegten Boden. Die Dining Hall ist ein nach hinten lang gezogener, nicht allzu breiter Raum. Man holt sich vorne sein Essen und setzt sich dann links oder rechts nebeneinander an die Wand. So kann man im (ovalen) Kreis alle sehen  und in der Mitte entsteht ein Durchgang. Den anschließenden Morgenappell schwänze ich meistens weil er komplett auf Telugu ist. Und zudem auch ein paar Charakterzüge aufweist, die eher Richtung Nationalstolz und Militär gehen. Und mir als Deutsche ist dass manchmal dann doch auch zu viel.

Sind die Kinder in der Schule, beginnt meine Freizeit. Meistens mache ich ein kleines Mittagsschläfchen, lese ein bisschen, schreibe ein bisschen, kraule Raja (dem Deepa Nivas Hund) die Ohren während ich im TV-Room Telugu Filme schaue, laufe mit Raja auf den Fersen eine Runde durch das Haus, besuche die Kinder die nicht zur Schule gegangen sind, spiele Ukulele oder hänge eine kleine Weile mit meinem Mitvolontär ab. Falls sich jemand  fragt ob ich wirklich 6-7 h Freizeit pro Tag brauche: ja. Weil ich in der restlichen Zeit immer zu 100% mit den Kindern zusammen bin und eine Welle an Fragen, Aufmerksamkeit, Wünschen und Bedürfnissen so gut wie möglich bewältigen will.

Um 16.30 stehen wir Volontäre im Innenhof bereit um die Kinder zu begrüßen, mit ihnen über ihren Tag zu reden und die Games Time zu beaufsichtigen. Die Abend-Study Time ist wieder mit den Kleinen und das Abendessen findet  auch normal in der Dining Hall statt. Danach helfe ich Johnny in der Computer Class oder  rede noch mit ein paar Jungs und um 22:00 liege ich dann auch im Bett.

So viel zu meinen offiziellen ersten Tagen hier. Jetzt wisst ihr über den täglichen Ablauf bescheid und auch was so meine Aufgabenfelder und Tätigkeiten sind (obwohl diese sich mit der Zeit wahrscheinlich noch etwas ändern werden). Und da ihr nun wisst dass ich wirklich arbeite (und nicht durchgehend nur Schmarrn mache)- kann ich jetzt guten Gewissens in den nächsten Beiträgen über die ganzen witzigen Erlebnisse, Missverständnisse und Abenteuer berichten die ich hier tagtäglich mit den Jungs habe! Aber wehe ihr vergesst mir dass ich hier hauptsächlich arbeite (und sogar früh aufstehe!!!). Trotzdem hoffe ich dass ich demnächst etwas Alltag bekomme und ich dann etwas runter kommen kann, weil ich zurzeit jeden Tag tot (aber glücklich!) ins Bett falle.

Liebe Grüße an alle,

Eure Lilli